Vorträge, Diskussion, Projektpräsentation und Party, Freitag 4. September 2015, 18 – 24 Uhr
Mit: Andreas Siekmann, Marcell Mars und dem Arbeitskreis Technopolitics. Musik: Camelizer
Ort: Mobiles Stadtlabor, Am Karlsplatz, Wien
Dieser Technopolitics Salon unter dem Titel #AccumulatePleasureMax - Neurath im Informationszeitalter geht der Frage nach, wie sich die Ideen des Philosophen und Ökonomen Otto Neurath ins Informationszeitalter übertragen lassen. Neben der gemeinsam mit Marie Reidemeister und Gerd Arntz entwickelte ISOTYPE (International System of Typographic Picture Education) spielen dabei auch Neuraths wirtschaftspolitische und wissenschaftliche Ideen eine Rolle. Der Hashtag #AccumulatePleasureMax erinnert an Neuraths Idee der Maximierung des Glücks für Alle als oberstes Prinzip der Wirtschaftstheorie. Eine ebenso wichtige Rolle spielen die von Neurath gemeinsam mit Paul Otlet ausgearbeiteten Ideen für ein Universalmuseum, das mit einer neuen Wissensarchitektur ausgestattet sein sollte, das als Vorläufer des WWW im allgemeinen und der Wikipedia im besonderen verstanden werden kann.
In diesem Sinn bietet der Abend keine Wiederaufbereitung von Neuraths Ideen, sondern nimmt Neurath als Ausgangspunkt und Orientierungshilfe für neue Projekte. Es werden drei Projekte vorgestellt und diskutiert, die bei aller Unterschiedlichkeit bestimmte Querbeziehungen aufweisen.
Eine Leitidee Neuraths wird aufgegriffen, derzufolge es nicht genügt allein darzustellen was man bereits weiß, sondern dass Methoden wie die Bildstatistik Werkzeuge des Denken sind. Ein weiterer Leitgedanke ist jener, dass es falsch ist zu behaupten, die Zusammenhänge der politischen Ökonomie seien zu komplex um dargestellt werden zu können – und das insbesondere im Zeitalter globalisierter Finanzmärkte. Es ist sehr wohl möglich, die Machenschaften der neoliberalen Eliten darzustellen. Das derzeitige vorherrschende Paradigma der neoliberalen Informationsgesellschaft ist, erstens, nicht ohne Alternativen, und zweitens trotz seines permanenten, krisenhaften Charakters nicht allein negativ. Emanzipatorische Potenziale einer offenen Wissensgesellschaft sind weiterhin gegeben und umsetzbar.
Der in Berlin lebende Künstler Andreas Siekmann stellt Arbeiten vor, welche die von Neurath, Reidemeister und Arns entwickelte Methode der Bildstatistik auf zeitgenössische Themen anwenden. So erarbeitete er zum Beispiel einen Zyklus von Werken, welche die Vorgänge um die Privatisierung der DDR-Betriebe durch die Treuhandgesellschaft darstellen. Siekmann und Partnerin Alice Creischer (die aus terminlichen Gründen leider nicht kommen kann) arbeiten allein und getrennt seit zwanzig Jahren mit der Isotype-Methode. Einen wichtigen Anstoß bildete für sie die Begegnung mit der Arbeit von Gerd Arntz, ein politischer Grafiker und Künstler aus Köln, der mit der anarcho-syndikalistischen Bewegung in Verbindung stand und eine vom Konstruktivismus beeinflusste reduzierte Bildsprache entwickelte, um gesellschaftliche Verhältnisse darzustellen. Ab 1928 arbeitete Arntz mit Neuraths Team in Wien und prägte stark das grafische System der Isotype. Gemeinsam realisierten sie 1930 einen Atlas der Bildstatistik. Creischer und Siekmann verfolgen das Projekt, diesen Atlas für die heutige Zeit zu aktualisieren. Creischer und Siekmann sind mit ihren Arbeiten auf wichtigen Internationalen Ausstellungen (Documenta 11, 12) und in internationalen Kunst-Sammlungen präsent.
