Muster - Vom Nutzen schematischer Zeichnungen – Teil IX  

 

            Gerhard Dirmoser – Linz  12.2004  gerhard.dirmoser@energieag.at

 

Dank an: Josef Nemeth (+), Boris Nieslony, Astrit Schmidt-Burkhardt, Kristóf Nyíri, Bruno Latour,

Peter Weibel, TransPublic, Walter Pamminger, Sabine Zimmermann, Tim Otto Roth,

Walter Ebenhofer, Franz Reitinger, Steffen Bogen, Mathias Vogel, Alois Pichler,

Lydia Haustein, Josef Lehner, Bernhard Cella

 

 

Auf der Suche nach Texten zu diagrammatischen Fragestellungen bin ich auf den wunderbaren Text von Andrea Sick gestoßen:

Muster Forschen – Konzepte von Muster und Serie in der Kartographie

www.thealit.de/lab/serialitaet/teil/sick/sick_druck.html

 

Diese Studie ist eine weitreichende Ergänzung zum Teil VII meiner Betrachtungen, also jenes Moduls der sich auch auf die Möglichkeiten von GIS-Systemen bezieht. Mit den Formulierungen von Andrea Sick (AS) lassen sich einige Aspekte in einem weiteren Durchgang vertiefen.

Die Zitate werden in der Reihenfolge belassen, wie sie als Sätze in der Studie von Andrea Sick in Erscheinung treten. Der Anteil der Zitate (in dieser Diskussion) ist so groß, das meine Formulierungen lediglich als kurze verbindende Kommentare zu verstehen sind. Anmerkung: Der kompakte Auszug kann die Lesung des Originaltextes in keiner Weise ersetzen.

 

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(AS) Anliegen von mir ist es, das Muster hier sowohl als theoretische Figur wie auch als Bildlichkeit zu konstruieren.

 

Die 11Schemagrundtypen habe ich im ersten Beitrag dem Bereich der abstrakten Ordnungsmuster zugeordnet.

 

(AS) Dabei lassen sich Konzepte des Musters mit Konzepten der Serialität verknüpfen, vorausgesetzt es gilt für beide die „Vergleichung“ im topologischen Raum als konstituierend für den Entwurf von Reihen und Netzen.

 

            Vergleiche die dazu die zwei entsprechenden Schemagrundtypen.

 

(AS) Zunächst möchte ich einen Zusammenhang zwischen Muster und Kartographie eröffnen: Welche Rolle spielt das Muster für die moderne Kartografie zu der heute sowohl die Verarbeitung von fotografischen Luftbildern als auch die von Satellitenbildern und –daten zählt?

 

            Vergleiche die Betrachtungen zum Orthophoto.

 

(AS) Luftbilder, Satellitenbilder und Karten zeigen großflächige Musterungen. Regionen lassen sich leicht auf Grund von unterschiedlichen, erkennbar gemachten geographischen Musterungen voneinander abgrenzen.

 

(AS) Insbesondere, so wird von Fernerkundung und Geografie gesagt, sind es geomorphologische und geologische Zusammenhänge, die sich als großräumliches Muster abzeichnen.

 

(AS) Muster wären ... das, was zu exponieren ist.

 

(AS) Um sie sichtbar machen zu können, um sie letztendlich erkennen zu können, müssen sie identifiziert werden mit schon vorher erkannten Mustern.

 

Die Layer der GIS-Basiskarten (ÖK50, Ök500, u.ä.) sind komplexe mehrlagige Strukturen, die relevante Grundmuster eher verdecken als sie bewußt werden zu lassen. Erst beim Studium einzelner Layer und vor allem bei der selektiven Kombination bestimmter Layer fallen die Muster ins Auge.

 


 

(AS) Die Auswertung von Satellitenbildern selbst trägt wieder zur Herstellung von Karten und Mustern bei, die schon dagewesen sind. Das eröffnet einen wechselwirksamen Kontext für die Kartographie und ermöglicht Verfahren wie die „Mustererkennung“ (Pattern recognition) in Beziehung zu setzen mit Aufnahmetechniken und theoretischen Überlegungen zur Wechselwirkungen von Sehen und wissen, die das Scheitern der Darstellbarkeit „wissenschaftlicher Evidenz“ markieren.

