Form und Funktion - Vom Nutzen schematischer Zeichnungen – Teil XI   

 

            Gerhard Dirmoser – Linz  12.2004  gerhard.dirmoser@energieag.at

 

Dank an: Josef Nemeth (+), Boris Nieslony, Astrit Schmidt-Burkhardt, Kristóf Nyíri, Bruno Latour,

Peter Weibel, TransPublic, Walter Pamminger, Sabine Zimmermann, Tim Otto Roth,

Walter Ebenhofer, Franz Reitinger, Steffen Bogen, Mathias Vogel, Alois Pichler,

Lydia Haustein, Josef Lehner, Bernhard Cella

 

Die Fragen der Form ermöglichen einen weiteren Zugang zu Fragen der Diagrammatik.

Die Satz „form follows function“ bekommt in der Diagrammatik eine ganz neue Wendung. 

 

Ausgangspunkt für die anschließen Überlegungen waren die Variationen:

 

form follows technical functions / form follows mathematical functions / form follows logical functions / form follows statistical functions ....

 

Diese Formulierung lenkt den Blick eines Technikers oder Naturwissenschaftlers oder Finanzmathematikers automatisch auf Fragen der Diagramme und Simulationsmodelle.

 

Nachdem die ästhetischen Ansätze im Design wieder sehr aktuell sind, gilt in den Zeiten der Mikroelektronik (und damit der Miniaturisierung) die These  „form follows function“ (für Design-Objekte) nur noch für wenige Gestaltungsansätze. Ganz im Gegenteil erzählt so manches Objekt in der äußeren Form eine 50 Jahre alte Geschichte.

Oder die Form erzählt in manchen Bereichen der diagrammatischen Architektur (zB. bei Eisenman) von einer mathematisch/topologischen Funktion, welche soziale Fragestellungen und Nutzungs-programme in der Formfindung fast völlig negieren.

 

Bei anderen fachspezifischen Aufgabenstellungen der Diagrammatik fällt jedoch auf, daß in Bezug auf die Repräsentation eine relativ strenge Haltung an den Tag gelegt wird. Auch die „schönen“ Diagramme dürfen nicht gegen die Grundregeln der Ordnung und Maßhaltigkeit verstoßen.

Die Expressivität muß im Sinne der intendierten Semantik im Zaum gehalten werden.

Die Syntax stellt das relevante Korsett zur Verfügung.

 

Form folgt Syntax

            Zumindest die Mikroebene ist bei Diagrammen einer strengen Syntax unterworfen.

            Die Diagrammatik kann in diesem Sinne nicht den „freien Künsten“ zugeordnet werden.

            Aber wie die Musik zeigt, kann im Rahmen einer wohldefinierten Notation auch ästhetisch

            eine enorme Bandbreite an Erscheinungen entwickelt werden.

Form folgt einer regelbasierten Funktion (einer Schlußfolgerungslogik)

Expertensysteme können den regelbasierten Prozeß der Schlußfolgerung auch graphisch

als Baum- oder Netzstruktur visualisieren.

Form folgt der Ableitungsfunktion (gilt für Mathematik, Logik, ...)

            Auch im Bereich der Mathematik arbeitet man bei komplexen Fragestellungen mit

            Visualisierungen. Im ZKM wurden 11.2004 auf einem Symposium sehr eindrucksvolle

            Anwendungen der Mathematik und Physik vorgestellt.

Form folgt Algorithmen (einer Programmierung)

            Für einige der Schemagrundtypen existiert Software für die Erstellung komplexer

            Varianten.

Form folgt einem Prozeßverlauf

            Prozeßgestalten unterscheiden sich durch die Abbildung zeitlicher Abhängigkeiten

            stark von statischen Strukturen.

Form folgt der Projektionsfunktion / Form folgt einer Projektion

            Siehe dazu die ausführlichen Studien von John Willats

            Er hat mit seinen „drawing systems“ eine ganze Familie an Projektionsverfahren

            vorgestellt.

Form folgt topologischen Regeln

            Die Topologie wurde als zentrale Grundlage u.a. von John Willats diskutiert.

 


 

Form folgt Gesten

            Siehe im Detail: V. Flusser, Warburg und Gombrich

Form folgt dem Ausdruck

            Expressive Ausdrucksgesten sind nicht der Schwerpunkt der Diagrammatik. Die

            Schemagrundtypen können in ihrer Gesamtgestalt als Ausdrucksgesten

            geordneter Verhältnisse gelesen werden. Man denke dabei an die elliptische

            Grundstruktur barocker Anlagen.