Der Zagreber Künstler Nenad Romic, besser bekannt als Marcell Mars stellt das Projekt Public Library vor. Er greift dabei die Idee des Internet als einer öffentlichen Bibliothek auf, die das gesamte Wissen der Welt zugänglich macht. Nicht auf technischer, aber inhaltlicher Ebene entwickelte Paul Otlet bereits ähnliche Ideen in den 1920er Jahren mit dem Mundaneum, mit dem Neurath in enger Verbindung stand. Von hier führt der Weg zu Vannevar Bush's Idee der Memex und den visionären Vorstellungen des Internetpioniers JCR Licklider. Diese Idee einer für alle zugänglichen Universalbibliothek wäre eigentlich keine Utopie, sondern ein pragmatisches Ziel, wenn man allein von den technischen Möglichkeiten ausginge. Die Verbreitung von Personal Computern, aber auch anderer Devices wie Tablets und Smartphones lässt eine Welt in greifbare Nähe rücken, in der das gesamte veröffentlichte Wissen von jedem Punkt der Welt und zu jedem Zeitpunkt zugänglich wäre. Doch die Verwerfungen der politischen Ökonomie im Informationszeitalter machen genau diesen Traum einer offenen Wissensgesellschaft zunichte, unter anderem indem die Gegensätze zwischen reich und arm auf die Spitze getrieben werden. Insbesondere die Verschärfung des Copyright seit Mitte der 1990er Jahre wirft zunehmend Hindernisse für den universalen Zugang zum Wissen auf. Ein weiteres Hindernis bildet die Krise der öffentlichen Finanzen seit der Schuldenkrise 2008, die viele Staaten in hohe Schulden haben schlittern lassen, so dass Bibliotheken geschlossen werden. Marcell Mars tritt nun einerseits als öffentlicher Befürworter der Idee des universellen Zugangs zum Wissen auf, zum anderen arbeitet er an technischen Lösungen für radikale Amateur-Bibliothekare. Gemeinsam mit Initiativen wie der Website aaaaarg.org, dem Kunst- und Theoriewiki Monoskop und der Website Ubuweb verfolgt Mars Strategien, die den völlig übertriebenen und schadhaften Tendenzen zur andauernden Verschärfung des Copyright entgegenwirken. Die Public Library ermöglicht Peer-to-peer Strategien im Umgang mit Büchern.
Tracing Information Society nennt sich ein neues Projekt des Arbeitskreises Technopolitics. Dabei handelt es sich um eine grafische Timeline, welche die Entstehung und Eigenschaften des Informationszeitalters darstellt. Mit der Öffnung des WWW und der daraufhin sich entfaltenden New Economy wurde es klar, dass sich etwas fundamental verändert hatte – der lange prophezeite Übergang vom Industrie- zum Informationszeitalter war wirklich geworden. Doch während es in den 1990er Jahren einen regen öffentlichen Diskurs um das Internet gab, findet dieser heute vor allem in den Regalen der Fachbibliotheken statt. Ein großes Manko dieser spezialisierten Diskurse ist einerseits ihre institutionelle Aufteilung in immer engere Fachgebiete, andererseits ihre Bevorzugung des geschriebenen Texts – nur wenige Sozial- und Geisteswissenschaftler verwenden visuelle oder auch statistische Methoden. Der Arbeitskreis Technopolitics ist eine transdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftern, Künstlern, Designern und Journalisten, die sich das Ziel gesetzt haben, einen neuen Blick auf die Informationsgesellschaft zu entwickeln. Die Timeline bietet dafür das Medium, diese verschiedenen Blickwinkel zusammenzufassen. Zugleich dient sie im Sinne Neuraths als Werkzeug des Denkens. Die kuratierte und zahlenmäßig beschränkte Auswahl von Einträgen in einer Timeline zwingt darauf zu fokussieren was wirklich Bedeutung hatte im Zusammenhang des Entstehens des derzeit bestehenden gesellschaftlichen Paradigmas: der Informationsgesellschaft.
Der Arbeitskreis Technopolitics ist eine fluktuierende Gruppe von Personen in Wien die seit 2011 regelmäßig zusammentrifft. An Tracing Information Society wirkten bislang mit: John Barker, Sylvia Eckermann, Doron Goldfarb, Armin Medosch, Gerald Nestler, Felix Stalder, Axel Stockburger, Matthias Tarasiewicz, Thomas Thaler und Ina Zwerger. Grafik: Fatih Aydogdu
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