Presseerklärung am 14.Mai 1999

PazifistInnen und AntimilitaristInnen werden aus den Grünen rausgedrängt

Wir treten aus

Bereits in den ersten Kriegstagen wurden ein von vielen Grün-Mitgliedern unterstützter Offener Brief an den Bundesvorstand geschickt. Die Forderungen des Briefes waren: eine entschiedene Antikriegspolitik der Bundespartei, Verurteilung der ‹Kriegsgrünen" in Deutschland und der Ausschluß der Deutschen Grünen aus der Förderation der Europäischen Grünen, sollten sie ihre Haltung nicht ändern.

Da auf diesen Brief keine Reaktion des Bundesvorstandes kam, luden sechs Mitglieder der Grünen zu einer öffentlichen Veranstaltung zum Thema ‹Grüne und Krieg" ein. Dabei wurde auch Kritik an Bundesprecher Alexander van der Bellen und an der Politik der Bundespartei geäußert, weil Österreichs Grüne auf die Politik des deutschen Außenministers Joseph Fischer eingeschwenkt sind.

Diese Vorgangsweise wurde vom Landesvorstand und vom Erweiterten Landesvorstand der Grünen OÖ als parteischädigend bezeichnet und "personelle Konsequenzen" eingefordert.

16 Parteimitglieder und FunktionärInnen, darunter ein Linzer Gemeinderat und zwei ehemalige Nationalratskandidaten, ziehen nun die eingeforderten Konsequenzen - Sie treten aus der Partei aus.

Harald Schmutzhard, Gemeinderat der Stadt Linz: "Für PazifistInnen scheint kein Platz bei den Grünen zu sein. Auf Diskussionsversuche innerhalb der Partei wird mit Ausgrenzung reagiert".

Österreichs Grüne rücken von Grundwerten ab
Anpassung an die Kriegspolitik der deutschen Grünen

Die Grünen haben in ihrem Programm und ihren Leitlinien Krieg als Mittel der Politik immer entschieden abgelehnt. Seit 24. März wird unter grüner Mitverantwortung entgegen grünen Grundwerten und internationalen Normen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien geführt. Anstatt der Entwicklung konsequenter Antikriegspolitik unterstützt der Bundessprecher und die Bundespartei mit ihrem Beschluss vom 13. April die Kriegspolitik der deutschen Grü-nen. Der Bombenkrieg wird akzeptiert, gefordert wird lediglich eine befristete Feuerpause.

Boris Lechthaler: "Es ist absurd, dass der Bundesvorstand der Grünen in Österreich am 13. April die gleiche Forderung erhoben hat, mit der am 13. Mai der Bundesparteitag der deutschen Grünen der Kriegspolitik Joseph Fischers den Rücken stärkte".

Weitere Schritte weg von den friedenspolitischen Grundwerten der Grünen waren z.B.:

  • Ablehnung einer aktiven Teilnahme der Grünen an der Anti-Kriegsbewegung (24. 4. 1999)
  • Ablehnung der Einrichtung eines Bundesarbeitskreises Frieden (24. 4. 1999)
  • Forderung nach Abschaffung des Vetorechts im UN-Sicherheitsrat, was unter den der-zeitigen Bedingungen die UNO zu einem verlängerten Arm der NATO machen würde (13. 4. 1999)
  • Aussagen von Van der Bellen pro NATO-Einsatz ohne UNO-Mandat und pro Überflugsge-nehmigungen (November 1998, zurückgenommen März 1999)
  • Mittragen von Beschlüssen im Europäischen Parlament pro Militarisierung der EU (Rolle der Union in der Welt, Mai 1998)

