Gerhard
Dirmoser – Linz 12.2004 gerhard.dirmoser@energieag.at
Dank an:
Josef Nemeth (+), Boris Nieslony, Astrit Schmidt-Burkhardt, Kristóf Nyíri, Bruno Latour,
Peter Weibel, TransPublic, Walter Pamminger, Sabine Zimmermann, Tim Otto Roth,
Walter Ebenhofer, Franz Reitinger, Steffen Bogen, Mathias Vogel, Alois Pichler,
Lydia Haustein, Josef Lehner,
Bernhard Cella
In den zwei vorangegangenen Betrachtungen wurde der Blick
auf die Relation/Beziehung, auf die Inbezugsetzung und auf die Trennung
gerichtet.
Als Einstieg eine kurze Wiederholung:
Die Diagrammatik richtet ihren Blick auf das Dazwischen (das „in between“) bzw. auf das unsichtbar Dazwischen-Liegende. Es geht also im hohen Maße um Techniken das Unsichtbare, Dazwischenliegende zu repräsentieren bzw. zu visualisieren.
Mit Petra Gehring: Diagramme sind Dazwischenschreibungen
Das Dazwischenschreiben, diagrammein, Diagrammfindung
Besser als von Einschreibung (Derrida) .... sollte man von „Dazwischenschreibung“ sprechen und statt von „grammein“ von „diagrammein“ .... (Petra Gehring)
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Der Begriff der Dazwischenschreibung legt einen weiteren
Ansatz nahe:
Diese DaZwischenschreibung drängt sich zwischen diverse
Materialien; sie schafft Zwischenraum; sie separiert; ....
Je nach Inhalt (Materiallage) liegen diskrete Einheiten
bereits vor, oder sie werden im Zuge der Ordnungsvorgänge erst definiert. So
wie Villem Flusser von der zerpickenden Analyse sprach, zieht das Diagramm
seine Spuren im Material.
Die Diagramme dokumentieren/repräsentieren den
Ordnungsprozeß. Die Ordnung drängt sich wie ein Zellengefüge zwischen das
Material.
Die Ordnende Geste fährt an bestimmten Stellen ins
Material. Diese Stellen werden als Grenzen markiert, oder als Stellen
expliziter Differenzierung besonders hervorgehoben. Das ist möglich, in dem
Durchlässigkeit (wie bei einer Membran) visualisiert, oder die
hergestellte/aufgelöste Nähe durch verbindende Stege/Kanten hervorgehoben wird.
Diese Verbindung vermittelt Inhalte. Diese Verbindung kann
Inhalte/Begriffe öffnen, sie kann sie aber auch im Sinne einer Definition
schärfen. Es ist jeweils eine Frage der kontextbewußten Setzung bzw.
Konfrontation, wie sich die Bedeutungen verschieben.
Auch wenn die Semantik der Zwischenräume, Membranen und
Kanten nicht explizit definiert werden, entwickeln sie semantische Kräfte. Auch
wenn die Zwischenschreibung ein beliebig geführte ungerichtete Linie ist, kann
von einer semantisch bedeutsamen ZwischenSchreibung gesprochen werden. Die
Geste der Zwischenschreibung verbindet bedeutsame Einheiten, so wie wir es von
verbalsprachlichen Sätzen gewöhnt sind. Auch ohne Zuordnung von Wortarten (wie
zB. dem Verb) hat diese Zwischenschreibung inhaltliche Konsequenzen.
Es zeigt sich etwas, es wird etwas angedeutet, es wird
etwas nahegelegt, ...
man wird weitergeführt, man wird in ein Bedeutungsfeld
hineingezogen, ...
Definierte Ontologien oder semantische Netze mit explizit
definierter Semantik sind gute Beispiele dafür, was es heißt, verbale Konzepte
im Rahmen der Zwischenschreibung zur Anwendung zu bringen.
Die Zwischenschreibung kann so die Grammatik der
Verbalsprachlichkeit in diese diagrammatische Ordnung einbringen.
Diese Zwischenschreibung steht also auch in der rein
graphisch realisierten Verbindungslinie an der Schwelle der Grammatik. Das soll
an anderer Stelle noch weiter verfolgt werden.
Kann diese teilende, dazwischendrägende Geste schon als
Grammatik ernst genommen werden?
Welche nonverbalen graphisch/malerischen Gesten stehen als
Struktuvarianten zur Verfügung?
Wenn man nicht nur 2 diskrete (semantische) Einheiten in
die Betrachtung einbezieht, dann wird klar, daß unterschiedlichste Figurationen
vereinbart werden könnten, daß man Valenzen bzw. Bindungsregeln definieren
könnte... etc.
