»Europäische Bürger zweiter Klasse«

Simone Schönett über die Situation von Roma, Sinti und Jenischen im »europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs«

In Europa existieren zwei Kategorien von Bürgern: Die einen dürfen sich der Freizügigkeit und Bewegungsfreiheit innerhalb Europas erfreuen. Den anderen wird dieses Recht verwehrt.
Roma, Sinti und Jenische sind Staatsbürger ihrer jeweiligen Länder - und somit ausgestattet mit den dafür vorgesehen Papieren, Ausweisen, mit allem, was es eben so braucht in einem funktionierenden Staat bzw. in der Europäischen Gemeinschaft. Aber wenn sie als »Fahrendes Volk« öffentlich in Erscheinung treten, sind sie unerwünscht.
Auf so manchen europäischen Campingplatzen etwa existieren Verbotsschilder, die das klar machen - allerdings selten so klar wie im Osttirolischen Tassenbach, wo 2006 der Campingplatzbesitzer Johann Wieser plakatierte: »Kein Platz für Zigeuner«.

Solche Schilder nehmen sich – vergleichsweise - »harmlos« gegen das aus, was im Mai 2008 in Italien geschah: In Ponticelli/Neapel wurde eine Romasiedlung angegriffen und in Brand gesteckt.
Wie bei allen Pogromen stand am Anfang ein Gerücht. Eines, das sich danach – natürlich – als haltlos erwies: Eine 16 jährige Romni hätte versucht, ein Kind zu stehlen. Daraufhin fühlten sich die Bürger von Ponticelli ermächtigt, 500 Roma ihre Behausungen zu zerstören und waren in ihrer Zerstörungswut fest überzeugt, dass das Gerücht (»Roma stehlen Kinder«) wahr sei; so überzeugt, wie im Mittelalter die Antisemiten überzeugt waren, dass Juden Brunnen vergiften, Hostien schänden oder Christenbabys zu Matze verarbeiten würden.

Einer, der prompt reagierte, war ( wie kann es denn anders sein?) der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider.
Aus der Kleinen Zeitung vom 18.05.2008:
»Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider (BZÖ) hat am Sonntag verstärkte Kontrollen an den Grenzen zu Italien gefordert, um »eine Völkerwanderung der Zigeuner Richtung Kärnten und Österreich« mit allen Mitteln zu verhindern. »Es ist zu befürchten, dass tausende Zigeuner auf ihrer Flucht den Weg über die Grenze nach Kärnten antreten und hier ihre Barackensiedlungen errichten oder ganz einfach untertauchen. Kärnten gehört zu den sichersten Bundesländern Österreichs. Das soll so bleiben, daher wollen wir keine Zigeuner bei uns im Lande«, betonte Haider. Sollte der Innenminister nicht sofort handeln, werde man im Falle des Falles mit illegalen Zigeunern aus Italien »genauso hart verfahren wie mit den gewalttätigen Tschetschenen«, welche auf Anordnung des Landeshauptmannes aus Kärnten nach Niederösterreich gebracht worden waren. Haider: »Bei uns herrschen Recht und Ordnung.«

