Günter Mayer
Beobachtung der Satireszene

Vierte Beobachtung
April – Mai 2001

Welche gesellschaftliche Relevanz besitzen Karikaturen? Anders gefragt: in wieweit tragen Karikaturen zur Meinungsvielfalt und Meinungsbildung, zur Kritikfähigkeit der Leser und zum Verständnis von Ereignissen durch die satirische Darstellung bei?
Regen Karikaturen überhaupt jemanden auf? Beschränkt sich die Erregung nicht nur mehr auf religiöse Fanatiker, die nicht müde werden, sich zu entbrüsten, wenn die Kirche, deren Symbole oder Würdenträger kritisiert werden?
Da hört man in den Nachrichten, dass müsste Bayern, Salzburg und Oberösterreich evakuiert werden müssten, sollte es in Temelin zum großen Störfall, zu einem Supergau ähnlich Tschernobil kommen,. Das muss man sich einmal vorstellen! Werden dann in Tageszeitungen Witzchen bzw. Karikaturen dazu gezeichnet, so bringen sie das Problem höchstens wieder für Sekunden ins Bewusstsein der Menschen. Dann wird wieder verdrängt. Geht wahrscheinlich auch nicht anders, denn sonst müssten wir uns sowieso auf der Stelle die Kugel geben.


Grundsätzlich ist der Witz als kritische Äußerung zu einem derartigen Problem doch nichts anderes als eine Art der Auseinandersetzung mit dem Unausweichlichen, dem Tod. Über den Witz wollen wir uns dem Unausweichlichen entgegenstellen, wenigstens theoretisch. Der Tod als Thema in der Karikatur ist eines der interessantesten Kapitel überhaupt. Um diesen eigentlich riesigen Themenkomplex anzureissen habe ich zwei Arbeiten als Exkurs zum eigentlichen Thema ausgesucht.

Ein kluger Künstler behauptete unlängst, jeder Künstler therapiere sich nur selbst. Dieser Behauptung ist nur sehr schwer zu widersprechen, auch in der satirischen Kunst nicht. Nehmen wir da zum Beispiel den Künstler John Callahan. Er war ein echter Rabauke. Alkohol, Weiber, Raufereien – nichts hat er ausgelassen. Bis er eines Tages als Opfer eines selbstverschuldeten Verkehrsunfalles vom Kinn abwärts gelähmt erwachte. Nach einer schwierigen persönlichen Phase begann er zu zeichnen. Zum Großteil Witze über Behinderte. Das Bewegen des Bleistifts ist für ihn Schwerarbeit.

John Callahan


"Papi erzähl uns noch mal, wie Du uns alle umgebracht hast" beschreibt ein mögliches Danach. Erstens im Himmel (ein Trostklischee), denn alle finden sich als Engel wieder, egal was sie auch angestellt haben; zweitens wieder vereint als die nette Familie, alles in Butter sozusagen. Eine zweite Chance bietet sich, eine zweite Chance, die es nicht gibt – und das genau ist das Zynische. Dass die Biografie des Künstlers mit den Bildthemen in Zusammenhang zu bringen ist, kann jedoch nur bei genauer Betrachtung des Gesamtwerkes gesehen werden.
Eine Arbeit des jungen Wiener Zeichners Nicolas Mahler kann hier als Gegenposition herangezogen werden. Mit: "Der Tod ist nicht das Ende mein Sohn" – "Scheisse", illustriert Mahler klar eine pessimistischere Sicht mit dem gleichen "Zynismusfaktor"


Mahler

Dramatisch ist auch die Arbeit von Jean-Maurice Bosc in Verbindung mit seiner Lebensgeschichte zu sehen. Bosc litt an einer unheilbaren Nervenkrankheit und beging 1973 Selbstmord. Die nachfolgende Arbeit entstand ein Jahr vor seinem selbst gewähltem Abgang.

