Gerhard
Dirmoser – Linz 12.2004 gerhard.dirmoser@energieag.at
Dank an: Josef Nemeth (+), Boris Nieslony, Astrit Schmidt-Burkhardt,
Kristóf Nyíri, Bruno Latour,
Peter Weibel, TransPublic, Walter Pamminger, Sabine
Zimmermann, Tim Otto Roth,
Walter Ebenhofer, Franz Reitinger, Steffen Bogen,
Mathias Vogel, Alois Pichler,
Lydia Haustein, Josef Lehner,
Bernhard Cella
Nach dem ersten Versuch die Reichweite der
Semantik-Konzepte mit Hilfe der Kontext-Sicht
abzustecken, will ich nach ausführlichen Diskussionen mit
Boris Nieslony einen weiteren Schritt versuchen.
Ausgangspunkt war die Anmerkung im Medienschema, die von einer Denkübung „semantikfreier
Gestaltung“ spricht. Diese Formulierung war wichtig, um die Reichweite
der Ordnungsstrukturen etwas einzugrenzen. In der Diskussion wurde aber schnell
klar, daß diese Trennung zu den gleichen Problemen führt, wie die Fragen nach
der Reichweite von Syntax & Grammatik.
Ganz im Gegenteil sollte also der Versuch unternommen
werden, alle Zonen dieses Schemas auch in semantischer Hinsicht zu befragen.
G1 Semantik der vereinbarten
Codes bzw. der vereinbarten Bedeutung
G2 Semantik
mimetischer/physiognomischer Materialien (Semantik mimetischer Bilder)
G3 Semantik der materialen
Grundlagen
G4 Semantik der diagrammatischen
Grundlagen bzw. der Ordnungsgrundlagen
G5 Semantik performativer
Basiselemente
G6 Semantik atmosphärischer
(emotionaler) Potentiale
G7 Semantik ästhetischer
Verschiebungen
Diese Modifikation (im Schema) klingt zumindest nicht
unplausibel. Aber was ist damit im Detail gemeint?
Auf jeden Fall war uns klar, daß die verbalsprachlich
orientierten Semantik-Konzepte eine zu starke Einschränkung vornehmen.
Eine weitere begriffliche Öffnung kann mit den
Anstrengungen um brauchbare Wissensbegriffe erreicht werden. Es scheint
auf breite Zustimmung zu stoßen, daß bestimmte Wissensarten schwer
verbal zu explizieren sind, daß bestimmtes Wissen nur in anschaulicher Form
sinnvoll weiterzugeben ist, daß bestimmte Wissensformen besser als Praxen
zu denken sind, daß eine Vermittlung nur über nachvollziehendes Tun möglich
ist.
Leider wurden diese Auffassungen aber nicht auf die
Semantik-Definitionen übertragen.
Des zentrale Problem scheint zu sein, daß man nonverbalen
Äußerungen in Bezug auf die Semantik kaum etwas „zutraut“.
Um diese anderen Formen der Semantikrepräsentation auf die
Spur zu kommen, scheint es mir sinnvoll zu sein, Gestaltungsfragen anzusteuern,
die der Verbalsprachlichkeit wenig zugänglich sind. Als Übungsfeld könnten
Tanz, Performance, Musikperformance, Designfragen und Gestaltungsfragen in
allen Bereichen der bildenden Kunst dienen.
Semantik soll ja nichts anderes bieten, als
sinnvoll/bedeutungsvoll über praktisch jeden Aspekt der Realwelt kommunizieren
zu können.
Es geht daher um einen sehr weit gesteckten
Kommunikationsrahmen und auch um einen sehr weit gesteckten Wahrnehmungsbegriff.
Was ist aber nun, wenn uns für bestimmte Aspekte die
Verbal-Begriffe fast vollständig fehlen, wenn wir Bereiche ansteuern, die auch
erfahrenste GestalterInnen nur über schwache Hilfskonstruktionen (Metaphern,
Analogien, Umschreibungen, ...) verbalisieren können?
