Teufel mit Schellen, Narren mit Hörnern

Warum der Pessimismus als Lebenslehre inhuman, als Impuls von Erkenntnis aber unhintergehbar ist, erläutert Magnus Klaue.

Der Pessimismus in seiner populären Form ist eine Lebenslehre, darin nicht unterschieden von Hedonismus, Epikureismus und anderen philosophischen Schulen einer Zeit, als die Philosophie sich von den Erfordernissen der Praxis noch kaum emanzipiert hatte. In gewisser Weise ist er sogar eine Lehre vom guten Leben. Von allem Kommenden das Schlimmste zu erwarten, präventiv in jeder Lebenslage zu unterstellen, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, Sittlichkeit und Moral als bloßen Schein zwecks Verschleierung egoistischer Interessen und alles Streben für eitel anzusehen, erfüllt in solchem Pessimismus die Funktion der Unlustvermeidung. Es ist eine Form der Selbstpanzerung, darin am ehesten dem Stoizismus verwandt. Wie der Stoiker in vorauseilender Mimesis ans Anorganische zu Lebzeiten jene Starre einübt, die er zu Unrecht (denn was gestorben ist, zersetzt sich und verfällt) für ein Charakteristikum des Toten hält, so übt sich der Pessimist in Illusionslosigkeit, um nicht enttäuscht werden zu können. Telos dieses Pessimismus ist nicht die Negativität, sondern die Indifferenz, die Unansprechbarkeit des Subjekts sowohl für Augenblicke des Glücks wie der Trauer.

Wahrscheinlich deshalb war solcher Pessimismus für lange Zeit ein Privileg der Männer. Prominente Frauen, bei denen der gesunde Menschenverstand eine pessimistische Haltung vermutet, werden immer noch (wie es mit unterschiedlicher Berechtigung Gisela Elsner, Elfriede Jelinek, Unica Zürn geschehen ist) als Zynikerinnen halb gelobt, halb erniedrigt. Unprominente Frauen mit ähnlicher Disposition gelten als frustriert und emotional verkrüppelt, sei es in Folge schlimmer Kindheitserlebnisse oder der Wechseljahre. Viele der schärfsten misogynen Urteile über Frauen stammen von Autoren des Pessimismus: Arthur Schopenhauer, E. M. Cioran, Guido Ceronetti und Thomas Bernhard, in der unteren Liga Eduard von Hartmann oder Otto Weininger. Das hat seinen Grund nicht nur darin, dass die Pose des Unenttäuschbaren überzeugend nur annehmen kann, wem das Herrschen als naturgeschichtliches Erbe selbstverständlich ist. Vielmehr besteht ein inniger Zusammenhang zwischen dem Pessimismus als Lebenslehre und der Verachtung des Organischen, des gleichsam bloß Lebendigen, dem die Frauen mit ihrer archaisch anmutenden Fähigkeit zum Gebären wie selbstverständlich zugerechnet werden.

Tierliebe und Frauenhass

Triebhaft und instinktverfallen, stehen die Angehörigen des weiblichen Geschlechts den populären Pessimisten zufolge den Tieren näher als den Menschen. Schopenhauer schrieb über die Frauen: »Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt: in diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schönheit.« Weininger hielt in der für ihn typischen lakonischen Kürzelsprache fest: »W ist nichts als Sexualität, M ist sexuell und noch etwas darüber.« Und Cioran dekretierte: »Das Weib ist ein der Kultur und des Geistes unfähiges Tier.« Von Schopenhauer bis Bernhard gilt den populären Pessimisten das Gebären als schändlicher Akt, und für den »Nachteil, geboren zu sein« (Cioran), werden die, die nun einmal allein gebären können, kurzerhand mitverantwortlich gemacht. Der Pessimist erkennt im Sog der ersten Natur, der sich in der Frau vermeintlich verkörpert, die Affinität zum Todestrieb, mit dem er sich in seiner Weigerung, auf die Offenheit der Zukunft zu vertrauen, selbst verbrüdert hat. Schuld am unerträglichen Leben sind für ihn nicht die Umstände, die es unerträglich machen, sondern die Geschöpfe, aus denen es gekrochen ist, weil es bis heute nicht anders geht. Die Verachtung des Kreatürlichen und die Verachtung einer lebensfeindlichen Wirklichkeit verbinden sich, indem sie in den Frauen ihr gemeinsame Hassobjekt finden.

