14. April 1999
Jungle World

Divide et impera!

Deutschlands militärische Beteiligung an der Aggression der Nato ist die konsequente Fortsetzung seiner Politik gegen Jugoslawien.

Von Klaus Thörner

"Ganz Südosteuropa" ist unser Hinterland, so lautet das deutsche Credo, seit es der "Vater der deutschen Nationalökonomie" Friedrich List 1842 formulierte. Die Balkanhalbinsel sollte zum hegemonialen deutschen Einflußgebiet und zur Brücke in den Nahen Osten werden. Aus den südosteuropäischen Ergänzungsräumen solltenRohstoffe, Agrarprodukte und nach Bedarf billige Arbeitskräfte in das Deutsche Reich geliefert werden.

Diese Zielsetzung wurde von Anfang an mit dem
Anspruch verbunden, der angeblich
"geschichtslosen", "barbarischen" und zur eigenen
Staatenbildung und -organisation unfähigen
Bevölkerung Südosteuropas die deutsche
Zivilisation zu bringen. Um sich ihr "Hinterland"
zu sichern, versuchten deutsches Kapital und
deutsche Politik von vorneherein, große,
selbständige Nationalstaaten in Südosteuropa zu
verhindern. Gleichzeitig war man in Deutschland
vehement daran interessiert, den russischen
Einfluß in Südosteuropa zurückzudrängen. 1875/76
erschienen die deutsch-österreichischen
Expansionsbestrebungen erstmals bedroht. Ein
Aufstand in Bosnien-Herzegowina, Serbien und
Montenegro entwickelte sich zu einem Krieg mit dem
Osmanischen Reich, in dem die Aufständischen
Unterstützung von Rußland erhielten. Zur Sicherung
der deutsch-österreichischen Interessen wurde in
dieser Phase in einem Militärgutachten erstmals
die bis heute gültige Direktive der deutschen
Politik ausgegeben. Es gehe darum, "uns der
griechischen, albanischen (Ö) und mohammedanischen
Elemente zu unserem Vorteil zu bedienen und diese
Stämme gegen die südslawischen auszuspielen". Die
Adriaküste und ihr Hinterland müsse von der
"serbischen Hand" unberührt bleiben.

Auf der dem Krieg folgenden Berliner Konferenz von
1878 unter Führung Bismarcks wurden die Grenzen
Südosteuropas neu bestimmt. Serbien, Montenegro,
Rumänien und Bulgarien wurden zu kleinen,
scheinselbständigen Staaten erklärt, die von
Beginn an in starke wirtschaftspolitische
Abhängigkeit gegenüber Deutschland und seinem
Juniorpartner Österreich-Ungarn gerieten.
Bosnien-Herzegowina wurde zum militärisch
besetzten österreichischen Protektorat, während
Albanien, das Kosovo und Mazedonien vorerst im
Osmanischen Reich verblieben.

Damit hatten die Regierungen in Berlin und Wien
einen großen, wirtschaftlich und politisch starken
Staat in Südosteuropa verhindert. Ähnlich verlief
die Entwicklung nach dem ersten Balkankrieg von
1912. Damals kämpfte ein Balkanbund mit
Griechenland, Bulgarien, Serbien, Montenegro und
Rumänien mit Unterstützung Rußlands erfolgreich
gegen das Osmanische Reich. Die Bündnisstaaten
hatten sich für den Fall eines Sieges
untereinander auf die territoriale Verteilung der
Gebiete Albaniens, des Kosovo und Mazedoniens
geeinigt. Serbien sollte das Kosovo und Teile
Albaniens erhalten.

Doch entschieden wurde die neue Raumordnung
wiederum auf einer Konferenz der Großmächte, in
diesem Fall in London. Deutschland und
Österreich-Ungarn verfolgten hier das Ziel, einen
großen serbischen Staat zu verhindern und Serbien
und Rußland einen Zugang zur Adria zu verwehren.
Der österreichische Generalstabschef forderte die
unbedingte Verhinderung einer Machterweiterung
Serbiens und Montenegros, "die Einbeziehung
derselben in unsere Machtsphäre" und die
Besitznahme des Gebietes des Kosovo. Auf
deutsch-österreichische Initiative wurde auf der
Londoner Konferenz die Gründung des Staates
Albanien deklariert. Der deutsche Kanzler nannte
ihn den "albanischen Pufferstaat". Zum Herrscher
Albaniens wurde ein deutscher Prinz ernannt. Wie
in Deutschland über den neuen albanischen Staat
gedacht wurde, geht aus einer zeitgenössischen
Broschüre hervor, in der es heißt, daß "ein
selbständiges Albanien nicht einmal die Bedeutung
des kleinsten Balkanstaates erringen" könne.
"Unter allen Balkanvölkern stehen die Albanesen
auf der niedrigsten Kulturstufe und sie haben das
absolute Bedürfnis, geführt zu werden".