Geben wir uns nun damit geschlagen, daß es keine Worte
dafür gibt, um über komplexe Formen (zB. aktuelle PKW-Karosserien) zu sprechen?
Fällt der Bereich der Realwelt-Formen aus der Semantik heraus? Das würde im
Extremfall ja heißen, daß man über gestaltete Objekte und damit auch über
Bilder (bzw. deren Inhalt) nicht sinnvoll sprechen könnte.
Das würde auch heißen, daß die bisherigen Versuche der Semantik
der Diagramme näher zu kommen, auch nur der Syntax oder der Semantik der
begleitenden verbalsprachlichen Äußerungen zuzuordnen wären.
Es scheint mir sehr wichtig zu sein, daß die Bildfrage die
Semantik-Frage in Richtung Erfahrungswissen öffnet. Der
Erfahrungsbegriff ist hier so weit gefaßt, daß auch Ordnungsfragen und Materialität
zugerechnet werden können (d.h. also der untere Bereich des Medienschemas).
Wir müssen also versuchen, einen „erweiterten
erfahrungsbasierten Semantik-Begriff“ zu erarbeiten.
Allen erfahrenen „Schauern“ (Bilder-Schauer,
Designobjekte-Schauer, ...) ist es schmerzlich bewußt, daß komplexe
Gestaltungen/Formen nicht in Ansätzen so verbalisiert werden können, daß eine
Umsetzung/Fertigung nach Tonbandanweisungen möglich wäre. Die zB. zeichnerische
Umsetzung führt je Zielperson (TonbandhörerIn) zu gänzlichen anderen
Ausformungen.
Reicht es nun zu sagen „die Semantik hat ein Problem
mit der Form“?
Also haben wir wieder nur den allzu gut verankerten
Gegensatz : Inhalt /vs/ Form ?
Oder vermischen wir das so schwierige Sprechen über die
Form, mit den Fragen der Repräsentation mit Hilfe diverser Formen?
Was haben wir als RezipientIn an Wissen angesammelt, wenn
wir durch die wöchentlichen Ausstellungsbesuche im Laufe der Jahre 10.000de
Bilder „konsumiert“ haben? Über welchen Erfahrungsschatz verfügen wir
dann? Welche Entscheidungen können wir dann zielsicher treffen? Was heißt es
dabei unterschiedliche Qualitätslevel unterscheiden zu können? Was heißt es bei
unterschiedlichen Lösungen einer Gestaltungsfragestellung eindeutige Reihungen
vornehmen zu können, also eine Entscheidung treffen zu können, welcher Ansatz
in jeder Hinsicht am besten gelungen ist?
Was heißt es ästhetisch zu entscheiden – oder ein
ästhetisches Urteil abzugeben?
Wir können uns jede Entscheidung (und auch jede Gestaltung)
in ein Meer von Bildern eingebettet vorstellen. Auch wenn wir uns auf bestimmte
Traditionen/Stile/Kontexte beschränken, bleiben zahllose relevante
Ausformungen, die mögliche zukünftige Bilder und Wertungen mit bestimmen.
Es wäre also ein zentraler Fehler bei der
Semantik-Diskussion vom Binnenkontext einer bestimmten Arbeit auszugehen. Jede
Gestaltungsfrage und auch jede inhaltliche Frage muß von diesem reichen
Erfahrungsschatz ausgehen.
Was heißt es aber nun für die Semantik-Frage, wenn wir uns
einen konkreten Gestaltungsstrom
vor Augen führen? Retten wir uns in die „Form-an-sich“,
die gar nichts bedeuten will, die aber dann doch auch auf viele relevante
vorangegangene Gestaltungen Bezug nimmt?
Kann man, wenn wir (mit Sachs-Hombach) diesen Bereich der
(angeblich autonomen) „reflexiven Bilder“ ansteuern, überhaupt
noch von semantischen Anstrengungen sprechen?
Aber was wäre es dann, wenn nicht „semantisch“ relevante
Bezugnahme? Reine formale Spielerei?
Das wäre aber, wie man u.a. mit Arbeiten von Duchamp,
Kosuth, Nemeth .... und hunderten anderen zeigen könnte, eine ziemlich platte
Annahme.
