Creative Cities 2.Teil: Operaio, oder Unruhe in der "gesellschaftlichen Fabrik"
Der Bestseller Empire von Toni Negri und Michael Hardt (2000), sowie die Schriften von Maurizio Lazzarato, Paolo Virno und anderen etablierten ein neues Vokabular im internationalen Theoriediskurs. Mit Begriffen wie die "Multitude", die "immaterielle Arbeit" oder die "Massenintellektualität" versuchen sie den Änderungen der kapitalistischen Produktionsweise Rechnung zu tragen. Im Zentrum dieser Theorien steht die Annahme eines tiefgreifenden Wandels, nämlich des Übergangs vom sogenannten Fordismus zum Post-Fordismus. Die Umstrukturierung der Wirtschaft und die sie begleitenden sozialen Veränderungen sind in den ehemaligen Industriestaaten heute nahezu abgeschlossen. Der Keim dieser Entwicklungen wurde jedoch bereits in Arbeitskämpfen in Italien in den 1960er und 1970er Jahren sichtbar. Damals versuchten Theoretiker einer Bewegung namens Operaismo (dtsch. "Arbeiterwissenschaft") die Veränderungen in der Wirtschaft aber auch innerhalb der Arbeiterklasse - deren "Klassenzusammensetzung" - auf der Basis von Marx neu zu verstehen.
Grundbegriffe
In den 1910er-Jahren begann der amerikanische Automobilhersteller Henry Ford mit der Serienfertigung von Automobilen am Fließband. Gestützt auf den Taylorismus (nach Frederick Winslow Taylor), dem sogenannten 'wissenschaftlichen Management' der Produktion, wurde die Arbeit in einzelne und einfache kleine Schritte aufgeteilt, wobei es zu enger Interaktion zwischen menschlicher Arbeit und der Arbeit von Maschinen kam, und letztere völlig den Rhythmus der Produktion vorgaben. Diese Methode wurde von Charlie Chaplin meisterlich humorvoll im Film Modern Times (1936) angeprangert. Ein Wesenszug des Fordismus ist die Trennung von Hand- und Kopfarbeit: die Produktionsmittel, also die modernen Maschinen, wurden von Wissenschaftlern und Ingenieuren entwickelt, während die Arbeit des "Massenarbeiters" in der Fabrik im Vergleich zu der von früheren gelernten Facharbeitern eine inhaltliche Abwertung erfuhr.
Der Fordismus erlebte seine Blüte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde von Fords Autofabriken ausgehend in zahlreichen anderen Branchen und Ländern in Anwendung gebracht. Er ermöglichte die Produktion von Konsumgütern nach einheitlichem Schema und in großen Stückzahlen. In Zusammenhang mit dem Keynesianismus (nach John Maynard Keynes, engl. Nationaläkonom) erlaubte der Fordismus nicht nur die Ausweitung der Produktion sondern auch der Konsumation und garantierte für Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu ungebrochenes Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und stetig wachsenden Lebensstandard in den Industrieländern. Der Sozialausgleich, d.h. ein gewissser Grad an Teilhabe der Arbeiterschaft am allgemeinen Wohlstand (in Österreich Sozialpartnerschaft genannt), hatte aus der Sicht der Herrschenden den Vorteil, dass den meisten Arbeitern die Lust auf den revolutionären Sozialismus verging. Der Nachteil bestand, neben der Umweltzerstörung, in einer Unterordnung des Lebens unter bürokratisches Management und die Aufgabe eines großen Teils der Lebenszeit an entfremdete Arbeitsabläufe in der Fabrik. Die Kritik an der Herrschaft der wissenschaftlichen Rationalität im Kapitalismus wurde z.B von Herbert Marcuse in Der eindimensionale Mensch (1967) formuliert.
