Punkt zu Linie zu Fläche - Vom Nutzen schematischer Zeichnungen – Teil IV

 

            Gerhard Dirmoser – Linz  12.2004  gerhard.dirmoser@energieag.at

 

Dank an:

Josef Nemeth (+), Boris Nieslony, Astrit Schmidt-Burkhardt, Kristóf Nyíri, Bruno Latour,

Peter Weibel, TransPublic, Walter Pamminger, Sabine Zimmermann, Tim Otto Roth,

Walter Ebenhofer, Franz Reitinger, Steffen Bogen, Mathias Vogel, Alois Pichler,

Lydia Haustein, Josef Lehner, Bernhard Cella

 

So wie es sinnvoll war, die Schematypen wahrnehmungstechnischen u.a. über Blickrichtungen zu hinterfragen, macht es Sinn die Grundtypen in  ihrer Ausgestaltung und Figuration auf die Komponenten hin zu analysieren. Auch der Ordnungsgrad müßte hier wieder eine Rolle spielen.

 

 

Legende: (P) Punkt (L) Linie (M) Masche (F) Fläche (K) Körper:

 

 

P/F 01

P/M 02

K/P/L 03

 

E1

 

P 04

L 05 

L/M 06 

M 07

F 08

E2

 

 

F/M/K 09 

F/K10 

L/F/K 11

 

E3

 

 

Stark vereinfacht und mit der Sicht von Astrit Schmidt-Burkhardt konfrontiert:

Punkt/Körper

Körper – Karte - Geophysis

E1

Linie/Masche

Diagramm - Abstraktion

E2

Fläche/Körper

Plan - Instruktion

E2

 

Spannend ist dabei, daß der Ebene der “Diagramme” die (vermaschte) Linie zugeordnet werden kann, was eine genauere Betrachtung der Rolle der Linie im Feld der Zeichnung sinnvoll erscheinen läßt.

 

01

Punkt/Fläche: In den flächigen Gebilden/Zonen der Karten sind weitere diskrete Einheiten punktuell eingebettet. 

02

Punkt/Masche: In separierten Maschen sind diskrete Einheiten als Cluster versammelt.

03

Körper/Linie: Verschiedenste (oft lineare Gebilde) sind einer Körperstruktur überlagert oder eingeschrieben.

04

Punkt: Diskrete Einheiten liegen quasi wie verstreute Punkte vor.

05

Linie: Lineare Reihungen

06

Linie/(Masche): komplexe lineare Netzgebilde, die in der Regel aber noch nicht als Masche gelesen wird. Bei der Abbildung von Kommunikationsstrukturen oder auch bei Versorgungs-strukturen kommt dann auch die Masche ins Blickfeld.

07

Masche: Komplexe systemische Beziehungen (und ihre Rückkoppelungen) können nur in gerichteten maschenartigen Strukturen repräsentiert werden.

08

Fläche: Regelmäßige geometrische Grundformen, bilden die flächige Grundlage dieser Idealfiguren

09

Fläche/Masche/Körper: Im Sinne von Deleuze bilden komplex gefaltete Flächen das „Glatte“.

Die komplexen Faltungen sind in der Regel auch räumlich/körperlich zu lesen. Im Sinne der hier zugeordneten Knotungen, findet man auch vermaschte Strukturen.

10

Fläche/Körper: Architektonische Körperlichkeit und flächige Aufbaustrukturen

11

Linie/Fläche/Körper: Komplexe räumliche Gebilde werden in Planwerken flächig aufgelöst.

Dabei werden gerade auch die Flächen über Linien repräsentiert.

 

 

Punkt zu Linie zu Masche zu Fläche zu Körper

In der mittleren Reihe findet man im Bereich 04-05-06-07-08 die Entwicklungsreihe von Punkt zur Linie zur Masche zur Fläche. In der Ebene 2 (den Diagrammen) kann man also die Entwicklung in mehreren Stadien studieren (Vergl. Betrachtungen zum Ordungsgrad).

 

 


 

Linearität /vs/ Flächigkeit   -   Die Masche als Übergangsform

Viele Formulierungen die auf Linearität und Flächigkeit Bezug nehmen, erinnern an Diskussionen, die Zeichnungen im Spannungsfeld der Malerei thematisierten. Spannend sind dazu die Analysen von Deleuze zu Francis Bacon und die von Alliez zu Henry Matisse.