Was heißt es also, sich auf andere Arbeiten Bezug zu
nehmen, sie zu zitieren, sie in Frage zu stellen, sie weiter zu entwickeln, sie
repräsentationstechnisch zu analysieren, die Bildfrage mit malerischen Mitteln
zu stellen ..... ?
Was heißt es diese Entwicklungslinien und Bezugnahmen in
Bild-Vernetzungen herauszuarbeiten und damit leichter nachvollziehbar zu
machen?
Was heißt es bestimmte Aspekte in Bildern zu markieren und
mehrere Bilder vergleichend
nebeneinander zu stellen? Was heißt es diese Aspekte in
weiteren Bildern zu suchen?
Mit den Studien von John Willats (art and representation) kann gezeigt werden, daß ein systematischer Vergleich von Bildern, nicht bzw. nicht zwingend Bildsemantik thematisieren muß.
Willats arbeitet zwei Systeme heraus (drawing systems
& denotation systems), die den Blick auf die Projektionstechniken lenken
und auf „scene primitives“ bzw. „picture primitives“.
Eine analytische Gegenüberstellung kann sich also auf
jeden Aspekt einer Bildgestaltung beziehen; also auf formale Aspekte genauso
wie auch auf inhaltliche.
Nur was meine ich dann mit dem Wort thematisieren im
ersten Satz? Ein Bildanalytiker wie Willats will in sehr präziser Weise über
Gestaltungsgrundlagen sprechen. Er schlüsselt auf, welche Konsequenzen für
Formen (auf der Fläche) entstehen, wenn man sich für ein bestimmtes drawing
system (wie der „orthogonal projection“) entschieden hat.
Mit den Bildbeispielen zeigt er auf, welche Möglichkeiten
offen stehen und welche Techniken im Laufe der Kunstgeschichte angewendet
wurden.
Willats Beiträge sind also ein sehr gutes Beispiel dafür,
daß in sinnvoller Weise über Gestaltungsfragen gesprochen werden kann. Freilich
bedient sich die Analyse (bzw. deren Vermittlung) nicht nur der Bilder und
Schemen; er nutzt auch die Verbalsprachlichkeit in sehr präziser Art und Weise.
Thematisieren meinte hier, in sinnvoller Weise über
Bilder sprechen. Das beantwortet aber noch nicht die Frage, wie die Bilder
zu uns sprechen.
unkommentierte Vergleiche
Was heißt es nun, wenn ein kubistischer Maler ein
bestimmtes Projektionsverfahren (drawing system) nach allen Regeln der Kunst
mit malerischen Mitteln abtestet bzw. ausschöpft? Die dabei realisierten Werke
können als ein Diskurs unter „wissenden“ Malern aufgefaßt werden, die natürlich
keine verbalsprachlichen Beitexte benötigen, um zu sehen, in welcher Form eine
Weiterentwicklung gelungen, oder nur eine flache Wiederholung zu sehen ist.
Was ist es also, wenn sich Werke in dieser Art und Weise
aufeinander beziehen, wenn man (im Zitat) zeigen will, daß man die anderen
Arbeit kennt, aber die Problemstellung nun ganz anders aufgelöst hat?
Ist so ein fachlicher Diskurs frei von jeder Semantik
denkbar?
Technische Zeichnungen sind eine spannende Bildausformung:
Ganz streng werden bestimmte Projektionstechniken eingehalten, die Linienzüge
vermeiden jeden Anflug von Expressivität und ihr Repräsentationsanspruch ist so
umfassend, daß an jeder Stelle der Welt nach diesen Plänen funktionierende
Maschinen/Objekte gebaut werden können.
Die Formen der Komponenten werden in zumindest 3 Ansichten
(vollständig und maßhaltig) beschrieben. Für komplexe Zusammensetzungen werden
Lage- und Bestückungspläne realisiert.
Kundige Techniker (Maschinenbauer, Elektrotechniker, etc.