Die Spaltung der Arbeiterklasse von den Arbeiterorganisationen
Das fordistische Regime hatte jedoch auch von Anfang an seine Gegner unter der Arbeiterschaft. Die fordistische Produktionsweise wurde in Europa zuerst in den großen Autowerken eingeführt, bei Renault in Frankreich, bei FIAT in Turin, usw.. Entgegen der offiziellen Geschichtsschreibung, welche die ersten Nachkriegsjahrzehnte als Periode unwiderstehlichen Aufstiegs zu mehr Prosperität, als "Wirtschaftswunderjahre" darstellt, waren die 1940er und 1950er Jahre in Frankreich und Italien von heftigen Arbeitskämpfen gekennzeichnet. In dieser Phase öffnete sich eine wachsende Kluft zwischen der Arbeiterklasse als Ganzes und deren offiziellen politischen Organisationen, den großen Gewerkschaften und kommunistischen und sozialistischen Massen-Parteien. Während Partei und Gewerkschaft keine Chance für eine "Diktatur des Proletariats", d.h. eine leninistische Revolution sahen, und vor allem auf wirtschaftliche Verbesserungen und Teilnahme am politischen System hinarbeiteten, wuchs unter der Arbeiterschaft der Widerstand gegen das Fabriksregime und seine dehumanisierenden Bedingungen. Dabei handelte es sich oft um spontane Proteste, kurzfristige Arbeitsunterbrechungen, stille Sabotage-Akte, welche den Lebensnerv des Kapitals, seine Produktivität, zu treffen suchten. In Frankreich suchte die Bewegung um die von Cornelius Castoriadis und Claude Lefort gegründete Zeitschrift "Sozialismus oder Barbarei" sich mit diesen Tendenzen zu verbünden und begann eine nicht-orthodoxe, auf Marx aufbauende, diese aber in vieler Hinsicht neu formulierende revolutionäre Theorie von der Selbst-Organisation der Arbeiterschaft zu kreiieren. Revolutionäre gingen in die Fabriken und arbeiteten dort als Maulwürfe, schufen Zeitungen und Flugblätter und gründeten Zellen. Der theoretische und praktische Elan der Gruppe verblasste in den 1950er Jahren, hatte jedoch lange genug gewährt, um die jungen Künstlerphilosophen von der Situationistischen Internationale zu beeinflussen. Die anti-kapitalistischen Strömungen in Frankreich explodierten schließlich im Pariser Mai von 1968.1
Sozialismus oder Barbarei unterhielt auch Verbindungen in die USA zu einer Gruppe um den afrikanisch-amerikanischen Theoretiker und Aktivisten C.L.R James und die Sowiet-Emigrantin und ehemalige Sekretärin Trotzkis Raya Dunayevskaya. Dieser Zirkel war von nicht unwesentlichem Einfluss auf den im Entstehen begriffenen frühen Operaismo. Obzwar eine hausgemachte italienische Spezialität, sei dies erwähnt um zu zeigen, dass Operaismo kein isoliertes oder einfach nur landestypisches Phänomen war. Eine sehr grob skizzierte Linie, über landestypische Unterschiede und konkrete politische Schlachten hinweg, ließe sich ungefähr so skizzieren: von Marx beeinflusste Autoren, die den Charakter der stalinistischen Diktatur und das Modell der Sowietunion als "Staatskapitalismus" durchschaut hatten und ablehnten, begannen mit einer neuen Lektüre von Marx ohne -ismus und entfremdeten sich damit zunehmend - manchmal gegen eigenen Willen - von Partei und Gewerkschaft. Gestützt wurde ihr Unterfangen von der Unruhe in den Fabriken, wo sich Arbeiter gegen den fortschreitenden Fordismus wehrten. Dabei ging es den Arbeitern nicht nur um bessere Bezahlung oder kürzere Arbeitszeit sondern sie äußerten eine fundamentale Kritik an den Produktions-, Macht- und Klassenverhältnissen, mit der Forderung für ein "gutes Leben" für alle.
Quaderni Rossi und die "gesellschaftliche Fabrik"
Dieser Versuch der Neuformulierung marxistischer Kritik ging in Italien zunächst vor allem von Raniero Panzieri und dem Magazin "Quaderni Rossi" aus. Zu den wichtigsten Autoren dieses Anfang der 1960er Jahre in Rom gegründeten Magazins zählten Mario Tronti und später auch Antonio Negri. Eine detaillierte Theoriegeschichte des Operaismus hat Steve Wright mit Den Himmel stürmen (Wright 2005) vorgelegt.2.
