Gerhard Dirmoser – Linz 12.2004 gerhard.dirmoser@energieag.at
Dank an: Josef Nemeth (+),
Boris Nieslony, Astrit Schmidt-Burkhardt, Kristóf Nyíri, Bruno Latour,
Peter Weibel, TransPublic,
Walter Pamminger, Sabine Zimmermann, Tim Otto Roth,
Walter Ebenhofer, Franz
Reitinger, Steffen Bogen, Mathias Vogel, Alois Pichler,
Lydia Haustein, Josef Lehner
(+), Bernhard Cella
Der „diagrammatische“ Typograph Walter Pamminger erzählte bei einem Gespräch in Wien, daß er die Prinzipien/Formen der Rhetorik in typographische Gestaltungsansätze übertragen hätte. In Verbindung mit Formulierungen aus der Medientheorie von Matthias Vogel, habe ich in der Folge versucht, eine kleine Sammlung von Tätigkeitstypen anzulegen.
Anmerkung: Einige dieser Ansätze kann man auch in den Büchern von Theo Van Leeuwen & Gunther Kress finden.
In seinem Text „Layout und Philosophie. Zur Körpersprache
philosophischer Texte“
schreibt W. Pamminger: Wie die Formulierungen
„rhetorische Figur“ und „Wendung“
belegen, stellt uns die traditionelle Rhetoriktheorie
ihre Elemente als Figuren oder
Bewegungsweisen vor, mit anderen Worten: als
„schematische Gestalten“, als
„Verfahren“ oder „Vorgänge im Raum“. Beispiele für solche
Sprach-Figuren sind die
Metapher als (Hin)Übertragung, die Metonymie als
Grenzverschiebung, die Ellipse
als Auslassung, der Anakoluth als Verdrehung der
Reihenfolge, der Chiasmus als
Spiegelstruktur. Da die Rhetorik ohnehin ihre
theoretischen Konstrukte entlang der
Phänomene von Sichtbarkeit, Räumlichkeit und Prozeß
modellierte, erscheint es
sinnvoll, dieses System auch auf visuelle Phänomene
anzuwenden.
Die Hinweise auf die
Verbindung von Visualität, Räumlichkeit und Rhetorik verdankt W. Pamminger
dem Autor Michael Chan – Die Augen der Rhetorik (Beitrag in: Tumult Nr. 14)
+++
In dieser Betrachtung wird nun ein neuer Ansatz vorgestellt, bei dem Verben eine Rolle spielen.
Jeder Gestaltungsschritt bzw. jeder Ordnungsansatz wird in ein Verb übersetzt. Einige der Verben
sind abstrakter, andere sind als elementare Tätigkeiten (Gesten) direkt umsetzbar.
In einer zweispaltigen Tabelle werden Verben in einer Art Mittel/Zweck-Relationen vorgestellt.
Die Verben in der rechten Spalte sind in der Regel ein „Mittel“, dienen also der konkreten Umsetzung des Gestaltungszwecks (in der linken Spalte).
Es handelt sich also um eine Sammlung von typographisch relevanten Gestaltungsgesten bzw. Designgesten.
Zusammenstellung relevanter Verben für die 11 Schemagrundtypen (Link Aufstellung)
Mediendefinitionen (Matthias Vogel)
Ohne hier weiter auf den umfassenden Ansatz von M. Vogel eingehen zu können, soll zumindest
ein zentraler Ansatz vorgestellt werden:
„... Medien sind nicht primär Dinge, Instrumente, Werkzeuge oder Materialien,
sondern sie sind primär Mengen von Tätigkeitstypen, die in einer kommunikativen Praxis etabliert sind und tradiert werden.
