"Ökologische Kriegsführung" als integraler Bestandteil einer Militärstrategie

Von Knut Krusewitz*

Wenige Wochen nach Beginn des Krieges war bereits offensichtlich, daß die NATO den Naturhaushalt Jugoslawiens zur Erreichung ihrer Kriegsziele mißbraucht. 1975, nach Beendigung des Vietnamkrieges, in dessen Verlauf die US-Streitkräfte ‹ökologische Kriegsführung" zum erstenmal in der Kriegsgeschichte zum integralen Bestandteil einer Militärstrategie gemacht hatten, verabschiedeten die Vereinten Nationen zwei Völkerrechtsgesetze, die diese Art der Kriegsführung und gezielte Umweltzerstörung durch Kriegshandlungen verbieten. Der bewußte Verstoß gegen ökologische Kriegsnormen wird darin zum ‹Kriegsverbrechen" erklärt. Die Frage ist nun, ob sich die Alliierten im Rahmen ihrer Operation ‹Allied Force" humanitärer und ökologischer Verbrechen schuldig machen. Dazu müssen zunächst einmal die Begrifflichkeiten abgeklärt werden.

‹Öko-Krieg" und ‹Umweltkrieg" charakterisieren unterschiedliche ökologische, militärische und kriegsrechtliche Realitäten. Um ‹ökologische Kriegsführung" handelt es sich, wenn kriegführende Parteien die Natur zu ‹militärischen oder sonstigen feindseligen Zwecken als Mittel der Zerstörung, Schädigung oder Verletzung eines anderen Vertragsstaates nutzen" (Art. 1 Umweltkriegsverbots-Vertrag). Beispiele sind gezielte Zerstörung von Staudämmen oder die Entlaubung von Mangrovenwäldern wie im Vietnamkrieg. Ein ‹Umweltkrieg" wird geführt, wenn nicht nur Naturmedien wie Boden, Wasser oder Vegetation, sondern auch die Zivilbevölkerung, ihre Volkswirtschaft und ihre Kulturgüter angegriffen werden. Im Zusatzprotokoll 1 zu den Genfer Abkommen (1977) wird der sachliche und kriegsrechtliche Zusammenhang zwischen Öko-Krieg und Umweltkrieg hergestellt durch den Artikel 35 (Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung), Artikel 48 (Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele), Artikel 51 (absoluter Schutz der Zivilbevölkerung), Artikel 53 (Schutz von Kulturgütern), Artikel 54 (Schutz lebensnotwendiger ziviler Objekte und Gebiete), Artikel 55 (Schutz der natürlichen Umwelt) und Artikel 85 (Ahndung von Verletzungen dieses Rechts).

Kriegsökologische Effekte

Eine vorläufige ökologische Bilanz des Balkankrieges ergibt, daß Methoden und Techniken der Umweltkriegsführung bislang nur von der NATO angewendet werden. Aus methodischen und systematischen Gründen ist es sinnvoll, solche kriegsökologischen Tatbestände nach drei Schadenskategorien zu ermitteln.

- Primäreffekte: mediale Schäden in den Bereichen Boden, Wasser, Luft, Vegetation, Fauna und Klima sowie ihre Wechselwirkungen.

- Sekundäreffekte: komplexe Rückwirkungen der Primäreffekte auf die Gesellschaft in den Bereichen Leben, Gesundheit, Volkswirtschaft, Infrastruktur und Kultur.

- Teritäreffekte: ökologische, menschliche und ökonomische Kriegskosten, mit denen die Überlebenden konfrontiert sind.