...) können in der Regel ohne viel verbalsprachliches Beiwerk erkennen, was
diese technische Apparatur zu bieten hat.
Auch in diesen technischen Bereichen ist es natürlich
wieder so, daß man nicht nur vom Binnenkontext der technischen Zeichnung
ausgehen wird. Alle an der Gestaltung und (Re)Produktion der Maschine
Beteiligten wissen, was eine Schraube, ein Getriebe, eine Muffung, ein Motor,
eine Kupplung, etc. zu bieten hat. Die beteiligten Techniker kennen also die
Funktion der Komponenten und Baugruppen. Sie kennen also den „Sinn“ bzw.
den Zweck der Komponenten.
Die einzelnen Module sind also Mittel zum Zweck, sie
dienen einer Gesamtfunktion.
Techniker/Bastler sind in der Regel ein sehr gutes
Beispiel dafür, was es heißt „anschaulich zu denken“. Sie sind in sehr
zielorientierte Prozesse eingebunden und haben gelernt, Lösungen aus
bekannten Modulen/Elementen zu erarbeiten, bzw. diese in innovativer Weise neu zu kombinieren.
Was ist nun der semantische Anteil technischer
Zeichnungen?
Sind die Abbildungen/Sichten auf Fragen der Ähnlichkeit
mit bestehenden, oder erst zu produzierenden physischen Bauteilen/Maschinen zu
reduzieren? Oder ist nicht gerade die technische Zeichnung der Beweis dafür,
daß mit rein zeichnerischen Mitteln komplexeste Maschinen (wie ein PKW – mit
10.000 Komponenten) repräsentiert werden können!
Es kann doch nicht sein, daß sich alle „semantischen“
Fragen zum funktionierenden PKW in die Formen der Komponenten „verflüchtigen“.
Es kann doch nicht sein, daß sich die Funktionen in topologische
(Lage)Beziehungen auflösen.
Erfahrene Motorenbauer lesen aus der Gestaltung der
Brennräume, der Kurbelwellen, der Nockensteuerung heraus, was dieser Motor in
der Nutzung zu bieten hat; ob es sich um eine Hochleistungsvariante oder
schwache Anfängerkonstruktion handelt.
Oder ist es genau das, was wir gesucht haben, daß die
Semantik mit der Form zur Deckung kommt? Die in die Form (der
Maschinenteile) „codierte“ Information geht also weit über die topologischen
Beziehungen hinaus. Mit Flusser können wir also von der informierten Materie
sprechen, also von der InFormation. In (schmucklosen) Werkzeugen und
Maschinenteilen kommt also funktionale Information und Form zur Deckung.
Siehe im Detail: Form und Funktion
Siehe
weiter unten die Ansätze von Ingo Nussbaumer (Die Idee des Bildes)
Auch hier sind wir also wieder beim Begriff Erfahrungswissen
gelandet. In jedem Bereich finden wir Kundige, die aus Anzeichen, Formen,
Geräuschen, Bewegungsmustern, ... etwas herauslesen können, ohne
verbalsprachlich formulierte Hinweise einbeziehen zu müssen.
In vielen Fachbereichen ist das Materialwissen eine
zentrale Grundlage ihrer gestalterischen Tätigkeit. Über Generationen wird das Anwendungswissen
weiter gegeben, werden die Grenzen der Einsetzbarkeit immer weiter gesetzt. Das
gilt für Naturmaterialien in gleicher Weise wie für HighTech-Werkstoffe. Man
hat im Rahmen diverser Versuche einen Begriff davon entwickelt, was die
Werkstoffe zu bieten haben.
Das Wissen um Eigenschaften der Materialien wird außerdem
mehr und mehr einer Objektivierung zugeführt. Durch diverse Versuche werden
Meßreihen zu unterschiedlichste Belastungen erarbeitet und aufgezeichnet. Dabei
spielen diagrammatische Techniken eine wichtige Rolle.
Die Semantik dieser Diagramme ist formal streng geregelt
(inkl. wohl definierter Syntax).
In allen Bereichen der Technik stehen also Fachsprachen
zur Verfügung, die sich in hohem Maße
auf graphisch/zeichnerische Äußerungen verlassen.