Als Zugeständnis an Serbien und Rußland setzten
die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs
auf der Londoner Konferenz jedoch durch, daß das
Kosovo dem serbischen Staat zugesprochen wurde.
Die Machterweiterung Serbiens nach dem ersten
Balkankrieg wurde in Deutschland als Behinderung
eigener wirtschaftlicher und strategischer
Interessen in Südosteuropa ausgelegt. Man
bereitete sich nun durch eine große Heeresvorlage
auf einen deutsch-österreichischen Krieg gegen
Serbien vor und machte sich Gedanken über die
Konstruktion einer Provokation, um auch die
Sozialdemokratie zur Bewilligung der Kriegskredite
zu bewegen.

Mit dem Attentat auf den österreichischen
Thronfolger in Sarajevo war dieser Vorwand im Juni
1914 gegeben. Nur wenige Tage später gab der
deutsche Kaiser die Parole aus: "Jetzt oder nie
(Ö). Mit den Serben muß aufgeräumt werden und zwar
bald." Man müsse "feste auf die Füße des Gesindels
treten (Ö). Es ist kein Staat im europäischen
Sinne, sondern eine Räuberbande." Bereits Monate
vorher hatte er erklärt: "Bei den Slawen muß per
divide et impera vorgegangen werden." Die "Slawen
seien nicht zum Herrschen geboren, sondern zum
Dienen", dies müsse "ihnen beigebracht werden".
Wenn sich die serbische Regierung nicht beuge, "so
wird Belgrad bombardiert und solange okkupiert,
bis der Wille Seiner Majestät erfüllt ist". Nach
einem 48stündigen Ultimatum zogen deutsche
Soldaten, dermaßen eingestimmt, in den Krieg gegen
Serbien.

Auf anderen Kriegsschauplätzen konnten die
deutschen Militärs, wie wir wissen, weniger große
Erfolge verbuchen. Um sich das "Hinterland" Ost-
und Südosteuropa dennoch über den Krieg hinaus zu
sichern, wurde in deutschen Regierungskreisen
Anfang 1918 eine neue Legitimationsideologie
entwickelt, der "Ethische Imperialismus" bzw. die
"Moralische Eroberungspolitik". Der spätere
Kanzler Max von Baden präsentierte sie in einer
Denkschrift. Darin heißt es u.a.: "Eine so
ungeheure Kraft, wie wir sie in diesem Kriege
entfaltet haben, muß sich vor der Welt ethisch
begründen, will sie ertragen werden. Darum müssen
wir allgemeine Menschheitsziele in unseren
nationalen Willen aufnehmen ( Ö). Kolonisieren
heißt Missionieren." Dieses Konzept sei notwendig,
um die Anerkennung der deutschen Vormachtstellung
"im Osten und in Mitteleuropa" zu erreichen.
Verbunden wurde das Konzept des "Ethischen
Imperialismus" mit der Parole vom
"Selbstbestimmungsrecht der Völker".

Die deutsche Regierung erklärte sich auf dieser
fragwürdigen Grundlage zum Anwalt der angeblich
von Rußland unterdrückten Nationen Ost- und
Südosteuropas. Unmittelbar nach der Niederlage im
Ersten Weltkrieg konnten sich die Deutschen mit
ihrem völkischen Konzept für ihre Einflußzone Ost-
und Südosteuropa nicht durchsetzen. Mit der
Gründung der multinationalen Staaten
Tschechoslowakei, der Sowjetunion und nicht
zuletzt Jugoslawien wurden dem deutschen
Expansionismus zunächst Riegel vorgeschoben. Die
Ideologie des "Ethischen Imperialismus" und des
"Selbstbestimmungsrechts der Völker", die im
deutschen Bewußtsein immer über dem Prinzip der
territorialen Integrität eines Staates steht,
lebte jedoch fort.

