»Wir haben das Publikum immer gehasst«

Über die einst beste Band Österreichs, die »Novak‘s Kapelle«.

Vor rund fünf Dekaden bildeten sich in Wien die ersten Vorläuferprojekte der bekanntesten, wie auch kontroversiellsten heimischen Rock-Formation der späten 1960er Jahre: Novak’s Kapelle, deren Biographie auf Spätgeborene wohl kaum wie reale österreichische Musikgeschichte, sondern eher wie das Drehbuch einer hysterischen Proto-Punk-Mockumentary wirken dürfte.

Sofern man ZeitzeugInnen Glauben schenkt, verströmte Wien Mitte der 1960er Jahre noch den provinziellen Mief der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Swinging Sixties hatten scheinbar einen Bogen um die Bundeshauptstadt gemacht und dem konservativen Weltbild einer österreichischen Mehrheit (mitsamt diffusen Ressentiments gegen alles »Neue« und »Andersartige«) den Platz überlassen. Junge Leute, deren Erscheinungsbild nicht dem allgemeinen Wertempfinden von Anstand und bürgerlicher Etikette entsprach, liefen Gefahr, Opfer sozialer Ächtung und in etlichen dokumentierten Fällen auch gewalttätiger Übergriffe zu werden. »Das waren Spießrutenläufe durch die Gesellschaft«, vergegenwärtigt sich der ehemalige Novak’s Kapelle-Leadsänger Walter »Walla« Mauritz in einem Gespräch mit den Trash Rock Archives. »Dadurch, dass wir schon seit 1963/64 lange Haare trugen, hatten mein Freundeskreis und ich aufgrund unseres Aussehens bald schon 50 bis 60 Lokalverbote in Wien. Wenn du in Wien in der Straßenbahn gefahren bist, hat man sich sofort nach dir umgedreht und vom ‚Vergasen’ gesprochen. Es waren relativ harte Zeiten.«

Um die Bedeutung von Novak’s Kapelle in der heimischen Musikgeschichte sinngemäß zu kontextualisieren, sollte man sich auch die Entwicklung österreichischer Unterhaltungsmusik in den Jahren vor Ö3 in Erinnerung rufen: Dem großen Erfolg der Sommerurlaubsschnulze »Melancholie« der Bambis (1964) war es zu verdanken, dass lokale Tanzbands erstmalig ausführliche Berichterstattung im heimischen Feuilleton erfuhren. Der besagte Song, ein erschütternd intensives (und in seiner Schlichtheit geradenach diabolisches) Schmalzfass entwickelte sich zur Blaupause eines österreichischen Beat-Mainstreams, der sich in vorauseilendem Gehorsam nun zu schlageresken Kommerz-Produktionen und professionellem Showmanship verpflichtet fühlte. Auf den Spuren der Bambis zu wandeln, bedeutete demgemäß aalglattes, kantenloses Auftreten, um gutdotierte Engagements und ein bisschen Radio-Airplay zu lukrieren.

Die erste spürbare Initiation eines heimischen Beat-Undergrounds sollte erst ein Jahr später erfolgen, als die Rolling Stones 1965 in der Wiener Stadthalle gastierten. Begleitet wurde das Spektakel von einer gehässigen Pressekampagne, die sich in der Retrospektive wohl hervorragend dazu eignen würde, antiquierte und ideologisch fragwürdige Tendenzen innerhalb des österreichischen Zeitungsbetriebes sichtbar zu machen. In der publizistischen Wahrnehmung stand die Jugendbewegung Beat noch synonym fürs Gammlertum, für politische Subversion und lasterhafte Ausschweifung: Hedonistischer Lärm, der das christliche Alpenland zu sezieren gedachte, vorgetragen und rezipiert von intellektuell minderbemittelten Strolchen.
In dieses Spannungsfeld fiel die Gründung der Novak‘s Kapelle. Gutes Timing, um etwas komplett Neues auszuprobieren. Bandleader Walla hatte bereits im Jahr 1966 in dem experimentellen Vorläuferprojekt The Crazy World of Cock On Cock, u.a. gemeinsam mit dem späteren Supermax-Frontmann Kurt Hauenstein gewirkt. Eine kurzlebige Psychedelic-Band, die zwar keine Platten veröffentlichte, aber neben improvisierten Gigs bei Vernissagen, Kunst-Messen, oder in R-n-B-Clubs sogar einmal als Vorband von Bill Haley in der Wiener Stadthalle auftrat. Hauenstein wechselte kurze Zeit später zur Charles Ryder Corporation, während sich Walla mit der namenlosen Kunstschulen-Band des befreundeten Drummers Erwin Novak zusammentat. An der Gitarre: Helge Thor. Am Bass: Peter Travnicek.