Ein zentrales Anliegen dieser Gruppe war es, "das Denken und die sozialen Praktiken zusammenzubringen, und die Fragen die das aufwirft, in einer spezifischen Konstellation der Klassen, der Klassenverhältnisse unserer Zeit." (Tronti, zitiert von De Angelis, online, eigene Übersetzung)3. Während bis dahin die Arbeiterklasse als Gegebenes angenommen wurde und gleichzeitig einen blinden Fleck auf der theoretischen Landkarte darstellte, ist es eines der grundlegenden Verdienste des Operaismo den Blick auf die "Klassenzusammensetzung" gelenkt zu haben. Anstatt die Arbeiterklasse als homogene Masse anzunehmen, wurde der Blick auf die Klassenstruktur gelenkt und der "Massenarbeiter" als signifikanteste Gruppe erkannt. Im Sinne Marx' wurde die Möglichkeit zur Aufhebung der Produktionsverhältnisse in den fortschrittlichsten Industriezweigen, d.h. in den fordistisch organisierten Industriebranchen gesucht. Der Massenarbeiter war am stärksten von den neuen Produktionsweisen betroffen, von der Dequalifizierung der Arbeit, bis zu dem Punkt, dass Arbeit sich als abstrakter Faktor, losgelöst vom Individuum, manifestieren konnte. Das bedeutet, dass die Arbeit des Massenarbeiters einerseits am stärksten entfremdet war, indem sich das kapitalistische Kommando direkt im technischen Produktionsapparat abbildete; andererseits aber, durch die Vermassung der Arbeit, die Aufhebung der Spezialisierungen und den zahlenmässigen Anstieg dieses neuen Typs des Arbeiters ein zuvor nie gekanntes Potenzial zur Mobilmachung entstand. Einer der wichtigsten Beiträge über die Klassenzusammensetzung stammte von Romano Alquati, der mittels empirischer Untersuchungen bei FIAT und Olivetti Licht auf die neue Klassenzusammensetzung warf4.
Von der (Nicht-)Neutralität der Technik
Wichtig sind in dem Zusammenhang auch die Überlegungen Panzieris zur Technik. Panzieri stützte seine Analyse auf ein 'close reading' von Marx und belegte durch eine Reihe von Zitaten, dass Marx (in Das Kapital, 1.Band) den Fortschritt der Technik nicht als neutral sondern vollkommen den kapitalistischen Interessen unterworfen sah. Wissenschaft und Technik wurden/werden vom Kapital gezielt eingesetzt, um die Möglichkeiten der Arbeiter zur politischen Selbstorganisation einzuschränken. Laut Panzieri sind technologischer Fortschritt und der 'Despotismus des Kapitals' ein und dasselbe5. Da der Produktionsapparat direkt politisch geworden war, war auch jeder noch so kleine Akt des Widerstands ein politischer Akt, da die Arbeiter im Produktionsprozess den Klassenverhältnissen unmittelbar ausgesetzt waren. Die Operaisten verstanden die Fabrik als den realen Ort, an dem sich die Gesellschaftsverhältnisse am konkretesten abbildeten und welcher zugleich die Chance für einen Umsturz bot. Dieser sollte jedoch nicht von politischen Kadern oder anderem intellektuellen Führungspersonal kommen, sondern direkt von den Arbeitern selbst. Das Problem, das sich dem Operaismo dabei immer wieder stellen sollte war, wie sich die spontanen und selbstorganisierten Formen des Widerstands der Arbeiter, vom Sabotageakt und Bummeln bis hin zu tagelangen Straßenschlachten, zu einer revolutionären Aktion mit einheitlicher politischer Stoßrichtung verdichten konnten. Denn trotz der Begeisterung und Selbstaufopferung der streikenden Arbeiter und Arbeiterinnen in Turin, Mailand oder Venetien in den 1960er und 1970er Jahren verebbten diese Energien immer wieder schnell, wurden von Gewerkschaften und Polizeirepression in andere Bahnen gelenkt. Wie Steve Wright in Den Himmel stürmen resümmiert, gelang es Operaio nicht, diese Lektionen zu lernen und insbesondere Toni Negri wird mit dem Vorwurf eines "vorauseilenden Triumphalismus" konfrontiert6.