Bosc


Überall begegnet man berufsmäßiger Komik. Werbungen sind großteils satirisch, im Radio gibt es gewerbsmäßige Lustigmenschen, sogar das Wetter wird "unheimlich" humorvoll moderiert. Ö3 ist ein gutes Beispiel für "Brechstangen-Komik" ohne Tiefgang. Dort werden mit lautem und doofem Lachen schlechte bis nicht vorhandene Pointen kompensiert. Und dann noch die Flut an Humorsendungen im Fernsehen. Alle Varianten von "Verstehen Sie Spaß", eine Flut von "Hoppalas" (wie zum Beispiel wenn ein Kleinkind vom Stockbett purzelt, weil es der Katze nachgekrabbelt ist), schließlich die täglichen Comedyshows. Markus Weimer (ein "Rattelschneck" – geniales deutsches Karikaturistenduo) hat einmal für Thomas Gottschalks Late Night Show gearbeitet. Nach seinen Erzählungen denken sich dort über ein Duzend Witzeerfinder humorvolle Sachen aus, aufgeteilt in Zweiergruppen in kleinen Büros. Sie durchforsten die Zeitungen nach Themen, die man ausschlachten könnte. Ein Oberwitzeaufbereiter wertet dann täglich aus und legt dem Talkmaster die besten Pointen vor. Der lernt sie dann für sein Humorfeuerwerk auswendig.
Daneben findet sich am Medienmarkt noch ein unüberschaubarer Bereich an ungewollter Komik: Talkshows mit Themen wie "Ich bin zu fett", "Mein Partner nörgelt ständig an mir herum" oder "Ich habe mich in einen anderen verliebt" sind an schwarzem Humor und Ironie kaum zu überbieten.

Einige Anmerkungen zur Geschichte der Karikatur:
Haben Sie gewusst, dass es in London Anfang des 19. Jahrhunderts fast hundert Geschäfte gegeben hat, in denen man ähnlich unseren Videotheken Mappen mit Karikaturen gegen Gebühr entlehnen konnte? Oder dass Karikaturen des englischen Künstlers Gillray als "heiße" Ware nach Frankreich geschmuggelt und dort im Schwarzhandel vertrieben wurden, weil der nach eigener Einschätzung "göttliche" Napoleon nichts mehr fürchtete als ein schlechtes Image? Und Gillray von der englischen Regierung dafür bezahlt wurde? Das waren die goldenen Zeiten der Karikatur!

Heute kann angenommen werden, dass sich die Fans von Deix und Haderer aliquot dem Wahlergebnis aus sicher mindestens 20% FPÖ-Wählern zusammensetzen. Und das, obwohl gerade die FPÖ-Wähler Zielscheibe der bildichen Kritik sind.
Gerhard Haderer erzählte bei einem Gespräch, dass er derzeit mit Lust alternativ zu den gewohnten Cartoonseiten mit Großplakaten, Daumenkinos oder Märchenbüchern Stellung bezieht. Das auch mit großer Wirksamkeit und Erfolg.
Das Plakat zur Deix-Ausstellung im Kunsthaus Wien 2000 (natürlich mit Karikaturen) wurde als bestes Plakat des Jahres 2000 ausgezeichnet. Wirken gute Karikaturen doch noch?

Wenn rückblickend analysiert wird, wann die größten Leistungen im Bereich der Karikatur erbracht wurden, so war dies immer ein Zusammenspiel glücklicher Umstände, idealer Zusammenarbeit oder Partnerschaften. Und zu diesem System gehörte meist ein "weitsichtiger, gebildeter, innovativer, besessener ..." (Chef)Redakteur. Die Zeitungen New Yorker, Charivari, Profil, Stern, … bewiesen bzw. beweisen dies. Karikatur ist eine in den Journalismus integrierte Kunst

Wirksamkeit hängt sicher mit Qualität zusammen. Das Spektrum der ästhetischen Umsetzungen ist groß – vom Fotorealismus eines Haderer bis zum realistische Aquarell eines Deix, von der Kugelschreiberumrisslinie eines Tex Rubinowitz bis zu den stilisierten Männchen des Rudi Klein und den Federzeichnungen eines Pammesberger. Das Problem einer Qualifizierung ist sehr komplex.
Die Qualität einer Arbeit kann nur als Kombination einer Reihe von Faktoren bestimmt werden.
Es gibt gute und schwache Karikaturen, das wissen wir. Ein guter oder schlechter Einfall ist jedoch wissenschaftlich nicht fassbar. Nach Franz Schneider (Autor von "Die politische Kariktur") sind es aber die Wege, auf denen versucht wird, gute Karikaturen herzustellen.
Eines hat sich seit der Blütezeit der Karikatur nicht verändert. Karikaturen haben eine eindeutige Funktion. Sie sollten ein Problemfeld aufgreifen (ob politik- oder gesellschaftskritisch) und es pointiert, satirisch, vielschichtig, ethisch und politisch korrekt behandeln. Der Beschauer sollte die "Botschaft" lesen, sie "entdecken" und sich an ihr erfreuen (über sie lachen) können. Karikatur funktioniert also nur, wenn die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger stimmt. Das Medium dieser Kommunikation ist der Cartoon, der Witz, die Karikatur. Eine Karikatur verstehen heißt, sie zu dechiffrieren; heißt Symbole, Verkleidungen, Anspielungen sowie Assoziationen zu erkennen und in Verständnis zu übersetzen. Diese Gedankenleistung erschließt sich dann in der Pointe als Belohnung. Bei einer Erstbegegnung mit einer Pointe lacht man, bei den Folgebegegnungen nicht mehr.
Eine der Grundregeln der "Neuen Frankfurter Schule" – ein Witz dürfe nicht zu opulent auftreten, denn das würde die komische Kraft des Inhalts nicht fördern – war lange oberstes Dogma der zeichnenden Zunft. "Komische Maler" wie Hurzlmeier, Sowa, Kahl oder Deix haben diese These widerlegt. Somit ist technisch gesehen wieder alles offen.
Ob man bei einer Karikatur in einer Zeitung "hängen bleibt", ist immer eine Frage der Gesamtwirkung, des Zusammenspiel verschiedener Faktoren also. Wir Kunsthistoriker können schlussendlich versuchen, die einzelnen Komponenten heraus zu filtern, um genauere Analysen anzustellen.
(Zum Beispiel: Fragen der Mehrdeutigkeit, literarische Bezüge, ideologische Hintergründe, humoristische Momente, Einsatzzeitpunkt der Pointe, Grad der Überzeichnung, Stil, Dramaturgie, Grad der Abstraktion, Zeitbezug bzw. Aktualität).
Für eine "Meisterkarikatur" gibt es kein Rezept, auch wenn viele Rezeptbücher (à la "Wie zeichne ich Karikaturen?") am Markt sind. Jeder "Meister" hat so seine Methode (wie man Einfälle notiert, wie der Bildaufbau funktioniert, welche Technik verwendet wird, wie die individuellen Charaktertypen angelegt werden), aber einer genialer Arbeit liegt stets ein ebensolcher Einfall zugrunde. Und um den geht es, ohne den geht nichts.



