Großer Brüter, Zwitter oder Irrgarten

Das Urfahraner Jahrmarktgelände bekommt einen Tarnanzug verpasst Ein Beispiel für Denaturierung oder anders gesagt: Was man in Linz unter Grünlandwidmung versteht.

Wie sicherlich der aufmerksamen LeserIn der VERSORGERIN und FreundIn von Urfahr nicht entgangen ist, vollzieht sich in unmittelbarer Nähe der Stadtwerkstatt eine gewaltige Umgestaltung. Nicht nur der Neu- bzw. Zubau des Ars Electronica Centers schlägt eine tiefe Kerbe in den Freiraum »Wiesen« zur Donau, sondern auch der Umbau des anschließenden weitläufigen Areals des Jahrmarktgeländes ist nach jahrzehntelanger Unbelassenheit voll im Gange.

Der Ostteil vom Infocenter bis zum SV-Urfahr ist bereits mit Asphalt versiegelt und es tut sich eine riesige pechschwarze Fläche auf. Im Westteil zwischen Wildbergstraße und Nibelungen-Brücke sind die Bauzäune hochgezogen. Dort sollen, wie aus dem Rathaus verlautet, entlang der Friedhofsmauer ein Parkplatz für die notwendigen 118 Stellplätze des Ars Electronica Centers, eine Durchzugsstraße, ein Radweg und eine zusätzliche Baumreihe entlang der Allee errichtet werden. Der Rest dieser 15.000 m2 großen Fläche wird mit einem möglichst strapazierbaren Rasen ausgestattet, um den Anforderungen des Jahrmarktes Genüge zu tun. Über dieses Vorhaben herrscht im Gemeinderat Uneinigkeit. Es wurde aber im Jänner von SP, Grüne und FP beschlossen. Die ÖVP politisiert unter dem Motto »Donaupark statt Steinwüste« mit einem eigenen Plan für eine Parkgestaltung.

Zur Erinnerung: Im Jänner 2002 hat die Wasserrechtsbehörde der Stadt Linz per Bescheid aufgetragen »die geübte Form der Versickerung von Oberflächenwasser von den genutzten Flächen, sowie Zufahrtswegen am Urfahraner Jahrmarktgelände einzustellen und dauerhaft zu unterbinden.« Noch im gleichen Jahr wurde ein geladener Wettbewerb zur Neugestaltung ausgeschrieben. Die Stadtwerkstatt hatte sich damals im VERSORGER und bei einer Podiumsdiskussion mit Boris Podrecca vehement für den Erhalt der Schotterfläche am Jahrmarktgelände eingesetzt. Die Reaktionen waren durchwegs positiv. Auswirkungen hatte die Intervention nur insofern, als das Siegerprojekt von Boris Podrecca als Lösung für die Neugestaltung einen Schotterrasen mit eingestreuten Seedbombs vorsah. Die Samenbom-ben sollten die unterschiedlichen Farben für die Flächengestaltung beitragen. An dieser Lösung scheiterte aber das Konzept von Boris Podrecca. Das verordnete Auffangen des Oberflächenwassers ist nicht möglich und so verzögerte sich die Realisierung der Neugestaltung. Ein weiterer Einschnitt entstand durch die AEC-Erweiterung, da in diesem Bereich der Podrecca Plan eine stufenartige Terrasse zur Donau hin vorsah. Ein gutes Beispiel, wie ein Wettbewerb oder ein Plan den anderen ablöst. Die »Wiesen«, der Parkplatz zwischen AEC, Kirche und Stadtwerkstatt, dereinst von Baudirektor Goldner designt, im Podrecca Plan eine stufenartige Terrasse, ist der AEC-Erweiterung gewichen.

Nun müssen wir mit der Tatsache Vorlieb nehmen, dass nicht nur die »Wiesen«, sondern auch der einzigartige Schotterplatz ade sind. Künftig wandeln wir an der »Rampe Gottes« oder am »Keil im Aug« vorbei, über Schotterrasen bis zum Infocenter, weiter über eine vermörtelte farbige Asphaltschicht. Der Ostteil soll derzeit gemäß Podreccas Plan in verschiedenfärbigen Feldern gestaltet werden. Die Asphaltversiegelung wird mit unterschiedlich eingefärbtem Mörtel überzogen. Die Farbpalette von Grün bis Gelb und Beige erinnert an Camouflage. Podrecca selbst spricht von Tarnfarbe.