 

Die Masche ist eine Übergangsform, die bei der Analyse von Netzstrukturen eigentlich nur selten ins Blickfeld kommt. Topologisch definieren die (flachen) Maschen flächige Gebilde vollständig. Der Übergang zur Flächigkeit ist dann eine Frage der „Bespannung“ oder der Füllung.

 

Überlegungen zu Umrissen bzw. zu Konturen sind in vielen Punkten auf die Maschen übertragbar. In der Regel ist die Gerichtetheit dieser Maschenlinien zusätzlich zu thematisieren.

 

 

 

 

01

02

03

 

E1

 

04

05 

06 

07

08

E2

 

 

09 

10 

11

 

E3

 

Durch verschiedenste Formen der Umfassung entstehen Zonen, Zellen, Maschen, Container:

 

01

Flächigen Gebilden/Zonen der Karten (Schichtenlinien, Transportnetze, Flußsysteme, Land /vs/ Gewässer, Inseln) 

02

Separierten Maschen oder Grenzlinien versammeln verstreute Einheiten im Cluster

03

Umrißlinien (Konturen) eines Körpers bieten einen anschaulichen Container

04

Eine Matrix kann als vielzelliges Ordnungssystem genutzt werden

05

Eine einspaltige Matrix als sehr strenges Ordnungssystem

06

komplexe lineare Netzgebilde formen Maschen

07

komplexe lineare Netzgebilde formen Maschen (gerichtete Lesart)

08

Regelmäßige geometrische Grundformen bieten eine Sektorierung an

09

Komplexen Faltungen und Collagen bieten in der Fläche getrennte Zonen an. Auch komplexe Knotungen formen Maschengebilde

10

Aufbaustrukturen bieten in der Regel differenzierte Zonungen an

11

Komplexe Teilegestaltungen in ihrer gezonten Flächigkeit

 

 

 

Sicht der Zellen und Blasen

Mit P. Sloterdijk fällt auf, daß die Sicht der Maschen nahtlos in das Konzept der Sphären und Blasen überleitet. Angrenzende Zellverbände (Abb. 34) oder dicht gedrängte Blasen (Abb.35) bilden ein Maschennetz, das topologisch identische Eigenschaften wie konventionelle Netze hat. Außerdem kann man die Netzansätze nun auch in räumlicher Hinsicht weiter spinnen.

 


 

Linearität der Diagramme

Im Kontext der Analysen von Zeichnungen wurde (auf diversen Konferenzen) die Nähe der Diagrammfragestellungen zu den Fragen der Zeichnung mehrfach gestreift. Gestaltungsfragen sind bei Zeichnungen im hohen Maße Fragen der Linie.

Auch bei den räumlichen diagrammatischen Ausformungen spielt die Linie eine wichtige Rolle.

Das kann man recht gut im Spannungsfeld zu mimetischen Gebilden diskutieren (sei es als Malerei oder Photographie).

 

In Verbindung mit dem (an anderer Stelle) diskutierten Medienschema, fällt auf, daß zeichenorientierte Gestalten (und somit auch die verbalen Begriffe) stark vereinfacht als „punktartige Erscheinungen“ gedacht werden können (Verl. Notation von Ch. S. Peirce).

Mimetische Gebilde werden oft als flächig/körperliche Erscheinungen diskutiert (Vergleiche die Statements zu „in der Natur gäbe es keine Linien ....“ *2).

Für diagrammatische Ordnungsstrukturen bleibt also primär die Linie als signifikante Komponente.

 

 

Vereinbarte (verbale) Codes / Zeichen

Punkt

Mimetisches/Physiognomisches Material

Fläche

Diagrammatische Grundlagen / Ordnungscodes

Linie

Materiale Grundlagen

alle anderen Sinne betreffende Ausformungen

 

Siehe im Detail das Grundschema zur Medienanalyse (Abb.3)

 

 

Anmerkung 1: Natürlich ist das eine starke Vereinfachung, da die 11 Schematypen ja gerade als

Mischformen vorgestellt wurden. Aber die Ebene 2 (also die Ebene der Diagramme) und auch die

Instruktionen der planhaften Zeichnungen sind der Linie verpflichtet.

Anmerkung 2: was u.a. Kandinsky nicht so sieht (Lehrbuch: Punkt und Linie zu Fläche).

 

 

Linearität und zeitliche Abfolge

Lineare Strukturen sind in der Regel dafür geeignet zeitliche Abläufe zu visualisieren. Das Bild der Reihe, der Kette, der Leiter, des Flusses, des Weges, ... bot jeweils die anschauliche Grundlage dieser Ordnungsmuster.