Dabei sind diese Tätigkeiten auf die Herstellung sinnlich wahrnehmbarer Zustände oder Ereignisse gerichtet, und die Produzenten rechnen damit, daß die Rezipienten diese Zustände oder Ereignisse entlang gewisser Eigenschaften ähnlich strukturieren wie sie selbst ....“
Versuch einer Sammlung „inhaltsfreier“ Gestaltungstätigkeiten
Mengen von Tätigkeitstypen (TT), die in einer kommunikativen Praxis etabliert sind |
|
zeigen (TT) aufzeigen |
Die zeigende Geste ist ein Fundament jeder Kommunikation. Lt. Bühler ist der Zeigekomplex der älteste Bereich jeder Sprache (u.a. werden die Verben diesem Bereich zugeordnet). Auch jede Benennung braucht als Grundlage Zeigungen. sichtbar machen (TT)
hervorheben hinweisen |
präsentieren (TT) |
zeigen (TT) |
zum Erscheinen bringen (TT) erscheinen lassen (TT) (*1) |
Formen des Erscheinens: indem sich der Rezipient bewegt, sich das Medium bewegt, oder das Medium vom Rezipienten bewegt wird: · umblättern (Vergl. Comics) · aufschlagen, öffnen · anzeigen Anm. 1: Medien lassen erscheinen (Krämer) Anm. 1: Ereignishaftigkeit (Krämer) |
sichtbar machen (TT) |
zeigen (TT) hervorheben (DT) markieren (DT) herausstreichen u.a. versammeln (auflegen) ausbreiten (auflegen) verstärken anzeigen Anm.: potentielle Information sichtbar machen |
verschwinden lassen (TT) |
schließen (Fenster, Box) verdecken (Seiten, Folien, Flächen) abdecken überdecken, überlappen falten ausbleichen auflösen (eines Bildes) s.u. entfernen auslöschen ausblenden leeren – leer lassen |
in Bezug setzen (TT) (*2) in Verbindung bringen (TT) (*3) intern verweisen (TT) (*1) bezugnehmen (TT) |
gegenüber stellen parallelführen (Synchronopse) verbinden (Linie, Balken) umfassen (Linie, Klammer) reihen nahe stellen (Zwischenraum) (*5) staffeln (von Schichten) ausrichten (Bezugslinie, Bezugsraster) orientieren, anordnen (*4) Wertend: konfrontieren Anm. 1: Innerhalb einer sichtbaren Einheit Anm. 2: Medien machen Bezugnahmen möglich (Krämer) Anm. 3: Distanzüberbrückung Anm. 4: Bourbaki Mutterstrukturen M2 – Ordnungsstrukturen (Gitter) Anm. 5: Bourbaki Mutterstrukturen M3 – Topologische Strukturen (Nachbarschaft) |
vernetzen (TT) |
als ein komplexes „in Bezug setzen“ s.o. Anm.: Bourbaki Mutterstrukturen M2 –
Ordnungsstrukturen (Netze) |
begleiten (TT) |
parallelführen (Synchronopse) wiederholen platzhalten rhythmisieren (TT) |
einbauen (TT) (*1) einbinden (TT) einbeziehen einfügen |
zitieren umfassen (Linie, Fläche) verschachteln einordnen einpassen Anm. 1: Inkorporation |
extern verweisen (TT) (*1) |
zitieren vorgreifen Anm. 1: Über eine sichtbare Einheit hinaus (über Seiten hinweg, über
Kader hinweg, ...) Anm. 1: Die Repräsentation von Überblickswissen besteht primär aus diesen Verweisen |
unterscheiden (TT) |
trennen abgrenzen vergleichen (als Prozeß bzw. konkret als in Bezug setzen) s.o. |
vergleichen (TT) |
markieren der Unterschiede (DT) konfrontieren in Bezug setzen (TT) parallelführen (zeitlicher Vergleich) |
trennen (TT) |
auseinander stellen zerschneiden (Linie, Flächenkante) abgrenzen (*1) Anm. 1: Bourbaki Mutterstrukturen M3 – Topologische Strukturen
(Grenze) |
abgrenzen (TT) |
trennen (Linie, Fläche, Klammer, ...) |
gliedern (TT) |
portionieren reihen sequentialisieren einteilen aufteilen Anm.: Gliederungsprinzipien der Rhetorik Anm.: Warum liegt die Gliederung nur im Film in Reinform vor? |
strukturieren (TT) |
gliedern = portionieren / reihen einleiten einteilen aufteilen Anm.: falzen wirkt auch gliedernd |
frei positionieren (TT) |
plazieren (mittig, in Randlage, ...) anordnen aufspannen |
aufspannen (TT) |
auseinander legen entfalten (DT) |
anführen (TT) |
aufzählen auflisten Anm.: Stichwortzettel |
hinführen (TT) umleiten |
indizieren paginieren leiten (Farbsystem, Reiter, Pfeile, ....) (TT) bahnen markieren (Zielmarkierung) Leitsysteme |
leiten (TT) |
verbinden begleiten (TT) zeigen (TT) anzeigen (zB. der Richtung) führen weisen (Siehe auch: verweisen) anhalten |
ablaufen lassen (TT) |
erscheinen lassen (TT) umlaufen lassen
(s.u. abfolgen) |
abfolgen (TT) |
reihen (*1) umlaufen lassen (*2) Anm. 1: Comics als räumlich sequentielle Kunst Anm. 2: Bourbaki Mutterstrukturen M1 – Algebraische Strukturen (Ringe) |
anschließen (TT) |
angrenzen anstoßen übergehen |
visualisieren (TT) illustrieren anleiten |
ausmalen zeichnen zuspielen anspielen anwenden (Beispielhafte Anwendung) vorzeigen (ein Beispiel geben) verkörpern (*1) Anm.: bei-spielen (ein Beispiel geben) Anm.: Siehe auch Metapher, Analogien Anm.: Veranschaulichung Anm.: Siehe Studie „art of objects“ Anm. 1: Bourbaki Mutterstrukturen M1 – Algebraische Strukturen (Körper) |
rhythmisieren (TT) (*1) |
abwechseln – alternieren wiederholen Anm. 1: Musikalität |
stetig verlaufen (TT) (*1) |
ausstrecken, verlängern, erweitern Anm. 1: Bourbaki Mutterstrukturen M3 –
Topologische Strukturen (Stetigkeit) |
Diese Grenze kann natürlich nicht klar gezogen werden; diese Aufteilung stellt also nur einen ersten Versuch dar.