Aus der Analyse der Fabrik als Kristallisationspunkt des kapitalistischen Herrschaftssystems heraus entwickelten die Autoren der Quaderni Rossi eine erweiterte Theorie der "gesellschaftlichen Fabrik". Ausgehend von Marx' Begriff der Reproduktion, womit alle Vorgänge gemeint sind, die der Reproduktion der Arbeiterklasse dienen, erweiterte Tronti "das Konzept der Fabrik als Ort der Macht auf die Gesellschaft als Ganzes, die von den selben Prinzipien der Unterwerfung und Wert-Reproduktion gesehen wurde" (Tronti 1974)7.
Mit dieser Erkenntnis wurden auch Orte außerhalb der Fabrik als Orte wirksamen Widerstands anerkannt. Dazu zählten u.a. Proteste gegen schlechte Wohnbedingungen, Preiserhöhungen bei Strom oder Miete. Dies sollte später, in den 1970er Jahren in eine regelrechte Massenbewegung unter dem Schlagwort "auto-reduzione" führen. Gemeint ist damit die Selbstreduktion der Preise, die Weigerung für öffentliche Verkehrsmittel oder auch Strom den verlangten Preis zu bezahlen und dafür auch auf die Straße zu gehen. Diese Erweiterung der Aufmerksamkeit auf die sozialen Zyklen der Reproduktion eröffnete zumindest theoretisch auch die Einbeziehung von Formen der Arbeit, die nicht direkt im Produktionsprozess eingegliedert waren, wie z.B. die unbezahlte Arbeit von Frauen. Doch hier liegt einer der größten Widersprüche des Operaismo. Während der Begriff der gesellschaftlichen Fabrik das Instrumentarium geboten hätte, von der Beschränkung auf den männlichen Fabriksarbeiter als revolutionäres Subjekt abzugehen und andere Kämpfe miteinzubeziehen (wie z.B. die Arbeistlosen, Hausfrauen, Jugendliche, etc.) fuhr der Operaismo letztlich fort, die fordistische Fabrik und den männlichen Arbeiter zu priviligieren. Unberücksichtigt blieb die unbezahlte Arbeit von Frauen ebenso wie die Subjektivität der feministischen Kritik, die eben im Begriff war, an die Oberfläche der politischen Diskussion zu dringen 8.
Vom "heißen Herbst" zur "Bewegung von 1977"
Die Zeitschrift Quaderni Rossi erlebte 1964 einen Rückschlag mit dem überraschenden Tod Panzieris und der darauffolgenden Spaltung der Gruppe. Aus dieser Spaltung ging jedoch ein neues Publikationsprojekt hervor, die Zeitung Classe Operaio, die bis in die frühen siebziger Jahre das Leitmedium der Operaisten bildete. Diese waren zwar niemals eine Massenbewegung, erreichten jedoch in den 1960er-Jahren einen signifikanten Einfluss auf die militanten Tendenzen in der Arbeiterklasse. Ein Jahr nach dem Pariser Mai von 1968 kam es im Zuge eines 'langen Mai' in Italien schließlich zum heißen Herbst von 1969 mit großangelegten Streiks in ganz Italien und Fabriksbesetzungen bei FIAT in Turin. Das Ergebnis war jedoch eine erneute Niederlage und damit ein schrumpfender Einfluss der diversen dem Operaismo zugeordneten Gruppen.
Eine jüngere Generation von Autoren, inspiriert vom Operaismo, formierte sich in den siebziger Jahren unter dem Begriff Autonomia. Jüngere und besser gebildete ArbeitnehmerInnen trugen zu einer neuen Zusammensetzung innerhalb der Arbeiterklasse bei, gekennzeichnet von neuen Sensibilitäten, z.B. für die Lage der Frauen, die sich immer weniger mit der Programmatik der orthodoxen Linksparteien vereinen ließen. "Das Parteiensystem," schrieb Sergio Bologna (1977) in einem einflussreichen Artikel, "ziehlt nicht mehr darauf ab, zwischen den Konflikten in der Zivilgesellschaft zu vermitteln oder diese zu repräsentieren, sondern zeigt sich als zunehmend kompakt und gegen die Bewegungen der Zivilgesellschaft gerichtet" (Bologna 1977, eigene Übersetzung)9.
