Das Böse im Schaltkreis

Armin Medosch über das Buch und die Installation »Evil Media«

Zu einem neuen Blick auf die Medien fordern uns Matthew Fuller und Andrew Goffey mit ihrem Buch »Evil Media« (2012) auf. Ein »Evil Media Distribution Centre« errichtete das Künstlerpaar YoHa (Matsuko Yokokoji und Graham Harwood); beides wurde auf der Transmediale 2013 in Berlin vorgestellt, mit einem Panel und einer Ausstellung.

Das Panel zu Buch und Ausstellung war gut besucht. Fuller und Goffey präsentierten einen Querschnitt durch die »Medien auf der Achse des Bösen«, sozusagen. Sie operieren mit dem Begriff des Bösen in einer Balance zwischen der Art wie George W. Bush jr ihn verwendete und Google‘s unschuldig klingendem Motto »do no evil«. Der »Krieg gegen den Terror« hat das Böse wieder in die Gegenwartssprache gebracht und im sogenannten Cyberspace die Rüstungsspirale in die Höhe getrieben. Google hat es erfolgreich geschafft, sich in alle Nischen unseres Lebens einzufügen, so dass es beinahe schon mehr von uns weiß als wir selber.

Die traditionelle Medienkritik der Linken, so Fuller und Goffey, habe keine geeignete Sprache mehr, um der Situation gerecht zu werden. Diese sei in einem »moralischen Kalkulus« gefangen, kommentierte Fuller in Anspielung auf die politische Ökonomie der Medien, ohne das weiter zu erläutern. Die politische Ökonomie der Medien untersucht Eigentümerstrukturen und deckt Manipulationen auf. Was die beiden Autoren hingegen vorschlagen, ist die Medien mit dem Blickwinkel Macciavellis zu sehen, als Ort an dem Macht unmerklich wirkt. Die Abhandlung Il Principe, zu Beginn der Moderne geschrieben, bildet einen Eckpunkt in dieser Achse des Bösen. Einen weiteren Anhaltspunkt liefert Schopenhauers Die Kunst Recht zu behalten. Wie kann man eine Diskussion gewinnen, auch wenn man weiß, dass man eigentlich das schlechtere Argument hat?

Das Transparenzversprechen der Medien macht sie zum idealen Sitz dieser unsichtbaren macchiavellischen Hand, die in der Lage ist, durch List und Intrigen ans Ziel zu kommen, wobei die Beteiligten mit einer gewissen, sagen wir Unterkühltheit im zwischenmenschlichen Empfinden zu Werke gehen. Dasselbe lässt sich auch von dieser Gentlemensportart, dem Geheimdienst, sagen, dessen Methoden von Natur aus auf Ablenkungsmanövern beruhen, und die im Buch einen breiten Raum einnehmen.

Die Autoren stellen wirkliche und theoretische Objekte - abstrakte Dinge wie ein Algorithmus oder eine Formel -  als Objekte eines Diskurses über Evil Media vor. Ihr Vorbild ist das eines technischen Handbuchs, eine lose gegliederte Liste von Begriffen, von denen jeder als Stratagem auf zu fassen ist. Als Stratagem wurde ursprünglich eine Kriegslist bezeichnet. Fuller und Goffey bezeichnen damit geheime Tricks und Spitzfindigkeiten, die nicht genau wie Handlungsanweisungen zu lesen sind, weil der Ausgang solcher Tricks viel zu unvorhersehbar ist, um wörtliche Interpretationen zuzulassen. Die Kernbegriffe wie Evil, Book, Grayness, oder Sophistication werden als Serie aufeinander folgender, aber nicht logisch geordneter Begriffe behandelt, mit jeweils zwei bis drei Seiten pro Strategem.

Dabei ist ein Kriterium für die Auswahl der Objekte deren »grayness«, dass sie eben ihre Wirkungsmacht nicht hinausschreien sondern immer in der Grauzone bleiben, im Verborgenen wirken. Diese »Medien« sind so unauffällig wie die Figuren in Romanen von John le Carré, die niemandem auffallen würden, begegnete man ihnen auf der Straße.

Diese normalerweise unsichtbaren Objekte als »Medien« erst sichtbar zu machen, ist das Verdienst dieses Buches. Im ersten Hauptkapitel bleiben die Themen aus dem Nachrichtendienste-Bereich: Brainwashing, Systemic Ambiguity, und andere, eher komplexe Begriffe, wie »leverage anxiety«. Ebenfalls abstrakt, jedoch auf eine konkretere Art, geht es dann in Kapiteln über Algorithmen und Datenstrukturen zu. Medien sind nicht einfach nur dieses substanzlose Nichts zwischen den Dingen und der Wahrnehmung, sondern beeinflussen die Wahrnehmung und folglich auch das Denken. Dieser Grundgedanke wird angewandt auf Dinge wie Spreadsheets, Workflow-Diagramme, Suchmaschinen und Datenbankstrukturen, u.v.a.m.

Es ist durchaus richtig und wichtig, dass diese oft sehr abstrakten »Objekte« in den Diskursraum gerückt werden. Denn diese neuen Technologien haben sich zwischen uns und die Welt geschoben wie ein unsichtbarer Filter. Allerdings kann dieser Diskurs auch schwierig und anspruchsvoll zu lesen sein. So gab es quasi als begleitendes Projekt das Evil Media Distribution Centre von YoHa.