Die Frauen verächtlich in die Nähe der Tiere zu rücken, hindert dieselben Pessimisten nicht daran, zugleich große Freunde der wirklichen Tiere zu sein. Wichtigster Referenzpunkt von Schopenhauers Mitleidsethik ist das erbarmungswürdige Leben der Tiere, Ceronetti hat als überzeugter Vegetarier Schlachthöfe mit Konzentrationslagern verglichen. Spuren solcher Misanthropie im Deckmantel der Tierliebe finden sich heute nicht nur bei Tierschützern und Berufsveganern, sondern etwa auch bei selbsternannten Zoophilen, Leuten also, die dafür eintreten, nicht nur mit Tieren Sex haben zu dürfen, sondern diese Verbindung auch noch juristisch anerkennen lassen zu können. Während die Frauen dafür verachtet werden, dass sie den Tieren vermeintlich nahe, aber eben doch irgendwie von ihnen unterschieden sind, werden die Tiere dafür geliebt, dass sie keine Menschen sind, was im Grunde nur bedeutet: dass sie unter den Menschen stehen, dass die Menschen mit ihnen nie dieselben Scherereien haben wie miteinander. Die sich mit defätistischem Pathos von der bestialischen Menschheit abwenden, hassen in Wahrheit an den Menschen, was in ihnen die Tierwelt transzendiert. Selbst wo sie scheinbar zu Bestien werden, sind die Menschen nicht einfach wie Tiere, sondern werden zu etwas Schlimmerem. Im Guten wie im Bösen bestimmen sie sich in ihrer Nichtidentität mit dem Tier; diese Nichtidentität, die Unterschiedenheit in der Ähnlichkeit, ist es, die der populäre Pessimismus nicht bedenken möchte, weil er darin sein eigenes Unrecht erkennen würde.

Gerade seine Reflexionsverweigerung macht solchen Pessimismus beliebt. Nicht nur, weil kaum ein Mensch mehr liebenswert, sondern auch, weil kaum jemand mehr zur Liebe fähig ist, kommt ostentativer Menschenhass jederzeit gut an. Jeden zu verhöhnen, der einem gerade nicht in den Kram passt, den arglosen Nebenmenschen auf der Straße oder in der Bahn als Verkörperung der kollektiven Verblödung, deren Inkarnation in Wahrheit immer zu allererst man selbst ist, der Häme und Verachtung preiszugeben, ist den Zeitgenossen nicht mehr Anlass zu Scham oder gar Selbstreflexion, sondern wurde längst zum Vollzeitjob von Slammern, Kolumnisten und Satirikern. Der Unterschied zur Epoche von Cioran und Ceronetti ist nur, dass die Misanthropie mittlerweile geschlechterpolitisch liberalisiert wurde und auch Frauen, sofern sie den männlichen Steißgesichtern des Kulturbetriebs in grundlosem Stolz, blinder Verachtung und sprachlicher Unfähigkeit ebenbürtig sind, mit ihrem ausgelebten Menschenhass auf eine Massenanhängerschaft hoffen können. Was sich für witzig haltende Bloggerinnen und Schreiberlinginnen über »Männers« absondern, ist nichts als Misanthropie, die sich aus Gründen von Zufall und Opportunität an Männern statt an Frauen austobt. Deshalb bevölkern heute immer mehr gewissenlose Schmäh- und Hassexperten jederlei Geschlechts die Klein- und Großkunstbühnen, schmieren Blogs und Magazine mit ihren stereotypen Idiosynkrasien voll und mokieren sich, je vorbehaltloser sie das schlechte Ganze bejahen, umso unbefangener in schlechtem Deutsch über belanglose Einzelheiten des Alltags.

