Rede von Kurt Palm auf der Kundgebung gegen den Kriegam 23. April in Linz
Ich stimme einer Veröffentlichung des folgenden Textes - in welcher
Form auch immer - nur zu, wenn sie ungekürzt erfolgt und wenn
explizit darauf hingewiesen wird, daß es sich dabei um eine REDE
handelte. Im Falle einer Publikation in einem Printmedium ersuche
ich um Zusendung eines
Belegexemplars an folgende Anschrift: Kurt Palm, Faßziehergasse
7/5, 1070 Wien
Sehr geehrten Damen und Herren,
gestern nachmittag besuchte ich die 1897 geborenen Architektin,
Kommunistin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky
und wir sind während unserer Unterhaltung auch auf den Krieg in
Jugoslawien zu sprechen gekommen. Frau Schütte-Lihotzky, die vor
kurzem ihren 102. Geburtstag feierte, erzählte mir dabei, daß
es ihr heute so vorkäme, als hätte sie alles, was sich derzeit
auf dem Balkan abspielt, bereits einmal erlebt. Sie sagte zum
Beispiel, daß die Nachrichten, die sie heute über den Konflikt
auf dem Balkan höre, nicht viel anders klängen als die antiserbische
Propaganda, die im Sommer 1914 hierzulande verbreitet wurde.
Je länger wir über den Krieg in Jugoslawien sprachen, desto genauer
erinnerte sie sich an Details aus ihrer Jugend, an die singenden
Soldaten, die am 28. Juli 1914, dem Tag der Kriegserklärung Österreich-Ungarns
an Serbien, das Donauschiff betraten, mit dem sie und ihr Vater
gerade auf Urlaub fahren wollten, an die antiserbische Stimmung
in der Bevölkerung und an die Politiker, die ein schnelles Ende
des Krieges und einen glorreichen Sieg versprachen.
Und in der Tat: Nimmt man ein x-beliebiges Lexikon oder ?Die letzten
Tage der Menschheit? von Karl Kraus zur Hand, so muß man sich
wirklich fragen, ob die Menschen überhaupt in der Lage sind, aus
der Geschichte zu lernen. In ?Meyers Großem Tachenlexikon? steht
unter dem Stichwort ?Erster Weltkrieg? beispielsweise:
?Die Balkankriege 1912/13 führten Europa an den Rand einer kriegerischen
Auseinandersetzung. Die Ermordung des österreichisch-ungarischen
Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo durch serbische Nationalisten
am 28. Juni 1914 veranlaßte Wien am 23. Juli 1914 zu einem fast
unannehmbaren Ultimatum an Serbien, das faktisch die Aufgabe seiner
politischen Eigenständigkeit bedeutete und Rußlands Widerstand
hervorrief; Berlin vermittelte nur zögernd, da es auf die Erhaltung
der Großmachtstellung seines österreichisch-ungarischen Verbündeten
angewiesen zu sein glaubte? usw. usf.
Natürlich kann man die politische Lage auf dem Balkan im Jahr
1914 nicht mit der gegenwärtigen Situation gleichsetzen, aber
bei genauerer Betrachtung der Vorgänge tendiere ich dazu, Karl
Marx recht zu geben, der einmal meinte: ?In der Geschichte wiederholt
sich alles zweimal: Einmal als Tragödie und einmal als Farce.?
Denn verglichen mit der Tragödie des Ersten Weltkriegs ist das,
was sich heute im politischen Bereich um den Balkan abspielt,
tatsächlich eine Farce. Allerdings eine Farce mit tragikomischen
Elementen. Aber ich wiederhole: Ich spreche von der Farce auf
politischer Eben, denn daß das Volk für die Dummheit und Unfähigkeit
der Politiker zu bezahlen hat, gilt für die Serben und Kosovo-Albaner
genauso wie etwa für die Türken und die Kurden.
Für mich war übrigens diese Erkenntnis, daß Leute wie Joschka
Fischer, Tony Blair, Madelaine Albright oder Wolfgang Schüssel
und Viktor Klima nur Schmierenkomödianten in einer historischen
Farce sind, der Grund dafür, daß ich die Einladung, hier zu sprechen,
angenommen habe. Während der ersten vierzehn Tage dieses Krieges
saß ich nämlich vor dem Fernsehapparat wie das berühmte Kaninchen
vor der Schlange, und starrte ungläubig auf Bilder, die ich in
keinen vernünftigen Zusammenhang bringen konnte. Erst als mir
bewußt wurde, daß die Propagandastrategie der Kriegstreiber genau
darauf abzielt, aus uns lethargische Fernsehidioten zu machen,
die den Krieg bestenfalls als Video-Unterhaltung konsumieren,
wurde mir klar, daß es an der Zeit ist, zu handeln. Niemand ist
nämlich für die Herrschenden gefährlicher als jene Menschen, die
sich gegen die Abgestumpftheit zur Wehr setzen. Bertolt Brecht
hat 1952 in seiner Botschaft an den Weltkongreß für den Frieden
in Wien geschrieben, daß der ?äußerste Grad der Abgestumpftheit
gegenüber der Politik der Tod? ist und daß man mit allen Mitteln
gegen diese Abgestumpftheit ankämpfen müsse.
