Günter Mayer
Beobachtung der Satireszene

Zweite Beobachtung
November – Dezember 2000

Drei ausgeschundene Körper hängen an den Händen gefesselt von der Wand eines Verlieses, sind im wesentlichen handlungsunfähig. Ein kleinwüchsiger, dicker und augenscheinlich dekadenter Fürst mit seinem Sekretär und Henker scheint seine Frage ("Wer für drastische Steuererhöhung ist: Hand hoch!") selbst sehr ernst zu meinen. Also: Herrscher, Verwalter und Vollstrecker als Feindbild für den Betrachter (und armen Steuerzahler), der sich mit den Gefangenen identifiziert.
Eigentlich haben die Zeichner mit großer Treffsicherheit genau jene Situation illustriert, in der sich viele permanent sehen: Der arme und fleißige Steuerzahler ist der Obrigkeit ausgeliefert, muss "brennen bis er schwarz wird" und hat gewissermaßen gar keine Wahl – und die "Herren über dem Volk" amüsieren sich darüber.



Eine Arbeit der Karikaturisten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung",
Achim Greser und Heribert Lenz, sozusagen als
schönes Beispiel zum Themenkomplex "Steuern und Finanz".
(Quelle: Greser & Lenz: Rettet die Faustkeilindustrie. München, 1998. Seite 33)



Ärgern wir uns denn nicht alle über die hohen Abzüge, versuchen ohnmächtig nachzuvollziehen, was mit unseren Steuern passiert, engagieren eine "subventionierte" Schar an Steuerberatern, um dem Martyrium des Steuerzahlens zu entgehen?
Wenn dann endlich (wie Ende des Jahres in Oberösterreich) eine Volksabstimmung über so unnütze Dinge wie "eine Oper im Berg" kommt, ist doch vollkommen klar, wie man da abstimmt (wenn einem die Hände einmal nicht gebunden sind). Das wäre doch die richtige Demokratie! Da will sich doch nur so ein größenwahnsinniger Landeshauptmann ein Denkmal setzten, will zu allem Überfluß in Kultur investieren!





Werbemittel gegen die Linzer Oper



Bleiben wir doch kurz bei einem der Proponenten dieser Volksabstimmung, dem freiheitlichen Landesrat Achatz.
Was mich und sicher viele Bürger und Bürgerinnen seit langem interessiert: Wann hatte der Herr Landesrat diesen schweren, schrecklichen Unfall, der sein Gesicht so furchtbar entstellte?
Da darüber wenig bekannt ist, hat Gerhard Haderer (ein bekannter Linzer Forscher, der sich mit gesellschaftlich relevanten Fragen beschäftigt) dazu eine stichhaltige These entwickelt. Weil er nach langwierigen Recherchen keine Informationen erhielt, die auf einen Verkehrs- oder Haushaltsunfall hindeuteten, ist er nach genauer Erforschung der Wundstruktur der festen Überzeugung, dass Herr Achatz beim Gebrauch von diversen Esswerkzeugen verunfallte, sich selbst beim Essen mit Stich und Schnittwerkzeugen (Messer und Gabel) verletzte.
Im populären Wissenschaftsmagazin "Moff" hat Haderer diese These grafisch illustriert:




Gerhard Haderer
(Quelle: Gerhard Haderer: Moff - Band 1. Die Rache des blöden Hundes. Seite 18 / 19)



Im Wesen der demokratischen Grundorientierung liegt begründet, dass jene Volksvertreter, die das System erhalten sollen – also Personen, denen Macht übertragen wird – mit besonderem Misstrauen beobachtet werden. Einerseits votiert der Wähler, bewertet die Arbeit der Regierung durch sein Wahlverhalten, andererseits gibt es die Medien, die tagesaktuell und kritisch über politische Entwicklungen und Diskussionen berichten. Im Bereich der Printmedien bieten Kommentare den breitesten Spielraum, sich kritisch zu äußern oder Visionen zu zeichnen.
Darüber hinaus können Karikaturen durch die ihnen verliehene "künstlerische Freiheit" über die geschriebenen Kommentare hinaus zu zielen und waren früher gefürchtete Waffen, die das gezeichnete "Opfer" lächerlich machen konnten. Die politische Karikatur hatte ihre erste Blüte zur Zeit der französischen Revolution und der napoleonischen Kriege. Damals schufen englische Karikaturisten auch den ersten internationalen Oberschuft – Napoleon Bonaparte.