Misanthropie und Ironie

Ein beliebter Bolzplatz populärer Pessimisten ist, was sich missverständlich immer noch Satire nennt. Weil er insgeheim weiß, wie gut sich seine Haltung mit dem herrschenden Prinzip des Daseins vereinbaren lässt, ist der populäre Pessimist in den meisten Fällen ein Witzbold, in neuer Zeit immer häufiger eine Witzboldin. Oder wird es zumindest im Laufe der Karriere. Cioran hat den ihm adäquaten Stil des aphoristischen Bonmots in den fünfziger Jahren gefunden, nachdem er vom Rumänischen ins Französische gewechselt und das schmalzige Pathos seiner Frühschriften durch das Stilideal der clareté ausgetauscht hatte. Einhergegangen war damit eine ideologische Konversion. Der junge Cioran war überzeugter Faschist und in den vierziger Jahren Anhänger der »Eisernen Garde« gewesen; der ältere verstand sich als dunkler Erbe der französischen Moralisten. Mit dem Stilregister hatte sich vermeintlich auch seine Haltung gegenüber der Wirklichkeit geändert. Aus dem heroischen Kämpfer, der sich nicht anders denn hundertfünfzigprozentig mit einer Sache zu identifizieren vermochte, schien ein schlitzohriger Ironiker geworden zu sein, der seiner Menschenverachtung immer wieder überdrüssig wurde. In »Der zersplitterte Fluch« resümierte Cioran sein Werk 1987 halb enttäuscht, halb zufrieden mit den Worten: »Ich bildete mir ein, zu meinen Lebzeiten dem Verschwinden unserer Gattung beizuwohnen. Aber die Götter waren gegen mich.« Und rang sich sogar eine altersweise daherkommende Sympathieerklärung an die Mitmenschen ab: »Aller überdrüssig. Aber ich lache gerne. Und ich kann nicht allein lachen.«

In Wahrheit ist die ironische Pose des Pessimisten gegenüber seiner eigenen Misanthropie nur die reflexiv erweiterte Spielart der willkürlichen Verfügungsgewalt über alles und jeden, die sich im pessimistischen Pathos ungebrochen und roh, noch pubertär gleichsam, artikulierte. Der unreife Pessimist ist ein Pathetiker, der reife hat sich zum Ironiker gemausert. Doch seine Ironie macht mit dem eigenen Prinzip nicht ernst, weil dem Pessimisten die Fähigkeit, sich als Fremden zu sehen und im als fremd Abgespaltenen das Eigene anzuerkennen, naturgemäß abgeht. Gerade in dieser Fähigkeit besteht das kritisch-destruktive Potential der Ironie, deren Subjekt sich geradezu dadurch bestimmt, dass es mit dem Bezweifeln bei sich selbst nicht haltmacht. Die Ironie des Pessimisten dagegen ist aufbauend statt zerstörerisch. In ihr klopft das die Welt und die Menschen hemmungslos schmähende Subjekt, indem es verschmitzt suggeriert, es sei ja selber oft ein rechter Halunke, sich selbstbewusst auf die Schulter. Der Gestus ironischer Selbstzufriedenheit ist es, der die späten, häufig für ihren komödiantischen Zug besonders gelobten Romane Thomas Bernhards (allen voran das notorisch überschätzte »Holzfällen«) gegenüber Bernhards früher Prosa aus den sechziger und siebziger Jahren schwach und schal erscheinen lässt. Der ironisch gewendete Pessimismus befeuert nicht die Destruktivität, sondern bringt an den Tag, dass es mit dieser bei den populären Pessimisten nie weit her gewesen ist. Die selbstzufriedene Ironie transzendiert nicht den Pessimismus, sondern spricht die Wahrheit über ihn aus: Er war nie viel mehr als ein Mittel des einer grauenerregenden Wirklichkeit gegenüberstehenden Subjekts, trotz allem mit sich selber einverstanden zu bleiben; Verachtung als Affirmation.