Auch wenn man sich auf bestimmte Zeichen/Symbole und
genormte Einheiten beziehen kann, läßt sich nur ein Bruchteil über eine
konventionell definierte Semantik argumentieren.
In der Zeichnung werden kundigen Technikern auch ganz neue
Lösungen in bildhafter Form ganz unmittelbar und anschaulich einsichtig!
Es kann gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden, das
die meisten textzentrierten Denker keinen brauchbaren Begriff davon haben, was
Zeichnungen zu bieten haben. Jedem Bildpraktiker bzw. jeder Praktikerin
(Techniker, Designer, Architekt, bildenden Künstler, ...) ist völlig klar,
welche Fragestellungen ausreichend per Zeichnung kommuniziert werden können.
Diese Zeichnungen sind auch rechtsgültige Dokumente und jede(r) GutachterIn
kann feststellen, ob gemäß zeichnerischer Vereinbarung vorgegangen wurde.
In seiner Bildstudie
finden sich einige zitierenswerte Überlegungen. I. Nussbaumer schlägt u.a. das
Konzept der „ikonischen Proposition“ vor:
(IN) „Der mögliche Vorteil der ikonischen
gegenüber lingualen Propositionen wird damit offensichtlich. Es ist möglich,
daß sich eine ikonische Proposition, obgleich sie eine empirische zu nennen
ist, mithin nur a posteriori (d.h. empirisch) gilt, selbstverifizierend
sein kann bzw. sich selbst erfüllt, die einleuchtende Wahrheit einer
lingualen aber nur in einer a priorischen Formation bestehen kann.“
(IN) „Ist einmal eingesehen, daß Dinge oder
Gegenstände überhaupt Trägerfunktionen von Bedeutungen übernehmen
können, so fehlt nur ein Schritt, um zu begreifen,
Dinge können sich begrifflich fügen, indem sich in ihnen (selbst) eine Idee
zum Ausdruck bringt (vergleichbar wie sich in Worten eine
Idee zum Ausdruck bringen kann). Man denke an die Idee der Axt, wie sich die
Idee der Axt in einem schneidigen Stein und in einem Stiel zur
Idee des Behauens und Spaltens durch Zusammenfügen der beiden Elemente Stein
und Stiel, ausformulieren kann.“
Auch wenn mir das
(philosophisch überfrachtete) Wort „Idee“ nicht optimal gewählt scheint, hat
der unterstrichene Satz einiges zu bieten (Man kann sich „Idee“ auch durch
Ansatz, Konzept, Lösung, Funktion, ... ersetzt denken):
Die Formulierung „indem
sich in ihnen (selbst) etwas zum Ausdruck bringt“ finde
ich sehr gelungen, denn das beschreibt ganz genau, was jeder Techniker
bestätigen kann, daß sich in brauchbaren/gängigen (diagrammatischen)
Zeichnungen völlig neue Lösungsansätze (für definierte Probleme) einfach
lesbar zum Ausdruck kommen. Ein neuer Typ von Radaufhängung löst (auch ohne
verbales Beiwerk) bei sachkundigen Kollegen ganz unvermittelt freudige
Reaktionen aus. ... schau Dir das mal an
... was sagst du dazu .... ?
(IN) „Es kann sich natürlich auch die Idee der
Axt in Worten zum Ausdruck bringen, sei es in einem Wort als Name für die Axt
oder in einem Komplex von Wörtern als Deskription der Funktion der Axt. Worin
besteht der Unterschied? IN DEN DINGEN stellt sich nach dem Beispiel der
Axt die Idee der Axt als Zusammenfügung von Stiel und Stein dinglich (einsichtig),
d.h. den realen Teilen entsprechend, und in seiner entweder bildlich gedachten
Funktion (der Imagination seines Zwecks)
oder physisch bewirkten Funktion, d.h. dinglich
(durch Tätigkeit) erfüllt dar.