Karikatur funktioniert nach meiner Einschätzung ähnlich wie Literatur. Setzt man Talent (visuelle Begabung), mit Sprache umzugehen und die nötigen handwerklichen Fähigkeiten voraus, so heben sich doch aus der Masse der Literaten jene ab, die eigentlich aus den gleichen Grundvoraussetzungen mehr herausholen: Durch Ideen, pointierteren Umgang, raffiniertere Kombinatorik, interessantere und bessere Inhalte …
Ein Beleg dafür, dass Qualität nicht von der technischen Aufwändigkeit abhängt, sondern ganz andere, noch zu beschreibende Kriterien eine Rolle spielen, ist die Arbeit von Gunter Hansen (München). Mit dem Cartoon "Kann Karate" hat er im wahrsten Sinn den Vogel abgeschossen. Es ist das Lieblingsmotiv vieler Cartoonfans, das auf Postkarten, T-Shirts und Poster gedruckt tausendfach verkauft wurde.




Gunter Hansen
(Quelle: Gunter Hansen: Das Kükenbuch. Zürich, 1997



Doch nun zurück zur Ausbeutung des Volkes durch den Finanzminister: Oft ein lohnendes Beispiel, ein wahrer Dauerbrenner, der gern Verwendung findet, wenn in der Redaktion gerade keine anderen Themen diskutiert werden. Es ist deswegen so lohnend, weil das Thema Steuern – wie schon eingangs erwähnt – jeden Einkommensempfänger betrifft. Dabei kann bei genauer Beobachtung der zu diesem Thema veröffentlichten Karikaturen ein eingeschränktes Bildvokabular ausgemacht werden. Exemplarisch möchte ich (sozusagen als Aufwärmrunde beim Karikaturkritiker-Workshop im Rahmen dieser Kommentare) vergleichend Arbeiten zu diesem Thema gegenüberstellen. Ich habe aus den wichtigsten Tageszeitungen Karikaturen gesammelt und ...

... ein Ranking der beliebtesten "Finanzmetapher" entwickelt:

Das Sparschwein (absolute Nr. 1, quasi die Lieblingsmetapher der Tageskarikaturisten) findet in verschiedensten Varianten Verwendung. Hier eine Auswahl:

– der Finanzminister, der mit einer Herde von Sparschweinen auf "Futtersuche" geht
– der Finanzminister und das "Trojanische Sparschwein", in dem die einzelnen Belastungspakete versteckt werden
– der Finanzminister, der sich beim Blick in den Spiegel erschrocken selbst als Sparschwein identifiziert
– das wild gewordene Sparschwein macht Jagd auf arme Steuerzahler
– der Finanzminister, der mit einem Sparschwein an Stelle einer Trüffelsau auf Geldsuche geht
– die unersättliche Sau, die nicht genug bekommen kann
– der Finanzminister, als Zauberlehrling Potter verkleidet auf seinem Besen mit einem Sparschwein durch die Lüfte segelnd
• Großer Beliebtheit erfreut sich auch das sprichwörtliche "Geld aus der Tasche ziehen"

• Der "Schuldenberg als Berg" kommt in verschiedensten Variationen vor. Der Finanzminister z.B. muss ihn beispielsweise erklimmen, als "Schuldenbauch" weg operieren oder mit einem unfahrbaren Bike bezwingen

• Äußerst beliebt ist auch der "Pleitegeier"

• Ebenfalls gerne umgesetzt wird der Begriff "Soziale Treffsicherheit" im Zusammenhang mit einem Schieß- und demnach Zielvorgang

• Auch das als Paket beziehungsweise Geschenk getarnte Sparpaket sowie der in irgendeiner Art als Folterknecht dargestellte Finanzminister sind populäre Motive

Dem gegenüber (der Vollständigkeit halber) weitere Bildideen zum Thema Steuern und Finanzminister:

Der Finanzminister
– als Laienmagier, der unlösbare Situation lösen will
– als Friseur, der die Haare schert
– als melkender Bauer
– der sich an der akademischen Eule vergreift
– als Ober, der neue Steuer serviert (z.B. die Studiengebühr an einen Studenten)
– im Boxring mit Verhandlungspartnern
– als Zirkusdompteur (alleine oder mit Verhandlungspartnern)
– als Fleischhauer, der Extrawurst verweigert
– als Sparefroh
– läßt die Katze (neue Steuer) aus dem Sack

Die Besteuerung
– als Fass, das angezapft wird (auf dem Fass steht, was konkret angezapft wird)
– als Armutsfalle in Gestalt einer Rattenfalle
– der Fiskus (personifiziert als versoffener Nachtwächter) säuft sich weiter voll: auf den Krügen werden die einzelnen Besteuerungsvarianten angeführt
– der Finanzhaushalt als Gießkanne, die verstopft wird
– das Steuerproblem als Gewicht, das es zu stemmen gilt



Die "Sprache" der Karikatur hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte nicht wesentlich verändert. Es wird mit einem ähnlich bleibenden Bildvokabular gearbeitet, ausgetauscht werden lediglich die Hauptdarsteller. Auch im Bereich der technischen Umsetzung bewegen sich die jetzt agierenden Karikaturisten auf sehr traditionellen Pfaden. Da Karikaturen unter einem gewissen Zeitdruck hergestellt werden müssen, ist Routine Voraussetzung. Routine heißt: ästhetische Wiedererkennbarkeit, technische Sicherheit und die Möglichkeit, auf ein entwickeltes Repertoire zurückgreifen zu können.