Wir treten aus den Grünen aus

  • Mag. Daniela Antretter
  • Niki Dürk
  • Gerlinde Horner
  • Boris Lechthaler (eh. NR-Kandidat, eh. Bezirksprecher Perg, eh. Landesvorstand)
  • Gusti Lechthaler
  • Traudi Lechthaler
  • Andrea Mayer-Edoloeyi
  • Manuela Mittermayer
  • Gerald Oberansmayr (politischer Sekretär Grüne Linz)
  • Mag. Franz Primetzhofer
  • Tommy Zuljevic-Salamon (NR-Kandidat, Bezirkssprecher Freistadt)
  • Mag. Harald Schmutzhard (Gemeinderat Linz)
  • Gabriele Spiegl
  • Mag. Gabriele Wagner (Bezirksvorstand Linz)
  • Johanna Weichselbaumer
  • und 1 weiteres Mitglied

weiterführende Infos

PazifistInnen und AntimilitaristInnen werden aus den Grünen rausgedrängt

  • Unmittelbar nach Kriegsbeginn schicken 47 Grün-Mitglieder einen offenen Brief an den Bundesvorstand, in dem dieser aufgefordert wird, eine entschiedene Antikriegspolitik zu betreiben und sich von jenen "Kriegsgrünen" auf europäischer Ebene zu trennen, die für den Krieg mitverantwortlich sind.
  • Die Reaktion des Bundesvorstandes bestand darin:
    1. die Trennung von den Kriegstreibern innerhalb der eigenen Bewegung (vor allem Deutschland und Frankreich) zurückzuweisen
    2. selbst von Anti-Kriegspositionen abzurücken: statt eines sofortigen und bedingungslosen Stopps der Bombardements wird nur mehr eine vorübergehende Feuerpause gefordert. Außerdem wird die Aufhebung des Vetorechts im UN-Sicherheitsrat gefordert. Damit würden die Vereinten Nationen zu einem verlängerten Arm von NATO-Interessen werden.
  • Aufgrund dieser fehlenden Bereitschaft, auf die Forderungen des offenen Briefes einzugehen, ergriffen einige Mitglieder die Initiative und luden - unter Zuhilfenahme von grünem Adressenmaterial - zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung "Grüne und Krieg" ein. In der Einladung wird die Politik des Bundesvorstandes sowie Äußerungen des Bundessprechers Van der Bellen kritisiert. Dieser ist im Vorfeld des Krieges (November 1998) - in offenkundiger Abstimmung mit den deutschen Grünen - für einen NATO-Krieg ohne UN-Mandat eingetreten.
  • Der Landesvorstand und der Erweiterte Landesvorstand der Grünen OÖ verurteilen daraufhin die OrganisatorInnen der Veranstaltung "Grüne und Krieg" "auf das Schärfste", bezeichnen ihre Vorgehensweise als "in hohem Maße schädigend für die Grünen OÖ" und fordern "personelle Konsequenzen".

Wir stellen fest: Wenn es als "in hohem Maße schädigend" bei den Grünen gilt, einen klaren Anti-Kriegskurs einzufordern und Führungsgremien bzw. Bundessprecher öffentlich dafür zu kritisieren, weil diese offensichtlich dazu nicht bereit sind, ziehen wir die "personellen Konsequenzen" und verlassen die Partei. Entschiedener Antimilitarismus und Pazifismus haben bei den Grünen offensichtlich keinen Platz mehr.

Österreichs Grüne rücken von Grundwerten ab
Anpassung an deutsche Grüne

Wir alle sind Mitglieder der Grünen geworden, weil wir annahmen, dass die Grünen die Partei sind, in der es möglich ist, einen wirksamen Kampf gegen Neoliberalismus und Militarisierung zu entwickeln.sGerade angesichts des NATO-Krieges gegen Jugoslawien stellen wir fest, dass die Grünen diese Partei nicht mehr sind:

  1. Grüne Parteien, vor allem die Grünen in Deutschland und Frankreich, sind zu Kriegstreibern geworden. Umso notwendiger wäre es gewesen, dass die österreichischen Grünen eine klare Trennlinie zu den Kriegstreibern in der eigenen Bewegung setzen. Trotz massivem Druck von der Parteibasis hat sich die Führung der österreichischen Grünen nie zu einer klaren Verurteilung der "Kriegsgrünen" in Deutschland und Frankreich durchringen könne. Die Forderung, sich von diesen Grünparteien auf europäischer Ebenen zu trennen (Föderation der europäischen Grünen, Fraktion im Europäischen Parlament) wurde klar abgelehnt.
  2. Die österreichischen Grünen haben nie eine klare Anti-Kriegspolitik entwickelt. Bundessprecher Alexander van der Bellen warb intern um Verständnis für den deutschen Außenminister Joschka Fischer. Die Forderung nach einem sofortigem und bedingungslosen Stopp der Bombardements wurde bald fallengelassen. Statt dessen trat der Bundesvorstand nur mehr für eine vorübergehende Feuerpause ein und übernahm damit eine Forderung von Joschka Fischer. Eine aktive Teilnahme der Grünen an einer sich formierenden Anti-Kriegsbewegung wurde vom Führungsgremium der Partei zurückgewiesen. Nicht einmal die Einrichtung eines Bundesarbeitskreises Frieden konnte im Erweiterten Bundesvorstand durchgesetzt werden.(1)
  3. Hand in Hand mit den deutschen Grünen beteiligen sich die österreichischen Grünen an der Demontage der UNO. So machen sich die deutschen und österreichischen Grünen mit der Forderung nach Aufhebung des Vetorechts im UN-Sicherheitsrat zu Antreibern für die Umwandlung der Vereinten Nationen in einen verlängerten Arm der NATO.
  4. Die schrittweise Aufgabe des Pazifismus und Antimilitarismus hat sich schon seit längerem angebahnt. Bereits im Vorjahr betonte der Grüne Bundessprecher Van der Bellen "noch nie ein schlechtes Wort über die NATO verloren zu haben." Und das, obwohl sich die NATO von einem Defensivbündnis in einen offensiven Militärpakt (NATO-neu) gewandelt hat. Im November 1998 bekannte Van der Bellen, dass er sich auch einen NATO-Krieg ohne UNO-Mandat vorstellen könne und dass in diesem Fall auch Überflugsgenehmigungen für NATO-Flugzeuge über Österreich kein Problem wären (2). Auch wenn diese Aussagen später wieder zurückgenommen wurden, so zeigt diese doch, dass - in Abstimmung mit den deutschen Grünen - antimilitaristische Positionen schrittweise ausgehöhlt werden.
  5. Im Europäischen Parlament hat die Fraktion der Grünen - inklusive Österreichs - unmißverständlich der Militarisierung der EU zugestimmt.(3) In einem von den Grünen 1998 unterstützen Antrag wird der Ausbau aller militärischen Instrumente für eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, wie sie der Vertrag von Amsterdam vorsieht, eingefordert (das sind u. a.: Ausbau der europäischen Rüstungsindustrie, Aufbau von militärischen Kapazitäten für globale "Kampfeinsätze zur Krisenbewältigung", Verschmelzung von WEU und EU, ...). Damit sind die Grünen auf die Linie eingeschwenkt, die Neutralität nicht über einen NATO-Beitritt, sondern über eine EU-Militarisierung in Frage zu stellen. Dies entspricht vor allem den Interessen deutscher Eliten, die eine deutsch dominierte Militär-Großmacht EU von den USA abkoppeln wollen.
  6. Diese Zustimmung zur Militarisierung der EU ist Ergebnis der schrittweisen Preisgabe der grünen EU-Kritik. Selbst die Forderung "Sozialunion vor Währungsunion" wurde fallengelassen. Die Grünen machen sich zu vehementen Fürsprechern der EU-Osterweiterung, obwohl der Export des EU-Neoliberalismus gerade in den Ländern Ost- und Mitteleuropas zu dramatischen sozialen und ökologischen Verwerfungen führt und eigenständige Entwicklungswege blockiert.
  7. Auch in der Sozial- und Wirtschaftspolitik wird die Anpassung an die zunehmend neoliberal agierenden Grünen in der BRD deutlich. Während die Kluft zwischen explodierenden Gewinnen und stagnierenden Masseneinkommen wächst, wird die Forderung nach Umverteilung bei den Grünen immer leiser: In der Steuerreformdebatte wird eine deutliche Senkung der Lohnsteuer mit dem Verweis auf die Konvergenzkriterien für die Währungsunion zurückgewiesen (4). Bei der Arbeitszeitverkürzung soll die öffentliche Hand für einen Einkommensausgleich sorgen, um die Gewinne zu schonen (5). Selbst einer Aktiensteuer stehen Spitzengrüne skeptisch gegenüber (6).
  8. Auch im ureigensten Bericht der Grünen - der Umweltpolitik - werden die Grünen kraftloser. Die ökologische Steuerreform dient nicht mehr dazu, öffentliche Umweltinvestitionsprogramme ins Laufen zu bringen, sondern um - gemeinsam mit der Industriellenvereinigung - für die Senkung der Lohnnebenkosten zu trommeln.

