Auschwitz-Überlebende verurteilen Äußerungen zu Parallelen Auschwitz-Kosovo
Die Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano, Kurt Goldstein und
der VVN-BdA-Bundessprecher Peter Gingold, der auch Mitglied des
Auschwitz-Komitees ist, haben sich gemeinsam mit weiteren jüdischen
Überlebenden und Hinterbliebenen des Holocaust gegen Stimmen gewandt,
zugunsten des Auftrages "Nie wieder Auschwitz" dürfe auf das Postulat
"Nie wieder Krieg" verzichtet werden. Die Unterzeichner, die zahlreiche
Familienmitglieder in Auschwitz verloren, wiesen diesbezügliche
Äußerungen von Außenminister Joseph Fischer und Verteidigungsminister
Rudolf Scharping zurück. Sie schrieben folgenden Brief an die
Minister:
Sehr geehrter Herr Außenminister! Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister!
Der Verteidigungsminister hatte bereits vor der völkerrechtswidrigen
Aggression der NATO gegen Jugoslawien, an der die Bundeswehr in
verfassungswidriger Weise teilnimmt, bei einem Bundeswehrbesuch
in Auschwitz gesagt: Um ein neues Auschwitz zu verhindern, "ist
die Bundeswehr in Bosnien", und daß sie darum "wohl auch in das
Kosovo gehen" wird. In Erklärungsnot geraten, berief sich auch
der Außenminister auf die neue Art der Auschwitzlüge, um den verhängnisvollen
Verstoß gegen die gerade auf Grund der Lehren von faschistischem
Krieg und Holocaust geschaffene UNO-Charta zu begründen.
Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern
verurteilen den Mißbrauch, den Sie und andere Politiker mit den
Toten von Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten im Namen der
deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord
an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist
eine aus Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene
Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen
Verbrechens. Diese Ihre Vorgehensweise soll offenbar einen schwerwiegenden
und nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Charta der Vereinten
Nationen rechtfertigen. Die gegen Deutschland und Japan siegreichen
Völker haben sich diese Charta 1945 gegeben, um "künftige Geschlechter
vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren
Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat" -
das bekanntlich von deutschem Boden ausging.
Sie beschlossen, die "Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und
die Internationale Sicherheit zu wahren." Weltfrieden und internationale
Sicherheit werden jetzt gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied
der UNO Krieg geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus, Krieg
gegen ein Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hitler erbrachte
und Unschätzbares zur Befreiung Europas vom Faschismus leistete.
Sich als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu
berufen, ist infam.
Das Vorgehen der jugoslawischen Führung gegen albanische Minderheiten
verstößt gegen die Menschenrechte. Wir verurteilen es. Wir verurteilen
es, wie wir das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden
verurteilen und das Vorgehen der israelischen Führung gegen die
Palästinenser verurteilt haben. Stets haben wir gefordert - und
wir tun es auch jetzt -, daß dagegen mit den Mitteln vorgegangen
wird, die der UNO zu Gebote stehen. Wer die antifaschistische,
den Menschenrechten verpflichtete Rolle der UNO nicht nutzt, sondern
die UNO ausschaltet und schwächt, der hat jedes Recht verloren,
sich auf antifaschistische Postulate wie "Nie wieder Auschwitz"
zu beziehen, zumal er damit zugleich das Recht zum Krieg begründet.
Die Folgen eines solchen Handelns werden ein Wiedererwachen der
Kräfte sein, die 1945 entscheidend geschlagen zu sein schienen.
Sehr geehrte Herren Minister!
