Sauer glänzend

Ein Buch schreiben, das kann jede_r. Aber drei! Auf einmal! Das gehört geehrt. Ein kommentierter Einblick in Richard Schuberths »Rost und Säure«.

1994, da ist der Autor 26, schreibt er an einem Text, den er im Jahr darauf in der »Volksstimme« publiziert: »Vom zuverlässigen und vom unzuverlässigen Fremden«. Richard Schuberth quittiert darin mit Verachtung, was ihm durchgehend den meisten Ärger bereitet: Kulturalisierung, die als neuer Rassismus biologistische Panikattacken abgelöst hat, und die damit einhergehende Strategie des »Kulturschutzes«, der von links und rechts mit unterschiedlicher Zielrichtung wie ein WWF-Programm für bedrohte Arten betrieben wird – aber Schuberths Ohrfeigen werden vor allem an links und links-liberal ausgeteilt (wobei Gruselgestalten wie Martin Graf und Maria Fekter durchaus auch ihr Fett abkriegen), denn die Einigkeit über die Rechten ist geschenkt. Dieser Essay, der den zweiten Band (»Das Eigene und die Fremden«) von »Rost und Säure« eröffnet, ist eine Rückkoppelung zum ersten Buch, das einen Titel trägt, wie Manès Sperber ihn nicht schöner komponieren hätte können: »Kultur und wie man sich davor schützt«.

Die Schuberth-Trilogie, die der Drava-Verlag im edlen Pappschuber publiziert hat, stellt zusammen, was sonst mühevoll zur Nachlese aufgestöbert werden müsste: Texte der letzten zehn Jahre, die unter anderem im Augustin, im Standard, bei Drava und Wieser, in der Stimme von und für Minderheiten, in der Volksstimme, im Konkret, in der Presse oder auch nun erstmalig veröffentlicht sind. Und die Nachlese zahlt sich aus, denn sie spricht nicht nur (drei) Bände darüber, was Schuberth in den letzten zwanzig Jahren durch den Kopf gegangen ist, sondern auch darüber, in welchen Medien welche Debatten wie geführt wurden. Und warum es daher Interventionen brauchte.
Da ist zum Beispiel die »Integrationsdebatte«, die sich in ihrer medialen Sprechart grob in die drei Bereiche 1) Kopftuch, 2) sonstige Fragen zum Islam und 3) Sprache einteilen lässt. Schuberth watscht mit Maß und Ziel sowohl in die feisten Gesichter der multikulturophilen Integrationsbefürworter_innen (die in der Straßenbahn – mit dem Blick der wohlmeinenden Weltbürgerin schnell identifizierte – Muslimas aufdringlich anlächeln, um ihnen zu bedeuten, sie seien hier total erwünscht – und mögen doch bitte in ihrer Rolle als Projektionsfläche verharren S. 74/2 [1]) als auch in jene vom Kaliber Detlev Kleinert, der »Gewalt gegen deutsche Pensionisten und Pisa-Statistiken« (S. 47/2) auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen weiß: richtig! Mangelnde Deutschkenntnisse.
Kleinert liefert Schuberth ein gefundenes Fressen, indem er in seinem Presse-Gastkommentar einen empfindlichen Fehler in der deutschen Grammatik macht. Aber auch ein Fressen muss erst einmal gefunden werden, und das ist es, was Schuberth bestens beherrscht: Nicht nur zwischen, sondern direkt in den Zeilen anderer Federn und in den Sprechakten anderer Mäuler aufzuspüren, wie weit es mit der schwachmatischen Argumentation im fundierten Pelz her ist. Kleinert wird seine Unfähigkeit, vom Subjekt am Satzanfang bis zum Verb am Satzende dem grammatikalischen Singular treu zu bleiben, in diesem Leben nicht mehr verziehen. In einem Wordrap mit linear zunehmender Geschwindigkeit, der schon im Titel mit Streetcredibility wirbt (»Hol mich aus dem Ghetto, Kleinert, Mann!«), werden Professor Kleinert die Leviten gelesen, und seine polemische Frage, wie »Dragana und Mohammed unter solchen Umständen das Rüstzeug erwerben [sollen], je über die Volksschule hinaus weiterzukommen« solide und flapsig beantwortet: »Indem du und deinesgleichen ihnen nicht länger Rüstzeug verwehren, für das Draganas und Mohammeds Mama und Papa malochen und Steuer zahlen, und du selber dankbar seien, nix müssen Kanal räumen, weil nix können Plural von Singular unterscheiden und weil schreiben dürfen Blödsinn in Zeitung, dessen Lektüre lehren Kanaken wie Bajuwaren schlechte Deutsch und schlechte Denken!« (S. 48 f./2)
Ganz genau hält Schuberth es nicht immer mit der Sprechposition. Wenn sie ihm zu heikel wird, erdenkt er gar eine dritte Person (die junge österreichische Türkin), die an seiner statt berechtigt ist zu reden. Er eignet sich das politische Vokabular derer an, die mit den Angriffen gemeint sind, gegen die er kämpft. Gelungene Kunstfigur oder gelebte Argumentationsfaulheit? Vielleicht einfach beides. Gerade Weiße, akademisch versierte Männer könnten ganz gut ein bisschen Analyse- und Argumentationshilfe brauchen, um sich gegen die ihnen dienlichen Verhältnisse zu stellen. Solchen Unterricht zu geben, dazu hätte Schuberth das Zeug.

