Code – was/wie - Vom Nutzen schematischer Zeichnungen – Teil XXIX

 

            Gerhard Dirmoser – Linz  12.2004  gerhard.dirmoser@energieag.at

 

Dank an: Josef Nemeth (+), Boris Nieslony, Astrit Schmidt-Burkhardt, Kristóf Nyíri, Bruno Latour,

Peter Weibel, TransPublic, Walter Pamminger, Sabine Zimmermann, Tim Otto Roth,

Walter Ebenhofer, Franz Reitinger, Steffen Bogen, Mathias Vogel, Alois Pichler,

Lydia Haustein, Josef Lehner (+), Bernhard Cella

 

Die Code-Frage steht nicht unmittelbar im Zentrum der Diagrammatik. Im Zusammenhang mit der Kartographie (und den GIS Systemen) wurden aber bereits einige Aspekte angesprochen.

 

 

Macht es Sinn von Ordnungscodes zu sprechen?

 

Codes sind Vereinbarungen, die sich auf definierte Strukturen beziehen. Bei diesen „Strukturen“ muß es sich (ganz allgemein gesprochen) um keine alphanumerischen Zeichen handeln; es könnten zB. auch Gesten oder beliebig vereinbarte Symbole sein.

Wenn man die Ordnungsstrukturen als Ordnungsgesten denkt, dann macht es auch Sinn von

Ordnungscodes zu sprechen.

 

Jahrhunderte an Ordnungserfahrungen, haben sich in diesen (anschaulichen) Ordnungscodes abgelagert. Wir wissen welche Ordnungsfragen mit welcher Struktur repräsentiert werden können.

Diese Codes sind sehr flexibel, da die Grundstruktur in der Regel auch variiert und damit angepaßt

werden kann.

 

So wie es bei den Diagrammen Sinn macht von Repräsentationstechniken zu sprechen, macht es

auch Sinn von Ordnungscodes zu sprechen.

 

Wenn auch der Schwerpunkt der Codes im Bereich der Semantik liegt, listet U. Eco unter Code

auch ein „System von Regeln“ auf. Es existieren Codes für Lageverhältnisse, es werden korrelationale Codes angesprochen, ...

 

Andere (verbalsprachliche) Codesysteme machen sich in der Repräsentation (zB. bei semantischen Netzen) die Ordnungscodes (zB. Netzstrukturen) zunutze. Semantische Codes können für bestimmte Fragestellungen auf Ordnungscodes aufbauen.

 

Da die Ordnungscodes (in der Fläche und auch im Raum) toplogische (Lage)Verhältnisse repräsentieren können, sind sie auch in der Lage verschiedenste räumliche Aspekte der Verbalsprachlichkeit zu repräsentieren.

Da wir es gelernt haben, in räumlichen Strukturen auch zeitliche Aspekte zu repräsentieren, haben die diagrammatischen Ordnungscodes auch für verbale Zeitlichkeit etwas zu bieten, umso mehr, als auch die verbalsprachlichen Satzstrukturen linear sequentiell repräsentiert werden.

 

Durch unser Wissen um Ordnungscodes sind wir in der Lage „geordnete Verhältnisse“ auf einen Blick zu erkennen. Dies gelingt in jedem Fall auch ohne das Wissen um Inhalte oder Nutzungen.

Der Grad der Ordnung offenbart sich anschaulich und unmittelbar. Unser Wahrnehmungssystem

ist darauf ausgelegt, auf bestimmte Ordnungen zu reagieren und sie im Zuge der Wahrnehmung richtiggehend herzustellen.

 

Im „Chaos“ komplexer natürlicher Ordnungen, stechen einfach strukturierte Gebilde besonders hervor. Symmetrien und geometrische Gebilde üben eine magische Anziehungskraft auf unseren Blick aus.

 

Der Code der Natur – diagrammatisch zu lesen – übersteigt die Reichweite dieser kleinen Studie

in jeder Hinsicht; auch wenn es sicher aufschlußreich wäre, die Bindungslogik der Elemente einmal aus der diagrammatischen Perspektive anzudenken.