In den Dingen kann sich sprachlich (d.h.
hier auch lautlich) die Idee der Axt gar nicht darstellen.“
Natürlich wird es auch hier wieder von Erfahrungen (mit Schabewerkzeugen und Schlagstöcken) abhängen, wie schnell man das Konzept der Axt durchschaut hat.
Die Erfahrung mit Stöcken, Steinen, etc. scheint einfach auf das neue Gerät übertragbar zu sein und die neue Kombination („Zusammenfügung“) wird sich in wichtigen Aspekten selbst
vermitteln.
(IN) „In den Dingen (in Stiel und Stein) wird
die Idee der Axt aber nun, ... dinglich oder unmittelbar gegenständlich, d.h.
nach dem griechischen Terminus für „Ding“ (pragma), unmittelbar pragmatisch
erfaßt.
Die
Formulierung „in den Dingen stellt sich ... dar“ könnte auch
umformuliert
werden
auf: „an den Dingen tritt etwas in Erscheinung“, oder: „an den Dingen
zeigt sich
etwas“. Also auch wenn die Funktion nicht (als „Design“) inszeniert
wird, stellt sich die komplexe Objekt-Konstellation „Pflug“ ganz unmittelbar
anschaulich als „in die Erde einschneidendes Etwas“ dar oder tritt als
„mehrfach scharfes Instrumentarium“ in Erscheinung. Was damit aufzureißen ist,
beantwortet sich schon im Kontext des Feldes selbst.
Die hier beschriebenen Beispiele sollten u.a.
auch das verdeutlichen, was ich mit dem „anschaulichen Denken“ meine.
Gegenstände oder Bilder/Zeichnungen dieser Objekte können uns dazu dienen, im
Geiste „Probehandlungen“ durchzuführen.
Jede Lösungsfindung, also auch das (er)finden
von Einsatzvarianten kann man sich als geistige Probehandlungen vorstellen. Wir
malen uns aus, wie wir an die Sache herangehen wollen, wir spielen bestimmte
Ansätze (anhand innerer Bilder) durch, bevor wir dann zur Ausführung/Umsetzung
schreiten.
In Anlehnung an die Formulierung von Didi-Huberman „Was
wir sehen blickt uns an“
war der Satz „an den Dingen tritt etwas in Erscheinung“
naheliegend.
Ähnlich wie für die Axt und die Planwerke formuliert, kann man nun auch für andere Realwelt-Objekte behaupten, daß sich in ihnen selbst etwas zum Ausdruck bringen kann.
Wenn man beim Beispiel einer Axt, einem Schöpfer oder
einem Haken bleiben, ist jedem Menschen nach wenigen Experimenten klar, wie das
Objekt/Werkzeug einsetzbar sein könnte. Im Zuge der konkreten Handhabung
ergeben sich in der Regel Zusatznutzungen, je universeller das Tool um so
breiter die Einsetzbarkeit.
Warum haben wir in den letzten 10.000 Jahren für Formen kaum
Verbalbegriffe/Namen vereinbart?
Warum können wir den Verlauf eines Gebirgszuges (die
Physiognomie der Landschaft) kaum in brauchbare Worte fassen?
Für mich ist zur Zeit nur eine Erklärung einigermaßen
plausibel: es war nicht „ökonomisch“ für jede Formvariante eigene Namen zu
vergeben (Dank auch an Sabine Zimmermann für ihre Überlegungen).
Und so hat man sich darauf beschränkt, für bestimmte familienähnliche
Objekte (Klassen-)Begriffe zu vereinbaren. Im Konzept „Schüssel“, „Tasse“,
„Teller“, „Schale“, „Messer“, etc. .... hatten und haben dann tausende
Formvarianten ihren Begriff.
Es könnte auch sein, daß wie Karl Bühler zeigt, in den
Uranfängen der Verbalsprachen (im Rahmen des sgn. Zeigekomplexes – dem ältesten
Teil der Sprachen), die Verben eine zentrale Rolle gespielt haben. Es könnte
also sein, daß wichtige Objekte/Werkzeuge tätigkeitsorientiert benannt waren
bzw. angesprochen wurden. Man schöpfte, schabte, schnitt, entzündete, .... mit
schöpf-Dingen, schabe-Dingen, ... etc.
