Volksstimme 15/99

Bomben auf Belgrad - für Frieden und Menschenrecht!

Nach offizieller Sprachregelung erfüllen die NATO-Staaten mit ihren Bomben eine Friedenspflicht.
Alles gelogen. Heil Humanität!

Heil Humanität! -- Denn die ist die offizielle Begründung des Krieges gegen Jugoslawien für Europas daheimgebliebene Zivilisten - und sie kommt hervorragend an. Verhetzt, fanatisch, hurrapatriotisch für das »eigene« Militär müssen brave Völker schon sein, damit sie sich in Kriegszeiten hinter ihre Führer stellen, den Krieg befürworten und bereit sind, ihre Kinder zum Kampf zu schicken, Heldentod inbegriffen. Wenn sich in Jugoslawien allerdings ein Volk genau so brav, patriotisch und begeistert hinter seinen Präsidenten stellt, dann kann es sich nur um manipulierte Massen handeln, die von einseitiger Propaganda indoktriniert sind. Dann weiß der Medienmensch auf einmal, daß und wie Kriegsbegeisterung geschürt wird!
Wenn sonst ein Staat bombardiert wird, wenn eine Armee einmarschiert, dann heißt das Aggression, Gewalt, Völkerrechtsverletzung und wird sofort von der UNO verurteilt.
Bei den Bomben der NATO und ihrem angesagten Einmarsch ist das ganz anders. Interessen, die dieses Militärbündnis gegen den jugoslawischen Staat durchsetzt, sind der Öffentlichkeit vollständig unbekannt. NATO-Soldaten tun nicht das, wofür sie ausgebildet sind - Ausländer umbringen, militärische und ökonomische Infrastruktur zerstören. Sie leisten vielmehr einen "Beitrag zur friedlichen Lösung des Kosovo-Konfliktes« und »verhindern eine humanitäre Katastrophe". Man soll irgendwie glauben, daß Bomben auf Belgrad und Novi Sad wundersamerweise Menschenleben im Kosovo retten und daß die Sicherheit bedrohter Zivilisten verbessert wird, wenn durch den Kriegseintritt einer überlegenen Partei die Kampfhandlungen ausgedehnt werden. Das Gegenteil ist eingetreten, aber ausschließlich zum Wohle dieser Menschen schießt die NATO, das steht fest.
Heil Selbstbestimmungsrecht! -- Nach offizieller Sprachregelung erfüllen die NATO-Staaten mit ihren Bomben eine Friedenspflicht. Sie beauftragen sich, einen drohenden »Völkermord einzudämmen«, einen Streit zwischen Nationalitäten zu schlichten.
Alles gelogen. Wollten die selbsternannten Friedensschaffer jeden Streit zwischen einer Mehrheitsnation und separatistischen Minderheiten schlichten, dann hätten sie viel zu tun. Die Barbarei, daß ein Staat sich auf eine völkisch definierte Nationalmannschaft beruft und völkisch anders zugeordnete Menschen schlechter behandelt, ist nämlich der Regelfall - das könnten die bewaffneten Friedensbringer sogar am Ausländerrecht in ihrer Heimat studieren. Die Barbarei der völkischen Minderheiten, denen gegen ihre Diskriminierung nichts anderes einfällt als ein genau so fanatischer eigener Nationalismus, ist die logische Konsequenz der Kategorie »Volk«, die zu jedem Staat gehört. Deshalb läßt sich ein völkischer Konflikt auch bald finden, wenn man will - und ausnutzen, wenn man will. Warum erkämpft die NATO nicht das Selbstbestimmungsrecht der Basken gegen Spanien, der Korsen gegen Frankreich, der Südtiroler gegen Italien, der Nordiren gegen England, der Kurden gegen die Türkei - nun, das sind eben Mitgliedsstaaten der NATO. Hier unterstützt das Bündnis die Staatsmacht gegen Separatisten. Im Kosovo ist es umgekehrt - nicht wegen des Selbstbestimmungsrechts der Völker, sondern weil der Haß der Albaner auf die serbische Mehrheitsnation, die sie diskriminiert, der NATO in ihr Konzept paßt. Aber nicht einmal das ist die ganze Wahrheit. Auch dieser Fanatismus ist nicht einfach so vorhanden, er ist jedenfalls nicht ohne Zutun der Großmächte entstanden.