Wir sind davon überzeugt, dass der NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien das Leid der Menschen auf allen Seiten in dieser Region nur noch verschlimmert. Dieser Krieg hat Vertreibungen und Ermordungen nicht gestoppt, sondern angeheizt. Dieser Krieg hat zu einer unvorstellbaren menschlichen und ökologischen Katastrophe geführt. Dieser Krieg wird nicht für Menschenrechte geführt. Er wird geführt, um den Krieg als Mittel der Politik wieder hoffähig zu machen. Bereits im Vorfeld wurden die Möglichkeiten friedlicher Konfliktlösung keineswegs ausgeschöpft. Die reichen Nationen demonstrieren, dass sie sich in Zukunft selbst das Mandat dafür erteilen werden, wo und wann sie militärische Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen.

Die deutschen Grünen haben dafür den Türöffner gespielt. Ihr Regierungseintritt markiert eine dramatische Wende nach rechts. Die österreichischen Grünen passen sich seit dem Antritt von Van der Bellen als Bundessprecher immer mehr dem Mainstream und damit den deutschen Grünen an. Das Drängen nach Regierungsämtern verhindert eine engagierte Oppositionspolitik. Auf der Strecke bleibt nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern auch die realpolitische Bedeutung der Grünen.

Wir sind damit konfrontiert, dass über diese Linie innerhalb der Grünen nicht mehr diskutiert werden darf. Auf öffentliche Kritik wird mit Maßregelung geantwortet wird. Darum treten wir aus den Grünen aus. Unsere friedenspolitischen Haltungen und unser Eintreten für Lebensrechte vor Eigentumsrechten läßt sich mit der Entwicklung der Grünen immer schwieriger vereinbaren.

Wir werden uns weiter politisch engagieren. Gegen Krieg, Sozialabbau, Diskriminierung und Umweltzerstörung. In welcher Form, wird ein gemeinsamer Prozess in den nächsten Monaten klären. Wir haben großen Respekt für jene, die zwar viele unserer Haltungen teilen, aber weiterhin innerhalb der Grünen für diese Werte weiterkämpfen wollen. Wir betonen, dass uns die Zusammenarbeiten mit diesen Menschen weiterhin sehr wertvoll ist.

PS: Alexander van der Bellen würdigt die Entscheidung des Bundesparteitages der deutschen Grünen, mit der der Kriegspolitik von Joseph Fischer der Rücken gestärkt wird, als "guten Entschluß".(7)

Fußnoten:

(1) sh. EBV 24. 4. 99
(2) sh. Falter 44/1998
(3)
Rolle der Union in der Welt, A4-0169/98
(4) PK Van der Bellen, 14. 1. 99
(5) OÖN, 28. 1. 99
(6) Standard, 30. 12. 98
(7)
SN 15.5.99