Form folgt Ausdrucksgesten

            Expressive Linienführungen und Flächengestaltungen sind innerhalb der

            Ordnungsgrundstruktur ohne weiteres denkbar. Vor allem ältere Diagramm-Beispiele

            zeigen, daß zur Zeit eher trockene/abstrakte Gestaltungen üblich sind.

Form folgt der Körpergrundfigur

            Siehe: Bereich des Bodymapping

Form folgt Gestaltungsgesten bzw. Designgesten

            Eine performative Analyse der Gestaltungsgesten steht erst ganz am Anfang.

            Mathias Vogel hat mit seiner Medientheorie die „Sets von Tätigkeitstypen“ beigesteuert.

            Siehe dazu die ars electronica Studie – Gestaltungsgesten im Medienkunstbereich (Link)

            Die Kunsthistorik hat sich leider primär mit den Ausdrucksgesten beschäftigt, sodaß

            dieses Feld noch der Bestellung harrt. 

Form folgt einer Geschichte, einer Handlung (zB. im Film und in Comics) / form follows fiction

Form folgt einer Meßung (bzw. den Meßdaten oder Meßwerten)

Form folgt einer Abbildungsfunktion

Form folgt einem Signal

            Man denke an ein Display eines Echolots, an Radar, ...)

Form folgt einem Audiosignal (Siehe Hüllkurve bei digitalen Musikinstrumenten)

Form folgt einem GPS-Signal also einem Positionssignal (tracking-Aufgabenstellungen im GIS)

Form folgt einer Spur (Form ist eine Spur)

            Siehe Detailabhandlung zu Fragen der Spur

Form folgt einem Verkehrsweg bzw. Wegenetz

Form folgt einer Richtlinie (einer Norm) – gilt für technische Zeichnungen

Form folgt einem Beziehungsmuster (einer Beziehungsstruktur)

            Vergleiche den Bereich der sozialen Netzwerkanalyse

Form folgt einer Beziehungslogik

            Das kann durch definierte Valenzen-Logik gesteuert sei. Siehe die Bindungsverhältnisse

            in der Chemie. Im Bereich der Nanotechnologie werden die Formbildungen im Bereich der

            Molekülgitter genau in dieser Hinsicht diskutiert. „Verletzte“ Strukturen weisen Selbst-

            heilungskräfte auf. Auch ohne Montierer werden geeignete Bausteine wieder eingepaßt.

Form folgt einer Konfigurationsvorschrift

            Die je Schematyp definierten Ordnungsmuster basieren auf Konfigurationsvorschriften.

Form folgt der Transformation

Eisenman beschreibt ca. 40 Transformationsmöglichkeiten. Für jedes seiner diagrammatischen Architekturprojekte benennt er das jeweils eingesetzte Set.

Form folgt einer Übersetzung

            Relationalität als Übersetzung wurde bereits im Detail abgehandelt.

Form folgt dem Schnitt (der Schnittfläche)

            Siehe: Diagrammatik als die Kunst des Schneidens

Form folgt der Formatierung

            Die 11 Schemagrundtypen können auch als Formatierungsvorschriften gelesen werden.

Form folgt einem Ordnungsmuster (einem Ordnungsansatz)

            Zumindest für die Diagramme gilt, daß die Gesamtform und  auch die Detailgestaltung

            einem definierten Ordnungsmuster folgt.

            Aber auch in anderen Bereichen ist man auf der Such nach den zugrunde liegenden

            Attraktoren.

 


 

Form folgt statischen Verhältnissen

            Die Formen der Natur spiegeln immer auch die materialen Möglichkeiten. Viele relevante

            Strukturen haben wir unmittelbar aus der Natur abgeschaut und als materialunabhängige

Formen weiter entwickelt. Einige diagrammatischen Grundtypen nehmen ganz direkt auf die Statik bezug (man denke an die Architektonik). Jedes statisch relevante Auflageverhältnis ist immer auch topologisch diskutierbar.

Formen folgt Festigkeitsverhältnissen

            Auch wenn die Diagramme keinen unmittelbaren Festigkeitseigenschaften aufweisen,

            sind in einigen der Algorithmen zur Netzgenerierung ausgeglichene Kräfteverhältnisse

            das Ziel der Berechnung. Im Feld der Algorithmen sind also Übersetzungen gegeben.

Formen folgen Faltungen und Verknotungen

            Was für die Geologie gilt ist mit Cache auch auf andere Materialverhältnisse übersetzbar.