markieren (DT) kennzeichnen |
herausstreichen unterstreichen anstreichen durchstreichen ankreuzen eingrenzen (siehe Karten) umranden (siehe Karten, Cluster) Anm.: Dauerhafte/stellvertretende Zeigung |
negieren |
durchstreichen ungültig machen |
einführen einleiten |
|
wiederholen (DT) |
verdoppeln (Vergl. Eisenman) |
vorgreifen (DT) |
zitieren (DT) duplizieren |
zitieren (DT) |
duplizieren kompaktieren verkürzen stellvertreten Anm.: Siehe verweisen |
kommentieren |
beistellen parallelführen begleiten (TT) s.o. Anm.: Wie erkennt man Kommentare; was ist, wenn der Kommentar 80% der
Fläche einnimmt (Vergl. div. „heilige“ Schriften) |
zusammenfassen |
klammern bündeln umfassen Anm.: Zusammenfassend wiederholen |
abschließen |
|
begründen argumentieren |
vernetzen (TT) (Argumentationsnetz) verzweigen (Regelbaum, Diagnosebaum) entfalten Anm.: Beweisführung Anm.: Argumentationsformen Anm.: Visuelles argumentieren |
logisch strukturieren ableiten |
logisch repräsentieren (*1) führen verzweigen (und, oder, ...) verknüpfen (TT) überlappen (sowohl als auch) Anm. 1: Vergleiche dazu die graphische Umsetzung der Prädikatenlogik
durch Charles S. Peirce (diagrammatische Logik) |
überzeugen |
klären durch visualisieren (TT) beeindrucken - verführen |
explizieren erklären |
Diagrammatik & Explikation |
abzielen |
vernetzen (TT) (Argumentationsnetz) verzweigen (Zielbaum) münden (Meilensteinnetz) verketten reihen (Kon-Sequenz) +++++# AxxxxE |
schließen schlußfolgern |
verketten |
deduzieren |
|
induzieren |
|
abduzieren |
Anm.: Vergl. G. Bateson |
interferieren |
verschieben und verdrehen |
anzeigen |
deuten (Richtungsanzeiger, Pfeile) |
kritisieren |
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unterminieren |
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eingreifen intervenieren |
verdecken abdecken durchstanzen (Strategie von W. Pamminger) |
verfremden |
aufpropfen (verpflanzen) |
hervorheben (DT) betonen verstärken |
vergrößern (scaling) verstärken wiederholen kontrastieren markieren (DT) herausstreichen, unterstreichen herausziehen, vorspringen lassen absetzen, versetzen abheben hinterlegen umkehren, invertieren interferieren verformen verkleinern begünstigen (in der Position zB. Achsenlage) selektieren (Heraushebung durch Selektion) |
verankern |
hervorheben (DT) kontextualisieren hinterlegen |
werten (DT) gewichten |
In Diagrammen können Wertungen visualisiert werden (Wichtiges hervorheben) vergrößern verkleinern hervorheben plazieren (bevorzugte Plazierung) selektieren (Werten durch Selektion) |
übersetzen |
einsetzen gegenüberstellen |
einsetzen |
Die Anwendung der Diagramme = das Einsetzen bestimmter Inhalte (das Verwenden für bestimmte Inhalte) |
ersetzen |
Anm.: Tropen = Ersetzungen Anm.: Trope = Wendung: Vertauschen des eigentlichen Ausdrucks mit einem bildlichen (Bacchus statt Wein) |
fragen |
Anm.: Kann ein Bild Fragen stellen? JA – in der Warburg-Technik Anm.: Kann ein Diagramm Fragen stellen? JA – die Arbeiten von W.
Pamminger sind typographische Suchrätsel Anm.: Die Plakatstudien in der Sektordarstellung können als
Fragekomplex verstanden werden Anm.: Wechselspiel von Frage und Antwort |
antworten |
reihen |
interviewen |
fragen + antworten (reihen) Anm.: Einführung des Fragenden und dann alternierende Folge Anm.: Wechselspiel von Rede und Gegenrede |
hinterfragen |
|
gegenfragen |
Anm.: Dialogische Ansätze |
widersprechen |
Anm.: Dialogische Ansätze |
überführen überleiten |
|
transformieren verwandeln |
morphen Anm.: Siehe im Detail: Transformationsprinzipien nach Eisenman |
verführen verleiten motivieren einfangen |
eyecatching: herausfallen verdrehen (Vergl. Eisenman) entstellen (Vergl. Eisenman) |
lügen |
verfälschen morphen montieren überlagern falsch kontextualisieren herausreißen (aus dem Kontext) |
auflösen (eines Bildes) |
weichzeichnen aufweichen morphen undeutlich machen, verschwommen machen |
provozieren |
Anm.: Diagrammatische Provokation ? Provokation durch überzogene Komplexität oder Simplifizierung? |
zuführen |
|
ausgleiten |
|
durchlaufen |
verbinden vernetzen (TT) klammern umlaufen Anm.: Visualisierung in der Struktogramm-Technik |