A propos »Ordnung«: Nach dem Pogrom in Neapel intervenierten aufgebrachte Fans der beiden Mailänder Vereine AC Milan und Internazionale bei ihren Clubs, den Sinto Pirlo, den Rom Ibrahimovic' und den Sinto Mihajlovic' hinauszuwerfen.
Paranoid, wer da an ethnische Säuberung denkt?
Ebenfalls im Mai, in Mailand: Vivienne Westwood präsentierte ihre neueste Kollektion als »Hommage an die Außenseiter unserer Gesellschaft, die Sinti und Roma«. Die Mailänder Stadtpolitikerin, Tiziana Maiolo, Mitglied in Berlusconis Partei Forza Italia, bezeichnete Westwood daraufhin erbost als »hoffnungslose Romantikerin«. Sie selber habe in den Zigeunerlagern (sic!) um Mailand genug gesehen, um zu wissen, dass »so lange die Männer nur Karten spielen, und ihre Frauen und Kinder nur betteln und stehlen würden«, von einer Integration keine Rede sein könnte.
Diese unerfreuliche Liste an Vorfällen ließe sich noch lange fortsetzen und wäre dann wahrscheinlich eben so lang wie jene der Vorurteile gegen Roma. Doch bleiben wir bei den Fakten.
Fakt ist, dass Roma europäische Bürger sind - allerdings solche
»zweiter Klasse«. Sie werden dazu täglich und fortwährend - wie man am Beispiel Italien sieht - dazu gemacht.
Roma stellen für jene, die sich der Freizügigkeit und Bewegungsfreiheit (erster Klasse quasi) innerhalb von Europa erfreuen dürfen, scheinbar allein schon durch ihre Existenz ein »Problem« dar. Ein »Problem«, das zwischen 10 und 12 Millionen Menschen beinhaltet. Eines, für das Europa recht gerne endlich eine Lösung hätte.
Während die Politik in Europa sich auf Lösungen konzentriert, geschieht medial die Schaffung eines neuen Klimas gegenüber »denen, die man früher Zigeuner nannte« (ein Terminus, der in diesem Zusammenhang übrigens nur selten fehlt). Nicht immer geschieht dies so offensichtlich wie im Stadtteil Ponticelli in Rom, wo sich, wie die taz vom 15.5.08 berichtete, »mehrere hundert mit Knüppeln, Eisenstangen und Steinen bewaffnete Bürger vor den Camps einfanden. Die Pogrome fanden auch im Fernsehen statt. Ein zur Berichterstattung angerücktes Kamerateam des italienischen Staatssenders RAI war vor ein Lager gezogen, um für die Sendung »Leben live« über den »Unmut der Anwohner« zu berichten - und die nutzten ihrerseits die Gelegenheit, ganz Italien live an ihrem Pogrom
teilhaben zu lassen: Erst durften die braven Bürger ihre Hassparolen in die Kameras sprechen und dann ihrem Hass freien Lauf lassen. Am Ende wurden drei Camps und ein leer stehendes, in letzter Zeit von Roma besetztes Gebäude abgefackelt.«

Fakt ist, dass in der medialen Darstellung von Roma - vom Boulevardblatt bis hin zur Qualitätszeitung – stets dieselben dumpfen Klischees und Stereotypen über Roma bedient und transportiert werden.
Nie ist da die Rede von den europäischen Bürgern, den Roma. Doch häufig wird – direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst – in der Berichterstattung mit jahrhundertealten Vorurteilen »gespielt«, und dabei vergessen, dass dieses »Spiel« keines ist, und auch sehr schnell folgenschwer enden kann - Italiens (auf)rechte Europabürger haben es ja im Mai drastisch vorgezeigt.

Das Fahrende Volk stellt für Europa also ein Problem dar. Eines, für das Europa recht gerne endlich eine Lösung hätte.
Massenmedial wird das Klima dafür gerade vorbereitet.
Massentauglich wird so derzeit ein ganzes Volk in Verruf gebracht.
Dass dies in Europa zuletzt in den 20er, 30er und 40er Jahre – mit den hoffentlich hinlänglich bekannten Folgen von Pogromen, Deportationen, Ermordungen und millionenfacher industrieller Vernichtung von Menschen geschah – daran sei hier erinnert.

Aus dem Deutschlandfunk-online vom 25.07.08: Der italienische Innenminister Roberto Maroni verteidigte im Juli die umstrittene Erfassung von Fingerabdrücken der Roma erneut gegen Kritik. »In einem Schreiben habe Maroni erklärt, dass die Roma damit nicht diskriminiert würden, sagte EU-Justizkommissar Jacques Barrot. Maroni habe ihm in dem Schreiben versichert, dass die Massnahme im Einklang stehe mit den Menschenrechtsstandards der Europäischen Union.«

Übrigens: In der Zwischenzeit wurden die umstrittenen »Fingerprints« auf alle Einwanderer ausgeweitet. Und in den großen italienischen Städten sorgt seit dem 5. August 2008 das Militär für Stabilität bzw. Ordnung.