Lasst uns dennoch Tucholsky bestehlen und wenden: »Ein schreibender Mann mit Humor, sieh mal an! Hurra!« Denn eine von Schuberths Qualitäten – neben seinem historisch, geographisch und politisch hohen Informiertheitsgrad – ist, dass er richtig lustig sein kann. Dabei kokettiert er selbst mit seiner Humorlosigkeit – zumindest der konventionellen; und verweigert das Lachen angesichts fürwahr stumpfsinniger Witzversuche wie jener der Grünen, die mit misslungenen Photoshop-Maskeraden Plakatkampagne für die Frauenquote macht (S. 64 ff/1) und dabei ganz auf die Kritik der Verhältnisse vergisst.
Schuberth lässt nicht locker, er spürt jedes Zuviel an Wohlbefinden, an after-work-Behaglichkeit auf und beginnt sogleich, den sich da Behagenden an die Wadln zu pinkeln. Sein Kapital ist der Denkmusterbruch, »schon allein wegen des Genusses, bewährte Denkschablonen zerbrechen zu sehen – selbst wenn es die eigenen sind, gerade dann« (S. 10/1), so beschreibt er schon im ersten aller Texte seine Motivation, sich den Mythos Andreas Hofer anzusehen, und nicht nur den reaktionären, sondern auch den libertären Sicherheiten eine Absage in Aussicht zu stellen. Er ist noch gar nicht so alt und schon so weise. Er verzeiht nicht die falsche Kritik, die eine Beleidigung ist (an Demenz, Behinderung, Psychose, am Dicksein, Schirchsein, an Krampfadern) oder ungenügend oder nur der Selbstgefälligkeit verpflichtet – sondern fordert die richtige Kritik ein, die an den politischen Schweinereien. Und er vermutet hinter der falschen Kritik ganz richtig nicht nur fehlende Weitsicht und schwachbrüstige Analysen, sondern die distinktionsgeleitete Freude am Herumtrampeln auf »Menschen wie du, aber nicht ich« (S. 96/1). Der hier zitierte Text gehört zu den knackigsten in der Dreibändigkeit, ein saurer Kommentar zur Produktion des Films »Borat« von Sacha Baron Cohen, dem nebst der kapitalismusüblichen Spielart von Rassismus auch Niveaulosigkeit, in Schuberths Worten »Campus-Humor«, attestiert wird.

Woher der Humor – oder, um präzise zu bleiben, der Witz, dessen Etymologie Schuberth mehrfach seine Aufmerksamkeit widmet – in der literarischen Biographie des Autors kommt, der selbst ein Vielleser ist, wird in Band 3 (»Witz und Widerstand«) offenbar. Darin versammelt sind neun Portraits von Ambrose Bierce, dem Autor des »Devil’s Dictionary«, bis Mary Wollstonecraft, »der englischen Feministin und Schriftstellerin zum 250. Geburtstag«. Unkonventionelle Literaturgeschichte wird hier geschrieben, in der die Mehrinformation vor allem aus Details besteht, die Schuberth wohl wegen seiner queren Art, Texte zu lesen und einzubetten, herausfiltern kann. Band 3 soll deshalb kurzerhand zum Schulbuch für den Literaturunterricht – auf schulisch schlicht »Deutsch« – empfohlen werden.