 

 

 

01

02

03

 

E1

 

04

05 

06 

07

08

E2

 

 

09 

10 

11

 

E3

 

01

Zeitliche Verläufe sind in Karten schwer abzubilden, außer es handelt sich um Bewegungen im Raum, die als (zeitliche) Spur gut repräsentiert werden können 

02

Erste Vermutungen zeitlicher Abhängigkeiten durch Ähnlichkeitsanalysen

03

---

04

azeitliche Vermischung

05

Die Reihe ist optimal für die Abbildung zeitlicher Verhältnisse geeignet

06

In den Netzstrukturen kann sich (wie. zB. bei Zitationen) eine „Mikrozeitlichkeit“ spiegeln

07

Abbildung komplexer Abläufe inkl. deren Zeitlichkeit

08

Abbildung von zyklischen Verläufen als Kreis

09

komplexe (zeitliche) Vermischungen durch Faltung

10

überzeitlich gültige Grundstrukturen

11

Abbildung funktional/zeitlicher Zustandsmuster im Rahmen von Konstruktionszeichnungen

 


 

Nachtrag - Denkspiel:

Wie würde sich uns die Welt (in der Wahrnehmung) darstellen, wenn wir nur die Lagebeziehung der Objekte, nicht aber die Objekte selbst (als Gestalt) wahrnehmen könnten?

Würden wir die Beziehungen wie elektrische Felder sehen oder als Kanten?

 

Sind Repräsentationstechniken denkbar, die sich auf Beziehungskonstellationen konzentrieren?

 

Wären die Objekte/Subjekte quasi Punkte in einem Diagramm?

 

Da wir die formlosen Punkte dann nicht mehr auseinander halten könnten, müßten wir sie zumindest benennen. Damit wären wir ohne große Umstände bei semantischen Netzen gelandet, die in diesem Falle die Lagebeziehung als Semantik hätten (liegt auf, beinhaltet, ...).

 

Wenn sich die Objekte nur noch als Punkte zeigen, dann hätten wir es (unabhängig von anschaulichen Formen), mit abstrakten „diskreten Einheiten“ zu tun.

 

Dazu fällt mir sofort die Definition von Landschaft ein, die Ein Architekt vor 2 Wochen ansprach:

„Landschaft ist etwas, was wir kennen, ohne die Teile zu kennen“. Die physiognomischen Erscheinungen stehen also in radikalem Widerspruch zur Sicht der diskreten Einheiten.

 

Damit wären nun 3 der 4 Eckpunkte des Medienschemas ins Spiel gebracht.

 

D. Mersch unterscheidet die diskursiven Medien von den aisthetischen Medien.

Die Diagramm nehmen dabei eine vermittelnde Stellung ein, sie können als der diskursive

Anteil der Bilder aufgefaßt werden.

 

Die Diagrammatik als diskursive Vermittlung zwischen Begriffen und mimetischen Erscheinungen.

 

Wenn man versucht diese Dreiteilung in der Verbalsprachlichkeit wieder zu finden, dann wird man die Nomen/Substantive der ersten Spalte und die Verben als relationales Element der zweiten Spalte zuordnen.

Mit Francis Ponge könnten die Eigenschaftswörter der dritten Spalte zugeordnet werden, was aber unsere „Sprachlosigkeit“ im Bereich der komplexen Formen verdecken würde.

 

Trinität

Punkte

Kanten, Linien

Physiognomien

Punktwelt

Beziehungswelt

leiblich atmosphärische Welt

Welt der Begriffe

Welt der Ordnungsstrukturen

Welt der komplexen Formen

verbale Begriffe

Diagramme

Mimetische Bilder

Gekerbtes

Gekerbtes & Glattes

Glattes

diskursiv

diskursiv & aisthetisch

aisthetisch

sagen

sagen & zeigen

zeigen

Nomen

Verben

Sprachlosigkeit

punktartige Erscheinungen

lineare Erscheinungen

flächig/körperliche Erscheinungen

 

Hermes

 

punktuelle, benannte Objekte

diskursive, relationale Strukturen

Landschaften, Faltungen, Physiognomien

 

Weiter oben in diesem Modul findet sich bereits eine ähnliche Auffassung:

 

In Verbindung mit dem diskutierten Medienschema, fällt auf, daß zeichenorientierte Gestalten (und somit auch die verbalen Begriffe) stark vereinfacht als „punktartige Erscheinungen“ gedacht werden können (Verl. Notation von Ch. S. Peirce).

