Vom Versorger zur Versorgerin

Die ehemaligen Versorger-Macher Gabriele Kepplinger und Georg Ritter zur 100. Ausgabe.

Wenn ich heute konfrontiert werde, warum der Versorger im Frühsommer 1990 auf Initiative von Rainer Krispel und mit meiner Unterstützung ins Leben gerufen wurde, muss ich tief in die Lade greifen. Was dabei neben verschwommenen und trügerischen Eindrücken hervorkommt, sind zumindest Exemplare der Versorger 002 und 005-6 /91.
Da ist zu lesen »Willkommen in den nervösen 90ern«, und von einer Bündnispolitik ungleicher Partner wie Stadtwerkstatt, Kapu, Posthof und Kanal beim Projekt 7 INCH 12. Da ist auch was zu lesen vom Ende einer Utopie, die scheinbar durch den Saalanbau im damals neuen Quartier der Stadtwerkstatt in der Kirchengasse besiegelt wurde.
Aber wie fällt die Betrachtung aus heutiger Sicht aus? Der erschöpfende Häuser- und Kulturkampf in den 80ern und die Umarmung der Stadt mit dem neuen Haus in der Kirchengasse hatte am Fundament der Stadtwerkstatt gerüttelt. Mit der Entscheidung in die Kirchengasse einzuziehen, war man/frau auch gefordert, Position zu beziehen, ob man weiterhin bereit war, sich im Kontext eines allgemeineren Engagements einzubringen oder zog man doch vor, sich auf die künstlerische Laufbahn zu konzentrieren. Wie und warum dann Rainer Krispel, einer der Kapu-Initiatoren kurzzeitig in der Kirchengasse 4 auftauchte und den Versorger gründete, bleibt unscharf. Von wegen Bündnispolitik oder gemeinsames Agieren. Gab es da nicht eine latente Skepsis von Seiten der Kapu, die Stadtwerkstatt sei renegat oder politisch korrumpiert? Trotz Vorbehalten wechselten neben Krispel auch Bundes, Andi Ehrenberger, Bert Estl oder Dandl und später andere in den Veranstaltungsbereich in die Stadtwerksatt, wenngleich nach wie vor das Herz für die Kapu pochte.
An Hand des Versorgers lässt sich auch die Differenz aufrollen. Sicherlich war ein Impuls der »Verfolgte Kanaldeckel«, ein Fanzine der Kapu, das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erschien. Richtungsstreit in Sachen Subkulturen, in denen verschiedene Musikrichtungen und -szenen, sowie ein linker Popdiskurs à la Diederichsen abgehandelt wurden, waren der Stadtwerkstatt fremd, und szeniges Hypen war auch nicht Urgrund des Handels. Stadtwerkstatt schwamm eher in einer anarchischen, wenn nicht haschrebellischen Suppe mit verschiedenen Bezügen zum expanded Cinema, erweiterten Kunstbegriff à la Josef Beuys, Experimental-Film, Squatting und dergleichen. Das Haus, welches zu Beginn Sammelbecken für ein breites Spektrum an Initiativen von autonomen Frauen bis Stadtökologie war, war zu diesem Zeitpunkt schlagseitig von einem Kunstverständnis geprägt, dass nicht zwischen Kunst und engagiertem Handeln unterschied.
Das publizistische Verständnis dazu war aber eingeschränkt. In den Aufzeichnungen »Stadtwerkstatt in Arbeit von 1979 – 1995« und auch im umfangreichen Bericht »Tätigkeiten 1991 - 1992 Stadtwerkstatt« ist die Herausgabe des Organs des Vereins nur kurz erwähnt. Der Versorger also eine Nebennotiz. Der Versorger ein pragmatisches, programmatisches Vereinsorgan. Von Anbeginn wurden bei der fortlaufenden Nummerierung zwei Nullen vorausgeschickt, also Zukunft eingeschrieben. Versorger stand für so etwas, wie die Versorgung mit Information, Information, die sich wiederum als die Prawda der Stadtwerkstatt, also die Wahrheit der Stadtwerkstatt verstand.
Später, mit Kurt Holzinger als Redakteur, emanzipiert sich die Versorgerin durch einen übergeordneten Diskurs, mit einer breiten Palette von Beiträgen und Autorinnen, die eine allgemeinere Auseinandersetzung programmieren als das eng gesteckte Arbeitsprogramm der damaligen Stadtwerkstatt.
Georg Ritter

