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Milosevic nach den Haag oder: Wie heisst auf serbisch "No pasaran" Von Hannes Hofbauer
mit William Clinton, Tony Blair, Gerhard Schroeder, Jaques Chirac und Massimo d'Alema. In einer ersten Aufwallung ist man versucht, die Kriegsverbrecher dieser Welt geistig zu sammeln, ihre Namen und Adressen auf ein Blatt Papier zu schreiben, selbiges in ein Couvert zu stecken und an die eifrige Richterin nach den Haag zu schicken. Moege das Gute gewinnen, auch und gerade am Balkan. Erste Zweifel kommen auf. Milosevic soll sich also fuer die Vertreibungen im Kosovo verantworten. Und fuer seine kriegerische Politik der letzten zehn Jahre. Schlau ausgedacht. Das Boese kommt vor's Tribunal. Die Zweifel werden staerker. An Clinton, Blair, Schroeder, Chirac und d'Alema kann der schwachen Arm des Gerichtes nicht heran. Ihre Verbrechen kommen im Brief der Richterin nicht vor. Justitia ist blind. Fuer den Bruch des Voelkerrechts, fuer die Fuehrung eines Angriffskrieg gegen einen souveraenen Staat, fuer den Einsatz geaechteter Waffen und Munition ... fuer Verbrechen der westlichen Wertegemeinschaft ist Den Haag nicht zustaendig. An Gerechtigkeit ist nicht gedacht. Woran dann? Der erste UN-Haftbefehl gegen ein regierendes Staatsoberhaupt will die absolute Macht dieser imperialen Wertegemeinschaft demonstrieren. Fuer die Heimatfront. In Jugoslawien, soviel ist sicher, wird seine Zustellung scheitern. Und kein Brieftraeger und kein Gendarm wird sich finden lassen, der diese Nachricht ueberbringen koennte.
Mit dem Haftbefehl gegen Milosevic ist der totale Krieg eroeffnet. Propagandakrieg zu Hause, 12.000 Tonnen Explosivstoffe auf Jugoslawien. Wollt ihr den totalen Krieg? Diese Frage steckt im Haftbefehl. Die Antwort ist vorhersehbar. Wer sich bislang vor den Bomben der NATO ekelte, wer die Arroganz der Bombardements verurteilte, dem wird jetzt die Gewissensfrage gestellt. Wir oder er? Westen oder Serbien? Dem Bekenntnis zum Krieg, wie es von Wesley Clark bis Joseph Fischer eingefordert wurde, konnten sich viele entziehen; und taten dies auch. Nun wird versucht, dieses Manko an der Heimatfront auszumerzen. Nun geht es nicht mehr um ein Bekenntnis zum Krieg, denn daran drohte die Allianz am mangelnden gesellschaftlichen Konsens zu scheitern. Nun geht es um ein Bekenntnis gegen einen Kriegsverbrecher. Und wer, Hand auf's Herz, glaubt schon an eine reine Weste des jugoslawischen Praesidenten? Keiner, der auch nur einen Funken Verstand hat.
Der Haftbefehl fuer Milosevic ist eine Warnung an alle Zeitzeugen, die Erklaerungen der NATO ernst zu nehmen. Deren Sprecher, Shea, antwortete vor wenigen Tagen auf die zudringliche Frage einer Journalistin, wie er denn die vielen Unwahrheiten bei den NATO-press-briefings erklaeren koenne, mit einer historischen Erkenntnis: Spaeter, so meinte der Brite, wird alles stimmen. Die Einschaltung des UN-Tribunals ist bereits als Teil dieses "spaeter" gedacht. Mit seiner Hilfe wird Geschichtsschreibung gemacht. Ein gesuchter Verbrecher, ohne Sympathien auch bei Kritikern des NATO-Krieges, isoliert von jeglicher Solidaritaet ausserhalb Jugoslawiens gibt ein perfektes Feindbild fuer die Heimatfront ab. Nicht mehr vom Krieg soll die Rede sein, sondern vom Kriegsverbrecher, nicht mehr von den 1000 Lufteinsaetzen pro Tag, sondern vom Haftbefehl gegen Milosevic. Folgerichtig urteilt das UN-Kriegsverbrechertribunal auch nicht ueber den Krieg, sondern ueber einen seiner Teilnehmer. Noch eine Dimension traegt dieser Haftbefehl in sich. Er will Staatschefs und Regierungen aburteilen lassen, die sich der Rationalitaet der westlichen Wertegemeinschaft widersetzen. Minderheitenrechte und Medienfreiheit sind damit ganz sicherlich nicht gemeint. Wie sonst waeren deutsche Waffenlieferungen und US-amerikanische Counteraktionen gegen Kurdistan zu erklaeren, wie sonst die fast voellige Gleichschaltung der deutschen Medien im Kriegsfall. Wie sonst der Umgang mit amerikanischer Siedlungsgeschichte ... und vieles mehr.