Mimetische Gebilde werden oft als flächig/körperliche Erscheinungen diskutiert (Vergleiche die Statements zu „in der Natur gäbe es keine Linien ....“

Für diagrammatische Ordnungsstrukturen bleibt also primär die Linie als signifikante Komponente.

 

Vereinbarte (verbale) Codes / Zeichen

Punkt

Mimetisches/Physiognomisches Material

Fläche

Diagrammatische Grundlagen / Ordnungscodes

Linie

 


 

Der Hang zur Gestaltbildung

Bruno Latour hat in einem Gespräch die Frage aufgeworfen, warum man sich in einem Diagramm vom Typ „Gedächtnistheater“ schneller zurecht findet, als in großen Netzdiagrammen.

 

Als mögliche Erklärung würde ich folgende Aspekte ins Spiel bringen:

Unserem Hang zur Gestaltbildung wird in Diagrammen mit klarer/einfacher Grundstruktur besser Rechnung getragen. Außerdem können wir Zonen einfach strukturierter Diagramme schnell mit unserem Körperschema in Verbindung bringen (Bsp. ... in Armlänge links von der Mitte, in Augenhöhe, etc.).

Alle Diagramme bei denen es komplexe Strukturen (mit den Augen und dem Finger) nachzufahren gilt, sind jenen Diagrammen unterlegen, die eine flächige ganzheitliche all-over Wahrnehmung unterstützen.

 

Es sind also Diagramme die eine „Lesung“ (auch der graphischen Inhalte) notwendig machen, von jenen zu unterscheiden, die eine visuelle Grundorientierung innerhalb weniger Sekunden ermöglichen.

 

Diagramme die flächige Gestaltungen bzw. Repräsentationstechniken nutzen, sind also einfacher zu konsumieren, als rein lineare oder punktuelle Streudiagramme.

 

Es hat aber keinen Sinn die verschiedenen Diagrammtypen gegeneinander auszuspielen, da jede Repräsentationstechnik mit anderen kombiniert eingesetzt werden kann. So macht es Sinn die thematische Grundordnung über flächige Sektorierung zu unterstützen und inhaltliche Feinbeziehungen durch Clusterungen und Vernetzungen innerhalb der Sektoren (Vergleiche dazu das Verben-Netz) (Link Internet)

 

Flächigkeit der Diagramme

Die an den Realwelterscheinungen geschulte Wahrnehmung hat für flächige Ausformungen einiges zu bieten. Auch komplexe Netzgewebe werden dadurch sehr schnell als eine Gesamtfigur wahrgenommen. Das kann für die ungefähre Erinnerung bestimmter Stellen/Plazierungen nützlich sein, hat aber für die Erinnerung der Inhalte im Detail wenig zu bieten.

Erinnerungsökonomisch und auffindungstechnisch ist es daher praktikabler, bestimmte inhaltliche Grundfragen in reservierten/definierten Zonen zu plazieren.  Einmal erarbeitete Plazierungen sollten so lange wie nur möglich beibehalten werden; die visuelle Konstanz (im Detail) bietet merktechnisch/lernökonomisch enormer Vorteile.

 

Dynamisch erstellte Diagramme, die ein und denselben Inhalt bei jedem Abruf neu geordnet präsentieren, verhindern, daß sich klare Modellvorstellungen beim Rezipienten ausbilden.

 


 

Syntaktische Regeln – Vorgriff auf bildgrammatische Überlegungen

Die Rolle einer möglichen Bildsyntax oder Bildgrammatik wird an anderer Stelle im Detail abgehandelt. Der von Evelyn Dölling vorgestellte Ansatz bezieht sich auf Studien von Fernande Saint-Martin im Umfeld der KI(AI)-Forschung.