Mit der Entwicklung diverser (diagrammatischer)
Darstellungstechniken, war es dann auch in den weiteren Phasen der kulturellen
Entwicklung nicht mehr notwendig den ganzen Formenschatz verbalsprachlich zu
kodieren. Man hatte ja Vorbilder, Muster und Modelle, auf die man sich (zeigend)
beziehen konnte.
So gesehen hat die Anschaulichkeit verhindert, daß der
Formenschatz in einen entsprechenden Sprachschatz übersetzt wurde.
Der Begriff des Diagramms im Strukturdenken von M. Foucault
und M. Serres
Als eingefleischter Fan von Foucault, Deleuze und Serres
war es für mich sehr faszinierend zu lesen, wie Petra Gehring einige
Schlüsselüberlegungen auf den Punkt bringt. Ich bin der festen Überzeugung, daß
die - auch von ihr - forcierten Überlegungen (also speziell jene von M. Serres)
repräsentationstechnisch von größter Tragweite sind.
Fast alle relevanten Betrachtungen zur Bildsemantik (unterschiedlichster Autoren), stecken aber noch fest in einer anderen Begrifflichkeit. Vor allem die semiotisch vorgebahnten Denkansätze sind nur mit größter Anstrengung in diese neue Denkspur zu bewegen.
Ich bin mir ganz sicher, daß mein Zugang über „feldhaft
aufgespannte semantische Netze“
(Link „Bedeutung im Kontext“) und die Überlegungen von Ingo Nussbaumer zur
„ikonischen Proposition“ (s.o.) und der von Petra Gehring diskutierte
Serres-Ansatz einer „Topologie als Sinngrammatik“ im Grunde identische
Ansätze sind.
Meinen Ansatz verdanke ich S.O. Tergan, V. Flusser, R.
Davidson und M. Serres (Hermes I bis V).
Aus Gesprächen von Ingo Nußbaumer (Wien) weiß ich, daß er
mit den französischen Ansätzen nicht im Detail vertraut war; sein Ansatz steht
also nicht mit Texten von M. Serres in Verbindung.
Nun die zentralen Textstellen aus dem Beitrag von Petra
Gehring:
(GE) „Relativ zur alphabetisch und linear aufgeschriebenen
Normalität haben wir es beim Diagramm mit einem abweichenden, einem
synoptischen, gleichwohl aber abstrakten Signifikationsmodus zu tun.“
synoptisch:
übersichtlich zusammengestellt, nebeneinandergereiht
Signifikat:
Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens
(GE) „Das Diagramm – heuristisch gebraucht – ist die
Überbietung der Metapher hinein in die vertikale Dimension des Wie der
Signifikation; als ad hoc erfundenes Abstraktum, das kein Ding meint,
sondern ausschließlich Relationen, Verhältnisse zwischen Dingen, hat es dort
außerdem den Charakter einer elementaren Metonymie.“
Metonymie: übertragener Gebrauch
eines Wortes oder einer Fügung für einen
verwandten Begriff
(GE) Abschnitt 2: Toplogie als Sinngrammatik: Das Denken
im Diagramm bei M. Serres
Natürlich
fasziniert mich wieder die Bezugnahme auf die Topologie und die
Hoffnung
auf eine mögliche Grammatik.
(GE) Bei Michel Serres findet sich der Begriff Diagramm
ebenfalls in terminologischer Weise im Einsatz. Darüberhinaus läßt sich zeigen,
daß ... ein ganzes theoretisches Konzept von dem Grundmotiv angeleitet wird,
daß nicht allein die Praxis der Philosophie vom Grundmotiv des Diagramms, sondern
(es) die Sinnvorgänge überhaupt sind, die nach einem durch und
durch diagrammhaften Modell gedacht werden müssen.
(GE) Mit dem Netzdiagramm nimmt Serres einen
Perspektivenwechsel vor - aus dem Bild der multilinearen Geflechte von
logischen Verbindungen zwischen Elementen folgt, daß sich das Feld möglicher
Logiken, was deren Zahl, Art und Gestalt angeht, ungeheuerlich erweitert.