Im Mai 1940 erläuterte Heinrich Himmler einen
wesentlichen Grundsatz der deutschen Ost- und
Südosteuropapolitik, der mit der Zerstörung der
Tschechoslowakei 1938/39 erstmals in die Praxis
umgesetzt worden war: "Bei der Behandlung der
Fremdvölkischen im Osten müssen wir darauf sehen,
so viel wie möglich einzelne Völkerschaften
anzuerkennen (Ö). Ich will damit sagen, daß wir
nicht nur das größte Interesse daran haben, die
Bevölkerung des Ostens nicht zu einen, sondern im
Gegenteil in möglichst viele Teile und Splitter zu
zergliedern."

Als die jugoslawische Regierung sich Anfang April
1941 nach Massendemonstrationen in Belgrad
weigerte, sich der deutschen Kriegsmaschinerie
politisch unterzuordnen, wurde in der deutschen
Öffentlichkeit das alte Feindbild von den "Serben"
als "Attentätern, Verschwörern, Putschisten und
Weltbrandstiftern" wiederbelebt.

Am 6. April 1941 begann der deutsche "Blitzkrieg"
gegen Jugoslawien mit Bomben auf Belgrad. Nach der
Kapitulation der jugoslawischen Armee wurde nach
der Himmlerschen Direktive der Zergliederung
verfahren. Serbien mit den lukrativen Erzminen im
Norden des Kosovo wurde unter deutsche
Militärverwaltung gestellt. Mit dem kroatischen
Ustascha-Staat unter Einschluß
Bosnien-Herzegowinas wurde ein deutscher
Vasallenstaat geschaffen. Slowenien wurde zwischen
Deutschland und Italien geteilt, Montenegro wurde
ein italienischer Satellitenstaat und Mazedonien
fiel an das mit Deutschland verbündete Bulgarien.
Der südliche Teil des Kosovo wurde Albanien
angeschlossen und stand damit unter italienischem
Protektorat.

Nachdem Italien 1943 die Waffenpartnerschaft mit
Deutschland aufkündigte, wurde Großalbanien durch
die deutsche Wehrmacht besetzt. Formell erhielt es
nach deutscher Diktion den Status einer "relativen
Souveränität". Politiker aus dem Kosovo wurden zum
Ministerpräsidenten und Innenminister ernannt. Zur
Bekämpfung der jugoslawischen Partisanen
rekrutierte Himmler 1944 in Großalbanien die
Waffen-SS-Gebirgsdivision "Skander Beg". Standort
der Division war Prizren im Kosovo. Südosteuropa
war für die deutsche Kriegswirtschaft eine
wichtige Basis für Rohstoffe und Agrarprodukte. An
einer Industrialisierung der Balkanstaaten war man
dagegen nicht interessiert. Statt dessen strebte
man danach, die während der zwanziger und
dreißiger Jahre geschaffenen bescheidenen Ansätze
einer eigenständigen südosteuropäischen Industrie
wieder zu beseitigen. Die nach 1989 in Jugoslawien
durch Schuldenkrise, Zersplitterung des Staates
und Krieg einsetzende Deindustrialisierung
entspricht den alten deutschen Plänen.

Nach 1945 wurde das Kosovo im Verbund mit Serbien
Teil der Sozialistischen Föderativen Republik
Jugoslawien. Um mögliche Konflikte zwischen Serben
und Albanern zu vermeiden, plante die Regierung
unter Tito seit 1946 eine Balkanföderation mit
Albanien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und, wenn
möglich, Griechenland. Auf diese Weise wären die
Konfliktherde Kosovo und Mazedonien beseitigt
gewesen. Doch Stalin sah in diesen Plänen eine
Bedrohung der sowjetischen Hegemonie im Ostblock.
Mit dem Ausschluß Jugoslawiens aus dem Kominform
1948 war dieses Thema erledigt. Nun versuchte die
jugoslawische Regierung, das Problem Kosovo mit
wirtschaftlichen Mitteln zu lösen.