 

Evelyn Dölling (Beitrag in: Bildgrammatik): „Die syntaktischen Regeln der visuellen Sprache werden durch die Menge von Operationen und Funktionen konstituiert, durch die perzeptuelle Mechanismen Wechselbeziehungen zwischen den Grundelementen, den Koloremen also, in verschiedenen visuellen Feldern etablieren. Ihre Anwendung besteht in der Konstruktion spezifischer räumlicher Gesamtheiten. Die Koloreme sind durch drei Gruppen syntaktischer Regeln miteinander verbunden:“

 

(1) topologische Regeln

(2) Gestaltrelationen

(3) Gesetze der Interaktion von Farben

 

Dölling: „Zu den toplogischen Relationen gehören solche Relationen wie Nachbarschaft, Trennung, Einbettung, Umhüllung und Reihenfolge.“

Dölling: „Gestaltrelationen umfassen die Relationen von Figur/Grund, Nähe, Ähnlichkeit, Geschlossenheit, gute Form, Vektorialität und Gewohnheit.“

Die Gesetze der Interaktionen von Farben werden von Alliez in seiner diagrammatischen

Analyse der Matisse-Bilder aufgeschlüsselt.

 

Anmerkung: Diese kompakte Zusammenstellung bietet eine wunderbare Zusammenfassung der bisher vorgestellten diagrammatischen Möglichkeiten und Eigenschaften.

Mit der Bezugnahme auf die „perzeptuellen Mechanismen“ wird auch hier wieder die Wahrnehmungsnähe der diagrammtischen Ordnungsmuster angesprochen.

 

Wenn man diese 3 Gruppen als syntaktische Regeln anführt, dann stellt man gleichzeitig fest, daß diese Form der Syntax ihre Grundlage in strukturalen Erscheinungen der Realwelt, bzw. in den „Verschaltungen“ der menschlichen (visuellen) Wahrnehmung hat. Das könnte einen sehr wichtigen Unterschied zur Syntax der Verbalsprache ausmachen.

 


 

Topologische Beziehungen

Im Buch „art and representation“ werden von John Willats als topological relations:

connectedness, separation and enclosure angeführt. In Kombination mit den Charakterisierung von Evelyn Dölling ergibt sich in etwa folgender Zwischenstand:

 

connectedness (Nachbarschaft, Einbettung) wurde bereits abgehandelt unter:

Techniken der Ordnung sind immer (auch) Techniken der Zuordnung

 

separation (Trennung) wurde bereits abgehandelt unter:

Techniken der Ordnung bieten immer Separationsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten der Auseinanderhaltung

 

enclosure (Umhüllung) wurde bereits abgehandelt unter:

Die Separation, die Abgrenzung bringt topologisch gesehen Zellen, Zonen, Maschen ... also Container hervor, die es zu befüllen gilt.

Siehe auch im Detail: Linearität /vs/ Flächigkeit   -   Die Masche als Übergangsform

 

Reihenfolge wurde bereits abgehandelt unter:  Linearität und zeitliche Abfolge

 

 

Topologie als zentraler Zugang zur Diagrammatik

Für Techniker, Architekten, GIS-Informatiker, .... bietet die Topologie einen sehr guten Einstieg in die Diagrammatik. Über die topologische Mathematik kann gezeigt werden, daß auch für die naturwissenschaftlichen Ansprüche die Topologie das Fundament für einen sehr exakten Diagrammeinsatz bietet.

 

 

Topologische Mathematik als Zugang zur Diagrammatik

Dieser Zweig der Logik/Mathematik ist ein wichtiger Beleg dafür, daß die Ordnungsstrukturen der Diagrammatik auch im Sinne der naturwissenschaftlichen Ansprüche an Repräsentationstechniken etwas zu bieten haben. Was sich also mit den Untersuchungen von Peirce bereits abgezeichnet hat, kann mit der umfassenden Studie der Bourbaki-Gruppe zweifelsfrei belegt werden.

 

In den „Elements of Mathematics – General Topology“ (N. Bourbaki - 1971) finden sich folgende

Kapitel im Detail abgehandelt:

 

Chapter I – Topological Structures

            §1 Open sets, neighbourhoods, closed sets

            §2 Continuous functions        (Vergl. Kontinuität im Rahmen der diagr. Grundtypen)

            §3 Subspaces, quotient spaces

            §4 Product of topological spaces

            §5 Open mappings and closed mappings

            §6 Filters

            §7 Limits

            §8 Hausdorff spaces and regular spaces

            §9 Compact spaces and locally compact spaces

            §10 Propper mappings

            §11 Connectedness

Chapter II – Uniform Structures

Chapter III – Topological Groups

            §6 Topological groups wih operators; topological rings, division Rings and fields

Chapter IV – Real Numbers

Chapter V – One-parameter grpous

etc.