Schon die erste Konzert-Ankündigung von Novak‘s Kapelle wurde im Jahr 1967 als Szenen-Spöttelei empfunden, da sich doch jede Amateurband der Stadt ansonsten an das ungeschriebene Gesetz hielt, mit einem möglichst vielsagenden (oder nichtssagenden) englischen Namen zu firmieren: Bats, Gents, Rockets, Firestars, Hounddogs, Thunderbirds. Das Wort »Kapelle« klang hingegen uncool, assoziierte ländliche Idylle, Blasmusik und Käsekrainer und disqualifizierte sich von vornherein als brauchbare Eigenbezeichnung einer Beatband. Und tatsächlich hatte Novak’s Kapelle etwas gänzlich anderes im Sinn, als bloß Beat zu spielen. Keine Cover-Versionen, kein Anbiedern, keine freundlichen Worte: »Die Musik war uns nicht das Wichtigste«, reüssiert Walla. »Wir haben das Publikum ja immer gehasst. Also nicht die einzelnen Individuen, die dort gesessen sind, sondern das Publikum als Mob. Das war für uns eine Verkörperung des Bürgertums, auf das wir geschissen haben. Selbst wenn die Leute jung waren, denn im Grunde musste man denen genauso den Oasch zeigen, wie den Alten.«

Mit ihrer Konzeption war die Gruppe nicht nur am zeitgenössischen Pop-Underground in England und den USA interessiert, sondern letztlich auch am Selbstverständnis radikaler Erneuerer im Stil der Wiener Aktionisten. Enge Kontakte bestanden jedenfalls schon seit den frühen 1960er Jahren: Über den Schriftsteller Oswald Wiener, Mitglied der Wiener Gruppe und später rechtskräftig verurteilter Teilnehmer an der Aktion »Kunst und Revolution« (vulgo: »Uni-Ferkelei«) hatte Walla bereits als Teenager etliche namhafte Protagonisten der lokalen Kunstszene, etwa Hermann Nitsch, Christian Ludwig Attersee, Walter Pichler, Gerhard Rühm oder Pahdi Frieberger kennengelernt und die jeweiligen Bekanntschaften vertieft. »Das war eine Art Refugium«, vergegenwärtigt er sich. »Diese Leute hatten die gleiche Radikalität wie später Novak‘s Kapelle. Diese Radikalität war es, die mich am meisten interessiert hat. Und diese anarchische Haltung.«

Bei ihren Live-Gigs inszenierte sich Novak‘s Kapelle von Beginn an mit konfrontativem Psychedelic Rock von internationalem Format, komplett losgelöst vom heimischen Musikgeschehen. »Die mit Abstand wildeste Band in Wien«, ist in diesem Sinn keine Übertreibung, sondern die gängige Einschätzung etlicher ZeitzeugInnen. Ihr Sound war hart und temporeich, musikalisch anspruchsvoll zwischen dreckigem Bluesrock und primitivem Garagenpunk. Der gertenschlanke Sänger Walla verstand es zudem meisterlich, sich als ruppiger Band-Leader mit expressivem Gestus und aggressiven Showeinlagen auf der Bühne in Szene zu setzen; gleichzeitig hatte seine Performance in engen Lederhosen und bauchfreien T-Shirts auch stark laszive Qualitäten: Das in popkulturellen Belangen oftmals schwerfällige Alpenland hatte über Nacht einen
eigenen Mick Jagger hervorgebracht. Ein echter Hype aus dem lokalen Underground.