Dass die Bedingungen für die europaweite Ausbreitung dieses Säuberungsklima fortwährend medial optimiert werden, zeigt nicht zuletzt die Jahresauszeichnung für junge Autoren 2008 des Verbandes der Zeitungsverleger in Bulgarien. Sie wurde an Kalin Rumenow vergeben, der regelmäßig Beiträge für die Tageszeitung Nowinar verfasst, in denen er die Roma in Bulgarien angreift: »Die Zigeuner kommen wie die Wölfe, vermehren sich wie Schafe ... Die Ersten, die gehen würden, sind die internationalen Unternehmen ... Sie würden an einen Standort mit weniger Zigeunern und mehr Geld umziehen. Wer würde Seife für eine weiche und zarte weiße Haut kaufen - die dreckigen Zigeuner vielleicht?«

Mitten in Europa wird also anno 2008 (wieder einmal) »Ordnung« gemacht. Von und für die Bürger Europas (erster Klasse, versteht sich), und das auf politischer Ebene ebenso wie von den Menschen auf der Straße.
Das zu Ordnende?
Ebenfalls Europäische Bürger - allerdings »zweiter Klasse« – Roma, oder wie kaum ein Journalist zu erwähnen vergisst: Früher nannte man sie Zigeuner.
Paradox – aber wahr: Solange Roma nur in der Kunst, der Literatur oder der Oper auftauchen, feiert man sie wegen ihrer Freiheit, Wildheit, Musikalität usw.. Sobald sie aber real, also nicht künstlich »auftreten«, werden sie neuerdings (wieder) zu einem Problem. Zu einem, das man in Europa recht gerne endlich lösen würde.

Der politische Rechtsruck ist nicht nur in Italien oder Bulgarien
gegenwärtig, sondern in ganz Europa unaufhaltsam. Doch solange es »nur« gegen Roma geht, findet das der Großteil der europäischen Bürger scheinbar nicht weiter beunruhigend.
Die klischeehafte Konservierung einiger »Vorzeigezigeuner« (»Carmen«, »Zigeunerbaron« usw.) und die derzeit in Westeuropa große Erfolge feiernde weltmusikalische Richtung der »Gypsy-Music« scheinen der Mehrheit wohl vollauf zu genügen, um ihren »Bedarf« an Roma zu stillen. Jedenfalls wollen 3 von 4 Europäern lieber keine Roma als Nachbarn.
Fakt ist: Abseits von Kunst und Musik, Konserve und Klischee
interessieren die real existierenden Roma, Sinti und Jenischen Europa nicht mehr als einen Dreck – oder nur als solchen.

Wir befinden uns im europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs. Und die Mehrheit der europäischen Bürger wäre – wie es momentan scheint - wohl anstandslos bereit, auf 10 - 12 Millionen ebenfalls europäischer Bürger zu verzichten. Problemlos. Zugunsten der Ordnung, der Sauberkeit. Das Klima »dafür« wird gerade bereitet. Im Wechselspiel von Politik und Medien.
Derzeit konzentriert sich Europa darauf, endlich eine Lösung für das »Romaproblem« zu finden.
Dass die jedoch mit Sicherheit nicht »sauber« sein wird, dürfte aber - in Kenntnis um die jüngere europäische Geschichte - nicht nur den Roma, Sinti und Jenischen allein klar sein. Oder?

Simone Schönett, geboren 1972 in Villach, ist eine österreichische Jenische. Sie lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin in Kärnten. (www.wort-werk.at). Gemeinsam mit der österreichischen Romni Marika Schmiedt, die als Filmemacherin in Wien lebt, veranstaltet sie Workshops über Roma, Sinti, Jenische (www.artbrut-video.com) – zuletzt im Mai in der Stadtwerkstatt/Linz.

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