Anti-Kriegskundgebung in Linz
Einstellung der NATO-Angriffe als Schlüsselfrage
An die 2.000 TeilnehmerInnen, darunter zahlreiche jugoslawischer
Herkunft, zählte die von der Friedenswerkstatt Linz am 23. April
1999 auf dem Linzer Hauptplatz organisierte und von Andrea Mayer-Edoloeyi
moderierte Anti-Kriegskundgebung. In Transparenten wurde ?Stoppt
Bomben in Europa!? gefordert, die KPÖ war mit der Losung ?Nein
zum NATO-Krieg! Ja zur Neutralität!? vertreten. Zahlreiche TeilnehmerInnen
hatten sich mit den aus Protest gegen die NATO-Bombardements entstandenen
Zielscheiben dekoriert. Musikalisch und künstlerisch wurde die
Kundgebung von Testa, Passengers, Karl Grass Kompanie und Fadi
Dorninger und einem Transparent des Malers Herwig Dunzendorfer
gestaltet.
Als erste Rednerin stellte die SPÖ-Nationalratsabgeordnete Sonja
Ablinger fest, daß ohne UNO-Mandat keine militärische Gewaltanwendung
gerechtfertigt ist und in Jugoslawien das Wirklichkeit wurde,
was die NATO verhindern wollte. Ablinger warnte vor der Gefahr
eines Flächenbrandes und einem Gemetzel durch den Einsatz von
Bodentruppen und stellte Parallelen zu 1914 her.
Emotionell sehr bewegt war die Rede von Boris Lechthaler (Friedenswerkstatt
Linz) mit der zentralen Aufforderung gemeinsam den Krieg zu stoppen.
Er bezeichnete den NATO-Angriff als verbrecherischen Krieg und
als nicht zufällig, daß der Text des Rambouillet-Abkommens erst
drei Wochen nach Beginn veröffentlicht wurde. Für das Ergebnis
von hunderttausenden Vertriebenen und maßlosen Zerstörungen gebe
es keine Rechtfertigung.
Lechthaler ordnete den Krieg in den globalen Aspekt des Imperialismus
ein und bezeichnete ihn gleichzeitig auch als ?Krieg gegen die
Friedensbewegung? und forderte als Alternative eine aktive Neutralität
ein. Abschließend kritisierte Lechthaler, der wenige Tage zuvor
demonstrativ von seinen Funktionen bei den Grünen zurückgetreten
war, zum sichtlichen Mißfallen der anwesenden grünen Prominenz
scharf die scharfmacherische Rolle grüner Politiker in Frankreich
und Deutschland als ?gewalttätig und feige?.
Nach 1914 und 1941 gibt es 1999 zum drittenmal in diesem Jahrhundert
Krieg auf dem Balkan, stellte Claudia Haydt (Informationsstelle
Militarisierung Tübingen) fest. Sie kritisierte es als zynisch
und menschenverachtend einen Krieg mit der Begründung einen Völkerfrieden
zu schaffen anzuzetteln und warnte, daß ?auf Greueltat eine neue
Greueltat? folgt. Haydt verlangte, aus der Gewalt auszusteigen
und Konflikte gewaltlos zu lösen. Desertation müsse als Asylgrund
anerkannt werden. Abschließend verlangte sie den Stopp der NATO-Bombardements
und eine Entmilitarisierung des Kosovo.
Eben dies verlangte als Quintessenz seiner Rede auch der Schriftsteller
Thomas Baum, der davon sprach, daß wir mit einem ?Fatalismus der
Begrenztheit? konfrontiert werden. Baum wies auf ?Verwirrung und
extremen Wirklichkeitsverlust? hin, wenn etwa gleichzeitig zur
Zerstörung der Ressourcen vom Wiederaufbau, bei Tod und Leid von
Spendenkampagnen gesprochen wird. Milosevic sei ?nicht der Feind,
sondern die eigene Kreatur des Westens?, ethnische Säuberungen
seien nicht tolerierbar, sie müßten aber ?klüger bekämpft werden
als mit Bomben?.
?Bomben schaffen keinen Frieden?, stellte auch Gottfried Hirz
(Landesgeschäftsführer der Grünen) fest und meinte, damit seien
auch schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht zu stoppen. Das
Ergebnis sei eine ?falsche Solidarisierung und ein Anschwellen
des Nationalismus?. Der Vertrag von Rambouillet sei unzumutbar,
habe weitere Verhandlungen verunmöglicht und die Gefahr der Destabilisierung
erhöht.
Hirz warnte vor einem neuen kalten Krieg durch die Frontstellung
gegen Rußland. Nutznießer des Krieges sei die Rüstungsindustrie,
wenn es darum geht die geleerten Arsenale wieder aufzufüllen.