 


 

Topologie und Wahrnehmung

Jean Piaget hat in seinen Untersuchungen zum Strukturalismus aufgezeigt, daß jedes hoch entwickelte Wahrnehmungssystem (bei Menschen und Säugetieren) für jede Variante der drei sgn. Mutterstrukturen Verarbeitungsmechanismen und Repräsentationsmechanismen bieten muß. Das würde also bedeuten, daß unsere Wahrnehmung für diagrammatische Ordnungsstrukturen geradezu maßgeschneidert wäre.

 

Unter den Mutterstrukturen werden im Rahmen der topologischen Mathematik drei strukturale Gebildekomplexe verstanden, die sich nicht auseinander ableiten lassen. Die Bourbaki sprechen dabei von einer „Architektur der Mathematik“. (Buch „Jean Piaget – Der Strukturalismus“)

 

Piaget: „... die Bourbaki-Gruppe, hat versucht, die gesamte Mathematik der Strukturidee unterzuordnen. ... über Isomorphismen haben sie die allgemeinsten Strukturen herausgearbeitet. ... Diese Methode hat zur Entdeckung der drei >Mutter-Strukturen< geführt, aus denen somit alle anderen hervorgehen, die aber als nicht aufeinander zurückführbar gelten.

 

(a) Es gibt zunächst die <algebraischen Strukturen>, deren Grundtyp die Gruppe ist, aus der aber zahlreiche Ableitungen (<Ringe>, <Körper> usw.) gewonnen werden.

( ... Ähnlichkeiten und Unterschiede)

 

(b) Dazu kommen die <Ordnungs-Strukturen>, die sich auf die Beziehungen erstrecken und deren Grundtyp das <Netz> oder das <Gitter> ist ...

            ( ... Reihenbildung, Reihenmäßige Zuordnung)

 

(c) Die dritten Mutterstrukturen schließlich sind topologischer Natur, sie beruhen auf den Begriffen Nachbarschaft, Stetigkeit und Grenze.“

            (Nachbarschafts-, Kontinuitäts- und Grenzgesetze)

 

In Verbindung mit meiner umfangreichen Schemensammlung (bzw. den Bildtableaus zu den 11 Schematypen) kann sich der Leser dieser Textstellen vorstellen, warum ich von diesem Absatz so grundsätzlich begeistert bin. Ich hatte nie zu hoffen gewagt, daß in der Mathematik oder der Graphentheorie für die Schematypen ein so anschaulicher Ansatz zu finden sein könnte.

Neben den Topologiefragestellungen sind in den Mutterstrukturen auch Grundlagen für die Gestaltfragen abgehandelt.

 

Das es dabei nicht nur um die „reinen Grundtypen“ geht zeigt Piaget mit dem nächsten Satz:

 

            „Sobald die Grundstrukturen einmal unterschieden und festgelegt sind, ergeben sich die

anderen daraus durch zwei Prozesse: entweder durch Kombination ... oder durch Differenzierung.“

 

 

 

01

02

03

 

E1

 

04

05 

06 

07

08

E2

 

 

09 

10 

11

 

E3

 

01

Gruppe (Ähnlichkeiten und Unterschiede) // Topologie – Nachbarschaft/Grenze

02

Gruppe (Ähnlichkeiten und Unterschiede) // Topologie – Nachbarschaft/Grenze

03

Gruppe - Körper

04

Ordnung – Gitter (Reihenbildung)

05

Ordnung – Gitter (Reihenbildung)

06

Ordnung - Netze

07

Ordnung – Netze/Gitter

08

Gruppe – Ringe 

09

Topologie – Nachbarschaft/Stetigkeit 

10

Topologie – Nachbarschaft

11

Topologie – Nachbarschaft/Stetigkeit/Grenze 

 

Stark vereinfacht und mit der Sicht von Astrit Schmidt-Burkhardt konfrontiert:

Gruppe

Körper – Karte - Geophysis

E1

Ordnung

Diagramm - Abstraktion

E2

Topologie

Plan - Instruktion

E2

 


 

Ohne den Begriff der 3 Ebenen übermäßig zu überdehnen, könnte man vermuten, daß Deleuze mit dem Dreigestirn Karte/Diagramm/Plan auch die Mutterstrukturen vor Augen gehabt haben könnte

(was leider eine reine Spekulation bleiben muß).

 

In diesem Zusammenhang darf man daran erinnern, daß u.a. Lacan jahrelang mit Vertretern der topologischen Mathematik seine Knotenprobleme brieflich diskutiert hat. Der Mathematiker Pierre Soury hat über 6 Jahre die Lacan-Seminare besucht und mehrere Seminare über Knoten und Topologie gehalten.