Daß uns nämlich die NATO-Propagandisten schon für sehr dumm und
abgestumpft halten, mag folgende Meldung zeigen, die die ?Agence
France Press? in ihrer Nachrichtenübersicht am 21. April 1999
um 20 Uhr verbreitete: ?NATO bestätigt Einsatz von radioaktiven
Geschoßen: Die NATO hat bestätigt, daß bei ihren Angriffen auf
Jugoslawien auch Geschoße mit einer radioaktiven Ummantelung eingesetzt
werden. Diese Munition sei aber wegen ihres schwachen Urangehalts
für unbeteiligte Zivilisten nicht gesundheitsgefährdend, teilte
der NATO-Sprecher in Brüssel mit.? Man muß diese Meldung zweimal
lesen, um den Zynismus und die absolute Kaltschnäuzigkeit der
Kriegspropagandisten in ihrer ganzen Tragweite erfassen zu können:
Die NATO behauptet demnach, daß die von ihr freigesetzten radioaktiven
Strahlen einen Unterschied machen würden zwischen ?unbeteiligten
Zivilisten? und ?beteiligten Soldaten?. Mir fällt dazu nur noch
Albert Einstein ein, der gegen Ende seines Lebens zu folgender
Erkenntnis gelangte: ?Es gibt zwei Dinge, die unendlich sind:
Das Universum und die menschliche Dummheit. Beim Universum bin
ich mir allerdings nicht ganz sicher.?
À propos Dummheit: Der deutsche ?Verteidigungs?minister Rudolf
?Slobodan? Scharping hat zu Kriegsbeginn einen Journalisten, der
während eines Interviews das Wort ?Bombardement? in den Mund nahm,
mit den Worten zurechtgewiesen: ?Das Wort Bombardement höre ich
gar nicht gerne. Bei den NATO-Aktivitäten in Serbien handelt es
sich um eine Friedensmission.? Wenn Sie genau hinhören, werden
Sie übrigens auch bei zahlreichen österreichischen Journalisten
feststellen, daß sich deren Sprachgebrauch bereits der NATO-Diktion
angepaßt hat. Laut ORF werden von der NATO beispielsweise keine
?Bomben abgeworfen?, sondern ?Einsätze geflogen?. Und als vergangene
Woche eine amerikanische Bombe fünfundsiebzig Flüchtlinge zerfetzte,
durfte für diese Aktion im ORF ein Militärexperte unwidersprochen
den Begriff ?Restunschärfe? verwenden, mit der man in solch einem
Konflikt halt rechnen müsse. Was sich in diesem Bereich in den
Medien abspielt ist meines Erachtens nichts anderes als der Beginn
einer sprachlichen Säuberungsaktion.
Generell finde ich, daß die Berichterstattung des ORF zum Thema
Jugoslawien ein gigantischer Skandal ist. Es ist müßig, hier weiter
auf Details einzugehen, aber symptomatisch für mich war am vergangenen
Samstag eine ORF-Teletextmeldung, in der lapidar mitgeteilt wurde,
daß im Südosten der Türkei zwanzig kurdische ?Freischärler?, wie
das im ORF-Jargon heißt, bei einer Militäroperation von Soldaten
erschossen wurden. Diese Meldung erfolgte genau an jenem Tag,
an dem auf ORF 2 die intellektuelle Speerspitze der heimischen
ORF-Unterhaltung, nämlich Claudia Stöckl und Peter Rapp, fünfzehn
Stunden lang jedes Arschgesicht vor die Kamera holte, das, vor
Schmalz triefend, um Geldspenden für die Kosovo-Flüchtlinge betteln
und so nebenbei auch noch ein bißchen Eigenreklame machen durfte.
Bei soviel Engagement des ORF für nationale Minderheiten freue
ich mich übrigens bereits auf den Tag, an dem der ORF fünfzehn
Stunden lang für die kurdischen Flüchtlinge Geld sammeln wird.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich maße mir nicht an, die Hintergründe des Konflikts auf dem
Balkan in jedem Detail zu durchschauen. Aber wenn Politiker wie
etwa der deutsche Außenminister Joschka Fischer allen Ernstes
behaupten, daß die USA dort keine erkennbaren Interessen hätten
und daß das ?Engagement? der NATO ausschließlich der Friedenssicherung
diene, dann möge sich dieser Herr doch einmal die Landkarte ansehen.
Wenn ihm nicht spätestens dabei ein Licht aufgeht, dann muß man
in der Tat davon ausgehen, daß bei diesem Mann tatsächlich schon
sämtliche Sicherungen durchgebrannt sind.
Ich glaube, man muß kein gelernter Wirtschaftswissenschaftler
sein, um zu erkennen, daß es bei diesem Krieg neben politischen
auch um massive ökonomische Interessen geht. Bei einem Krieg,
der laut CNN fünf Milliarden Schilling pro Tag kostet, muß irgendjemand
ordentlich absahnen, und sicherlich ist es kein Zufall, daß der
New Yorker Börsenindex gestern seinen historischen Höchststand
erreicht hat. Aber da wir wissen, daß das Kapital unersättlich
ist, ja, daß Aggressivität und Unersättlichkeit Wesensmerkmale
des Kapitals sind, dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn es
darauf drängt, den Krieg solange fortzusetzen, bis alles in Schutt
und Asche liegt. Bei Karl Marx heißt es im ersten Band des ?Kapitals?
einmal: ?Bei 20 Prozent Profit wird das Kapital lebhaft; bei 50
Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen
Gesetze unter seinen Fuß und bei 300 Prozent existiert kein Vebrechen,
das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des eigenen Untergangs.?
Ich befürchte, daß sich das internationale Kapital auf dem Balkan
bereits im Stadium der 300 Prozent-Profitrate befindet.
Ich will und kann am Ende meiner Rede weder eine Lösung noch eine
Losung anbieten, sondern nur jenen Appell wiederholen, den Brecht
1952 an den Völkerkongreß für den Frieden richtete, und der leider
heute noch genauso aktuell ist wie damals:
?Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es
nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern,
und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit
drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche
sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die
sie in aller Öfentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen
werden.?
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. |