Brief an alle Mitglieder der Grünen OÖ.
Boris Lechthaler
Grünau 19, 4312 Ried in der Riedmark
Tel. u. Fax: 07238-4129, Büro: 0732-739444
E-Mail: b.lechthaler@demut.at
Linz, den 21.04.1999
Liebe Freundinnen und Freunde!
Rücktritt von meinen Parteifunktionen und meiner Kandidatur zum
Nationalrat!
Das Verhältnis der Grünen zur Frage von Krieg und Frieden im Allgemeinen,
bzw. zum NATO- Angriffskrieg gegen Jugoslawien im Besonderen zwingt
mich alle meine Parteifunktionen und meine Kandidatur zum Nationalrat
bis auf weiteres ruhend zu stellen.
Wie mir erst jetzt bekannt wurde, hat sich unser Bundessprecher,
Alexander van der Bellen, in einem Falter- Interview im Herbst
98 (Falter 44/98), für NATO-Interventionen ohne Mandat des UN-
Sicherheitsrates ausgesprochen. Weiters beantwortete er darin
die Frage nach möglichen Überflugsgenehmigungen für die NATO durch
Österreich lapidar mit: "Na ja, sicher!"
Seit 24. März 1999 ist die europäische Nachkriegsperiode beendet.
Unübersehbar nähern wir uns mit Riesenschritten einer neuen Periode
heißer Kriege, deren Auswirkungen für die Menschen in Europa katastrophal
sein werden. Den Hintergrund für diese Gewalteskalation bilden
die gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen, die
mit der neoliberalen Ausrichtung der Wirtschaftsstrukturen einhergehen.
Das 20. Jahrhundert endet dort, wo es begonnen hat: beim Versuch
der gewaltsamen Neuaufteilung der Welt.
Erst vor einer Woche wurde in den deutschen Medien der Annex B
zum Rambouillet Vertragsentwurf veröffentlicht. Dieser militärische
Teil des Vertrags liest sich wie ein klassischer Unterwerfungsvertrag
der Kanonenbootpolitik des 19. Jahrhunderts. Er wurde vom grünen
Außenminister Joschka Fischer der eigenen Fraktion vorenthalten.
Jan Oberg, ein schwedischer Friedensforscher des Transnational
Found, bezeichnete Rambouillet nicht als Gewalt- sondern als Friedensverhinderungsvertrag.
Was jetzt dringend notwendig ist, ist die Entwicklung und Stärkung
von Antimilitarismus und Friedensbewegung. Notwendig ist eine
scharfe Trennung von jenen Grünen, die für diesen verbrecherischen
Krieg mitverantwortlich sind. Deshalb ist für mich die Zögerlichkeit
der Partei für die Entfaltung einer solchen Politik überhaupt
nicht nachvollziehbar.
Der Erweiterte Bundesvorstand konnte sich noch dazu entschließen
auf Vorschlag von Johannes Voggenhuber ein Papier zu beschließen,
daß den Charakter des aktuellen Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik
Jugoslawien treffend benannte. In der Zwischenzeit liegt ein Beschluß
des Bundesvorstandes vor, der dies zur Gänze konterkariert. Nicht
einmal zur Forderung nach einem sofortigen Stopp des NATO- Bombardements
konnte sich der Bundesvorstand durchringen. Stattdessen wird sicherheitspolitische
Haiderei betrieben. Gefordert wird nunmehr gleichlautend mit jenen
deutschen Grünen, die für diesen Krieg mitverantwortlich sind,
die Aufhebung des Vetorechts im UN- Sicherheitsrat. Man/frau stelle
sich vor, das US- State Departement würde offiziell diese Forderung
erheben. Insbesondere Rußland kann eine solche Forderung nur als
offenen Affront auffassen. Blauäugig einfach die Forderung nach
Aufhebung des Vetorechts zu erheben ist gleichbedeutend mit der
Forderung nach Verwandlung der UNO in einen verlängerten Arm der
NATO.
Freilich ist die UNO dringend reformbedürftig. Wo aber bitte,
bleiben die grünen Forderungen nach einer Demokratisierung der
UNO? Wo bitte bleibt die Forderung nach einer stärkeren Bindung
des Sicherheitsrates an die Generalversammlung der Vereinten Nationen?
Unabhängig davon ist aber jede Diskussion um die Reform der UNO
zum jetzigen Zeitpunkt lächerlich. Jetzt, wo gerade die mächtigsten
Staaten signalisiert haben, daß sie sich an Beschlüsse der UNO
nicht gebunden fühlen, wenn sie ihren Interessen zuwiderlaufen,
kann eine UNO- Reformdiskussion nur den Sinn haben, zu einer nachträglichen
rechtlichen Sanktionierung dieses verbrecherischen Krieges zu
gelangen.
Diese Form der UNO- Reformdebatte ist ja auch nicht neu. Sie wird
von den deutschen Kriegsgrünen bereits seit einiger Zeit geführt.
Wenn sie jetzt nach Österreich überschwappt, ist dies nur ein
weiteres Zeichen für die Anbindung
der österreichischen Grünen an die deutschen.
Die Grünen sind vor 13 Jahren angetreten um unter anderem der
Friedensbewegung eine Stimme in den Parlamenten zu geben. Nunmehr
wird uns via "Profil" von Peter Pilz beschieden, daß die Friedensbewegung
seit Mitte der 80er Jahre tot ist. Daß die Friedensbewegung im
letzten Jahrzehnt an Dynamik verloren hat, ist ebenso unübersehbar
wie, daß es sie nach wie vor gibt. Es ist für mich als Grünen
bitter einzugestehen, daß grüne Politik offensichtlich einen wesentlichen
Beitrag zur schwindenden Dynamik der Friedensbewegung (doch nicht
nur dieser) geleistet hat. Die Grünen sind nach wie vor Projektionsfläche
für die Sehnsüchte vieler friedensbewegter Menschen, Sehnsüchte
die gerade durch grüne Politik paralysiert und diskredidiert werden.
Im März 1996 lag dem Bundeskongreß der Grünen in Linz ein Papier
zur Standortfindung vor. In diesem Papier wurde unter offene Fragen
unter anderem vermerkt: unsere Position zur NATO- Osterweiterung
und unser Verhältnis zu pazifistischen bzw. Friedensgruppen. Auf
Anfrage wurde mir damals mitgeteilt, daß unser derzeitiger Bundessprecher
diese Punkte als offene Fragen hineinreklamierte. Offensichtlich
gibt es den Wunsch danach sich endgültig von Friedensgruppen zu
trennen.
Ein Spitzenkandidat, der diese Entwicklung voll mitzuverantworten
hat, ist für mich untragbar. Um die Grünen wieder auf einen klaren
antimilitaristischen Kurs zu bringen sind offensichtlich tiefgreifende
politische und personelle Konsequenzen notwendig. Ohne diese Konsequenzen
ist es für mich nicht mehr weiter möglich öffentlich für die Grünen
Politik zu betreiben. Deshalb trete ich von meiner Funktion als
Landesvorstandsmitglied der Grünen OÖ, als Bezirkssprecher der
Grünen Perg und als Kandidat der Grünen OÖ zum Nationalrat zurück.
Mit antimilitaristischen Grüßen!
Boris Lechthaler |