Die Rationalitaet dieser Wertegemeinschaft speist sich ... die Linke weiss es ... aus der Kapitallogik und ihrer Umsetzung, wozu fallweise auch der Krieg gehoert. In diesem Sinne unbotmaessige Regierungen waren ueber die Jahrzehnte Zielscheiben militaerischer und sonstiger Dienste der westlichen Fuehrungsmaechte. Mossadegh in Persien, Allende in Chile, Ho-Chi-Minh in Vietnam, Ghaddafi in Libyen, Saddam Hussein im Irak, Fidel Castro in Kuba ... die Liste ist lang und ihre Rekonstruktion ruft allerlei Erinnerungen wach. Ob demokratisch oder diktatorisch, sozialistisch oder buergerlich, national oder international orientiert, solange der wirtschaftliche Eigensinn die geforderte Unterordnung unter die herrschenden Verwertungsbedingungen der Zentrumsmaechte ueberwiegt, gilt die betreffende Regierung als Feind der freien Welt. Milosevic hat sich in die Reihe der Feinde gestellt. Von seiner Weigerung, im Jahre 1990/91 den IWF-Sanierungsplan fuer Gesamtjugoslawien zu akzeptieren, bis zu seinem Njet zum Kapitulationspapier von Rambouillet versaeumte er so manche Gelegenheit, auf die Knie zu gehen. Nun werden er und Serbien in die Knie gezwungen. Und so wie es aussieht, gibt es nur wenige in deutschen Landen, die mit dem ueberfallenen Jugoslawien Solidaritaet ueben. Und schon fast keinen mehr, der Milosevic als Fuehrer dieses geschundenen Landes verteidigt. Die UN-Anklage zielt genau auf diese seine politische Isolation. Sie verschaerft das innenpolitische Klima in den NATO-Staaten. Denn die - durchaus vorhandene - Feindschaft zum Krieg kann sich nicht mit der Freundschaft zu Milosevic paaren.
Duestere Zeiten. Und dennoch: die Argumente gegen die NATO-Bomben sind mit der Anklage gegen den jugoslawischen Praesidenten um keinen Deut entkraeftet, wiegen schwer wie seit der ersten Cruise Missile, die in Wohnhaeuser eingeschlagen hat. Mehr noch: sie wiegen mit jeder NATO-Bombe schwerer. Das wissen auch Clintons und Schroeders Berater. Deshalb zielt der Haftbefehl gegen Milosevic auf Kriegsgegner an der Heimatfront. Er soll als Rechtfertigung fuer den Bombenkrieg und den moeglicherweise bevorstehenden Einsatz von NATO-Bodentruppen dienen. Und er versperrt durch die Aechtung eines Verhandlungapartners eine diplomatischen Loesung. Wer immer auf eine solche gesetzt hatte, ob das nun Bruessel oder Moskau war, muss sich in seinen Bemuehungen weit zurueckgeworfen. Fuer die Kriegshetzer in den USA und EU-Europa allerdings ist der Bescheid des UN-Tribunals im Haag ein Grund zum feiern. Wie heisst auf serbisch "no pasaran"?
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