If I were a Boat … then I’d be a Lady

Tanja Brandmayr über die erste Tanzperformance-Residency auf dem Schiff Eleonore im Winterhafen.

Im September fand die erste Tanz/Performance-Residency von Josseline Black auf dem Messschiff Eleonore im Linzer Winterhafen statt. Im Rahmen der größer konzipierten Serie »Floating Bodies and Spaces« hat sich die Tänzerin und Performerin Josseline Black in ihrer Residency auf der Eleonore den »common and literary metaphors regarding to water and balance« gewidmet: Im Zentrum standen die Phrasen »Being at Sea« und »Getting your Sea Legs«.

Beide Phrasen behandeln ein existenzielles Schwanken und Fließen von Individuum UND Boden. Beziehungsweise kann die Bedeutung des »Being at Sea« mit einer gewissen Unruhe des Daseins umschrieben werden, mit der Ungewissheit auf hoher See, mit den unbewussten Regeln einer neuen Umgebung, mit der Unmöglichkeit, festen Boden unter den Füßen zu bekommen: Es gilt sich in dieser Umgebung neu zu orientieren,
sich neue Fähigkeiten anzueignen, sich während des Unterwegsseins nach unbekannten Gefilden neu zu orientieren, sprich seine »Sea Legs« zu entwickeln.

Als Arbeitsansatz hat die US-Amerikanerin im konkreten Fall die beiden Phrasen in deren abstrakte Bestandteile Wasser, Körper, Bewegung, Unruhe und Gleichgewicht zerlegt – und deren Bedeutung in den Kontext ihrer eigenen Körperlichkeit und in den Kontext eines archetypisch verstandenen Schiffskörpers gestellt. In einer wechselseitigen Transformation von kulturellem Körper und organischem Körper hat sie auf dem Schiff mit den Mitteln der Bewegung einen psychologisch-symbolischen Innenraum untersucht, quasi sich selbst zu Arche und Archetypus auf der Eleonore gemacht, quasi sich selbst zum Schiffskörper transformiert, und in diesem Sinn auch mit vorgefundenen Gegenständen hantiert. Mit diesen Gegenständen wurden etwa intuitive Distanzenmessungen vorgenommen (Rollmeter und Fernglas), sinnbildliche Rettungsaktionen simuliert (Rettungsring) oder schlichtweg Flaute und Stillstand körperlich reflektiert (auf einer Holzkiste am Schiff liegend).

Im Gegensatz zu diesen Statements des selbst-Boot-Seins, im Gegensatz zu diesen Aktionen der symbolischen Aufladung und der Einverleibung der Dinge in einen persönlichen Kosmos, hat sich Black in einem vergleichsweise akkuraten Teil der Recherche der historischen Figur Eleonore Prohaska gewidmet, nach der das Schiff benannt ist: Eleonore Prohaska ist als Frau bereits um 1800 aufs Schiff gegangen, und hat sich über sämtliche Konventionen hinweggesetzt, um etwa als Soldatin gegen Napoleon zu kämpfen. Informationen dazu hat sich Josseline Black bei der Berlinerin Beate Klompmaker geholt, die sich in biographischen wie künstlerischen Projekten mit Eleonore Prohaska beschäftigt hat. Der im Titel der Residency mitformulierte feministische Aspekt »If I were a Boat, then I’d be a Lady« widmet sich so gesehen den eigentlich ganz amüsanten Umwertungen der Geschechterverhältnisse – was zuallererst dem Umstand geschuldet ist, dass Boote traditionellerweise von männlichen Seefahrern mit weiblichen Namen getauft werden (bzw. Frauen traditionellerweise an Bord ja überhaupt Unglück bringen). Wenn also das Schiff Eleonore nach Eleonore Prohaska benannt ist, bedeutet das zum einen eine Erfüllung der Konvention, ist andererseits aber eine doch sehr deutliche Absage an ein historisches Klischee des männlichem Seefahrers auf weiten ungewissen Wassern, in einem weiblichem Schiffskörper – und damit auch eine Absage an eine erstaunlich deutliche Variante des freudianischen Back-to-Uterus-Verlangens und gleichzeitig nach der Reise woanders-neu-geboren-Werdens. Auf die Spitze getrieben wird dieses Denkmodell, weil im konkreten Falle von Josseline Blacks Auseinandersetzung in diesen gedanklichen Zwischenräumen des Vorgefundenen das »Being the Boat« auch »Being Eleonore« und damit »Being Eleonore Prohaska« meint – also auch eine Auseinandersetzung mit bereits abmontierten und dennoch neu aufgefrischten Geschlechterverhältnissen entsteht: Der »Prohaska-Walk« (Prohaska bedeutet »Gehen« auf tschechisch) ist dementsprechend eine weiblich verdoppelte »Gehen-gehen-Performance«, und damit eine paradoxe Machtfrage, welchem Geschlecht das Schiff nun eigentlich gehört, in einer sehr unmittelbaren Umlegung all dieser Umstände und Fakten.