 

            Vergleiche dazu die Überlegungen zur wissensbasierten Bildinterpretation.

 

(AS) Anhand des Begriffs „Muster“ soll der Vielschichtigkeit dieses Komplexes nachgegangen und der Rand des Sichtbaren gewissermaßen dargelegt werden.

 

(AS) Man könnte auch sagen, das Muster entfaltet in seiner Wirkungsweise Effekte an der „Grenze der Repräsentation“.

 

Wunderbares Zusammentreffen: Mein Ausgangstext trägt den File-Namen representation.doc

 

(AS) Zunächst soll das „Muster“ als theoretische Folie hinsichtlich seiner in der Etymologie eröffnenden Bedeutung von „zeigen“ und „sich zeigen“ hergestellt werden. Von dort aus können sich dann Referenzen zwischen Karten und Muster herausstellen – als Kartenmuster an der „Grenze der Repräsentation“, wie sich zeigen wird.

 

            Vergleiche dazu auch die Studien von Martin Seel und Dieter Mersch

 

(AS) Ein bestimmtes Muster weist auf etwas hin. Dieses „Hinweisen“ könnte auch mit „repräsentieren“ oder „anzeigen“ übersetzt werden. zB. in der „Naturerkennung“ weist das Muster eines Blattes auf einen bestimmten Baum, das Muster am Rücken eines Käfers auf eine bestimmte Käferart, das Muster eines steines auf eine Gesteinsart, das Muster der Wolken am Himmel auf die Wetterlage.

 

            Vergleiche Überlegungen zur Spur

 

(AS) Während diese „Natur-Muster“ alle auch mit bloßem Auge erkennbar sein können, können seit der Photographie und erst recht seit der digitalen Bildverarbeitung – vornehmlich eingesetzt in Produktionstechnik, für Umweltprognosen, in der Medizin und beim Militär bestimmte spezifische Muster im Rahmen eines vielschichtigen Übersetzungsverfahrens erkannt werden ...

 

(AS) Die Doppelbewegung des Musters: das „Sich Zeigen“ (als spezifische Form und Reihenfolge) und das „Verweisen“ (zB. auf eine Umweltkatastrophe) wird von mir als „Paradox des Musters“ bezeichnet.

 

(AS) Mit Muster bezeichnet man (auch) ... eine Vorlage (Modell) nach der etwas gefertigt wird. Das Kompositum aus „vor“ und „Lage“ spricht ein (vor) und topologisches (Lage) Verhältnis aus.

 

            So gesehen sind auch die 11 Schematypen toplogische Vorlagen – also Ordnungsmuster.

 

(AS) Das heißt: Das Muster stellt Modelle vor oder aus, in dem es die entsprechenden Anordnungen wiederholt.

 

(AS) Das Bildmuster kann so als die Regelhaftigkeit der räumlichen Anordnungen von Erscheinungen verstanden werden. Es bezeichnet eine Topologie.

 

            Vergleiche die Detailbetrachtungen zur Topologie

 

(AS) In einem weiteren – dem ersten sehr naheliegenden zweiten Bedeutungsfeld fungiert das Muster als Vorbild. Ein Muster wäre etwas Vollkommenes, Ganzes, ein Bild, nach dem ein Bild zu machen wäre oder auch ein Bild vor dem Bild – mit Kant gesprochen ein „bildloses Bild“ bzw. eine „negative Darstellung“.

 

Vergleiche dazu die Überlegungen zu den Schemagrundtypen: Architektonik, Kreis/Quadrat-Schemen und Bodymapping.


 

(AS) War also, wie die Kartosemiotik (durch Ch.S. Peirce) sagt, das Original das Land und die Karte das Diagramm, so wäre das Muster die Relation zwischen Land und Diagramm, wobei dem Diagramm inhärent wäre, immer schon die Frage nach der Relation zu stellen.

 

            Siehe dazu die Betrachtungen zur Relationalität.

            Anmerkung: Hier wird genau die Übergangsstelle beschrieben wo (und wie) aus Luftbildern

            zB. die ÖK50-Grundkarten erarbeitet werden.