Formen folgen der Erosion (der Abnutzung)

Form folgt einer Ästhetik (einer ästhetischen Auffassung)

            Für das Fortleben bestimmter Grundformen ist es wichtig, daß sie für uns auch

            ästhetisch interessant sind. Da sich die jeweilige Auffassung relativ schnell ändern kann,

            hat das auch Auswirkungen auf den Formenschatz. So wie es eine Collage-Mode gab,

            gibt es zur Zeit eine Netz-Mode und eine Faltungen-Mode. Komplexe fluidale Formen

und ausufernde Netzstrukturen sind mit Hilfe von Software nun relativ einfach realisierbar und werden daher auch und großer Stückzahl umgesetzt.

            Auch die Kunst kann aus den strukturellen/toplogischen Grundlagen nicht ausbrechen.

            Die diagrammatischen Grundmuster sind daher auch in voller Bandbreite im Feld der

            Kunst vertreten (siehe dazu Vortrag „language of networks“)

            Siehe im Detail: Software Pajek

Form folgt einer evolutionären Entwicklung

Form folgt einer historischen Entwicklung

Form folgt Vorbildern / Form als Abwandlung

Mit George Kubler (Die Form der Zeit) sollte man bedenken:

„Primäre Ausdrucksformen treten in formalen Sequenzen auf. Diese Konzeption geht von der Voraussetzung aus, daß Erfindungen keine isolierten Ereignisse sind, sondern untereinander verbundene Positionen, deren Verbindungen wir herausfinden können. „

Der Formenschatz muß auf jeden Fall auch historisch gelesen werden. Die Welt der Formen läßt sich nicht der Frage der Semantik unterordnen.

Form liegt im Dazwischen

            Die Diagrammatik richtet ihren Blick auf das Dazwischen (Siehe Detailbetrachtung)

 

Mit Sloterdijk & Th. Macho darf ich darauf hinweisen, daß Formfragen zur Zeit in vielen Bereichen in gewendeter Form wieder aktuell werden. Der Klappentext zu Sphären III verweist auf die Leitthese von Sloterdijk: „... wonach das Leben eine Formsache sei“.

So gesehen paßt die Diagrammatik gut in das Forschungsfeld der Kulturtheorie. 

 

Die Frage der Funktion wurde von der Formfrage etwas verdeckt. Die pragmatistische Sicht wird

an anderer Stelle im Detail betrachtet werden.

 


 

Um die Formfrage wieder auf die 11 Schemagrundtypen rückzubeziehen, erfolgt ein abschließend eine Zuordnung:

 

 

 

01

02

03

 

E1

 

04

05 

06 

07

08

E2

 

 

09 

10 

11

 

E3

 

01

Form folgt der Projektionsfunktion / Form folgt einer Projektion

Form folgt einem GPS-Signal also einem Positionssignal

Form folgt einem Signal (Man denke an ein Display eines Echolots, an Radar, ...)

Form folgt einer Meßung (bzw. den Meßdaten oder Meßwerten)

Form folgt einer Spur (Form ist eine Spur)

Form folgt einem Audiosignal

Form folgt topologischen Regeln

02

Form liegt im Dazwischen

03

Form folgt der Körpergrundfigur

Form folgt dem Schnitt (der Schnittfläche)

Form folgt Gesten

Form folgt dem Ausdruck / Form folgt Ausdrucksgesten 

04

Form folgt der Formatierung

05

Form folgt einer Geschichte, einer Handlung (zB. im Film und in Comics)

06

Form folgt der Ableitungsfunktion (gilt für Mathematik, Logik, ...)

Form folgt einem Verkehrsweg bzw. Wegenetz

Form folgt einem Beziehungsmuster (einer Beziehungsstruktur)

Form folgt einer Beziehungslogik 

Form folgt einer Übersetzung

Form folgt Syntax

07

Form folgt einer regelbasierten Funktion (einer Schlußfolgerungslogik)  

Form folgt einem Prozeßverlauf

Form folgt Algorithmen (einer Programmierung) 

Form folgt der Transformation

Form folgt einer evolutionären Entwicklung

Form folgt einer historischen Entwicklung

08

Form folgt der Formatierung

Form folgt einem Ordnungsmuster (einem Ordnungsansatz) 

09

Formen folgen Faltungen und Verknotungen

Formen folgen der Errosion (der Abnutzung)

Formen folgt Festigkeitsverhältnissen

Form folgt einer Ästhetik (einer ästhetischen Auffassung)

10

Form folgt statischen Verhältnissen

Form folgt einer Abbildungsfunktion

11

Form folgt einer Richtlinie (einer Norm) – gilt für technische Zeichnungen

Form folgt Gestaltungsgesten bzw. Designgesten

Form folgt einer Konfigurationsvorschrift

Formen folgt Festigkeitsverhältnissen

Form folgt dem Schnitt (der Schnittfläche)

Form folgt Vorbildern / Form als Abwandlung