Dazu eine aktuelle Zusammenstellung von Bildbeispielen aus den "OÖN", der "Presse", den "Salzburger Nachrichten", dem "Kurier" und dem "Standard", dazu einige schon historische Vergleichsbeispiele aus der internationalen Presse:




Feindbilder in der Karikatur:

Vorurteile finden ihre massivste und gefährlichste Ausprägung in Feindbildern. Meist entsprechen Feindbilder schablonenhaften Vorstellungen. Dabei werden zwei Arten von Feindbildern unterschieden. Erstens Feindbilder, die an Einstellungen und Verhaltensweisen festgemacht werden. Wenn sich jemand zu diesen bekennt, wird er zum politischen Feind. Die zweite Gruppe von Feindbildern bezieht sich auf ganze Gruppen mit speziellen angeborenen oder kulturell erworbenen Charakteristiken. Angehörige dieser Gruppe mutieren automatisch zu Feinden. Feindbilder sind stark simplifizierte Schwarz-Weiß-Klischees.
(Quelle: Plum Angelika: Die Karikatur im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und Politikwissenschaft. Aachen, 1998. Seite 107)

In der Karikatur können Feindbilder auch als eine Form von Widerstand verstanden werden, als eine Solidarisierung mit bestimmten in Gefahr geratenen Idealen, die eine politische Haltung zum Ausdruck bringen. Objektiv gesehen ist Jörg Haider eines jener Feindbilder (und das schon seit Ende der 80er Jahre), auf das sich die kleine Gruppe von aktiven österreichischen Karikaturisten eingezeichnet(schossen) hat. Auch als international bekannte Person, als Logo für eine bestimmte politische Haltung, wird Haider als ein Feindbild von Karikaturisten im Ausland gesehen.



Titanic Umschlag 3 / 2000



Gerade die Leitfigur und das Idol einer Partei, die mit Vorliebe Feindbilder zeichnet, wird selbst zum wichtigsten Motiv für Karikaturisten. Es läge also nahe, den Großteil der politischen Karikaturisten einer bestimmten politischen Lade zuzuordnen. Dies ist natürlich reine Spekulation und wurde, soweit mir dies bekannt ist, noch nie näher untersucht.
"Bild als Waffe" heißt eine der wichtigsten Publikationen zur Geschichte der Karikatur. Wenn das Bild, die Karikatur noch immer als Waffe gesehen wird – eine Waffe, die lächerlich macht – , wie können sich "Feindbilder" dagegen wehren, wo sind die Grenzen des Erlaubten? Die Pressefreiheit und die künstlerische Freiheit gelten als wesentliche Bestandteile unserer Gesellschaft. Man erinnere sich zurück an den großen Honoré Daumier, der 1831 wegen der Darstellung von Luise-Philippe für sechs Monate hinter Gitter musste. In von Medien dominierten Zeiten hat sich vieles gewandelt. Buchhalter rechnen die genaue Fernsehpräsenz der Spitzenpolitiker ab. Dabei wird zwischen positiver und negativer Berichterstattung nicht unterschieden. Hauptsache präsent. Die politische Karikatur hat ihre Waffenspitze vielleicht verloren und kommt mir oft nur mehr als nostalgischer Aufputz vor. Die Art-Direktoren mit ihren Photoshop-Collagen drängen sich reißerisch in den Vordergrund. Gibt es denn überhaupt noch Titelblätter, die nicht manipuliert werden?

Zurück zu meinem Auftrag:

Eine Beobachtung bleibt ohne Konturen, wenn keine Vergleichspunkte gefunden werden. Veränderungen betreffend Zielmotive im Bereich der Karikatur resultieren in inhaltlicher Hinsicht derzeit natürlich aus dem Regierungswechsel. Dabei könnte sich am Schärfegrad der publizierten Arbeiten die Blattlinie und die Positionierung zur neuen Regierung erkennen lassen, rein theoretisch. Ich wäre fast verleitet, ein Punktesystem zu kreieren, bei dem nach der schwierigen Definition des Schärfegrades von Karikaturen die kritische Haltung von Zeitungen gegenüber der momentanen Regierungssituation quantitativ zum Ausdruck kommt.
Ob dieses Objektivierungsverfahren, wo auch die Frage nach dem Qualitätsbegriff bei der Bewertung einer Arbeit ein Thema wäre, jeweils funktionieren würde, sei dahingestellt.

Aber mehr zum Thema demnächst.