Ein wenig sei die Einigkeit zwischen Autor und Rezensentin aber auch erschüttert – und sei es nur der Glaubwürdigkeit halber. Annahmen wie jene, dass Tanja Ostojić EU-Unterhose zum Scheitern verurteilt sei, weil sie auf einem Billboard im öffentlichen Raum selbst zur »EU-Werbefläche« (S. 93/1) wurde, kann durchaus widersprochen werden. Und bei manchen Passagen bleibt auch der Rezensentin das Lachen im Hals stecken: wenn Schubert sich über die ukrainischen Aktivistinnen Femen als »Barbiepuppen« (S. 67/1) lustig macht, weil sie ihm von zu normalisierter Schönheit sind. Ja, sicher arbeiten Femen absichtlich und dabei auf unangenehme Weise unreflektiert mit weiblich normierter Körperlichkeit – und sicher wäre das für Leute wie den Autor (und seine Rezensentin) ein Ausschlussgrund, und sicher wünschen wir uns zurecht einen anderen Feminismus, einen, der die Körperkritik der zweiten Frauenbewegung nicht einfach das neoliberale Pop-Klo hinunterspült. Die Sprechposition bleibt aber doch ein Hund. Die Nacktheit von Frauenkörpern als »Gleitmittel« (wenn auch mit Fragezeichen) (S. 68/1) zu übersetzen, ist nichts als grauslich; ob man die Aktionen dieser Nackerten nun in ihrer Form reaktionär findet oder nicht. Und dass schirch das neue schön ist, wie es die pinke Front der Profeministen solidarisch fordert, geht blöderweise einher damit, dass die Frauenkörperbeurteilung munter fortgesetzt wird. Im Guten wie im Bösen.
Was bei Schuberth eine politische Copy-Paste-Vorlage ist, ist die Art, den Feminismus und die Feministinnen nebenher in die Erzählung hinein zu normieren – ohne gröbere Aufregung, aber auch nicht ohne den notwendigen Aufwand. Die Geschichte wurde eben anders geschrieben, und sie neu zu erzählen, bedarf einiger Arbeit. Dass es letztendlich doch immer wieder zumindest in einem Nebensatz auch darum gehen muss, wie Frauen (wohlweislich durch die Augen der anderen) ausschauen, schmerzt über die Jahrhunderte: Lady Montagu, die »als eine der schönsten jungen Damen der englischen Gesellschaft gepriesen« wurde (S. 51/3), Mary Wollstonecraft, die nicht schön war, aber doch ansehnlich (S. 102/3); diese Notwendigkeit zum ästhetischen Kommentar kommt wohl aus dem, solidarisch gesprochen, nachvollziehbaren Unvermögen, zu erahnen, was es bedeutet, ständig ausschauen zu müssen. Da wird sich Schuberth, bei dem sich sonst »die Sprache Gedanken macht über die Dinge«, wie sein Vorbild Karl Kraus es sich gewünscht hätte (Kraus S. 431), mit seinen feministischen Genossinnen noch zu streiten haben.

Karl Kraus ist es auch, von dem sich das Dreifachwerk seinen Namen leiht. Aus Kraus’ Text über Nestroy zum 50. Todestag nimmt Schuberth den Rost und die Säure und stellt unbescheiden seinen drei Bänden voran, was Kraus der politischen Satire hochpoetisch attestierte: »Aber der Witz lästert die Schornsteine, weil er die Sonne bejaht. Und die Säure will den Glanz und der Rost sagt, sie sei nur zersetzend.« (ebd. 429). So vieles gäbe es noch in „Rost und Säure“, was erstaunlich ist in Inhalt und Form und was nachzuerzählen wert und reizvoll wäre. Stattdessen wird es notwendig sein, sich die drei Bände (in einer kleinen Buchhandlung) zu ordern. Und in Zukunft aufmerksam die Zeitungen zu durchforsten nach einem Gastkommentar, in dem Schuberth wieder einmal antritt, die Normalität zu zersetzen: auf der Suche nach dem Glanz.

Literatur

Richard Schuberth: Rost und Säure. Essays, Polemiken, Reden, Satiren. 1994 - 2014. Band 1: Kultur und wie man sich davor schützt / Band 2: Das Eigene und die Fremden / Band 3: Witz und Widerstand. Drava 2013

Karl Kraus: Grimassen. Auswahl 1902 - 14. Langen-Müller Verlag 1971

[1] Die Ziffer nach dem Schrägstrich bezeichnet den jeweiligen Band.

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