Heil Friedenslösung! -- Unterdrückt fühlen sich Ethnien, die nichts gegen politische Herrschaft haben, aber Fremdherrschaft ablehnen. Ob daraus eine frustrierte Minderheit wird, eine Wahlpartei mit regionalen Stammwählern wie die italienische Lega Nord, ein paar terroristische Anschläge auf Strommasten wie in Südtirol oder doch ein richtiger Krieg, das hängt nicht von der Minderheit ab, sondern von auswärtigen Mächten, die dieses Aufbegehren zur Schwächung eines störenden Staates ausnutzen und deshalb völkische Gegensätze schüren. Nur wenn so eine Rebellion durch mächtige ausländische Förderer eine Chance und Zugang zu Waffen bekommt, wächst die Zahl der »Freiheitskämpfer« und ihr Mut. Man vergleiche die Lage der baskischen ETA mit der kosovarischen UCK.
Die ÖMZ (Österreichische Militärische Zeitschrift) etwa hielt es noch in der Ausgabe 1/1998 für möglich, daß die UCK eine Kreation des jugoslawischen Geheimdienstes sei: »Obwohl es bisher keine konkreten Beweise für die Existenz einer solchen Terrororganisation gibt -- und es auch weiterhin nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Terroraktionen von radikalen serbischen Gruppen durchgeführt oder sogar von serbischen Regierungsstellen angeordnet wurden« etc. Wegweisend für die weitere Karriere der UCK war die Einmischung der »Balkan-Kontaktgruppe« in den Streit zwischen der Belgrader Zentrale und den inoffiziellen Vertretern der Albaner. Was nett als »Friedens- und Vermittlungsangebot« auftrat, war eine Kampfansage an die jugoslawische Hoheit über einen Teil ihres Territoriums. Sobald die »Vermittler« bestimmen, wem wo welches Recht zusteht, ist die Souveränität der Staatsmacht dort bestritten und der Staat mit den Separatisten, die seine Hoheit nicht anerkennen, auf eine Stufe gestellt. Seitdem wissen die Kosovo-Albaner die Westmächte wenigstens bedingt hinter ihrem Separatismus. Seitdem trauen sie sich einen militärisch vollkommen aussichtslosen Krieg gegen die Zentrale zu - und setzen gerade auf Niederlagen als Hebel für die entscheidende Hilfe der NATO.
Das Blutvergießen, das in den Hauptstädten Europas verlogen beklagt wird, geht dementsprechend auf europäische Initiativen zurück und ist im Interesse von EU und NATO. Das Verfahren ist ja nicht ganz neu. Seit 1991 läuft die Zerschlagung des alten Jugoslawien nach demselben Muster ab: Die europäischen Mächte unterstützen »unterdrückte Völker« im alten Vielvölkerstaat, fördern Abspaltungen und heizen den Krieg auf dem Balkan an, den sie dann angeblich schlichten müssen.
Heil Imperialismus! -- Worin aber besteht das Interesse, für das auf dem Balkan getötet und gestorben wird? Es geht um das Höchste überhaupt: Die Vormacht in Europa. EU und USA - mit der NATO als militärischem Pfeiler - beanspruchen, alle Souveränitätsfragen auf diesem Kontinent zu entscheiden. Was andere Staaten und Völker dürfen und was nicht, das betrachten sie exklusiv als ihre Angelegenheit. Welche Staaten entstehen, welche untergehen müssen, das ist ihre Entscheidung. Die europäische Wiedervereinigung, die Rückkehr der Ostvölker heim ins Reich der Freiheit, die will schließlich durchgesetzt werden. Jugoslawien und der Balkan haben das Pech, zum prominenten Fall des Kampfes um eine große Frage geworden zu sein: Wem gehört Europa!
Auch wenn die Sowjetunion abgedankt und ihre Bündnisse aufgelöst hat, so ist die von ihr verursachte »Teilung Europas«, in deren Windschatten sich Jugoslawien behauptet hatte, nicht umstandslos überwunden. Der Osten muß einverleibt werden, und da ist kein Platz für einen Nationalismus, der sich nicht bedingungslos unterwirft. Der Westen rückt vor, entweder als friedliche Osterweiterung, wenn Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien etc. ausschließlich eine Perspektive als - diesmal westliche - Satelliten kennen wollen, oder als kriegsmäßige Neuordnung des Balkan, wenn ein früher »blockfreier« Staat die Herren der neuen Zeit und ihre Richtlinienkompetenz nicht akzeptiert. Zumindest das hat sogar der sonst so umnachtete Freund Boris im Kreml genau verstanden.

Herbert Auinger