 

Codierung meint streng geregelte Übersetzung. Übersetzung und Bezugnahme sind ein zentrales Feld der Diagrammatik (Siehe Modul II).

 

Diagramme und Schemen sind Ordnungscodes – dabei will ich es vorerst belassen.

Mit gleichem Recht kann man sagen – jede Syntax sei ein Ordnungscode.

 


 

Die Sicht des WIE und des WAS

 

Wie unterschiedlich WIE und WAS aufgefaßt werden können, war im Modul XIV zu sehen.

 

Kurze Vorüberlegung aus einem Dialog mit Tim Otto Roth:

            Die "Kerbe" zwischen Zeichenträger und Zeichenbedeutung hat mich wieder mal zum

WAS und WIE gebracht.

            WIE (die Natur) in Erscheinung tritt .... und WAS wir damit verbinden.

Die Techniker denken ja gerne in Mittel/Zweck-Relationen:

Das WIE der Mittel zur Erreichung des Zwecks (also des WAS).

Also auch da haben wir dann wieder diese Polarität ....

            Nun sind die Naturwissenschaftler sehr oft stärker am WIE als am WAS interessiert

und die Geisteswissenschaften eher am WAS als am WIE. (Latour)

Das anschauliche WIE und das unanschauliche WAS ?

Oder mit Eva Schürmann: Das semantische WAS und das syntaktische WIE .... ?

 

Wenn man nun annimmt, daß es brauchbare "Sprachen" gibt um das WIE abzuhandeln, so wie zB. die Techniker beschreiben, WIE etwas funktioniert, dann könnte man ja sagen, daß es ein WIE-Semantik neben der WAS-Semantik geben müßte.

 

Wenn man sich das Medienschema vor Augen führt, dann fällt auf, daß der obere Bereich in hohem

Maße dem WAS und der untere Bereich dem WIE zuzuordnen ist. 

 

            In einer ersten Überlegung würde man also die gesamte Diagrammatik dem WIE

            zuordnen. Erst bei feineren Analysen gesteht man den Schemen auch WAS-Aspekte zu.

 

Im Medienschema sind in der Mitte (mit Mathias Vogel) quasi als dynamische Vermittler die performativen Aspekte situiert. Dies erscheint mit den Betrachtungen von B. Latour, S. Krämer und E. Schürmann in einem ganz neuen Licht, wenn zwischen dem WIE und dem WAS performative

Prozesse oder Tätigkeiten gedacht werden.

 

Mit der Diagrammatik und der Sicht der Materialität kommt auf jeden Fall das WIE stärker ins Blickfeld.

 

Mimetische Bilder und diagrammatische Strukturen dienen der Anschaulichkeit. Auch wenn es bei den Ordnungsstrukturen abstrakter zugeht, wie in mimetischen Bildern, kann den Schemen die Anschaulichkeit nicht abgesprochen werden.

 

WAS sehen wir und WIE tritt es in Erscheinung ?

Wenn wir das WAS (konventionell) primär semantisch besetzen, dann bleibt für das WIE die Form (der Codierung). Die Träger des WAS sind aber nicht (nur) als Zeichenträger zu fassen. Die diagrammatischen Strukturen sind in der Regel keine Zeichenträger.

 

Die Nähe der Diagrammatik zu Formfragen ist auf jeden Fall nicht zu bestreiten.

Die Diagrammatik hilft die Formfragen neu zu stellen. Oder bringt uns die Formfrage wieder

in breit angelegte Schwierigkeiten: Im Detail siehe Modul XI – Form und Funktion 

 

            Zeichenform = für definierte Inhalte

            Form = für Funktion = Bedeutung (bei Werkzeugen)

            Form = als Physiognomie

            Form = als Atmosphäre

            Diagrammform = als Ordnung

            Form = als Materialform


 

Das WAS und das WIE geht in der Natur zusammen.