Kriegsökologische Primäreffekte hat die NATO einmal verursacht durch Bomben- und Raketenangriffe auf Anlagen, die gefährliche Stoffe und/oder Kräfte enthalten: Erdölraffinerien, Pipelines, Tanklager, Verladestationen, Werke der chemischen und pharmazeutischen Industrie, Ammoniak-, Düngemittel- und Pflanzenschutzfabriken, Sprengstoffabriken und Munitionsdepots. Zum andern verursacht sie solche Effekte durch den Einsatz bestimmter Waffen, etwa das US-Kampfflugzeug vom Typ A-10 und den Kampfhubschrauber vom Typ Apache, die ihre Ziele mit angereicherter Uranmunition (DU-Munition) beschießen. Wenn ein DU-Geschoß auf die Zieloberfläche schlägt, wird ein großer Teil der kinetischen Energie als Hitze abgeleitet. Daraus ergibt sich Rauch, der eine hohe Konzentration von DU-Partikeln enthält. Diese Uranteilchen sind zweifellos toxisch. Nach der Explosion binden sich die Uranpartikel in der Luft mit Staub und gelangen später in die Nahrungskette und ins Trinkwasser. Ruß-, Staub- oder Dampfwolken mit ihrem Gemisch aus Stickoxiden, Schwefel- und Salpetersäuren, krebserzeugenden Kohlenwasserstoffen, hochgiftigen Uranpartikeln und ultragiftigen Dioxinen schlagen sich im Naturhaushalt der Region nieder. Zur Zeit kann zwar niemand vorhersagen, ob sich in den nächsten Monaten und Jahren - dies waren realistische Werte - 200 oder 500 Milligramm je Quadratmeter von diesem hochgiftigen Gemisch in Wohngebieten, Erntegürteln, Wäldern, Flüssen und Seen ablagern. Klar ist jedoch, daß die NATO inzwischen auf jugoslawischem Territorium einen ‹stummen" Giftgaskrieg führt. Er wurde nicht durch den Einsatz primärer, sondern sekundärer Giftgaswaffen ausgelöst, also die Bombardierung von Anlagen, von denen den Kriegsplanern bekannt war, daß sie gefährliche Stoffe und/oder Kräfte enthielten. Kriegsökologische Sekundäreffekte gefährden bereits nach wenigen Kriegstagen die Gesundheit der Zivilbevölkerung in Umgebung der zerstörten Anlagen. Vor allem in Städten wie Belgrad, Pancevo, Novi Sad, Subotica oder Krusevac wurden Tausende von Menschen den Giftgaswolken ausgesetzt. Es ist zu befürchten daß viele von ihnen chronisch erkranken.

Zerstörung der Infrastruktur

Ein zweiter kriegsökologischer Zyklus entwickelt sich durch die Zerstörung ziviler Infrastruktursysteme. In sämtlichen größeren oder strategisch wichtigen Städten wurden systematisch Ver- und Entsorgungseinrichtungen, Kommunikations- und Verkehrssysteme und wichtige Brücken zerstört aber auch Krankenhäuser, Schulen, Universitäten und Wohngebiete beschädigt. Die Wasser- und Stromversorgung für mehr als eine Million Menschen in erheblich gestört. Ein dritter Krisenzyklus entsteht durch enorme Schäden in der Agrarproduktion. Wegen des Mangels an Saatgut, Düngemitteln und Treibstoff kann in Jugoslawien weitaus weniger Getreide, Mais und Gemüse angebaut werden als in den Vorjahren. Diese Zerstörung der Infrastruktur weist bestimmte Ähnlichkeiten mit militärischen Manipulationen ökologischer Abläufe auf: Hier wie dort reagieren komplexe Realitätsbereiche auf kriegerische Eingriffe mit grundsätzlich nicht planbaren Effekten. Solche Eingriffe werden durch die Verflechtung einzelner ökologischer und infrastruktureller Komponenten rückgekoppelt, aufgeschaukelt, in ihrer Wirkung multipliziert. Aus diesem Grunde ist es heute noch nicht möglich, die Rückwirkungen der Primäreffekte auf die Bevölkerung zu quantifizieren. Das ist bislang nur für einen Teilbereich der Tertiäreffekte möglich. Die Wirtschaftsleistung Jugoslawiens etwa war bereits vor dem Krieg (1998) auf die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts von 1989 geschrumpft. Nach Berechnungen österreichischer Ökonomen ist das heutige Pro-Kopf-Einkomen auf den Stand von 1900 (!) zurückgefallen. Die Ökonomen sagen ein weiteres Absinken der Wirtschaftsleistung in Serbien um 25 Prozent voraus. Dabei haben sie die jüngste Zerstörung von Produktionsstätten und Infrastruktur noch gar nicht berücksichtigt. Deshalb erwarten sie nach Ende des Krieges eine weitere Auswanderungswelle - diesmal aus Serbien.

Der Balkankrieg bestätigt die Lehre aus dem Golfkrieg, daß Kriege, die mit den Methoden und Waffenarsenalen geführt werden, die noch dem Denken des Kalten Krieges verhaftet sind, den Charakter von Umweltkriegen annehmen müssen. Spätestens hier erweist sich die Absurdität der Rechtfertigungskonstrukte vom ‹gerechten" und vom ‹humanitären" Krieg. Kriege, die wegen ihrer Konzeption notwendigerweise die universellen Grundsätze der humanitären und ökologischen Vernunft pervertieren, bleiben Verbrechen gegen den Weltfrieden und die Menschlichkeit.

* aus: Volksstimme 21/99, leicht gekürzt