Um nun einen Schwenk zu einer Reflexion des tanzproduzierenden Prozesses am Schiff zu machen: Das Schiff Eleonore erwies sich im Kontext der ersten Residency als erstaunlich – und das in vielfacher Hinsicht: als Forschungsraum, als nichtkommerzieller schwimmender Hohlraum, als institutionell nicht-vordefinierter Raum, als merkwürdiges Neutrum in der Umgebung, als zwischen den natürlichen Elementen vertäuter Kulturraum, der in all den oben genannten Aspekten des möglichen Researches, der nicht vordefinierten Nutzung offen steht, allerdings – und das interessanterweise – organisch und räumlich durch die Elemente begrenzt ist: Wie der menschliche Körper steht der Schiffskörper also in organischer Weise zwischen Natur und Kultur offen, und ist in ähnlicher Weise inbetween, erweiterbar, überlagert, begrenzt. Was an sich schon interessant genug ist, erwies sich innerhalb des Performancekonzeptes der Künstlerin als unterstützend für eine Generierung eines Performance-Verständnisses, das jenseits von kapitalistischer Entität, von Einschreibung oder Überschreibung des Körpers durch Kultur angesiedelt ist: Bedeutet Performance oft genug eine Viktimisierung des Körpers durch Übermacht, hat sich innerhalb dieses Prozesses am Schiff ein Verständnis bestätigt, das den Körper als organischen und tätigen Teil der Aktion versteht: Der Körper ist sozusagen frei schwimmender und in sich selbst fließender Container für Bilder und Objekte, ist selbst aktiver Teil des Geschehens. Die Frage ist nicht die nach der Gefangennahme des Körpers durch vorherrschende Kultur, sondern danach, welche Bewegung der Körper als Träger von inneren Bildern und Objekten aus sich generiert. Um es etwas pathetisch zu sagen, bedeutet das sowohl performative Befreiung als auch vielleicht ein neues in-Beziehung-Setzen.
Der »Tanz am Schiff«, der in seiner lediglich naiv verstandenen Weise sowohl von Künstlerin als auch von der hier schreibenden Kuratorin strikt abgelehnt wird (und das einige Male am Schiff als Worst Case der Beliebigkeit belacht wurde), wurde paradoxerweise am Ende der Residency in einer gewissen Weise zu einem unerwarteten Teil des Ergebnisses: Im Rahmen einer ins Leben gerufenen Webcam-Performance wurde das »Tanzen am Schiff« zu einer Tätigkeit, die am Ende der Residency plötzlich Sinn ergab, weil, in Entsprechung zum Arbeitskonzept plötzlich »Sea Legs« da waren und diese Sea Legs in all ihrer Leichtigkeit benutzt werden konnten … und wie Josseline Black in ihrer Residency einmal angemerkt hat: »It‘s all about safety«. Das bedeutet, dass in dieser neuen Gewissheit alles auch »about rhythm« sein kann. Und am Ende hat sich dieser Rhythmus offenbart, in Konfrontation der Künstlerin zum Schiff, am Ende einer abwechselnden An- und Abwesenheit am Schiff, am Ende eines täglich neuen über-die-Brücke-aufs-Schiff-Gehens. In spiegelbildlicher Auseinandersetzung zu Ort, Raum und Wasser ist ein Connecting der Zwischenräume entstanden, folgerichtig im Zwielicht der Dämmerung angesiedelt. Und um eine Phrase aus dem Statement der Stadtwerkstatt zur Eleonore zu bemühen: Die Idee der »Happy Isolation« am Schiff hat sich in dieser körperlichen Sphäre der Anwesenheit und der Distanz manifestiert – trotz der gewählten Alienation, und erfreulicherweise in Bestätigung dieses Performancekonzeptes, den Körper eben nicht nur als viktimisierten Ort der Einschreibung zu verstehen.

Und vielleicht noch ein Schlusswort in der Bezugnahme von Tanz zum Schiff als Container für Kunst, Messung und anderer Art von Information: Der Tanz als ephemere Kunst erzeugt per se keine Datenmengen … er ist zuallererst ein Statement in Raum und Zeit. Er ist, in seiner wörtlichen Bedeutung der »Choreographie« ein verschwindendes Schreiben der Körper in den Raum – sehr ursprünglich hergeleitet vom griechischen Chorus und seiner körperlichen Präsenz auf der Bühne. In diesem Sinn, und in Überspringung von ein paar tausend Jahre Kunstgeschichte und insbesondere in wahrscheinlich sehr geraffter Außenwahrnehmung von Medienkunst, ist die Körper- und Webcam-performance ein dementsprechendes Statement einer lediglich gestreamten, also auch verschwindenden Information. Und in diesem Sinne war das Bestreben von Künstlerin und Kuratorin auch für die Präsentation einhellig: Die Ergebnisse der Präsentation in Text, Videos und Stills fokussiert und gering zu halten. Nix Neues eigentlich für eine Ökonomie der Kunst, um relevante Statements abzugeben.

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