Erst das (menschliche) Wahrnehmungssystem treibt den Keil des WIE & WAS in das DASS.

 

Der Fokus auf WAS und WIE hat nun aber auch wieder einen blinden Fleck:

            (D. Mersch) Wo das >Was< und >Wie<, das quid betont wird, verschwindet die Rolle

des >Dass<, quod. Sein Verschwinden fällt sowohl mit dem Brüchigwerden der Kategorie

der Ex-sistenz wie auch des Realen oder der Gegenwart zusammen.

 

Das „Passen“ und „Überleben“ (passender Strukturen) braucht kein WAS und WIE. Das passende WIE stellt sich im Kontext ein. Oder ist bei komplexen Organismen (mit Zellstrukturen) immer schon das WAS und WIE kybernetisch zu denken?

 

Das Ziel (der Zweck – das WAS) der Natur als maximale Überlebensfähigkeit gedacht?

Die Formen der Natur als optimales WIE gedacht?

 

Um die Sache noch weiter zu komplizieren Textstellen von D. Mersch:

 

(DM) "Im Falle der strukturalen Semiologie wie auch der postrukturalistischen Grammatologie, ... handelt es sich nämlich um einen Transfer der Fragestellung vom Was zum Wie, wie Paul de Man so treffend bemerkte -

ein Transfer, der eben nicht das Problem der Sinnkonstitution tangiert, sondern sekundäre Sinneffekte studiert, von denen wiederum G. Deleuze in seiner Logik des Sinns bemerkt hat, daß sie alles seien, was über den Sinn gesagt werden könne:

 

>> Der Sinn ... ist stets eine Wirkung im Sinne einer >optischen Wirkung<, einer >Klangwirkung< oder besser eines Oberflächeneffekts, Stellungseffekts, Spracheffekts. .... Die Struktur ist wirklich eine Maschine zur Produktion unkörperlichen Sinns .... . Es ist darum so erfreulich, wenn heute die frohe Botschaft ertönt: Der Sinn ist niemals Prinzip oder Ursprung, er ist hergestellt.

Er ist nicht zu entdecken, wiederherzustellen oder neu zu verwenden; er ist durch neue Maschinerien zu produziere. ...<<

 

In den Formulierungen von Eva Schürmann werden das semantische WAS (gezeigtes WAS) und das syntaktisches WIE (zeigendes WIE) aus einer weiteren Perspektive vorgestellt.

 

            (ES) Die Wahrnehmung ist durch das Wahrgenommene nicht determiniert, es gibt plurale

            Möglichkeiten in der Art und Weise, wie wir – unter den überindividuellen Bedingungen

            sozialer, historischer und kultureller Praxis – die Dinge sehen:

            Semantisches WAS und syntaktisches WIE bilden genau jenen Konnex, der für das

            Bildliche charakteristisch ist.

 

            (ES) Etwas-Sehen heißt in den meisten Fällen, es auf eine bestimmte Weise sehen.

            Dies eben ist die für die Bildlichkeit charakteristische Duplizität von einem

            gegenständlichem WAS und einem modalen WIE.

            Eben hier demonstriert das Sehen seine Analogizität mit dem Zeigen.

 

Die Sicht der Weltbilder, die im Beitrag von Eva Schürmann (mit Wittgenstein & Heidegger) sehr

ausführlich und sehr spannend abgehandelt wird, wurde in dieser Betrachtung ausgeklammert.

Zwei Zitate möchte ich auf jeden Fall nachreichen:

 

            (ES) Als wahrnehmungsleitendes „System von Geglaubtem“ (Wittgenstein) entscheidet

            ein Weltbild jedoch vor allem darüber mit, was wie in den Blick gerät, und zwar

            nicht nur metaphorisch.

            Es entscheidet darüber, was wie gesehen wird, und weist damit eben jene Doppelheit

            von einem Was und einem Wie, von deiktischen und aisthetischen Eigenschaften auf,

            welche das Bildliche ausmachen.