Als Erbe der Zeit vor 1918 gab es in Jugoslawien
ein drastisches ökonomisches Nord-Süd-Gefälle.
Während Slowenien und Kroatien in der Habsburger
Zeit teilindustrialisiert worden waren, blieb im
Süden Jugoslawiens bis weit ins 20. Jahrhundert
hinein die agrarische Subsistenzwirtschaft
prägend. Um eine Angleichung im Lebensstandard der
jugoslawischen Bevölkerung zu erreichen,
konzentrierte die Regierung ihre Investitionen
anfangs stark auf den Süden des Landes. In den
sechziger Jahren wurde darüber hinaus ein
Bundesentwicklungsfonds eingerichtet (vergleichbar
mit dem deutschen Länderfinanzausgleich), in den
die wirtschaftlich potenteren Republiken Slowenien
und Kroatien einen Teil ihrer Einnahmen
einzahlten. 65 Prozent der Mittel dieses Fonds
flossen in das Kosovo.

Doch zur Finanzierung der nachholenden
Industrialisierung nahm die Regierung in Belgrad
in den sechziger und siebziger Jahren mehr und
mehr Auslandskredite auf. Sie konzentrierte ihre
Investitionspolitik zunehmend auf die Förderung
der Exportindustrien in Slowenien und Kroatien, um
die Devisenreserven zu vergrößern. Eine
Wirtschaftskrise Mitte der sechziger Jahre konnte
jedoch nicht verhindert werden. In ihrer Folge kam
es zu den ersten separatistischen Kundgebungen in
Kroatien und im Kosovo.

In den siebziger Jahren beruhigte sich die Lage
noch einmal. Durch zahlreiche günstige Kredite,
die Jugoslawien auf den internationalen
Finanzmärkten erwarb, stieg der Lebensstandard der
Bevölkerung. Mit der Verfassung von 1974 erhielten
die einzelnen Republiken eine größere ökonomische
Eigenständigkeit. Das Kosovo wurde zum autonomen
Gebiet erklärt und erhielt Stimmrecht im
jugoslawischen Staatspräsidium.

Anfang der achtziger Jahre geriet Jugoslawien in
eine dramatische Wirtschaftskrise. Da der
Staatshaushalt vor dem Bankrott stand und neue
Kredite wegen der hohen Auslandsverschuldung nicht
mehr in Sicht waren, trat Jugoslawien Anfang der
achtziger Jahre dem IWF bei und unterwarf sich
1982 und 1987 sog. Strukturanpassungsprogrammen,
die Privatisierungen, Lohnstopps und
Massenentlassungen vorsahen. Doch die Regierung
konnte die Vorgaben des IWF nicht wie vorgesehen
erfüllen, da es während des gesamten Jahres 1987
zu Massenstreiks und -demonstrationen kam. In der
Zeit wurde im Dezember 1987 resümiert: "Ein
komplettes Chaos. Die Belgrader Regierung bekommt
die Wirtschaftskrise nicht in den Griff." Bei den
Löhnen gehe es "balkanisch" zu. Lohnbeschränkungen
würden durchlöchert, um soziale Unruhen zu
vermeiden. 1987 sei es zu einem Streikrekord
gekommen. In allen Fällen seien Gehaltsforderungen
der Auslöser gewesen. Besonders beklagt wurde in
dem Artikel die niedrige Arbeitsproduktivität. Die
"Arbeitsmoral" würde in Jugoslawien "nicht gerade
großgeschrieben". Nach Expertenberechnungen seien
darüber hinaus ein Drittel der Beschäftigten in
der Wirtschaft "technischer Überschuß".

Im Zuge der Wirtschaftskrise nahm in den einzelnen
jugoslawischen Republiken der Nationalismus
dadurch erheblich zu. Dabei bildeten sich
unterschiedliche Optionen heraus. Während der
Gesamtstaat Jugoslawien in den achtziger Jahren
mit der Europäischen Gemeinschaft ein
Assoziierungsabkommen geschlossen hatte,
verbreitete sich in Slowenien und Kroatien die
Auffassung, nur alleine, d.h. nach einer
Abkoppelung vom wirtschaftlich schwächeren und
hochverschuldeten Süden des Landes, eine Chance
auf einen EG-Beitritt zu haben. Die Haltung, den
armen Süden nicht länger alimentieren zu wollen,
führte 1988 zum ersten Schritt der jugoslawischen
Desintegration. Slowenien und Kroatien kündigten
einseitig ihre Zahlungen für den
Bundesentwicklungsfonds, Gelder, die, wie erwähnt,
bisher zu großen Teilen in das Kosovo geflossen
waren.