Zum Resümee meiner Beobachtung

Hat sich seit der Regierungsumbildung in der Szene etwas verändert? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Regierungsumbildung heißt neue Charaktere einlernen, genau beobachten und neu kombinieren. In der österreichischen Politik sind die Feindbilder an und für sich gleich geblieben, nur deren Funktionen sind andere. So wird nun Finanzminister Grasser mit Sparschweinen und Geiern etc. in Verbindung gebracht, früher war es halt Edlinger.
Kanzler Schüssel bekam im letzten Jahr in der Karikatur ein neues Image. Vom Mascherlträger zum Herrscher mit der "viel zu großen Krone". Er wird als farbloser Typ gezeichnet, als sprachlos, als einer, der die "Krot fressen muss" (vergleiche die Erste Beobachtung). In Zusammenhang mit Tagesthemen tritt er meist überzeichnet als "Unbeteiligter" auf, als einer, den nichts etwas angeht. Seine eher kleine Gestalt wird von Karikaturisten gerne ins Winzige übersteigert, gerne wird er als Zwerg oder Kind dargestellt.

schüssel-riess (Der Standard)


schüsselmundzu (Der Standard)


schüsselschläft (Der Standard)


Haider wurde eine eigene Beobachtung gewidmet. Zusammenfassend sei nur wiederholt: Haider ist das Logo der FPÖ und des Rechtpopulismus. Er ist leicht erkennbar, demnach dekodierbar und wird deswegen ständig als Zeichen eingesetzt. Er ist der Dämon, das Böse, der Spitzbub, der Flegel.

böhmdorfer (Der Standard)

sichrovski (Der Standard)


Riess-Passer hat ob ihrer Funktion und ihres Bekanntheitsgrades (dekodierbar) einen Stammplatz erhalten. In gleicher Weise hat ihn die SPÖ auf dieser Bühne fast verloren. Aussagen, Interventionen oder Veränderungen in der SPÖ haben derzeit innenpolitisch zuwenig Relevanz. Ausnahme war der Wahlerfolg Häupls, der entsprechend ausgeschlachtet wurde. Dabei ist Häupl durchwegs gut weggekommen, seine politischen Gegner haben ordentlich Fett abbekommen. Die Vormachtstellung Häupls wurde überzeichnet verzerrt. So sah man ihn als schnurrenden Kater, der mit den anderen Mäuschen spielt. Die Tendenz ist derzeit sehr regierungskritisch, das ist ob der schwankenden Qualität jedenfalls gut.

Hütter, Salzburger Nachrichten


Aber man muss sich die Produktion von Karikaturen auch einmal von Seiten des Tageskarikaturisten vorstellen. Schon bei Daumier hatte der Tag seinen genauen Ablauf_ Redaktionssitzung, Festlegung der Schwerpunktthemen, Überlegung, welche Themen sich für die Karikatur anbieten. Dann hat der Zeichner einige Stunden Zeit und steht demnach unter großem Zeitdruck für Bildidee und Ausführung. Verfügte da der Zeichner nicht über ein Maß an Routine, einen fixen Hausschatz an Analogien und große Kontinuität, könnte er schnell ins Schwitzen kommen.

