Eine schmutzige Kunst

Franz Fend hat Jutta Ditfurths Ulrike-Meinhof-Biographie gelesen. Am Mittwoch, den 10. September, 19.30 Uhr wird Jutta Ditfurth in der Stadtwerkstatt daraus vortragen.

 

»In erster Linie«, schrieb Ulrike Meinhof 1968 in der Zeitschrift Konkret, »ist die Fernsehunterhaltungssendung Aktenzeichen XY ungelöst ein großangelegter, phantastischer Massenbetrug. Da gehen also einmal im Monat am Freitagabend ein paar Millionen deutsche und österreichische Fernsehzuschauer auf Verbrecherjagd, helfen der Polizei, Leute zu finden, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, werden mit den erschrecklichen Taten, wirklicher, lebender Ganoven bekannt gemacht, sind Augenzeugen (…) Der Ganove, den wir heute gemeinsam zu fassen kriegen, kann dich morgen nicht mehr übers Ohr hauen.« Es liest sich wie eine Ironie der Geschichte, dass es ausgerechnet Eduard Zimmermann von Aktenzeichen XY ungelöst war, der den Begriff Baader-Meinhof-Bande in den Umlauf gebracht hat unter welchem die Rote Armee Fraktion (RAF) heute noch hierzulande verhandelt wird. Die Baader-Meinhof-Bande, so ist das nach wie vor in den Köpfen der XY-KonsumentInnen eingebrannt, war eine Ganovengruppe, der es um Mord, Raub und Totschlag gegangen sei, und der man zum Glück das Handwerk legen konnte. Der fanatische Mob, den nicht zuletzt die Fernsehsendung Aktenzeichen XY ungelöst mobilisierte, hat das seine dazu beigetragen. Die Bezeichnung Ulrike Meinhofs als Staatsfeindin Nummer eins ist geradezu ein Ehrentitel im Vergleich zu den Titulierungen, die sie vom medialen Lynchmob zugeschrieben bekommen hatte. Es liest sich wie eine weitere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der XY-Gehilfe und spätere Nachfolger von Eduard Zimmermann, Butz Peters, vor wenigen Jahren eine Geschichte der RAF vorgelegt hat, bei der in erster Linie – wie sollte es bei einem XY Fahnder anders sein – vor allem die Personen- und Sachschäden aufgelistet wurden: »61 Tote, 230 Verletzte, 250 Millionen Euro Sachschaden. Viele Taten sind bis heute nicht geklärt.«, so lautet die Petersche Bilanz der RAF. Ein Buch, das sich nahtlos in die Reihe der hegemonialen Denunziationsschriften einreihen lässt, die mit Stefan Austs »Baader Meinhof Komplex« begonnen hat und die anlässlich des dreißigsten Jahrestages des deutschen Herbstes zuhauf die Regale in den Buchhandlungen verstopft. Dass es auch hier Ausnahmen gibt sei der Ordnung halber erwähnt: Die Arbeiten von Oliver Tolmein und Pieter Bakker Schuts beispielsweise oder Klaus Theweleits Vortrag »Das RAF-Syndrom« sind Annäherungen an das Thema, die, obwohl kritisch den Politiken der RAF gegenüber, in erster Linie die Repression des deutschen »Rechtsstaates« gegen sämtliche linken Oppositionen, die Ausschaltung der Grundrechte und die Aufrüstung des Polizei-, Überwachungs- und Justizapparates zum Thema haben.