 

(AS) Insofern käme die „Mustererkennung“ dem Experiment mit dem Diagramm, welches Vergleiche vornimmt und insofern eine Vergleichung im topologischen Raum konstituiert, gleich.

 

(AS) Grundsätzlich gilt für ein Muster: Ist das Muster – Vorlage und Vorbild -, kann es wiederholt, in einer Reihe angeordnet werden.

 

(AS) Das Muster läßt sich sehen, wenn einzelne Motive regelmäßig kombiniert und wiederholt werden.

 

Der erste Ansatz eine Ordnung zu vermuten bzw. zu erkennen heißt, ein bestimmtes Muster an zumindest einer weiteren Stelle zu entdecken. Das Auftreten und die Verteilung

(die Lage) kann zur Entdeckung höherer Muster (übergeordneter Strukturen) führen.

 

            Anmerkung: In den mapping lectures (TransPublic) wurde auch der Zusammenhang von

            diagrammatischen Ordnungsansätzen und Ornamenten angesprochen.

 

(AS) Das einzelne Motiv eines Musters kann, sofern für das Motiv gilt, zugleich Teil des Musters und

Muster zu sein, als „Bild“ funktionieren.

 

            Vergleiche dazu die Strukturen der „Idealdiagramme“ (Kreis/Quadratenschemen)

 

(AS) Die Größe der sich immer wiederholenden Gesamtmuster werden in der Tapetentechnik und   -geschichte als „Rapport“ bezeichnet. ... Der Rapport bezeichnet aber nicht nur das korrekte Muster sondern auch seine nahtlose Grenze ...

 

(AS) Erklärtes Ziel der Forschung in der Mustererkennung ist es, die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen zu simulieren; dabei wird davon ausgegangen: Strukturen in Bildern bilden Muster.

 

(AS) In der digitalen Bildverarbeitung und KI-Forschung wird „Muster“ für ein einzelnes Merkmal aus einem definierten Problemkreis bezeichnet. Voraussetzung ist, daß es als Funktion von Meßgrößen zu beschreiben ist.

 

            Vergleiche Überlegungen zu diagrammgebenden Medien.

 

(AS) Zum Beispiel eine kleinparzellierte, mit Sonderkulturen bestandene Agrarfläche weist ein ganz anderes Muster auf als eine Getreidelandschaft oder ein Weidegebiet. ... Entscheidend ist: Das Muster dient zur Abgrenzung von Raumeinheiten; denn wiederkehrende gleiche oder ähnliche Muster sind meist Hinweise auf einen „ursächlichen“ Zusammenhang und können Regionen bilden, Problemkreise strukturieren und topologische Verhältnisse ermöglichen.

 

            Vergleiche den Zusammenhang von Bewuchsgrenzen und Katasterstrukturen.

 

(AS) Für das „maschinelle Sehen“ gilt: erkennen aus Bildern bedeutet, „einzelne Objekte“, welche sich in einem Raster aus vielen Bildpunkten bilden, zu entdecken. Dabei wird von dem Organisationsprinzip der Nachbarschaft ausgegangen, welches folgende Kriterien zur Erkennung bestimmt: Kanten und Konturen, Texturen, Farbe, Abstand und Bewegung.

 

            Vergleiche die Datentypen der Objektklassen im GIS

 


 

(AS) Diese Kriterien sind auch für die drei unterschiedlichen Methoden der Mustererkennung entscheidend: die Klassifizierung von einzelnen Pixeln auf Grund von extrahierten Merkmalen (zB. spektrale Merkmale), das Zusammenfügen und Generalisieren von komplexen Mustern durch Auswahl von sogenannten Muster-Primitiven auf Grund von Regeln und das Beschreiben der Muster durch ein Regelsystem der formalen Logik mit einem Wenn/Dann-Teil, d.h. mit automatischen Schlußfolgerungen, die sich aus Fakten und Zuständen ableiten.

 

            Der Dritte Ansatz integriert ein GIS-Systemen mit Funktionen eines Expertensystems.

            Das Wissen von Experten wird als Regelwerk repräsentiert zur Anwendung gebracht.