Matsuko Yokokoji und Graham Harwood vermissten die Bilder im Evil-Media-Buch und regten ihrerseits eine Liste von 54 Autoren an - darunter auch der Autor dieses Artikels - einen Absatz über ein Objekt zu schreiben. Diese Kurzbeschreibungen wurden auf Klemmbrettern im Ausstellungsraum ausgestellt. Dazu gab es eine Auswahl der beschriebenen Objekte anzusehen. Die sehr straffe, sehr pointierte Präsentation wirkte gelungen, weil sie auf ihre Weise die These von Evil Media belegte: dass es grundsätzlich sinnvoll ist, diese »grauen« Medien zu thematisieren. Im »Angebot« vom Evil Media Distribution Centre fanden sich Dinge so divers wie der Zufallszahlengenerator, die Büroklammer, Fußgängerabsperrgitter, Prozac, Excel, der Pin Code, Gabelstapler, das Fotokopiergerät und die Geburtsurkunde.

Bei der Diskussion im Anschluss an die Panel-Präsentation kamen aber auch kritische Kommentare. Ein Teilnehmer meinte, er habe das Gefühl sich eine Stunde mit der Füllfeder von Rupert Murdoch beschäftigt zu haben. Ob es nicht effektivere Wege gäbe, gegen die »bösen« Effekte der neoliberalen Politik zu kämpfen. Insgesamt wurde das Panel als stimulierend wahrgenommen. Und doch bleiben einige offene Fragen.

Denn Machiavelli war auch schon eine der zentralen Figuren von »Empire«, ein überraschender Theorie-Bestseller der frühen 2000er Jahre. Macchiavelli ist auf theoretischem Gebiet also nicht gerade eine Neuentdeckung. Im Verbund mit anderen häufig zitierten Autoren wie Schopenhauer,  Bergson und Nietzsche, läuft das Buch Gefahr, angestaubte philosophische Rechtsausleger zu rehabilitieren. »Linkes Ticket für die Reise nach Rechts«, nannte das Detlef Hartmann in seiner harschen Abrechnung mit »Empire«. So schlimm ist es dann wohl doch nicht, finden sich doch immer wieder kurze aber harte Verbalattacken gegen Neoliberalismus und Überwachungs- und Kontrollstaat im besprochenen Buch. Dennoch: Der Gestus, als Rebellen gegen eine angeblich hegemonische linke Medienkritik aufzutreten, das war schon eine Lieblingsfinte Friedrich Kittlers. Und während der Tabubruch anfänglich noch ein wohliges Schauern der Tabuverletzung mit sich bringt, so verkommt diese, rituell wiederholt, zur Bestätigung der existierenden Gesellschaftsordnung.  

Der wichtigste Kritikpunkt hängt vielleicht eher mit dem Ansatz der Stratagems zusammen. Denn diese, nur aus einigen Absätzen bestehend, können nicht mehr liefern als eine sehr allgemein gehaltene Zusammenfassung. Jene /Stratagems/Begriffe, die wirklich gut ausgewählt sind, verdienten eine weit tiefere Beschäftigung. Das heisst, eigentlich wäre statt eines kurzen Teasers ein ganzer Eintrag vonnöten, der die jeweilige Sache erklärt. In manchen Fällen ist das auch schon geschehen, wie z.B. im Fall von Suchalgorithmen, diese waren schon Thema einer kulturwissenschaftlichen Konferenz mit Reader. Man könnte sich auch vorstellen, dass ein Science-Studies-Ansatz hier fruchten könnte, in der Art jener Fallstudien, die sich mit technologischen Systemen beschäftigen. Denn so bleibt es eher wie eines der vielen »Dictionary«-Projekte der letzten Zeit, jene mehr oder weniger gut geschriebenen, künstlerisch-philosophischen Wörterbücher. Da haben Fuller und Goffey gegenüber dem Kritischen Wörterbuch von George Bataille noch einiges an Boden gut zu machen.

Die Frage, die sich unweigerlich stellt, ist, warum Macchiavelli, warum nicht Diderot? Evil Media leistet eine Art Archeologie der Gegenwart, es führt uns durch Ausgrabungen zu technischen Artefakten, oder auch Abstraktionen, die ebenfals Artefakt-Charakter haben. Durch diesen Akt der Ausgrabung werden wir der Wirkungsmacht dieser Medien gewahr. Diese sind ohne Menschen halbfertig, sie strecken, so Harwood in der Panel-Diskussion, eine Hand nach uns aus und fordern uns auf, dieses Potential, das in ihnen liegt, zu materialisieren. Doch anstatt darin einen Akt der Aufklärung zu sehen, ein Aufmerksam-Machen, inwiefern diese Technologien Bestandteil von Macht- und Unterdrückungssystemen sind, oder wie sie für anti-unterdrückerische Aktionen genutzt werden können, distanzieren sich die Evil-Media-Autoren vom Emanzipationsprogramm der Aufklärung/Moderne und bleiben lieber in der selbstgewählten Grauzone stecken.

Der Anspruch auf Wahrheitsfindung wird gar nicht gesteckt, heißt es, wohl aber der Anspruch auf die rhetorische Form des Aussprechens von Wahrheiten. Evil Media behauptet also auch diese strategische Ambivalenz für sich, die den Reiz des Themas ausmacht, ein Schnuppern an den Blumen des Bösen, ohne ihnen komplett zu verfallen. Das erscheint letztlich sehr postmodern und ahistorisch, was Projekten wie diesem in die DNA eingeschrieben ist. Man beschäftigt sich mit den Strukturen, die angeblich die Welt beherrschen, ohne zu sehen, dass diese nur Verdinglichungen sozialer Beziehungen sind, die in ihrer Essenz historisch sind, also von Menschen gemacht und veränderbar.

Literatur:
Fuller, Matthew, und Andrew Goffey. Evil Media. The MIT Press, 2012.

Installation:
»Evil Media Distribution Centre« YoHa 2013 (Matsuko Yokokoji und Graham Harwood, http://www.yoha.co.uk/

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