Die aktuelle Erscheinungsform dieser Haltung, die gegenüber Bernhard und Cioran zugleich eine Zerfallsform darstellt, ist die erfahrungslose Borniertheit, die sich für satirisch, bösartig und radikal hält, tatsächlich aber unverhohlener Ausdruck von Hass auf die Wahrheit ist. »Krieg gegen unsere Art zu sterben« lautete ein Titel, mit dem die abgehalfterten Reste des Titanic-Stammtischs (der in puncto Gendermainstreaming noch immer nicht auf der Höhe seines gleichermaßen regredierten Publikums ist) im Dezember 2015 selbstredend ironisch auf die Menschheitsgefahr des islamischen Terrorismus antworteten, oder besser: vor ihr kapitulierten. Illustriert war das Cover mit dem rauchenden Helmut Schmidt, zwei gefüllten Biergläsern, zwei Rentnern mit Rollis und einem gegen einen Baum gefahrenen Auto. Wo alte Menschen lust- und hilflos vor sich hinvegetieren, Alkohol- und Nikotinsucht zum Alltag gehören und die Gefahr, bei einem Unfall zu sterben, so hoch ist wie in den westlichen Staaten, da ist es solch satirischem Unmenschentum zufolge die Aufregung nicht wert, wenn bewaffnete Vertreter der Friedensreligion hin und wieder mal Café-, Club- oder Supermarktbesucher abschlachten, die es angesichts des Zustands der Zivilisation im Grunde gar nicht recht verdienen, zu leben. In solcher Infamie kommt der populäre Pessimismus zu sich selbst, der schon in seinen sublimeren Formen stets dazu tendierte, den Unmenschen ein langes Leben, den kümmerlichen Resten des Lebendigen aber ein baldiges Verrecken zu wünschen. Indem keiner es merkt und alle, in der Verschmelzung von Hybris und Menschenhass vereint, herzlich miteinander lachen, stimmen sie sich schon mal auf eine Zukunft ein, die gemütlich nur noch für diejenigen sein wird, die den Schlächtern augenzwinkernd ihre Sympathie bekunden und solcherart andeuten, dass sie ihr eigenes Dasein fast so verachten wie das der parasitären Mitbürger.

Die denunzierte Zivilisation

Der wirkliche Pessimismus, der in den Werken fast aller genannten populären Pessimisten immer auch anwesend ist, obwohl er nur selten bestimmend wird, zeichnet sich dagegen seit jeher durch einen tiefen Ernst aus, der noch in Gesten der Ironie oder satirischen Übertreibung gegenwärtig bleibt. Als die misanthropischen Sprechfiguren Bernhards noch nicht bloße Abziehbilder seiner selbst waren, sondern düstere Fürsten, diabolische Mediziner oder irre Künstler, als Bernhards Sätze noch nicht wie die Suada von geifernden Wirtshausbesuchern klangen, sondern sich in bis zum Zerreißen gespannten Hypotaxen über die Seiten wälzten, artikulierte sich darin solcher Ernst: nicht auf der Ebene des Ausgesagten, sondern der Aussage, in der konzentrierten Bemühung, gleichsam in einem langen Atemzug zu sagen, was zu sagen ist und sich doch nicht aussprechen lässt. Mit den Spuren solcher Konzentration verschwand aus Bernhards späteren Werken bei zunehmender Popularität ihres Autors das destruktive und damit humane Moment ihres Pessimismus. Bei Cioran blitzte es immer dort auf, wo die sich zu Kreaturen erniedrigenden Menschen mit dem konfrontiert wurden, was sie sein könnten; bei Ceronetti war es aufgehoben im medizinischen Blick auf »Das Schweigen des Körpers« (so der Titel eines 1979 erschienenen Bandes), der im Leib, in den Knochen, in der Anatomie erkennt, worüber Sprache, Logos und Reflexion immer auch hinwegtäuschen.