 

(AS) Deutlich wird an den drei Verfahren, die ineinandergreifen, daß sie allesamt die Paradoxie des „Musterprinzips“ aus der Doppelbewegung des „sich Zeigens“ einerseits und des „Verweisens“ andererseits nicht umgehen können.

 

(AS) Die Nachbarschaften regionalisieren die Muster, die als Vergleichs- bzw. Entscheidungsgrundlage für Muster gelten. Wir entscheiden auf Grund der Muster-Wiedererkennung nach Ähnlichkeiten, ob ein Muster ein bestimmtes Objekt darstellt. Diese Entscheidung folgt auf der Basis ausreichender Ähnlichkeit mit bekannten Mustern.

 

(AS) Um Ähnlichkeiten festzustellen, d.h. serielle Verfahren rekonstruieren zu können, müssen Vergleichsgrundlagen sortiert und klassifiziert (in symbolischer Form) vorliegen – als Vorlage.

Es ist ganz einfach: Muster müssen vor Mustern sein.

 

(AS) Das setzt voraus: das Muster funktioniert nicht nach dem Prinzipien der Nachahmung. Hiervon geht auch Derrida in seiner Lektüre zu Kants „Kritik der Urteilskraft“ aus. Er schreibt in „die Wahrheit in der Malerei“: „Von daher kann das oberste Modell, das höchste Muster nur eine Idee sein, ein einfache Idee, die jeder in sich selbst hervorbringen und nach dem er alles beurteilen muß was Gegenstand von Geschmack ist. Es bedarf eines Muster, aber ohne Nachahmung.

So ist die Logik des Exemplarischen ....

 

(AS) Derrida schreibt weiter: „Die Selbsthervorbringung des Musters (Schablone, Paradigma, Parergon) ist die Hervorbringung von dem, was Kant Idee nennt (...)“.

Das Muster als Schablone, Paradigma oder Parergon, stünde hier in der Logik eines „Exemplarischen“ mit doppelter Wirkung – dessen Effekte sich in der Doppelbewegung von „zeigen“ und „sich zeigen“ äußern.

 

(AS) Ein Muster wird immer vom Muster bestimmt sein. .... Eine Serie sucht immer nach den Exemplaren.

 

(AS) ... Das Muster operiert an der Grenze der Repräsentation.

 

            Nun folgt ein größerer Sprung, der nur mit den Kant-Zitaten nachvollzogen werden kann:

 

(AS) ... alle Größenschätzung der Gegenstände der Natur ist zuletzt ästhetisch (d.i. subjektiv und nicht objektiv bestimmt). ... Das hieße für die Kartographie und die Karte, deren topologische Struktur auf Maßverhältnisse begründet ist, daß sie letztendlich trotz ihrer mathematischen Grundlage, die die wissenschaftliche Beweiskraft bzw. Evidenz ihrer Darstellung befördert, ästhetisch gebunden bleibt und insofern eben subjektiv von der Mustererkennung bestimmt wäre.

 

            Mit der Mustererkennung kommt nun auch die Ästhetik mit ins Spiel! In den bisherigen

Betrachtungen wurden Fragen der Ausdrucksgesten, expressiver Linienführungen, Expressivität der Farbe, etc. vermieden.

 

(AS) Die Doppelbewegung des Musters: das „Sich zeigen“ und das gleichzeitige „Verweisen“ eröffnen die Analytik eines wechselwirksamen Kontextes der Kartographie, die das Scheitern einer Darstellbarkeit „wissenschaftlicher Evidenz“ im Rahmen eines dualistischen Wissenssystems zu markieren vermag. Die Serialität, gedacht als Netz, könnte hier als theoretische Figur eine Antwort bilden, auf die im Experiment mit dem Diagramm gestellten Fragen nach den Relationen.

 

Dank an Andrea Sick

Abschließend darf ich darauf aufmerksam machen, daß es in diesem Text nicht notwendig war, die Begriffe Bildsyntax, Bildgrammatik, Zeichen, etc. zur Anwendung zu bringen (obwohl A. Sick mit Ch.S. Peirce auf die Kartosemiotik Bezug nimmt) !