Die Arbeitskämpfe, die in Turin in den "heißen Herbst" von 1969 mündeten, leiteten eine Gegenbewegung des Kapitals ein, die sich neutral als "Umstrukturierung" verkaufte, aber in Wirklichkeit auf zahlreichen Ebenen dem revolutionären Impetus das Wasser abgrub. Bei den großen Treffen von Arbeitern im Rahmen gewerkschaftlicher Organisation sprachen immer weniger die Arbeiter selbst, so Bologna, sondern hörten schweigend zu, wie die Parteilinie verkündet wurde: "Wir müssen den Gürtel enger schnellen, bestimmte Opfer hinnehmen, um den Arbeitsplatz als solchen zu retten" (paraphrasiert nach Bologna 1977) Sätze, die wir auch heute noch hören können. Indem das Interesse der Gewerkschaften mit dem Interesse der Arbeitgeber in eins zusammenfällt, insofern das Weiterbestehen der Fabrik als gemeinsames Interesse verstanden wird, schmilzt die Verhandlungsmasse für die Arbeitnehmer.
Die ebenso theoretische wie praktisch-historische Frage, die sich stellt, ist ob die vielen Revolten und versuchten Revolutionen am Ende der 1960er Jahre den besitzenden Klassen als ein solcher Schock in die Knochen fuhr, dass es zu einem organisierten Prozess der Umstrukturierung kam. Das Kapital regierte auf die Unregierbarkeit der Arbeiter, indem es einerseits die Automatisierung der Produktion bis hin zur vollautomatisierten Fabrik von "Industrierobotern" zu beschleunigen begann, bei gleichzeitiger Schrumpfung der Industriearbeit in zahlenmässiger Hinsicht im Westen durch die Auslagerung von Produktion in sogenannte Billiglohnländer oder die Verlagerung auf Klein- und Familienbetriebe, wo es für die Arbeitnehmer keine oder geringere Mittel zur politischen Selbst- Organisation gab. Autoren, die sich auf die Tradition des Operaismo und der Autonomia berufen, sehen die Umstrukturierung als eine direkte Reaktion des Kapitals auf den Widerstand der Arbeiter. Von einem "Exodus des Kapitals" aus Europa und anderen hochindustrialisierten Ländern spricht Moulier Boutang (Atzert 1998, S., 10). Dieser sei bestimmt von den "Zyklen der Arbeitskämpfe", welche die "Lohnarbeit unregierbar machten" (ebd.). Die reichen Länder begannen ihre Wirtschaften hin auf eine postfordistische Produktionsweise umzustellen, was die Arbeiterbewegung auf lange Sicht enorm schwächen sollte und den Begriff der Arbeiterklasse in eine bis heute währende Krise führte.
