Vorspann: Oft werde ich gefragt woher ich den "Stoff" für meine Kolumnen nehme. Die Antwort darauf ist natürlich eine denkbar einfache, um es mit der Gruppe DIE PRINZEN zu sagen: "Das ist alles nur geklaut, das ist alles gar nicht meines ...". Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle einmal ganz herzlich bei all jenen bedanken, die ich so beklaue. Herzlichen Dank Wladimir Iljitsch Lenin, Matti Link, Kurt und Anna Kopta, Karl Marx, Resi Lechthaler, Elias Canetti, Friedrich Engels, Franz Primetzhofer, Hans Lebert, Eveline Pammer, Franz Eichinger, Pablo Neruda, Veronika Gusenbauer, Bertolt Brecht, Theodor W.Adorno, Peter Turrini, Karl Kraus, Michael Köhlmeier und wie sie alle heißen.


"Da wird ein kleiner auch einmal wild"


Eigentlich sollten Weltanschauung und Persönlichkeit eine Einheit bilden. Sehr oft tun sie das aber nicht. Auch wenn man sich selbst als eine Art Aufständischer bezeichnet, ist man doch oft gefangen in der eingeübten Untertänigkeit eines "gelernten Österreichers". Schule, Lehrzeit, Militärdienst, Kirchgang und Lohnarbeit - alles Bereiche in denen man lernt, sich in Demut und Unterwürfigkeit zu üben. Als derart zurechtgestutzter "gelernter Österreicher" entwickelt man einen breiten Buckel, der einen viel erdulden und so manches schlucken läßt. Die alltäglichen Dämpfer, die man zusätzlich erhält, tragen ihr Übriges dazu bei, daß man ein "Kleiner" bleibt, der brav seinem Tagwerk nachgeht und nicht aufmuckt.
Wenn sich die Mächtigen aber allzu präpotent gebärden, dann kann es passieren, daß einem dieser Kleinen doch einmal der Kragen platzt und er wild wird. Und bei mir ist es bald soweit!

Es gibt nämlich einen Punkt, an dem man/frau es als persönliche Beleidigung empfindet, für wie blöd man/frau gehalten wird. Wer einigermaßen die Berichterstattung in den diversen Medien verfolgt, wird mir recht geben, daß wir uns gegenwärtig wieder in einer rhetorischen Prügelphase befinden. Zur Zeit werden wieder viele Wortmeldungen von Politikern und Wirtschaftstreibenden publik, die vermutlich im Sinn haben, uns auf Kommendes vorzubereiten bzw. zu ergründen, was wir uns noch alles gefallen lassen. Denn diese Herrschaften (meist sind es Herren) führen noch einiges im Schilde.
Da ist zum einen einmal die Beseitigung von ideologischem Schutt, wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschutz, Chancengleichheit, staatliche Sozialausgaben, Recht auf Bildung udgm. Zum anderen geht es aber auch darum, erneut, und diesmal unmißverständlich, klarzustellen wer der Herr und wer der Diener ist. Es gehört ja zu den großen sozialdemokratischen Verwirrungen dieses Jahrhunderts, zu glauben, man könnte mittels staatlicher Autorität den Kapitalismus (zumindest in Teilen Europas) soweit zügeln, daß man die gewaltigen Erneuerungspotenzen der Marktwirtschaft "zum Wohle aller" nutzbar machen kann. Das ist natürlich ein ebenso großer Topfen wie zu glauben, man könnte die Atomspaltung und die Gentechnologie so gebrauchen, daß wir hinkünftig alle in paradiesischen Zuständen leben könnten - ohne Nahrungs- und Energieprobleme. Das Kapital hat sich auch so gegeben, als ob es sich ein bißchen zügeln lassen würde. Aber nicht weil es sich nach seiner staatlichen Kastration bereitwillig als Ochse vor den Karren des Gemeinwohles hat spannen lassen, sondern einzig, um seine Profitrate zu sichern. Für das Kapital stellte sich in den vergangenen Jahrzehnten auch immer die Frage: Wieviel muß der Kapitalismus an seine Opfer ausschütten, damit diese keinen zu großen Radau schlagen? Also eine Art Stillhalterate für die auf der Strecke gebliebenen. Angesichts der realsozialistischen Bedrohung konnten Gewerkschaften und sozialdemokratische Politiker diese Stillhalterate auch in eine ganz ansehnliche Höhe schrauben, und dem Kapital auch einiges an Geschenken abringen. Aber wie das nun einmal so ist mit Geschenken: Der Herr hat's gegeben, der Herr kann's auch wieder nehmen. Und der "Herr" ist hier das Gesetz der freien Marktwirtschaft.
Der Staat (ob nun sozialdemokratisch dominiert oder nicht - die Aufgabe war die gleiche) war also nicht der Herr über den Ochsenkarren, sondern Erfüllungsgehilfe zur Durchsetzung der Interessen des freien Marktes. Denn gerade in Österreich mußte das Kapital erst einmal staatlich hochgepäppelt werden, um es erst einmal handlungsfähig zu machen. 1
Nun, da der "reale" Sozialismus in der Wahrnehmung der meisten Menschen zur geschichtlichen Anekdote zu verkommen droht, kann die oben erwähnte Stillhalterate wieder gehörig nach unten geschraubt werden. Die Marktwirtschaft muß sich nicht mehr eines sozialen Mäntelchens bedienen, um ihre Akzeptanz zu sichern. Da es zur Zeit scheinbar keine ernstzunehmende Alternative zum Kapitalismus gibt, kann die Marktwirtschaft wieder unbehelligt ihre ungeschminkte Fratze zeigen.

