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Arbeit im dorf und in der Stadt.

Wenn man im Haus der Stadtwerkstatt arbeitet, ist man immer wieder auch mit Kritik von »Außen« konfrontiert. Ein Großteil dieser Kritiker_innen behaupten, dass Initiativen wie Stadtwerkstatt, servus.at, Radio FRO, Dorf TV, u.a. unnötig sind und zudem auch noch übersubventioniert.

Erst unlängst ist es wieder passiert, dass auf dem Titelblatt der Oberösterreichischen Nachrichten, einem Lokalblatt, das man beim besten Willen nicht als unabhängig bezeichnen kann, Dorf TV zum Aufhänger wird, um Stimmung zu machen gegen Projekte, die sich erfolgreich selbst organisieren und in besetzte Territorien/Kanäle vordringen, wo man sie einfach nicht haben will.

Wer also keinen Beitrag zu bestehenden Systemen im Sinne einer Verwertungslogik liefert, diese gar genauer unter die Lupe nimmt und dann noch von konstruierten Wahrheiten spricht ist im herrschenden System nicht zuordenbar. Das ist ein Problem. Es bedeutet aber eigentlich, dass denken, oder anders denken, endlich mal abgeschafft werden soll. Wo kommen wir auch hin, wenn alle mal zum Denken anfangen, geschweige denn, wenn dann auch noch gehandelt wird!

In den wiederkehrenden Kritiken und Kommentaren schwingen unterschwellig Vorstellungen von Luxus und einem herrlichen Paradies mit, wo Künstler_innen, Kulturschaffende und irgendwelche Freigeister sich zu Lasten des Staates ein wunderbares Leben gestalten und sich dem Denken widmen können, während andere hart arbeiten müssen, um das zu ermöglichen.

So platt und eindimensional diese Vorwürfe sind, so schön lassen sie sich auch interpretieren. Es scheint eine Form von Neid zu sein, der sich vielleicht darauf bezieht, dass, wie am Beispiel Stadtwerkstatt, Leute ein- und ausgehen in dem Haus, die fähig sind sich selbst Strukturen zu schaffen, in denen es selbstdefinierten Sinn macht zu leben, zu arbeiten und zu forschen. Nebenbei sei erwähnt, dass dies nicht nur dem Selbstzweck dienen soll.

Die Kritik von konservativen Hardliner_innen besteht ja meistens darin, dass das, was wir tun, ja »nichts« ist. Wenn man aber die Frage stellt, was denn dann »was« sei, dann wird man meistens mit einer kapitalistischen Marktlogik, irgendwelchen Qualitätsnormen, Vorstellungen von richtiger Arbeit und heteronormativen Weltbildern konfrontiert. Es muss höchst ärgerlich sein, sich unterschwellig so benachteiligt zu fühlen und so wütend zu sein. Der Grund dafür ist, dass die eigene Logik konstruierter Wahrheit einer Gesellschaft, die die Mehrheit ausmacht, mehr und mehr in sich zusammenbricht. Der Neid auf Geld in der Höhe der einen oder anderen Förderung ist jedenfalls nicht der Grund für diese Empörungen. Der Grund der Empörung ist, dass die »Arbeit«, so wie sie bisher gelebt wurde, in Auflösung begriffen ist. Hannah Arendt stellte schon in den Fünfzigerjahren fest, wie sehr die Automation das Bild von Arbeit verändern wird. Der modernen Gesellschaft gehe die Arbeit aus - »und damit die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht«. Gemeint war damit die klassische Erwerbsarbeit. Ich behaupte, dass Kunst- und Kulturschaffende Vorreiter_innen sind, wenn es um das Verständnis von Arbeit geht. Ein Verständnis von Arbeit, das den selbstdefinierten Sinn in den Vordergrund stellt und mit einem fairen Auskommen zufrieden wäre. Dieser Prozess der Veränderung von Arbeit, der durch das Informationszeitalter vorangetrieben wird und durch diverse wirtschaftliche Crashes ausgelöst wurde, bewirkt auf der einen Seite Unsicherheit und Angst, ist aber auch der Auslöser, warum gerade an Flexibilität Gewohnte neue Strukturen und gemeinschaftliche Organisationsformen erfolgreich erproben. Jüngste Entwicklungen zeigen auch, dass eine Sinnfrage und die Reflexion über Arbeit vermehrt in neue Unternehmensstrukturen eindringen, wo der Profitgedanke nicht das einzige Ziel ist, das es zu verfolgen gilt.