Auch Deleuze und Foucault waren sehr an Fragen der Faltung interessiert.

 

 

Gestaltrelationen in der Diagrammatik

Evelyn Dölling (Beitrag in: Bildgrammatik): „Die Koloreme sind durch drei Gruppen syntaktischer Regeln miteinander verbunden: topologische Regeln, Gestaltrelationen, Gesetze der Interaktion von Farben“.

„Gestaltrelationen umfassen die Relationen von Figur/Grund, Nähe, Ähnlichkeit, Geschlossenheit, gute Form, Vektorialität und Gewohnheit.“

 

Anmerkung: Weiters können genannt werden: Prägnanz-Prinzip, Gesetz der Gleichheit, Gesetz der Symmetrie, Gesetz der durchgehenden Kurve, Gesetz der Ebenbreite, ... etc.

 

Ohne hier auf die Gestalttheorien im Detail einzugehen (Siehe: Wolfgang Metzger u.a.) soll kurz angesprochen werde, daß die Gestalt-Fragestellungen für die Diagramm-Gestaltung und auch für einige Repräsentationsvarianten als Grundprinzip von zentraler Bedeutung sind.

 

 

 

01

02

03

 

E1

 

04

05 

06 

07

08

E2

 

 

09 

10 

11

 

E3

 

01

Figur/Grund, Nähe, Prägnanz

02

Nähe, Ähnlichkeit

03

Geschlossenheit

04

Nähe, Vektorialität

05

Vektorialität

06

Vektorialität, Gleichheit, Gesetz der durchgehenden Kurve

07

Vektorialität, Gesetz der durchgehenden Kurve, Gesetz der Ebenbreite

08

Symmetrie, Geschlossenheit (durch einfache geometrische Formen), Prägnanz

09

Figur/Grund (irritierende Verhältnisse durch Überlagerung, Verschachtelung, Faltung)

10

Geschlossenheit

11

Figur/Grund (bei komplexen linearen technischen Zeichnungen; Schnittführungen)

 

 

 

Diagrammatik als Ausdruck eines NeoStrukturalismus

Ohne den Strukturbegriff in voller Breite aufzurollen, ist zu bedenken, daß im Rahmen der Detailklärung immer wieder strukturalistische Autoren (wie Piaget, Barthes) ins Spiel kommen. Selbst die genannten poststrukturalistischen Autoren  (Deleuze, Derrida) sind mit den strukturalistischen Studien umfassend vertraut und werden zeitweise dem Strukturalismus zugeordnet (wie Foucault und Serres).

 

Anhand von Äußerungen von Felix Thürlemann und Teja Bach läßt sich zeigen, daß einige Grundbegriffe des Strukturalismus für die Diagrammatik wiederentdeckt werden. Teja Bach hat sich in seinen Kommentaren in Berlin (11.2004) explizit auf Studien von Lévy-Strauss bezogen.

Steffen Bogen nennt in seinen Beiträgen u.a. Roman Jakobson !

 

Die französische Theorie wird in Bezug auf die Diagrammatik-Fragestellungen im deutschsprachigen Raum leider noch immer unterschätzt (wenn nicht gar verschwiegen).

 


 

Der Schemabegriff im Universalienstreit

E.H. Gombrich / Kunst und Illusion

 

Gombrich: „Das intensive Interesse der Renaissancekünstler (wie Leonardo) an Strukturproblemen, das uns überall begegnet, entspringt, meine ich, der durchaus praktischen Notwendigkeit, die Schemata aller Dinge von Grund auf zu kennen. In gewissem Sinne ist es der Strukturbegriff selbst, die Vorstellung von einem Grundgerüst, welches das >Wesen< der Dinge von innen heraus bestimmt und bildet, nichts anderes als ein Ausdruck für die Unentbehrlichkeit von Schemata für die Erfassung der Welt in ihrer verwirrenden Vielfalt und Wandelbarkeit.“

 

„Die scholastische Unterscheidung zwischen Allgemeinbegriffen oder Universalien auf der einen Seite und Einzeldingen oder Individuen auf der anderen war in erster Linie eine Angelegenheit der Logik.“

 

„Für Plato ist, wie wir wissen, der Allgemeinbegriff gleichbedeutend mit der Idee“.

 

Bildbeispiel Leonardo da Vinci: Diagrammatische Darstellung des Baumwuchses“

Siehe auch ein älteres Beispiele: Diagrammatische Darstellungen in einem Musterbuch (um 1235) von Villard de Honnecourt.