Auch dem Staat kommt unter diesen geänderten Bedingungen eine neue Rolle zu. War es bisher seine Aufgabe, einen möglichst reibungslosen Ablauf der Geschäfte zu gewährleisten, das Volk still zu halten und Konjunkturschwankungen durch staatliche Ausgaben gegenzusteuern, muß er jetzt dafür sorgen, den weltweit operierenden Konzernen im jeweils staatlichen Einflußbereich alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, und dem Kapital, das scheu wie ein Rehlein sofort flüchtet, wenn es auch nur einen kühlen Windhauch verspürt, ein warmes Nest zu bauen, damit es da bleibt und weiterhin prächtig gedeiht.
Deshalb werden Lehrpläne an Regelschulen und Universitäten nach ihrer Marktgerechtheit durchforstet 2 (denn nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir - und Leben reduziert sich von nun an auf "Markt"), um die Arbeitsmoral der Bevölkerung auf hohem Niveau zu halten, wird von Politikern 3 mit der Einführung eines Art Arbeitsdienstes gedroht und Personen, die sich nicht kapitalistisch verwerten lassen (wie Langzeitstudenten, Arbeitslose, chronisch Kranke usw) werden der sozialen Ächtung zugeführt. Eine besondere Fleißaufgabe einiger Regierungen ist die Stimulierung eines nationalistischen Grundgefühles in der Bevölkerung. Mit dem Schlagwort der Standortsicherung sollen sich die Lohnabhängigen mit "ihrem" nationalen Kapital eins fühlen und es durch eigene Bescheidenheit und Opferbereitschaft gegen die begehrlichen Lockrufe anderer Staaten immun machen. Denn, so wird nicht ohne Erfolg suggeriert, der eigene Konzernboss ist dem österreichischem Schlosser noch allemal näher als irgendein portugiesischer Maurer, finnischer Dachdecker oder ugandischer Kleinbauer.
Unter normalen Umständen, damit meine ich einigermaßen menschliche Verhältnisse, wäre es undenkbar für unsere Regierung, vor dem historischem Hintergrund der beiden Weltkriege derart auf die nationalistische Karte zu setzen - jede/r/m würde es sofort die Schamesröte ins Gesicht treiben; aber unter den gegebenen Bedingungen, also der Durchsetzung der Kapitalinteressen ohne wenn und aber, opfert die österreichische Regierung auch das angeblich Allerheiligste dieses Landes - den sozialen Frieden - auf dem Altar der globalen Standortkonkurrenz.