Die Karikatur wurde in der Kunstgeschichte immer an den Rand der Kunst gedrängt. Zeitgenössische Tendenzen in der Kunst sind in den letzten Jahren vermehrt funktions- und aussagenorientiert, in der Malerei ist ein starker Trend zur realistischen Darstellung zu bemerken. Dies scheint die Karikatur wieder näher an die "Kunst"-Produktion anzudocken.

Die österreichischen Karikaturistenszene hat wenige herausragende Karikaturisten / Cartoonisten. Einer dieser Ausnahmekünstler, einer, der jedoch ganz vorne steht, ist Manfred Deix. Er ist der Chronist der österreichischen Seele. Der legendäre Hans Traxler, Mitbegründer der "Neuen Frankfurter Schule", hebt ihn auf eine Stufe mit historischen Größen wie Hogarth oder Daumier. Ich muss mich dieser Beurteilung anschließen. Deix bringt seine Sicht der Dinge erbarmungslos auf den Punkt. Man wird nicht müde, seine Arbeiten zu sehen. Er verleitet immer noch dazu (natürlich in Kombination mit den hoch verehrten Herren Haderer und Klein), das "Profil" von hinten her aufzublättern. Und er ist nach über 25 Jahren noch genauso frech wie am Anfang. Nicht auszudenken, wenn dieser Ausnahmekarikaturist einmal nicht mehr produzieren sollte.
Was aber macht ihn so genial? Er hat ein Archiv von Typen (er behauptet im Kopf) die er beliebig in Szene setzt. Er ist ein Meister der klassischen Porträtkarikatur. Das heißt, er erfasst die Charaktere der von ihm gezeichneten Personen wie kein anderer. Die Körpersprache, Gestik und Mimik seiner "Opfer" konkretisieren die Bildaussage – in der Kunstgeschichte wird dabei gerne vom "fruchtbaren Moment" gesprochen. Er arbeitet mit perfekter Bilddramaturgie. Der literarische Anteil seiner Arbeiten ist von höchster Qualität und steht mit seiner Reimform in der Tradition von Gerhardt, Waechter oder Wilhelm Busch. Nach Robert Gerhardt zeichnen Deix zwei Dinge aus: seine gute Technik und sein schlechter Geschmack. Er macht vor keinem Thema halt, weder vor Mord, Totschlag, noch sexuellen Perversionen, schon gar nicht vor den Gebrechen des Menschen. Seinen Figuren glaubt man ständig zu begegnen. "Der schaut aus wie vom Deix" ist eine klare Klassifikation, darunter kann sich jeder etwas vorstellen.
Eine der Deix-Methoden ist die absolute Übersteigerung, jedoch in nicht die üblich Richtung. Wird zum Beispiel von erhöhter Jugendkriminalität berichtet, so übertreibt er zum Schreckensszenario. Der pickelige, "frisch gekampelte" und übergewichtige brave Bub wird zum brutalen Lynchmörder mit Hacke. Sowohl das Opfer als auch der Täter schauen aber dermaßen belämmert drein, dass die an sich sehr brutale Darstellung ins Komische zurück kippt. Die Drastik der Darstellung und die humoristische Ausformung sind die Enden der Stange eines Drahtseilartisten. Eines Artist, der den engen Grad des Humors über dem Abgrund des Geschmacklosen beschreitet.
Das angeschlossene Bildbeispiel (Haider sinnierend nach der Wiener Wahl) zeigt noch eine andere deix‘sche Erzählmethode. Medienstar Haider wird als naiv nachdenkender eitler Durchschnittsbürger dargestellt, der die Welt nicht mehr versteht. Er steht damit da wie der kleine Autokeiler, der seine Wägen verkaufen will – aus – basta. Und das in von Deix ungewohnt leichtem Strich, ja für ihn fast skizzenhafter Darstellungsweise.

Deix: Haider nach der Wiener Wahl


Zum Abschluss und als Vorgeschmack auf die Ausstellung in Wels eine Zeichnung des genialen Rudi Klein (in Wels werden eine Vielzahl von Klein- und Much-Originalen zu sehen sein):

Klein Falter


Klein: "Eigentlich kritisiert man Kollegen nicht, aber im Falle Ironimus muss soll man eine Ausnahme machen." Danke Rudi!

Folgende Zeitungen und Journale präsentieren die Arbeiten ihrer Zeichner im Internet:
"Profil", "News", "Oberösterreichische Nachrichten", "Kurier", "Salzburger Nachrichten" (zum Teil).

Sollte meine Ausführungen je jemand gelesen haben, so freue ich mich über Reaktionen an
g-mayer@gmx.at