Selbst das Majorlabel Amadeo, Tochter des amerikanischen Vanguard-Konzerns und in allen A&R-Belangen bis dato nur zurückhaltend progressiv, fiel auf den Spuk herein und nahm die Band im Jahr 1968 unter Vertrag. Aufgenommen im Keller des Wiener Konzerthauses, war die Debut-Single »Hypodermic Needle« ein unverhohlener Rip-Off der Animals-Nummer »Inside Looking Out«, was die Plattenfirma freilich nicht ahnte. Gleichzeitig behandelte der Song die Geschichte eines Teenagers, der nach einem Heroin-Schuss einen Horrortrip erlebt und das Publikum völlig zugedröhnt um Hilfe bittet. Der Narrativ von »Hypodermic Needle« hat ein moralbefreites, offenes Ende. Weit und breit kein Ausweg in Sicht. In der kunstvoll inszenierten Jugendsendung »Countdown 68/69«, die zum Jahreswechsel im ORF-Programm ausgestrahlt wurde, ging der Song dann tatsächlich auch lustig bebildert und in opulenten Op-Art-Kulissen landesweit auf Sendung und erreichte ahnungslose Teenager in allen Bundesländern. Offenkundig hatte keiner der Verantwortlichen bei Amadeo und ORF - möglicherweise in Ermangelung der internen Englisch-Kenntnisse - die kryptischen Lyrics entschlüsseln können. Das österreichische Beatband-Movement hatte am Tag der Ausstrahlung jedenfalls für alle Zeiten seine Unschuld verloren.

Im Februar 1969 ging die Kapelle erstmals auf Österreich-Tournee. Die Gigs waren gut besucht und sorgten für reichlich Gesprächsstoff, da die Band nur selten eine Gelegenheit ausließ, ihre Zuhörerschaft zu provozieren. Im November kam die zweite 7"-Veröffentlichung »Smile Please« auf den Markt, deren A-Seite von der obskuren amerikanischen Psychedelic Rock-Band The Hook abgekupfert war und in der Novak‘s-Neufassung einen offenen Gewaltaufruf gegen die Exekutive beinhaltete: »If you see a policeman strike him down as fast as you can. Try to catch him. He‘s not quick. He‘s got no brain but a stick.« Auch grob machistische und sogar urophile Tabubrüche fanden sich im Songtext wieder, der diesmal auf dem Cover der Single abgedruckt worden war. Ein vorprogrammierter Skandal, der der Band umgehend Ö3-Spielverbot und schockierte Headlines im heimischen Feuilleton sicherte. Novak‘s Kapelle setzte im Dezember desselben Jahres noch einen drauf, als sie ein spontan anberaumtes Konzert in der Frauenstrafanstalt Schwarzau bestritt, das ebenfalls beachtliche mediale Wellen schlug.

In jenen Jahren etablierte Novak‘s Kapelle mit etlichen weiteren, gegen das Establishment gerichteten Stör-Inszenierungen eine, in Österreich völlig neuartige, aktionistische Kultur des Entertainments: Mal schickten sie bei einem Rock-Festival ihre eigenen Roadies auf die Bühne, die frei improvisierten und so taten als wären sie der Stargast aus Wien, bis das aufgeheizte Publikum wütend die Bühne stürmte. Ein anderes Mal boykottierte die Band ihre eigene Recording Session, zu der sie laut Knebelvertrag ihrer Plattenfirma verpflichtet gewesen wäre und verrichtete stattdessen ihre Notdurft im Aufnahmestudio. Diese Formation war in ihrer expliziten Verweigerungshaltung derartig überzeugend und der Zeit voraus, dass man geneigt ist, zu fragen, was wohl aus diesem experimentellen Band-Projekt in den USA oder England hätte werden können. Gleichzeitig ermöglicht das Naheverhältnis zum Wiener Aktionismus ein interessantes, gedankliches Gegenmodell: Vermutlich konnte eine Gruppe wie Novak‘s Kapelle nur aus einem kleinen, verschlafenen und vom Weltgeschehen nahezu isolierten Land wie Österreich stammen.
Wo sonst wären sie mit ihrer derben Proto-Punk-Masche bis in den Mainstream durchgedrungen?
Im weiteren Verlauf ihrer Karriere durchlebte die Band einige Abstürze und Drogen-Eskapaden, durchlief obligatorische Line-Up-Wechsel - wobei Paul Braunsteiner (später aktiv bei Hotel Morphilla Orchester) und der ehemalige Gipsy Love-Ausnahmegitarrist und zukünftige Jazz-Superstar Harri Stojka einstiegen - und spielte nur mehr unregelmäßige Live-Gigs. Mit der Ankunft des Punk ging Novak‘s Kapelle schließlich wieder ins Studio und veröffentlichte zwischen 1977 und 1979 drei weitere Tonträger, die eine der mystischsten heimischen Formationen aller Zeiten in ihrer Spätphase als Hard Rock-Band mit Glam-Einschlag dokumentierten. 1980 war Schluss.

Zurück zur Ausgabe: 
#111
13

& Drupal

Versorgerin 2011

rss