Gleichzeitig wurden bei Entlassungen in den
nördlichen Republiken zuerst die zahlreichen
Migrationsarbeiter aus dem Süden des Landes auf
die Straße gesetzt. Während mit der Hoffnung auf
einen EG-Beitritt somit in Slowenien und Kroatien
auf Separatismus gesetzt wurde, hielt die
serbische Regierung unter Milosevic aus derselben
Hoffnung am jugoslawischen Gesamtstaat fest. Nur
bei dessen Erhalt und mit einem EG-Beitritt hätten
auch Serbien und der Süden des Landes eine Chance
gehabt, vom europäischen Markt partizipieren zu
können. Diese Motivation trug dazu bei, daß
Milosevic jeglichen Separatismus zu unterdrücken
suchte und 1989 in Reaktion auf die dortige
separatistische Bewegung das Autonomiestatut des
Kosovo aufhob (siehe auch rechte Spalte).

Mit der dadurch gewonnenen Stimme im
Staatspräsidium hoffte die serbische Regierung
Slowenien und Kroatien majorisieren zu können,
denn eine Aufteilung des Landes Jugoslawien in
verschiedene Staaten war laut Verfassung nur durch
einen Mehrheitsbeschluß des Staatspräsidiums
möglich. Doch entgegen der jugoslawischen
Verfassung drängte Deutschland die neuen
antisozialistischen Regierungen in Slowenien und
Kroatien Anfang der neunziger Jahre, einseitig
ihre Unabhängigkeit zu erklären und dabei auch
militärische Auseinandersetzungen in Kauf zu
nehmen.

Genscher erklärte der kroatischen Regierung 1991:
"Mit jedem Schuß rückt die Unabhängigkeit näher".
Die deutsche Presse von FAZ bis taz begann in
dieser Phase das Bild von den friedfertigen,
europäischen und marktwirtschaftlich orientierten
Slowenen und Kroaten einerseits und den
amoklaufenden, barbarischen, orientalischen und
kommunistischen Serben andererseits unter die
Leute zu bringen. Das alte deutsche Feindbild
Serbien brauchte dabei nur abgerufen zu werden.
Die Zivilisationsgrenze zwischen "Mitteleuropa"
und dem "Orient" wurde traditionsgemäß wieder
südlich von Kroatien gezogen. Ziel der deutschen
Propaganda war die Zerstörung des
"Vielvölker-Gefängnisses" Jugoslawien, des
"inhomogenen Kunststaates", des Reliktes des
Versailler Vertrages.

Gleichzeitig entsorgen die Deutschen durch
Projektionen auf Serbien ihre Vergangenheit.
Herrenvölkerwahn, Völkermord und
Konzentrationslager waren plötzlich nicht mehr
Begriffe zur Beschreibung der deutschen
Verhältnisse, sondern dien(t)en zur Legitimation
für die Zerschlagung Jugoslawiens und die
Beteiligung der Bundeswehr an der Intervention
gegen "die Serben" und ihren "Diktator". All dies
kulminierte darin, daß eine Große Koalition von
CDU bis zu den Grünen im November 1991 beschloß,
Slowenien und Kroatien auch "im Alleingang" zu
Weihnachten 1991 völkerrechtlich anzuerkennen und
damit die Auflösung Jugoslawiens zu besiegeln.

Die Grünen hatten dies bereits Anfang August 1991
gefordert. Sie waren Kohl und Genscher damit um
einige Monate voraus. Trotz Warnungen des
UN-Generalsekretärs, der US-Regierung und anderen,
daß eine Anerkennung Kroatiens und Sloweniens die
Ausweitung des Konflikts auf andere hochgradig
sensible Gebiete Jugoslawiens nach sich ziehen
würde, machte die deutsche Regierung zu
Weihnachten 1991 Ernst und erreichte einen
EG-Beschluß für die Auflösung Jugoslawiens. Den
bewaffneten Auseinandersetzungen um Bosnien und
das Kosovo stand nichts mehr im Weg.

Der Beitrag für eine Veranstaltung der Zeitschrift
konkret wurde redaktionell bearbeitet und gekürzt.