Wir fragen Sie angesichts Ihrer Verlautbarungen und politischen
Praxis: Soll vergessen sein, daß in diesem Jahrhundert zweimal
über Serbien von deutschem Boden aus Vernichtung und Verwüstung
hinweggingen? Soll vergessen sein das Massaker an einer Million
Serben, begangen von deutschen Nazis im Zweiten Weltkrieg und
ihren in- und ausländischen willigen Vollstreckern? Nach den
Juden hatten die Slawen in Serbien - gemessen an ihrer Gesamtbevölkerung
- die meisten Opfer zu beklagen. Soll vergessen sein, daß die
Zerschlagung Serbiens von 1914 bis 1918 jenem Heeresgruppenbefehlshaber
und Totenkopfhusaren August von Mackensen übertragen war, der
1915 und dann immer wieder das "rücksichtslose Vorgehen" gegen
die serbische Bevölkerung befahl und der dann Hitler bis zuletzt
als Propagandist half - bis zum Aufruf zum Opfertod der Jugendlichen
als Volkssturm - und nach dem die Bundeswehr noch immer eine
Kaserne in Hildesheim benennt? Soll vergessen sein, daß nicht
nur kaiserliches Heer, Reichswehr und Wehrmacht erprobte Serbenschlächter
in ihren Reihen hatten, sondern auch die Bundeswehr? Wir verweisen
auf Wehrmachtsoberst Karl-Wilhelm Thilo, der in der Bundeswehr
Generalmajor und Kommandeur der 1.Gebirgsdivision - jener Division,
die nun wieder auf dem Balkan die deutsche Fahne vertritt - sowie
stellvertretender Heeresinspekteur wurde. Er unterzeichnete Massenmordbefehle
gegen Jugoslawen, und er schrieb mit an Büchern, die in der Bundeswehr
kursierten, um den Völkermord zu preisen, so H. Lanz (Hg.) "Gebirgsjäger
- Die 1. Gebirgsjäger-Division 1935/1945. Soll vergessen sein,
daß der Krieg der Bundeswehr gegen Serbien eindeutig gegen das
Völkerrecht verstößt, nicht nur gegen die UNO-Charta, sondern
auch den NATO-Vertrag, die Schlußakte von Helsinki, gegen das
Grundgesetz und den Zwei-Plus-Vier-Vertrag?
Deutschland hat sich immer wieder zur Einhaltung der UN-Charta
verpflichtet und sie nun mit dem Angriff auf Jugoslawien mit Füßen
getreten. Die Bundeswehr verstieß gegen die Befehle aus dem politischen
Raum. "Darüber hinaus hat die Bundesregierung das Verbot der
Führung eines Angriffskrieges bekräftigt" (Aus dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag
vom 12. September 1990. Zitiert nach "Weißbuch 1994" der Bundeswehr.)
Soll vergessen sein, daß Jugoslawien mit dem Krieg zur Unterzeichnung
eines Vertrages gezwungen werden soll, der nur mit dem Münchner
Diktat von 1938 verglichen werden kann, mit dem die CSR zerstört
wurde, wie heute Jugoslawien zerstört werden soll? "Ein Vertrag
ist nichtig, wenn sein Abschluß durch Androhung oder Anwendung
von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen
niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt wurde."
So heißt es im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge,
Artikel 52. Wir fordern entschieden: Schluß mit dem Krieg gegen
Jugoslawien und als Sofortmaßnahme: Einstellung der Bombardements.
Verhandeln statt schießen. Wir fordern die Wiederherstellung
der UNO-Charta und Stärkung der UNO. Dies als Beitrag zur Verwirklichung
und Verteidigung der antifaschistischen Errungenschaften der
Völker.
Hochachtungsvoll
Esther Bejarano, Hamburg
Peter Gingold, Frankfurt am Main
Kurt Goldstein, Berlin
Walter Bloch, Düsseldorf
Henny Dreifuß, Düsseldorf
Günter Hänsel, Neuss
Werner Stertzenbach, Düsseldorf
Rückfragen und Möglichkeit der Unterzeichnung bei Peter Gingold,
Reichsforststr. 3, 60528 Frankfurt am Main, Tel. und Fax: 0 69
/ 67 26 31 und Ulrich Sander, Heinrich-Sondermann-Platz 14, 4488
Dortmund, Tel. und Fax: 02 31 / 69 80 60. --
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