Das wären dann flächige (oder räumlich ausgebreitete)
satzartige Formationen. Auch wenn das Wort „Satz“ nur wiederwillig über die
Lippen kommt. Es lassen sich auf jeden Fall Denkfiguren beschreiben, die
mit einfachsten visuellen Mitteln repräsentierbar sind.
Anmerkung: Gegenstand der Syntax (Satzlehre) ist der Bau,
die Struktur von Sätzen.
Die Zwischenschreibungen könne auch räumliche Konstellationen
und komplexeste Beziehungsverhältnisse exakt repräsentieren. Das können sowohl
statische Konstellationen sein, aber auch performative Regelwerke, die
beschreiben, was erfolgt, wenn ganz bestimmten Typen aufeinander treffen oder
miteinander in Beziehung gebracht werden (vergl. dazu objektorientierte
GIS-Systeme und ihre dynamischen topologischen
Interaktionen).
Mit Peirce und der Visualisierung von Regelwerken in
Expertensystemen bzw. der Visualisierung der Verlaufsschritte von
Inferenzvorgängen (in KI-Systemen), kann das Diagramm auch als logische
Zwischenschreibung gelesen werden.
Diagramme visualisieren jene Gedanken, die sich in
Begriffe einklinken.
Das diagrammatische Denken ist eine Zwischenschreibung,
ein Denken das sich in Spannungsfeldern von Begriffen einnistet, das
Ordnungsspuren hinterläßt, das neue Bahnungen setzen will, das aus bestehenden
Konstellationen mit neuen Zwischenschreibungen ausbricht.
Sobald Zwischenschreibungen erfolgen, schleichen sich das
Diagramm bzw. diagrammatische Strukturen in das mimetische Material ein.
Wenn man die Zwischenschreibung als verdeckten Prozeß
auffaßt, dann könnten bestimmte
algorithmische Vorgänge als diagrammatischer
Ordnungsprozeß aufgefaßt werden. Wenn Meßwerte (Datenpunkte) zu linearen oder
flächigen Gebilden verrechnet werden, dann erfolgt im wahrsten Sinne des Wortes
eine diagrammatische ZwischenSchreibung. Die Übersetzung innerer materialer
Verhältnisse in „Bildmaterial“ (durch diagrammgebende
Medien), wäre dann auch eine Zwischenschreibung. So könnte als jede
analog/digitale Formatumsetzung auch als virtuelle Zwischenschreibung gelesen
werden. Das Ordnungsmuster der Pixelraster wäre dann eine bildtechnisch sehr
weit verbreitete diagrammatische Technik.
Oder was heißt es einen Bildstrahl über die Lochmaske der
Röhre zu steuern ?
Das Material der Überlappung bzw. Zwischenschreibung muß
nicht als (lineares) Ergänzungsmaterial gedacht werden. Mit Collagen und
Faltungen und Knotungen kann gezeigt werden, daß das „Grundmaterial“ auch
unvermittelt in Beziehung/Kontakt treten kann.
Ähnlich wie bei der Collage, kann man sich (mit Derrida)
auch Konstellationen vorstellen, wo diskrete Einheiten ineinander verkeilt sind
bzw. sich gegenseitig stützen. Diese ganz unvermittelten Stützungsverhältnisse
stehen dann auch für das Diagramm. Die Berührungsstellen wirken wie
Definitionsverhältnisse. Begriffe sind durch ihr Eingespanntsein über andere
Begriffe definiert.
Das diskrete Material wird sich selbst zur Brücke. Das
Diagramm tritt mit keinen graphischen Zusatzmaterialien in Erscheinung.
Im Kontext der Analysen von Zeichnungen (auf diversen
Konferenzen) wurde die Nähe der Diagrammefragestellungen zu den Fragen der
Zeichnung mehrfach gestreift. Damit wird aber verdeckt, daß flächige, räumliche
und performative Zugänge ebenso fruchtbar sind.
Im Zuge der Lesung der Diagramme muß man sich entscheiden,
ob man Kanten, Knoten oder ganze Komplexe (wie Maschen) als
Zwischenschreibungen lesen will. Das ist keine triviale Fragestellung. Noch
immer haben wir den Hang die Knotensicht höher zu bewerten als die Kantensicht
(als die Sicht der Relationen).
Die europäische Leserichtung, das flächige
Ausgebreitetsein führt oft zur geographisch motivierten
Leseversuchen, die zB. in Diagrammen der sozialen
Netzwerkanalyse räumliche Strukturen vermutet. Die Kulturtechnik des
Landkartenlesens ist in der Regel weiter verbreitet, als die Erfahrung mit
Netzgebilden (was sich aber in den nächsten Jahren sehr schnell ändern
könnte).
Siehe dazu Detailbetrachtung: Punkt zu Linie zu Fläche