Alles, worin der Pessimismus mit den Menschen solidarisch ist, indem er gegen sie spricht, ist angelegt in der Philosophie Schopenhauers, deren populäre, vielzitierte Passagen sich kaum zufällig eher an nebensächlichen Stellen, in den »Parerga und Paralipomena«, finden, während der systematische Teil seines Werkes über sie hinausweist. Schopenhauers Sympathie mit den Tieren enthält in sich bereits, was später vor allem die Kritische Theorie, insbesondere Max Horkheimer, entfaltet hat: keine Tierschutzethik, sondern die Einsicht, dass die Grenze zwischen Tieren und Menschen keine absolute ist, dass in den Tieren als nicht verwirklichte Möglichkeit steckt, was in den Menschen zu sich selber kam, während die Bestialität der Menschen ihren Grund in der Tilgung des naturgeschichtlichen Gedächtnisses, der Erinnerung daran hat, dass die erste Natur, der sie sich beherrschend und bändigend gegenüberstellen, in ihnen vermittelt fortlebt. Aus solcher Anamnese der Naturgeschichte bezieht der authentische Pessimismus seine polemische Schärfe und seinen Ernst.

Schopenhauer wie den Protagonisten der Kritischen Theorie, die ihn vielleicht als Einzige verstanden haben, war die schale Witzigkeit, die heute allseits mit Satire, Kritik oder Polemik verwechselt wird, immer ein Graus. Wer sich die Teufel mit Hörnern und die Narren mit Schellen vorstelle, schrieb Schopenhauer, werde ihre sichere Beute: Die wahren Teufel sind die als Spaßmacher Beliebten, die wahren Narren halten niemanden bei Laune, sondern perpetuieren Stumpfheit und Witzlosigkeit. Bosheit, Hohn und Witz des Pessimisten beziehen ihre Berechtigung aus der überwältigenden Übermacht des Schlechten, an dem sie sich entzünden, nicht an dessen Nichtigkeit: Was nichtig und böse ist, muss nicht gebannt werden; nur dem übermächtigen Bösen ist böse zu begegnen. Der wesentlich von Horkheimer geschriebene zweite Exkurs der »Dialektik der Aufklärung« über de Sades Figur der Juliette bestimmt das »schallende Gelächter« als einen Gestus, der »zu jeder Zeit die Zivilisation denunziert« habe: »Was unten liegt, zieht den Angriff auf sich: Erniedrigung anzutun macht dort die größte Freude, wo schon Unglück getroffen hat. Je weniger Gefahr für den oben, desto ungestörter die Lust an der Qual, die ihm nun zu Diensten steht: erst an der ausweglosen Verzweiflung des Opfers wird Herrschaft zum Spaß und triumphiert im Widerruf ihres eigenen Prinzips, der Disziplin. Die Angst, die einem selbst nicht mehr droht, explodiert im herzhaften Lachen, dem Ausdruck der Verhärtung des Individuums in sich selbst, das richtig erst im Kollektiv sich auslebt.«