Jutta Dirfurth wählt in ihrer jüngst erschienenen Ulrike-Meinhof-Biographie einen völlig anderen Weg. Ihr geht es nicht um eine politische Einschätzung der RAF, der außerparlamentarischen Opposition, der Sozialistischen Deutschen Studenten (SDS), der Illegalen KPD, um nur einige politischen Zusammenhänge zu nennen, in welchen Ulrike Meinhof engagiert war. Diese Einschätzungen müssen die LeserInnen selbst vornehmen. Vielmehr legt Ditfurth eine Lebensbeschreibung von Ulrike Meinhof vor und damit auch eine Skizze der Gesellschaften im faschistischen Dritten Reich sowie in der jungen Bundesrepublik Deutschland, die sich wesentlich durch politische und kulturelle Kontinuitäten auszeichnen. Eine Biographie ist, Virginia Woolf zufolge, »a bastard, an impure art«. Eine schmutzige Kunst, die oszilliert zwischen dem Anspruch auf Wahrheit und biographischer Evidenz einerseits, andererseits als ideologisches und künstlerisches Konstrukt beschrieben werden kann. Jutta Ditfurth hat es sich nicht leicht gemacht und sich selbst die Latte hoch gelegt, vor allem was die biographische Evidenz betrifft. Das Problem sei, so Jutta Ditfurth im Gespräch mit Bärbel Mende-Danneberg, dass sie auf keinerlei Forschungsergebnisse zurückgreifen konnte. Alle Generationen von Protest- und oppositionellen Bewegungen vor 1968 seien systematisch unerforscht gewesen, so Ditfurth. Dafür habe es einen ungeheuerlichen Berg an Müll von Bösartigkeiten und Fälschungen gegeben, der sich über dreißig Jahre gehalten hat. Sechs Jahre hat Jutta Ditfurths Recherche gedauert, bis sie sich aus den unzähligen Mosaiksteinchen ein Bild von Ulrike Meinhof machen konnte. Ihre Methode sei es gewesen, so die Autorin, sich auf den Nullpunkt zu setzen, als käme sie vom Mars in eine fremde Gesellschaft. Weiters, alles anzuzweifeln, was sie vorfindet. Diese Methode sei äußerst umständlich, bringe aber erstaunliche Ergebnisse. Ihre Recherche führten sie in sämtliche Städte, in welchen Meinhof gelebt und gearbeitet hatte, in Wohnungen, zu Einwohnermeldeämtern, in Archive von Städten, von Kunstvereinen bis hin zum Hauptstaatsarchiv, in dem sie die Wortprotokolle des Stammheim-Prozesses nachgelesen hatte (dieser Prozess ist neben dem Auschwitz Prozess der einzige, der wörtlich protokolliert wurde). Viele Archivmaterialien und Nachlässe von Linken musste sie im Ausland aufspüren. Sie wurden nach Holland, Polen, Frankreich oder Italien gebracht, um sie vor der Polizei und vor dem Bundeskriminalamt zu schützen. Mehr als 7000 Archivmaterialien hat die Autorin durchgearbeitet und so ein äußerst differenziertes Bild von Ulrike Meinhof gezeichnet, welches sich von den gängigen Klischees wohltuend abhebt. Gewiss, eine Biographie ist angesiedelt zwischen den Genres Wissenschaft, Kunst und Unterhaltung. Daher gehört es vermutlich auch dazu, dass davon die Rede ist, wie Ulrike Meinhof gekleidet war, welche Musik sie hörte, was sie gemeinsam mit ihrem Geliebten, Lothar Walek, aß und trank und welche Farbe ihre Socken hatten, als sie in Stammheim erhängt aufgefunden wurde. Man muss es nicht lieben, diese human-interest-storys zu lesen. Doch sie stören keineswegs, sie versperren weder den Blick auf die Stationen des Lebens von Ulrike Meinhof noch auf die gesellschaftliche und politische Verfasstheit der Bundesrepublik der kapitalistischen Restauration. Kindheit, Studium, Journalistik, die politischen Aktivitäten in der Bewegung gegen die nukleare Aufrüstung Deutschlands, Anti-Atom-Kongress, Mitgliedschaften in SDS und illegalisierter KPD, Kommunistenverfolgung und Widerstand dagegen, Arbeiten für Radio, Film und Fernsehen, Mitgliedschaft in der RAF, Gefangenschaft und Prozess in Stammheim werden skizziert, nie ohne den gesellschaftlichen Kontext aus den Augen zu verlieren. Nie, ohne die massive Repression und den ungeheuerlichen Terror der Macht gegen alles Oppositionelle zu vergessen und wie der deutsche »Rechtsstaat« die RAF zum willkommenen Anlass genommen hat, Bürgerrechte und demokratische Grundrechte auszuhebeln und unter dem Deckmäntelchen der Terrorismusbekämpfung dem repressiven Teil des Staatsapparates absolut freie Hand ließ.

Die stärksten Kapitel dieser Biographie sind jene, die sich den Aktivitäten von Ulrike Meinhof gegen die atomare Aufrüstung Deutschlands und jene, die sich ihrer journalistischen Arbeit widmen. Die kritische Haltung, die Ulrike Meinhof dem linken Journalismus entgegenbrachte, vor allem welche Funktion die Stars auf diesem Feld inne hatten und gewiss heute noch haben, wird präzise herausgearbeitet. Einer der wichtigsten Texte in Konkret, oder Klaus Theweleits Vortrag »Das RAF-Syndrom« sind Annäherungen »Kolumnismus« wird ausführlich zitiert: Sie könne zwar schreiben, was sie wolle, das erwecke aber fälschlicherweise den Eindruck, in dieser Zeitung dürfe geschrieben werden, was die Schreiber wollen. Die Unabhängigkeit sei eingezäunt, Extravaganz, Nonkonformismus, Originalität, Eigensinn und gelegentliche Konflikte mit den Anzeigenkunden würden den Verlegern das ungerechtfertigte Renommee bringen, die Zeitung nicht wegen des Profits zu machen. Dies war die vorletzte Kolumne Meinhofs für die Zeitschrift Konkret, die ihr damaliger Ehemann Klaus Rainer Röhl als linkes Titten-Magazin mit Oppositions-Appeal positioniert hat. Dass Jutta Ditfurth keineswegs unkritisch mit dem Gegenstand ihrer Biographie gegenübersteht, zeigt auch, dass sie »antisemitische Ausfälle« von Meinhof, beispielsweise als diese den israelischen Außenminister Moshe Dayan mit Himmler verglich, als das kennzeichnete, was sie waren: antisemitische Ausfälle.

Dass Biographien, allein aufgrund der Tatsache, dass sie nicht zuletzt auf Erinnerungen von ZeitgenossInnen basieren, Unschärfen haben ist evident. Erinnerungen sind, weil sie stets eine Neu-Konstruktion der Vergangenheit mittels Gedächtnis sind, als Quellen kritisierbar. Ditfurth war sich dessen bewusst, doch mit der Überfülle an anderem Material hat sie das mehr als ausgeglichen und so ein äußerst aufschlussreiches, wie auch spannendes Buch vorgelegt.

Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biographie. Ulstein Verlag, Berlin 2007

Ulrike Meinhof: Die Würde des Menschen ist antastbar. Wagenbach Berlag, Berlin 1994

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