Ich habe das Gefühl, in der Versorgerin nicht weiter darauf eingehen zu müssen, dass wir als Kunst- und Kulturschaffende, als Anstifter_innen zur Initiative heute nicht in paradiesischen Umständen prosperieren. Wir werden uns wahrscheinlich darüber einig sein, dass auch der vermutete Freiraum immer enger wird und aktiv verteidigt und erarbeitet werden muss. Selbst die Stadt Linz oder das Land Oberösterreich wird sich von oben genannten Hardliner-Argumenten aktiv distanzieren. Obwohl beim Versuch einer Definition, was Kunst darf und Kultur soll, das »Nichts« vermutlich doch wieder an Bedeutung gewinnen würde. Es gibt viel geheucheltes Verständnis und freundliche Worte über die Wichtigkeit von Kunst- und Kulturschaffende als Motor für Veränderungen in unserer Stadt. Seit Jahren drückt sich dieses Verständnis für unsere Arbeit als servus.at-Betreiber_innen jedenfalls nicht finanziell aus.

Wir sind zwar aktuell nicht mit dem Argument, wir produzieren »nichts«, sondern aus der Sicht aller Fördergeber_innen immer wieder mit dem »nur« konfrontiert, das uns hartnäckig darauf reduzieren will, »nur« ein Provider für die Szene zu sein. Dass wir gewisse Basisdienste weiter zur Verfügung stellen wollen, weil wir sie selbstbestimmt kontrollieren können, und die auch unsere Mitglieder, die uns finanziell unterstützen, gut finden, ist aber nicht die Leistung, für die wir uns gefördert sehen.
Unsere Arbeit und unsere Expertise im Umgang mit alternativen Technologien liefert erst die Grundlage dafür, dass wir Fragen stellen können, die sonst niemand stellt oder Zusammenhänge beleuchten, die sonst niemand sieht oder sehen will. Diese tägliche Arbeit fließt in unterschiedliche Aktivitäten ein oder auch in die Vermittlung von Wissen. Sie bildet auch einen Ausgangspunkt für neue künstlerische Projekte im direkten Umfeld, deren Herangehensweisen ähnlich, wie in der Wissenschaft auch, Methoden verwenden, um neue Fragestellungen zu bearbeiten. Das ist weder das Ziel eines klassisch kommerziellen Providers noch macht das aktuell die Wirtschaftkammer zu unserer ersten Ansprechpartnerin in Sachen Förderungen.

»Ghostradio« oder laborhafte Situationen wie »Special Issues«-Projekte, die sich im Kern mit den Problemen von Information, Verschlüsselung und Zufall beschäftigen, wären nicht entstanden, wenn es keine Auseinandersetzung darüber gäbe, mit welchen Problemstellungen wir heute im sogenannten Informationszeitalter konfrontiert sind. Eine Bündelung von Themen, die uns beschäftigen, finden sich in dem nun alle zwei Jahre geplanten Festival »Art Meets Radical Openness« statt, das auch heuer erfolgreich durchgeführt wurde.

Aktuell zeigen wir im servus CLUBRAUM Porträts von Künstlerinnen des Instituts für Medienarchäologie. Die Porträts von Klangkünstlerinnen zeigen, welche essentiellen Beiträge Frauen für die elektronische Musik leisten und geleistet haben. Im Anschluss daran folgt eine weitere Porträt-Serie. Durch den Austausch mit Aktivist_innen des post-kapitalistischen Projektes Calafou in Spanien (genauer Katalonien), das in der letzten Versorgerin bereits Thema war, werden wir das Forschungsprojekt der LelaCoders vorstellen. LelaCoders ist ein aktivistisches und cyberfeministisches Projekt, das die Problematik der Unterrepräsentation von Frauen in der Computerwissenschaft erforscht und dieses Fehlen seit Dekaden in der Forschung zu Gender und Technologie hervorhebt. Sie ergründen, welche Praktiken und Initiativen Barrieren erfolgreich bewältigen und analysieren, welche Programmiererinnen Freie Software als techno-politische Praxis gewählt haben.

Somit endet ein für uns sehr dichtes Jahr, in dem auch unsere eigene Zukunft verknüpft mit utopischen und dystopischen Vorstellungen getrieben von Veränderungsmotivationen, immer wieder Thema war. 2015 gibt es temporär personelle Einschränkungen, aber auch – sofern wir beim Bundeskanzleramt als förderungswürdig gelten – neue Community-Mitglieder, die mit ihren künstlerischen Forschungsfragen* ein spannendes Jahr gestalten werden. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit den Künstler_innen Andreas Zingerle (http://www.andreaszingerle.com) und Linda Kronman (http://www.kairus.org).

*Künstlerische Forschung (auch: Kunst als Forschung; engl.: artistic research) ist eine zeitgenössische Wissenschaftstheorie, die künstlerische Verfahrensweisen als diskursive Prozesse versteht, die, analog zu den Methoden der etablierten Wissenschaften, Erkenntnis erzeugen. Sie stellt damit geltende Überzeugungen des Wissenschaftsbetriebs grundsätzlich in Frage und widerspricht der Vorstellung, Kunst und Wissenschaft seien als Gegensätze aufzufassen, sondern stärkt deren Gemeinsamkeiten, beispielsweise das Interesse an Erkenntnisgewinn und Wissensvermehrung.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstlerische_Forschung

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