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Leserbrief zu Andi Wahls
"Da wird ein kleiner auch einmal wild"

Lieber Andi,
ein paar Anmerkungen zu Deinem Aufsatz:
1) Du schreibst: "Es gehört ja zu den großen sozialdemokratischen Verwirrungen dieses Jahrhunderts, zu glauben, man könnte mittels staatlicher Autorität den Kapitalismus ... soweit zügeln, daß man die gewaltigen Erneuerungspotenzen der Marktwirtschaft 'zum Wohle aller' nutzbar machen kann."
Ich denke, es gehört zu den großen linksradikalen Verwirrungen dieses Jahrhunderts, zu glauben, die Entlarvung der sozialreformerischen Politik als auch bloß kapitalorientierte Politik zum Ausgangspunkt von Denken und Handeln hochzustilisieren. In der Euphorie über das eigene "Aha-Erlebnis" beäugt man die gegenüber solcher Erkenntnis skeptischen entweder als geistig verkümmert oder als korrumpiert.
2) Staatliche Regulierung kapitalistischer Ökonomie ist auch keine Glaubensfrage, sondern Ergebnis realer Prozesse. Im Mittelpunkt steht dabei aber nicht die Sicherung einer ausreichend hohen Profitrate, wie Du vermerkst, sondern die Ausweitung der Profitmasse. Weil beides zueinander in Widerspruch steht, existieren keine linearen Entwicklungen, - auch nicht widerspruchsfreie "Interessen des freien Marktes" - sondern krisenhafte Prozesse. Dieser Widerspruch erklärt auch die neoliberale Wende. Diese hat ja auch nicht mit dem Zusammenbruch des "realen Sozialismus" eingesetzt, wie Du schreibst, sondern bereits viel früher, wie sich leicht historisch nachweisen läßt.
3) Ob Zügelung oder Überwindung dieser Formation, bis jetzt hat noch niemand glaubwürdige Alternativen zur Erringung staatlicher Macht präsentiert, schon gar nicht praktiziert. Ganz abgesehen davon, daß die Fragestellung nach Zügelung oder Überwindung eine ahistorische Fragestellung ist. Wann noch gezügelt und nicht überwunden wird, bzw. schon überwunden und nicht mehr gezügelt wird, kann nur historisch konkret anhand der politischen Durchsetzung von Grundrechten beurteilt werden.
4) Daß es sich hier nicht bloß um sozialdemokratische Verwirrungen, sondern reale Interessenskollisionen handelt, sollte alleine schon aufgrund der Heftigkeit und Vielschichtigkeit, mit der die neoliberale Wende vorangetrieben wird, einleuchten.
5) Du schreibst: "Denn die Marktwirtschaft hat sich längst aus ihrer staatlichen Zügelung befreit und bedarf zur Durchsetzung ihrer Interessen immer weniger der Politik und einer politischen Konsensfindung." So sehr dies neoliberalem Wunschdenken entspricht, so wenig entspricht dies der Wirklichkeit. Es wird nicht weniger Politik durchgesetzt, sondern eine andere Politik. Ich würde dringend empfehlen, sich z.B. mit den EU-Binnenmarktregelungen vertraut zu machen.
6) Du zitierst Robert Kurz: "In dieselbe Falle der historischen Ziellosigkeit würden spontane Massenaktionen für den Erhalt der sozialen Gratifikationen laufen,..." Na, gute Nacht! Die 5000 SchülerInnen und StudentInnen, die beim letzten Sparpaket in Linz gegen Sozial- und Bildungsabbau demonstrierten, werden sich für solche Ratschläge bedanken und spontan nach Hause schreiten, um über ihre Ziellosigkeit zu grübeln.
7) Zum Schluß kommst Du auf die alte deutsche Philosophenkrankheit, die man seit 1848 überwunden glaubte: "Kommt heraus ihr PhilosophInnen und laßt uns eine neue Welt entwerfen." In der festen Überzeugung, daß neue Welten nur im Schoß von alten Welten herangedeihen, formulieren wir Grüne demgegenüber im oberösterreichischen Sozialprogramm: "Nur der Staat verfügt über die Machtmittel, Kapitalinteressen zu disziplinieren, sozialen Ausgleich auch im großen Maßstab zu organisieren und ökologische Imperative und Menschenrechte allgemein verbindlich durchzusetzen." Leider fehlt uns die Geduld, auf den Entwurf der PhilosophInnen zu warten.
Viele Grüße!
Raimund Boris Lechthaler
Wohnsprecher der Grünen OÖ