Bevor es jedoch soweit kommen konnte, spitzte sich die Auseinandersetzung in Italien noch einmal zu. Was mit einem Abbau von Arbeitsplätzen in den Großunternehmen begann, führte letztlich wieder zu einer neuen Zusammensetzung der Arbeiterklasse. Der "Maulwurf" gräbt wieder, doch nun werden kleine Fabriken zum Eintrittsloch für ihn, schrieb Sergio Bologna. Die "Bewegung von 1977" war nicht mehr primär auf den männlichen Massenarbeiter gestützt sondern vor allem auf junge Arbeiter, Frauen, studierende Arbeiter und arbeitende Studenten. Die Post-Operaisten und Theoretiker der Autonomia richteten ihr Augenmerk auf Formen der prekären und illegalen Arbeit, auf die kulturellen Unterschiede innerhalb der Arbeiterklasse und auf die Formulierung sozialer Bedürfnisse. Toni Negri erfand dafür den Begriff des "gesellschaftlichen Arbeiters". Damit wurde die Trennung zwischen produktiver und nicht-produktiver Arbeit (wie z.B. Kinder erziehen) zumindest tendenziell aufgehoben und Negri und seine Anhänger bezogen sich auf die "organisierten Arbeitslosen, die feministische Bewegung" (was von feministischen Autorinnen allerdings sehr ambivalent bewertet wird). Während die Autonomia nach wie vor in der Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Legitimation suchte, kam es zu Abspaltungen von klandestinen militanten Gruppen, die als urbane Guerrilla das System zu destabilisieren suchten. Zwar distanzierten sich einzelne Autoren der Autonomia von diesen "subjektivistischen" Vorgehensweisen und verstanden [den] "revolutionäre[n] Prozess [...] als Pluralismus der Organe der proletarischen Selbstbestimmung" (zitiert nach Aufheben 2003, opt.cit.), doch die Aktionen der Roten Brigaden und anderer Gruppen gaben dem Staat willkommenen Vorwand zum harten Durchgreifen. 1979 wurden mehr als 60 Intellektuelle, die dem Operaio bzw der Autonomia zugerechnet wurden, unter ihnen Toni Negri, unter dem falschen Vorwurf verhaftet, die intellektuelle Führerschaft der Brigatte Rossi zu sein. Negri wurde sogar vorgeworfen, "schuld" an der Entführung und Ermordung des Staatspräsidenten Alto Moro gewesen zu sein, was ihm Haftstrafen und Exil einbrachte. Ungefähr an dieser Stelle, in zeitlicher Hinsicht, trat das Konzept der "immateriellen Arbeit" auf den Plan.
Fortsetzung folgt
- 1. Ein nicht unwesentliches Detail ist dabei, wie der englische marxistische Historiker Eric Hobsbawm in Revolutionaries (1973) beobachtete, dass der anfängliche Studentenprotest zunächst Unterstützung von einer ganz bestimmten Schicht fand, von unselbständigen kreativen ArbeiterInnen wie Journalisten, Grafikern, Radio- und Fernsehleuten, ebenso wie von Ingenieuren und Lehrern, jenen also, die man heute zu den Creative Industries bzw. zur Creative Class zählen würde.
- 2. Wright, Steve. 2005. Den Himmel stürmen: eine Theoriegeschichte des Operaismus. Berlin: Assoziation A. Siehe auch z.B. Alberto Toscano (2003). Antagonism and Insurrection in Italian Operaismo
- 3. Massimo De Angelis (2006)Thoughts on Workerism after Mario Tronti’s talk 30.12.2006 Multitudes Magazine
- 4. siehe z.B. Alquatti, R. 1974. Organische Zusammensetzung des Kapitals und Arbeit bei Olivetti. In: W. Rieland (Hg.) Klassenanalyse als Klassenkampf. Arbeiteruntersuchungen bei FIAT und Olivetti. Frankfurt.a.M.: Fischer Athenäum
- 5. Raniero Panzieri, (1961) The Capitalist Use of Machinery: Marx Versus the Objectivists'. In: Outlines of a Critique of Technology, ed P.Slater.
- 6. Gemeint ist damit, dass Negri bestimmte Eigenschaften bestimmter Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse auf die gesamte Arbeiterklasse extrapolierte und somit fälschlicherweise eine siegreiche Revolution nahe wähnte
- 7. Tronti, M. (1974) Arbeiter und Kapital. Frankfurt: Neue Kritik. Zuerst erschienen als: M. Tronti, (1971) Operai e Capitale, Turin: Einaudi. Da die deutsche Fassung von 1974 kaum zu bekommen ist, sei auf englische Versionen im Netz verwiesen, sie z.B. folgendes Zitat in Aufheben 2003, Fussnote 5. "At the highest level of capitalist development, the social relation becomes a moment of the relation of production, the whole of society becomes an articulation of production; in other words, the whole of society exists as a function of the factory and the factory extends its exclusive domination over the whole of society. It is on this basis that the machine of the political state tends ever-increasingly to become one with the figure of the collective capitalist."
- 8. siehe z.B. De Angelis, opt.cit.
- 9. Sergio Bologna (1977), The Tribe Of Moles