 

Das Diagramm als Idee von ...

U.a. in den Ontologie-Schemen wird versucht die Idee komplexer Sachverhalte oder Realweltausschnitte in einem Diagramm zu fassen.

 

Allgemeinbegriff /vs/ Individualität und Einmaligkeit

Diagrammatiker sind oft auf der Suche nach dem Überblick, dem Zusammenhange, dem gemeinsamen Nenner.

 

Strukturen (Schemata) als innere Logik

Im Detail wird noch zu klären sein, was mit dieser inneren Logik gemeint sein kann. U.a. Leonardo war auf der Suche nach Naturgesetzen. Erarbeitetes Wissen hat er in seinen Zeichnungen diagrammatisch visualisiert. So wurde das mimetische Exemplar eines Baumes mit einer klärenden Diagrammskizze überlagert.

 

Diagramm /vs/ Atmosphärische Gestaltungen

Diagramme sind in der Regel unatmosphärische Gestaltungen also keine atmosphärischen Gebilde (Vergleiche u.a. Gernot Böhme) (Siehe dazu auch: Studien zur Unschärfe).

Diagrammatische Strukturen können aber Hilfestellungen bei der Analyse atmosphärische Erscheinungen (Bilder) bieten. Die linearen „klaren“ Grundstrukturen der Diagramme (die „Trennschärfe“ stehen im Gegensatz zur Verflüssigung im Bereich der Malerei.

 

Der diagrammtische Komplex der Faltungen und Knotungen hat einige Übergangsphänomene bzw. Anschlußmöglichkeiten zu fluidal ergossenen atmosphärischen Erscheinungen zu bieten.

 

Diagramme als trennscharfe Ordnungsgestalten

Mit Ausnahme der Faltungen/Knotungen haben nahezu alle Schematypen trennscharfe Ordnungsgestalten zu bieten. Siehe im Detail: Separationsmöglichkeiten und die Kunst des Schneidens.

 


 

Diagramme als Referenzsysteme

Im Feld der Konstruktionszeichnungen kann man oft explizit nachvollziehen, was im gebauten Objekt (Architektur, Maschine, Werkzeug, ...) nur noch schwer abgelesen werden kann.

Hilfslinien, Bemaßungslinien, Fluchtlinien, Referenzlinien, Referenzgitter, Konstruktionslinien, Schnittführungen legen die konstruierten Verhältnisse und zugrundeliegenden Gestaltungsansätze offen zutage.

 

Diagramme als konstruierte Verhältnisse

 

Im Grunde sind nun mit den Mitteln der Informatik diese konstruktiven Referenzsysteme im großen Stil auch auf (semantische) Begriffsgebilde übertragbar.

 

Referenzlinien als Bezugssystem für Quantifizierungen

Diagramme sind für qualitative Betrachtungen (semantischer Netze) aber auch für quantifizierende Visualisierungen von großer Bedeutung.

Erste Beispiele von Proto-Stabdiagrammen stammen aus dem Jahr 1350 (Nicole Oresme 1323-1382 Frankreich). Die meisten heute eingesetzten Geschäftsdiagramme sind relativ jung und wurden im Rahmen der Staatswissenschaften entwickelt, um zB. Länder und Städte nach Fläche und Bevölkerungszahl gegenüber zu stellen.

 

Bei der Übersetzung schwer lesbarer Zahlentabellen kommen in der Regel diagrammatische Techniken zur Anwendung .

 

Diagramm als Meßwertreihe

Eine Vielzahl von Erscheinungen kann nur vermittelt über Messungen nachvollzogen werden. Das „Bild der Realität“ steht in diesen Fällen nicht als photographisches Abbild, sondern als Meßwertreihe oder Meßwertdiagramm zur Verfügung. Das oft elektromechanisch und heute elektronisch erstellte „Bild“ ist in der Regel als Diagramm zu bezeichnen, auch wenn die Meßwerte bildhaft zB. im Rahmen der Körperumrisse visualisiert werden (siehe: body mapping). Eine Vielzahl an Messungen werden diagrammatisch verrechnet (über gestaltbildende diagrammatische Verfahren). Eigentlich sollte man von diagrammgebenden Medien sprechen und nicht von bildgebenden Medien, wenn weder ein menschliches Auge noch ein Kamerasystem (für diverse Wellenlängen des Lichtes) mit im Spiel ist.