Destabilisierung der UNO?


Jede Bombe der NATO trifft auch die Vereinten Nationen. Dabei dürfte es sich jedoch keineswegs um einen ?Kollateralschaden? handeln, sondern um eine gezielte westliche Strategie, sich völkerrechtlicher Hemmungen zu entledigen. Bereits 1991 wurde in den verteidigungspolitischen Richtlinien als Aufgabe für die deutsche Bundeswehr die ?Aufrechterhaltung des Zugangs zu strategischen Rohstoffen und die Absicherung des freien Welthandels? festgehalten. Im sogenannten Tindemanns-Bericht des europäischen Parlaments wird 1996 die ?Schicksalsgemeinschaft Europa? beschworen, die ?stärkste Wirtschaftsmacht? der Welt, die nicht umhin komme, ?zugleich unter Anwendung von militärischem Druck eine wirksame Außenpolitk zu betreiben.? (1996). Das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen steht diesem Drang nach einer ?wirksamen Außenpolitik? im Weg. Denn für völkerrechtskonforme Militäreinsätze braucht es ein Mandat im UN-Sicherheitsrat. Dort verfügen die fünf ständigen Mitglieder USA, Frankreich, Großbritannien, China und Rußland über ein Vetorecht. Und insbesondere China und Rußland haben verständlicherweise wenig Ambitionen, den westlichen Militärstrategien den UN-Segen zu geben.

Deutsche und
österreichische Grüne
als Vorreiter

Da ein permanenter Verstoß gegen das Völkerrecht aber garzu sehr nach ?Wild-West? schmeckt, wird gleichzeitig versucht, einen eleganteren Weg einzuschlagen, indem das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat in Frage gestellt wird. Gelänge es auf diesen Weg Rußland und China auszubooten, könnte in Zukunft völkerrechtskonform gebombt werden. Denn Mehrheiten im UN-Sicherheitsrat würden die NATO-Staaten allemal finden. Den Startschuss für diesen Versuch, die UNO zum verlängerten Arm von US und EU-Strategien zu machen startete Daniel Cohn-Bendit, Europaparlamentarier für die deutschen Grünen, im Herbst 1998: ?Keine kleine Aufgabe für den neuen Außenminister und die deutsche Diplomatie? wird es sein, das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat zu überwinden? (Schrägstrich 11/98). Der Bundessprecher der österreichischen Grünen, Alexander van der Bellen greift den Ball auf: ?Es geht nicht an, dass eine Großmacht permanent ein Veto im UNO-Sicherheitsrat einlegt, wenn bereits offensichtlich ist, dass die Massaker nur durch eine militärische Intervention von außen beendet werken können?, ist der grüne Bundessprecher ganz auf der Linie seiner deutschen FreundInnen (Falter 44/98).

In der dritten Kriegswoche wird dieser Faden wieder aufgenommen. Diesmal meint Peter Pilz, Grün-Gemeinderat und Nationalratsaspirant, dass ?die Aufgabe des Veto-Prinzips? notwendig ist, um ?die Selbstblockade der Uno zu überwinden.? (Profil, 15. 4. 99). Und zeitgleich wird in einem Beschluss des Bundesvorstandes der österreichischen Grünen die Forderung nach einem bedingungslosen Stopp der NATO-Bombardements fallengelassen, die Forderung nach Aufgabe des Vetorechts im UNO-Sicherheitsrat dafür ins grüne Forderungsprogramm reingehievt.

Der Boden ist aufbereitet, nun kann der Meister ans Rednerpult treten. Joseph Fischer tut es bei der Bundestagdebatte am 22. April: man brauche eine Debatte, ?die vor dem Tabu der Wahrnehmung des Gewaltmonopols durch den Sicherheitsrat nicht haltmachen darf?. Er, Fischer, sei zwar nach wie vor für das UN-Gewaltmonopol, aber - man errät es - das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat müsse fallen, ?damit dieses Gewaltmonopol nicht auf nationalen, sondern auf internationalen Interessen gründet.?

Neuer deutscher Ostfeldzug: ?ethnische Grenzrevisionen?

Die Eliminierung des Vetorechts im UN-Sicherheitsrat ergibt vor allem für die Ostpolitik der deutschen Eliten Sinn. ?Der Osten ist als Aktionsraum für die deutsche Außenpolitik zurückgekehrt?, heißt es 1994 in einem Strategiepapier der CDU-CSU-Fraktionen. In einer Studie der ?Forschungsgruppe Europa? des ?Centrums für angewandte Politikforschung? (CAP), eines u. a. von der deutschen Bundesregierung und deutschen Großbanken finanzierten Politikinstituts wird bereits 1996 offen die Revision von Grenzen in Osteuropa und Rußland eingefordert: ?Gerechtfertigte Forderungen nach ethnischen Grenzrevisionen (sollen) rechtzeitig erkannt, sorgfältig geprüft und gegebenenfalls unterstützt werden.? Die Aufzählung derjenigen Gebiete, wo ?nationalstaatliche Grenzrevisionen in Betracht? kommen, um die ?ethnisch-kulturelle Identität? wiederherzustellen, führt uns auf die Spur des ?Unternehmens Barbarossa?:

- Endgültige Zerlegung Jugoslawiens: der Kosovo sowie Teile Mazedoniens und Montenegros müßten an Albanien abgetreten werden
- Sezession des südlichen Bessarabiens und der Nordbukowina von der Ukraine und Angliederung an Rumänien
- Revision der Grenzen Ungarns gegenüber Rumänien, der Slowakei und Serbien
- Grenzrevision zwischen Ar-menien und Aserbeidschan
- Grenzverschiebungen und Sezessionen im südlichen Kaukasus (Rußland, Georgien, Tschetschenien, Inguscheiten), ....

In den Schubladen deutscher Politiker liegen offensichtlich Pläne zur ethnischen Neuordnung des europäischen Ostens. Krieg inbegriffen: sollten nämlich friedliche Verhandlunge nicht fruchten, kann die ?Selbstbestimmung auch gewaltsam durchgesetzt werden?. Diese Aussagen des CAP von 1996 werden 1999 mit NATO-Bomben realisiert.

Die ?ethnische Filettierung? Jugoslawiens ist fast abgeschlossen. Die Ostpläne der deutschen Eliten reichen weiter. Die nun auf die Tagesordnung gesetzte Abschaffung des Vetorechts im UN-Sicherheitsrat richtet sich vor allem gegen Rußland. Denn von der eigenen Filettierung werden sich die russischen Eliten mt noch so vielen West-Krediten nicht überzeugen lassen.

Von Gerald Oberansmayr