Das Lachen der Täter

Diese Sätze verharmlost, wer sie auf die judenfeindlichen Zoten oder Karikaturen im »Stürmer« fixiert, auf die sie rekurrieren und die sie als historische Erfahrung schweigend voraussetzen. Sie beschreiben vielmehr zugleich eine psychopathologische Dynamik, ohne die sich die Mischung aus penetranter guter Laune, Machtbewusstsein und Verächtlichkeit nicht verstehen lässt, die fast alles prägt, was heute als lustig, locker und ironisch gilt. Die schale Ironie ist zur alleinigen Ausdrucksform der Unmenschen geworden, die nach islamistischen Attentaten in ihren publizistischen Foren, deren Inhalt austauschbar ist, statt Mohammed und Koran lieber Rentner und Biertrinker verhöhnen, die das Anzünden von Obdachlosen halb so schlimm finden, wenn es (wie am Heiligabend 2016 in Berlin-Neukölln) statt von kahlköpfigen Neonazis von wuschelköpfigen Migranten besorgt wird, und die lieber beim Witzereißen über Manspreading die eigenen Onkels an Geschmacklosigkeit überbieten, statt sich mit den täglichen, weiblichen wie männlichen, Opfern des globalen islamischen Patriarchats zu solidarisieren. Solch lustiger Unbefangenheit gegenüber der omnipräsenten Bedrohung liegt potentiell schon die gleiche Disposition zugrunde, die Klaus Theweleit in seinem Buch »Das Lachen der Täter« am Typus des Djihadisten ausgemacht hat, der im Augenblick des massenhaften Mordes seinen Opfern frei und offen ins Gesicht lacht: weil er keineswegs, wie ein verbreitetes Missverständnis lautet, als verbissen radikalisierter, humorlos beleidigter Sittenwächter agiert, sondern als jemand, der mit seiner Berufung glücklich eins geworden ist und endlich tut, was er sich immer wünschte.

Noch im scheinbar Nebensächlichsten, im routiniert erstarrten Begrüßungsgrinsen der Kollegen, in den automatenhaften Umarmungsriten gefühlter Jugendlicher, in der stakkatohaft signalisierten Anteilnahme am Gespräch, auf die immer weniger folgt, weil sowieso fast alle sprachlos und unansprechbar geworden sind, zeigt sich die Starre der Individuen angesichts der Angst ebenso wie ihre Bereitschaft, im Ernstfall zu denen überzulaufen, die die schlimmste Angst verbreiten. Ob im Beruf, unter Freunden oder in sogenannten politischen Zusammenhängen, die ohnehin längst alle eins wurden, gilt: Je besser die Menschen gelaunt sind, je weniger Platz ist für Marotten, Unverträglichkeiten und Spleens, je offener die Türen sind und je mehr alle miteinander im Stil einer einzigen Gruppentherapie reden, je stärker ostentative Anteilnahme am ganzen Menschen an die Stelle des Interesses an Gegenständen tritt, desto schlimmer steht es um alle – nicht nur um die, die dabei mitmachen.

Gegen solchen mit der Herrschaft identischen Konformismus, mit dem die ironischen Pessimisten paktieren, steht der wahre Pessimismus in jedem seiner Worte und Gesten. Die ihm verbunden sind, lassen sich je nach gesellschaftlicher Konstellation an verschiedenen Charakteristika erkennen. Heute vielleicht am ehesten daran, dass sie Witz haben, aber nicht zu oft und laut lachen, dass sie die Titanic eher als Schiff kennen und nicht mit einem öden Spaßnamen am Revers durch die virtuelle Welt ätzen. Leider heißt das umgekehrt nicht, dass alle, die in dieser Hinsicht anders sind, schon deshalb interessant wären. Dennoch haben sich die Humanen unter den Misanthropen stets dadurch ausgezeichnet, dass sie die Menschen nicht aufgeben, dass sie sich an ihnen nicht deshalb stoßen, weil sie noch Menschen sind, sondern weil sie hinter dem, was Menschen sein könnten, beleidigend zurückbleiben – und dass sie, im Gegensatz zu allem, was sich heute progressiv dünkt, zwischen Starken und Schwachen zu unterscheiden wissen. Das ist mehr, als sich über jene sagen lässt, die mit Verachtung, Hohn und Stumpfheit als Berufsmisanthropen ihr Brot verdienen.

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Thomas Berhard (Bild: Gemeinfrei)

Schopenhauer mit noch nicht verwirklichten Möglichkeiten in Pudelform (Bild: Wilhelm Busch)

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