Mir scheint es sehr wichtig zu
sein vom Anspruch einer allgemein verbindlichen Logik und von einer
verbindlichen Syntax weg zu kommen (Wichtig ist also die Mehrzahl). So wie auch
die Dialektik nur ein Sonderfall für die Erzeugung eines sinnvollen
Zusammenhangs ist.
(GE) Tatsächlich scheint es genau die Grenze zwischen der
Strukturmathematik zu sein und dem, was man mit einem Verlegenheitsbegriff
Poststrukturalismus nennt, auf der das Diagrammmodell sich bei Serres bewegt: Sinn
erscheint hier als rein relationale Angelegenheit und – ganz im
Sinne der Strukturmathematik – gewissermaßen als
Verbindungsweg oder Verbindungslinie zwischen mindestens zwei Punkten
(zwei Sätzen oder Annahmen).
Diese
Formulierung bringt es mit aller Deutlichkeit auf den „Punkt“.
M. Serres (Hermes II): „An diesem Punkt stieß ich auf ein klassisches Problem, auf das Problem des Punktes und der Referenz nämlich. Ich habe es aufgenommen und anhand
des Ausdrucks épochè
durchgespielt. Ich habe zu zeigen versucht, daß diese Variation
ausgeschöpft ist: Das Problem
der Referenz ist im technischen Sinne ein abgeschlossenes
Problem. Der neue neue Geist ist
ein Denken ohne Referenz; die Übertragung, der
Transport, ist das Denken
selbst, das Erwachen wirkunsvollen Erfindens, das Sonderbare
seiner Morgenröten. Er ist,
haben wir gesagt, hier-anderswo, multilinear in seiner
Netzgestalt, multivalent in seinem
Diskurs. ... Wenn das Problem der Referenz sich erschöpft, bleibt die
Interferenz.
(GE) Die Zusammenhangsmöglichkeiten differenzieren sich noch mehr, zieht man in Betracht, daß einzelne solcher Relationengefüge untereinander wiederum Familien, Untergesamtheiten bilden, und zwar Formationen oder Gruppen von jeweils endlicher, beschreibbarer Art: komplexe Konstellationen und Verweiszusammenhänge, oder eben: Strukturbilder, Netze, Diagramme, oder Netze von Diagrammen.
Jede konkrete Sinnrelation eine singuläre Determination,
ein punktebestimmender und relationentransformierender Pfeil, ein Vektor in
einem Raum – und all dies vor der Folie ungeheurer Möglichkeiten: das ergibt
ein allgemeines Modell, mit dem sich spielen läßt.
Vergleiche
auch die Überlegungen zur Valenz, zu unterschiedlichen Bindungsmöglichkeiten
der graphischen Komponenten und
Teilsysteme. Außerdem wird hier die Möglichkeit unterschiedlicher Diagrammtypen
angesprochen.
(GE) Zweimal begegnet uns das Diagramm als eigentümliche,
wenn nicht gar vorläufig-endgültige Stufe des theoretischen Begreifens.
Zweimal führt eine Theorie, die ihr Augenmerk weniger auf Objekte als auf Beziehungsgefüge, auf
komplexe relationale Zusammenhänge (Struktur also), richtet, das Diagramm ein
an einer Stelle, an der in Texten aus der Tradition eher vom >Begriff<,
von der >Metapher< oder allenfalls vom >Modell< die Rede war.
Vergleiche
dazu diverse Textstellen zur Erkenntnisrelevanz schematischer Darstellungen.
(GE) Mit und nach dem Strukturalismus, der ein radikales
Relationendenken ist, will man einem um keinen Preis wieder anheimfallen:
dem wissenschaftlichen Glauben daran, es gäbe Zeichen
über den rein relationalen, und das heißt: den historischen, den schwebenden
Kon-Text des ZeichNENS hinaus.
Dank
an Petra Gehring
Anmerkung
zu meiner strukturalistischen Vergangenheit (Link)