Er forderte die Einstellung der Kampfhandlungen und die Rückkehr
zu Verhandlungen, die Einhaltung der Menschenrechte und den Stopp
der Vertreibungen sowie den Einsatz von UNO-Schutztruppen im Kosovo.
Von Österreich verlangte er eine aktive Neutralitätspolitik,.
An die Grünen in Deutschland und Frankreich richtete er die Aufforderungen
keine Kriegshandlungen zu unterstützen.
Von einem Gespräch mit der Architektin Schütte-Lihotzky berichtete
der Regisseur Kurt Palm, bei dem die bekannte Kommunistin feststellte,
daß es ihr so vorkomme, als habe sie die jetzige Entwicklung schon
einmal erlebt. Die Nachrichten seien nicht viel anders als die
antiserbische Propaganda im Jahre 1914 und es stelle sich die
Frage, ?ob die Menschen in der Lage sind aus der Geschichte zu
lernen?. Palm zitierte die Aussage von Karl Marx, wonach sich
die Geschichte zweimal abspielt, nämlich einmal als Tragödie und
einmal als Farce. Die Farce sei jetzt auf der politischen Ebene,
wenn das Volk für die Unfähigkeit der Politiker bezahlen müsse
und er definierte Fischer, Albright und Schüssel als Schmierenkomödianten.
Laut Brecht sei für die Herrschenden niemand gefährlicher als
Menschen, die ?sich gegen die Abgestumpftheit zur Wehr setzen?,
etwa wenn von NATO-Seite radioaktive Geschosse als für Zivilisten
ungefährlich bezeichnet werden und der deutsche Kriegsminister
Scharping das Wort Bombardement nicht mehr hören will und statt
dessen von Friedensmissionen spricht. Albert Einstein habe den
Begriff unendlich auf das Universum und die menschliche Dummheit
bezogen.
Palm kritisierte die ?sprachlichen Säuberungsaktionen? in den
Medien als Kehrseite zur Aktion ?Nachbar in Not?, bei welcher
?jedes Arschgesicht vor die Kamera? tritt. Die Behauptung Joschka
Fischers, die USA hätten keinerlei Interesse am Balkan sei verlogen,
denn irgend jemand werde auf jeden Fall absahnen. Es sei kein
Zufall, daß der Dow Jones derzeit seinen historischen Höchststand
erreicht hat und bezugnehmend auf ein berühmtes Marx-Zitat meinte
Palm abschließend, daß ?auf dem Balkan das Stadium der 300-prozentigen
Profitrate? bereits erreicht sei, bei dem das Kapital zu jedem
Verbrechen bereit sei.
Als letzte Rednerin kritisierte die stellvertretende KPÖ-Vorsitzende
Heidi Ambrosch die kriegsgeilen Medien, welche den Einsatz von
Bodentruppen herbeisehnen. Das Ziel sei die Zerschlagung Jugoslawiens,
daher auch das Schweigen der Medien zum Rambouillet-Vertrag, der
Jugoslawien unter NATO-Herrschaft bringen sollte. Es handele sich
jedoch über den Balkan hinaus um einen Krieg gegen alle Völker
Europas, der zynisch als humanitäre Hilfe verkauft wird. Wie verlogen
diese Definition ist, werde deutlich, daß es keinen gleichartigen
Aufschrei beim Völkermord in Burundi oder zur Vertreibung der
Serben aus der Krajina durch Kroatien gab. Die Medien würden das
Ausmaß der Zerstörungen ausblenden, das ?eigentliche Opfer ist
die Zivilbevölkerung, nicht Milosevic?.
Ambrosch meinte weiter, die NATO habe mit ihrem Krieg die Vertreibungen
erst richtig ausgelöst, daher sei die Einstellung der Bombardements
Voraussetzung für die Rückkehr zu Verhandlungen. Von Jugoslawien
wurde mit dem Ramboulett-Vertrag die Vollstreckung des eigenen
eigenen Todesurteils gefordert. Es sei falsch, daß es keine Alternativen
gab, statt Milliarden für Bomben und Zerstörung wären diese sinnvoller
für Entwicklung ausgegeben worden, doch davon haben die Rüstungsindustrie
und das ?Europa der Konzerne? nichts. Abschließend prangerte Ambrosch
an, daß Sozialdemokratie und Grüne den Krieg unterstützen. Sie
forderte den Ausstieg Österreichs aus der NATO-?Partnerschaft
für den Frieden?, die ?eigentlich eine Kriegspartnerschaft ist?
und statt dessen eine aktive Neutralität.
Leo Furtlehner
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