Die gegenwärtige Entwicklung zeigt, daß gewisse Dinge einfach nicht zusammengehen, auch wenn sich das viele gutmeinende Menschen ganz fest wünschen.
"Sozial" und "Marktwirtschaft" sind zwei solche Begriffe. Denn die Marktwirtschaft hat sich längst aus ihrer staatlichen Zügelung befreit und bedarf zur Durchsetzung ihrer Interessen immer weniger der Politik und einer politischen Konsensfindung.
Kapitalismus und Demokratie sind zwei weitere Dinge, die nie zusammengehen werden. Denn in der alten Frage ob "Butter oder Kanonen" produziert werden, wird sich nicht das Bedürfnis der Mehrheit nach Butter 4, sondern die Finanzkraft der Waffenproduzenten und -schieber durchsetzen.

Meiner Meinung nach wäre es unsinnig, den aktuellen Entwicklungen alleine den naiven Wunsch nach der Erhaltung des staatlich verwalteten sozialen Netzes entgegenzusetzen, bzw. sich überhaupt vom Staat die Errettung aus der kapitalistischen Not zu erwarten. Oder wie es Robert Kunz meint: In dieselbe Falle der historischen Ziellosigkeit würden spontane Massenaktionen für den Erhalt der sozialen Gratifikationen laufen, auf die manche radikale Linke mit der Vorstellung hoffen, daß auf diese Weise in einer Art Trial-and-error-Prozeß ein Ausweg aus dem System gefunden werden könnte. Aber auch im High-tech-Zeitalter gilt, daß der Knüppel nicht klüger sein kann als derjenige, der ihn schwingt. Ohne eine neue Idee der Systemüberwindung als Ferment sozialer Bewegungen wird es nur noch Strohfeuer der hoffnungslosen Gegenwehr geben. Jetzt rächt es sich, daß die Restlinke den Untergang des Staatssozialismus und das Ende der alten Arbeiterbewegung nicht kritisch aufgearbeitet, sondern bloß ihre Biografien verteidigt hat. 5

In diesem Sinne: Kommt heraus ihr PhilosophInnen und laßt uns eine neue Welt entwerfen.
Huch! Jetzt werde ich ja beinahe pathetisch und - was noch schlimmer ist - idealistisch (igitt!).
Andi Wahl

1 siehe dazu Hillinger 5/96, "so schauts aus"
2 Ein spezielle Blüte dieser Bemühungen war kürzlich von einem Zusammenschluß von MusiklehrerInnen zu vernehmen. Diese fürchten nämlich, daß der Musikunterricht der Lehrplandurchforstung zum Opfer fällt. Diese MusiklehrerInnen haben sich nun mit der Botschaft, daß nur musisch gebildete Arbeitskräfte auch kreativ sein können, und es daher ein Fehler wäre den Musikunterricht zu reduzieren, an die Öffentlichkeit gewandt
Scheinbar muß neuerdings für alles, was gelehrt oder gelernt wird, nachgewiesen werden, daß es kapitalistisch verwertbar ist. Alles andere ist a priori verdächtig
3 LH Pühringer, Landesrat Hiesl, Wirrtschaftspräsident Maderthaner - um nur einige zu nennen.
4 Aber man kann auch ohne Butter wunderbare Gerichte auf den Tisch zaubern, das möchte ich nebenbei bemerkt haben. Und da tätige Leute oft wenig Zeit haben, aber trotzdem gut essen sollten, will ich Dir ein Rezept verraten: Du brauchst Zwiebel, Knoblauch, Olivenöl, Dosensardinen (am besten "NURI in Chillisauce"), Weißwein, Pfefferoni oder noch besser eine Chilischote, Petersilie und Spaghetti. Zwiebel und Knoblauch in reichlich Olivenöl anrösten, die geschnittene Chilischote und die Sardinen ohne dem mitgeliefertem Öl dazugeben, ein wenig anrösten und mit Weißwein aufgiessen (auch damit brauchst du nicht zu sparen). Mit Salz und Pfeffer - oder was du dir noch so denkst - je nach Geschmack würzen. Spaghetti kochen und die Sardinensauce darübergeben. Am besten trinkst du den selben Weißwein dazu, mit dem du aufgegossen hast. Das Ganze steht in 20 Minuten auf dem Tisch. Mahlzeit.


JÄNNER 97


wir lesen hören schauen linz