Was aber soll hier getarnt, und wer in die Irre geführt werden?

Ist es die Tatsache, dass das Jahrmarktgelände - ein Überschwemmungsgebiet laut dem OÖ Natur- und Landschaftsschutzgesetz - als Grünland gewidmet und mit einem hundertprozentigen Bauverbot belegt ist? Was für das Projekt »Musiktheater am Jahrmarktgelände« geltend gemacht wurde, muss nicht konsequenterweise bedeuten, dass in einem anderen Fall nicht trotzdem gebaut werden kann. An Infocenter und AEC-Erweiter-ung wird deutlich, mit welchen Winkelzügen solche Verordnungen umschifft werden können.

Oder soll uns vorgeführt werden, dass Asphalt auch Natur ist und als Grünland zu verstehen ist? Braucht es deshalb den Tarnstrich?

Selbst der Auslöser des ganzen Prozesses, der wasserrechtliche Bescheid, ist nicht friktionsfrei, da die Umweltanwaltschaft, von diesem Verfahren ausgeschlossen, feststellt, es hätte auch andere Lösungen als eine völlige Versiegelung des Jahrmarktgeländes gegeben, zum Beispiel eine Folierung unter der Oberfläche. Weiters wird bekrittelt, dass nicht, wie im Falle des mobilen Hochwasserschutzes in Urfahr West, ein naturschutzrechtliches Bewilligungsverfahren durchgeführt wurde.

Aus unabhängiger Sicht fragt man sich, ob die vollständige Versiegelung des Ostteils nicht eine unverhältnismäßige Maßnahme ist, wenn man an Sommertage mit flirrender Hitze denkt, in denen der Platz vor sich hinbrütet.
Gewachsen aus der normativen Kraft des Faktischen verhielt sich das Jahrmarktgelände als eine Art Grauzone. Zweimal jährlich als Jahrmarkt genutzt, machten sich in der übrigen Zeit Pendler mit ihren Autos breit, obwohl das Gelände nicht wirklich als Parkplatz ausgewiesen war. So konnte kreuz und quer geparkt werden, ohne dass gleich abgeschleppt wurde. Auch Camper und Reisende, Kaufleute aus Ost und West machten es sich dort gemütlich. Gewohnt war man ebenso den wiederkehrenden Zirkus mit all seinen Stallungen.

Die Politik hatte im Vorfeld des Wettbewerbs das Jahrmarktgelände als Markt-, Veranstaltungs- und Erholungsfläche sowie als Parkplatz definiert. Welche Konsequenzen das hat, ist jetzt schon mehr als deutlich. Hätte man keinen Kniefall vor den Autos gemacht, bräuchte man die Maßnahme der Versiegelung nicht, und der Platz könnte wirklich frei bleiben. Es ist auch zu bezweifeln ob dort je wieder ein Zirkus zu erleben sein wird. Denn wo sollen die Anker in den Asphalt getrieben werden? Ein Barometer dieser Einschränkung von Nutzung kann man auch schon im Erlass aus dem Jahr 2004 erkennen, der ein Campieren im Jahrmarktgelände per Strafe verbietet. Wie es für die Fahrenden in Linz aussieht beklagt auch der Verein Ketani. Im gesamten Stadtgebiet gibt es keinen Campingplatz. Einzig die Stadt Braunau ist da großzügiger.

Was da jetzt auf uns zukommt, ist als eine Art Flurbereinigung dessen zu verstehen, was die Stadtwerkstatt seit ihrem Einzug in das Quartier Alt Urfahr Ost so zäh zu verteidigen versucht hat, nämlich das Verständnis für die Brache, für Freiraum, für vorübergehende Nutzung, für Prozess, für das Offenlassen und das Zulassen, für das Infinitive und nicht das Definitive.

Meine Forderung zur Stunde Null, um das denaturierte Grünland Jahrmarktgelände wieder zurück zur Natur zu führen - Schotter als Asphalt.

Zurück zur Ausgabe: 
#77
4

& Drupal

Versorgerin 2011

rss