Lieber Boris Lechthaler
Verehrter Wohnsprecher
Zugegeben, ich war in einigen Details meines Artikels ein bisserl genau. Es war aber auch gar nicht meine Absicht, einen politisch korrekten Vortrag zu halten. Mir ging es darum, gerade Leute wie Dich, die durchaus gute Ansätze des politischen Verständnisses zeigen, ein bisserl zu beuteln.
Sinn dieser Beutel-Therapie soll es sein, eine Denkhemmung, eine immer wieder festzustellende Denkfaulheit in Euren Köpfen zu lösen.
Ihr schafft es offensichtlich nicht, über Systemgrenzen hinaus zu denken, und genau dazu möchte ich Euch bringen.
Einer Deiner grünen - oh, jetzt weiß ich nicht wie die korrekte Anrede zwischen Grünen lautet; sagt ihr Kollegen, Genossen, Freunde? Bruder wahrscheinlich! - also einer deiner grünen Brüder und Schwestern in Deutschland hat das auch schon geschafft.
Micha Brumlik, Abgeordneter der Grünen im Frankfurter Parlament, meinte auf einem Strategiekongreß der Grünen: "Eine weltweite Wirtschaftsordnung, die Gerechtigkeit durchsetzt und die Umwelt bewahrt, ist nur durch eine fundamentale Änderung des institutionellen Kerns der Ökonomie zu erreichen: des Privateigentums an Produktionsmitteln!"
Das ist doch schon was!
Andi Wahl


An Matti Link und den Hillinger

Lang hat er gebraucht, der Matti Frühstück, oder wie er doch immer heißt. Aber jetzt schreib ich ihm doch noch:

Na Matti,
hast Dir doch wieder einen runtergeholt (Stichwort: erotic drive)? Jaja, so anonym hinter der verspiegelten Kolumne ("Sie hatten Angst vor der Konsequenz ihres eigenen Geredes" - Goldene Zitronen) läßt es sich so schön geil sein und (schreiberische) Omnipotenz phantasieren: Jaaa Matti, komm, aaah, gib's mir so richtig heftig! Auf Sado-Maso: Zuckerbrot für die Guten, die Peitsche für die Bösen!
Böse sind (no na!) die Onkelz, die mal eine Nazi-Band waren (und es heute eher mit dem allseits beliebten Motto halten: Keep your politics out of my music!), so wie Ingo Hasselbach einmal ein Nazi war. Nur den einen finden jetzt alle wahnsinnig cool, während die anderen immer noch Böhse bleiben müssen, weil ein paar Leute Flugblätter verteilen, die aus den Diskussionen von 1987 abgeschrieben sind (und wo etwa ein Musiker, der u.a. mit Bob Marley getourt ist, als "Nazi-Skinheadband" bezeichnet wird. Soviel zur Qualität der Recherchen.).
Aber Gottseidank haben wir Matti, der uns die Welt erklärt: Jugendkultur wird durch Codes definiert! Möglicherweise hast Du da was beim Kapitel Semantik nicht verstanden (und, bei der Gelegenheit angemerkt: beim Kapitel Grammatik auch nicht!). Wie kann es denn sein, daß bei den Angriffen auf Asylbewerber in Hoyerswerda Jugendliche mit Public Enemy-T-Shirt zu sehen war? Welche Codes wurden denn da vermittelt?
Und wenn wir schon dabei sind: Wo waren die Proteste gegen type-O-Negative, die vor kurzem in Wien gespielt haben und mindestens ebenso große Dummköpfe sind wie die Onkelz ? Oder etwa Slayer: Die dürfen ohne Probleme im faschofreien Welser Schlachthof spielen, obwohl du von denen jederzeit hören kannst, wie supa sie den Pinochet finden.

Noch viel böser als die alle: die Mitmenschen. Hilfe, SOS!!! Wie die das Asylgesetz exekutieren! Allen voran die naive Frau Kolic, ich seh sie vor mir, wie sie die Fremdenpolizisten prügelt: "Was, nur zehn Abschiebungen nach Afghanistan heute?" Und der alte (offensichtlich Dein Lieblingsattribut bei Männern) Gaudibursch Ecker, der kann nachts nicht schlafen, wenn er nicht mindestens fünfzehn negative Asylbescheide erlassen hat. Jaja, so sind sie, wenn sie der Führer, ähm Vorsitzende nicht zurückpfeift. (Aber auch das war falsch - bzw. nehme ich an: gar nicht - recherchiert.)
Gottseidank haben wir ja Matti (ich wiederhol' mich), der donnert einmal im Hillinger: Das Asylgesetz in Österreich ist eines der restriktivsten in Europa! Und das Meer teilt sich, die Zeit steht still! Die Grenzen sind offen für alle, die Schubgefängnisse niedergebrannt, und überhaupt: keine Onkelz-Konzerte mehr!
Karl Kraus (der Vergleich freut dich, gelt?) schrieb einmal: Zu Hitler fällt mir nichts ein. Matti schreibt: Die Auseinandersetzung mit Krenn und Haider hat nur sedativ-einschläfernde Wirkung. - Genau diese Arroganz einer angeblichen Linken wird zu einem bösen Erwachen führen.

Aber schlaf ruhig weiter, Matti. Und träum was Geiles. Vielleicht steht er Dir morgen wieder. Ich bin dann gerne Deine Wichsvorlage!
Lothar Jochade


März 97

wir lesen hören schauen linz