Meine erste Beteiligung war beim Projekt UNARTEN. Eine Ausstellungs-Reihe von Georg Ritter in der Stadtwerkstatt 1994. Gewidmet war sie KünstlerInnen, die »im üblichen Kunstmarkt- und Galeriegeschehen nach Auffassung der Stadtwerkstatt zu kurz kommen oder Kunst, die sich eigenbrötlerisch und unangepaßt einen Dreck um den Mainstream schert.« Ich transkribierte und redigierte Gespräche mit den KünstlerInnen. Diese Herangehensweise, Themen anhand von Interviews abzuarbeiten, war lange Zeit der Style des Blattes. Es gab selten Gastautorinnen, die einen journalistischen Text oder einen Essay verfassten, sondern KünstlerInnen, ExpertInnen, AktivistInnen (meist ohne Binnen-I, damals waren Frauen in der Stadtwerkstatt eine veritable Rarität) aus dem Umfeld wurden zu Gesprächen geladen, die dann weitgehend im O-Ton publiziert wurden.
Zum Beispiel liegt vor mir der Versorger #0038 vom Sommer 1996. »Neutralität in Österreich« steht am Titelblatt und ein Bundesheer Soldat schaut durch einen Riesen-Gucker. Titelbild aus der Broschüre ‚EINSATZ BEREIT‘ für Österreich«. Georg hatte diese Schrift seit der Flugshow in Wiener Neustadt 1994 vom Bundesheer zugesandt bekommen.
»Neutralität verkommt zur Sicherheitsdebatte« lautet die Überschrift auf Seite 3. »Für uns als Künstler und unabhängige Kulturaktivisten ist Neutralität so wie die Butter aufs Brot.« Die Friedenswerkstatt und Manfred Rotter, Professor für Europarecht an der JKU, kommen zu Wort. Nächstes Thema auf Seite 9 ist »Subvention und Religion«. Peter Androsch erklärt, »Es ist ein Blödsinn, daß man in Europa die amerikanische Methode, Kunst zu finanzieren, übernimmt…« Er elaboriert dies gekonnt anhand geistesgeschichtlicher Grundlagen von Protestantismus und Katholizismus. Und wird dann gleich in der zweiten Spalte des Textes von uns zu einer kritischen Betrachtung des Linzer Posthofs umdirigiert. Kabarett versus Risikoproduktionen, oder wo sollen Kultursubventionen sinnvollerweise investiert werden…
Das »Organ der Stadtwerkstatt« featurte nach Herzenslust, was die Stadtwerkstatt berührte und beschäftigte, von den Weltthemen zu den Österreichthemen zu den Linzer kulturpolitischen Malaisen war das oft nur ein Zeilensprung.
Der Versorger gab Einblick in die Arbeit, mit der sich die Stadtwerkstatt beschäftigte. Die Issues widmeten sich den Projekten, beschrieben Szenen aus dem Alltag, vermittelten Prozesse, bezogen kulturpolitische und stadtentwicklerische Positionen (z.b. »der fels muß weg« zum Plan, das Musiktheater im Schloßberg zu errichten, #0047, märz 99, oder »Plädoyer für eine Schotterwüste«, zum Neugestaltungsvorhaben am Urfahraner Jahrmarktgelände, #0059, dezember 2002) reagierten auf markante politische Ereignisse (»österreich, du schaf«, #0035, dezember 1995, anläßlich der Auflösung der Regierung im Oktober 1995), berichteten über Entwicklungen in der Stadtwerkstatt (Hausumbau, etc.), waren am Puls des medienpolitischen Aktivismus (servus.at, Radio FRO). Es war jedenfalls immer gut, die Zeitung zu haben und mit ihr arbeiten zu können, sie auch mal als Spezialausgabe für übergreifende Projekte zur Verfügung zu stellen, wie das Special Issue zur Netzkultur mit dem »Gelben Papier« (April 1999) oder das Einladungsposter für »Der Schein trügt«, eine Diskussion der Freien Szene Linz (Kartell) zum eben erschienenen Kulturentwicklungsplan (Ausgabe 0053, Dezember 2000).
Experimentiert wurde lange auch mit der visuellen Gestaltung der Zeitung. Jeder Versorger war ein neues graphisches Abenteuer vor einem leeren Blatt. Nur eine Seite Kunstwerk musste in jeder Ausgabe sein. Ein neues Layout wurde erst für die Ausgabe 0049/Juni 1999 von Ushi Reiter entwickelt. Die Zeitung wechselte vom Offsetdruck zum Rotationsdruck. Das Layout ist heute noch in Verwendung und ließ trotz der Strukturierung auch allen weiteren GrafikerInnen Spielraum für die eigene Handschrift.
Der Versorger blieb für mich immer ein wichtiges Medium, um die Aktivitäten, Prozesse, Gedanken und Zusammenhänge der Stadtwerkstatt für die Öffentlichkeit nachvollziehbar zu machen. Es ist das einzige, behauptete ich, mit dem die Stadtwerkstatt irgendwie vermitteln kann, was sie gerade tut. Denn nicht alles war sichtbar in den Projekten.
Gabriele Kepplinger

Gabriele Kepplinger und Georg Ritter haben nach ihrer Zeit in der Stadtwerkstatt dorf tv. mitbegründet und arbeiten dort als Programmgeschäftsführerin und als Art Director und Produzent.

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