Erich Klinger
Wien, November 1995. Alpenmilchzentrale. "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 44", vom Hamburger Institut für Sozialforschung initiiert, ist erstmalig auf ehemals ostmärkischem Boden aufgebaut 1.
Konsequenterweise haben die Ausstellungsgestalter darauf verzichtet, die klar konturierte Thematik der systematischen Beteiligung der Wehrmacht an strukturellen Verbrechen wie Judenvernichtung durch Abzweigungen in Richtung des Leides der deutschen Soldaten und Zivilbevölkerung zu verwässern.
Fundamente: Der Partisanenkrieg in Serbien. Die 6. Armee auf dem Weg nach Stalingrad. Besatzungsherrschaft in Weißrußland 1941-44.
Sonstige Gliederung: Das (begehbare) Eiserne Kreuz, auf dessen Metallwänden in verdichteter Form Deportationen, tote Zonen, verbrecherische Befehle vor Ort und andere Beispiele für Pflichterfüllung dokumentiert werden. Die Pressewand mit Reaktionen zur Ausstellung und der Filmraum, in dem filmische Dokumente von Geiselerschießungen, Aufnahmen von Kriegsverbrecherprozessen in Minsk und Kiew und Interviews mit Zeitzeugen gezeigt werden. Der Bereich "Die Bilderwelt der Nachkriegsjahre", der deutsche Soldat in Film, Roman und Illustrierten. Ergänzende Informationstafeln: Verwischen der Spuren/Vernichtung der Erinnerung, Leichenverbrennung, Fälschung, Geheimhaltung, Sprachregelungen, Feinddefinitionen, der Umgang der Justizapparate in Österreich, West- und Ostdeutschland mit NS-Verbreche(r)n.
Die sorgsam fabrizierte Legende von der sauberen Wehrmacht nimmt bis heute breiten Raum ein. Auf der Grundlage dieser Lüge wurde eine Trennmauer zwischen SS bzw. methodisch verwandt arbeitenden Einsatzgruppen und der Wehrmacht errichtet, die als Orientierungshilfe fungierte: Bestien auf der einen Seite, pflichterfüllungsgetreue Soldaten auf der anderen.
Die Verbrechen der Wehrmacht in Polen, am Balkan und in der Sowjetunion zeugen indes davon, daß die Wehrmacht als Gesamtorganisation in vernichtungsideologische nationalsozialistische Zielsetzungen involviert war.
Von Anfang an wurde versucht, die Spuren der Verbrechen zu verwischen; so durften die wichtigsten Befehle, wie die zur Erschießung von Gefangenen, der Truppe nur mündlich mitgeteilt werden.
Gegen Kriegsende wurden Massengräber geöffnet, um die Leichen der Opfer zu verbrennen.
Serbien, 1941
(Der Überfall auf Jugoslawien erfolgte im April dieses Jahres)
Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und polizeilichen Sonderkommandos des Reichssicherheithauptamtes (RSHA). Die Einsatzgruppen sollten im Rahmen der Heeresverbände agieren, aber in Eigenverantwortung Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung treffen. Dieses ursprünglich für den Krieg gegen die Sowjetunion vereinbarte Abkommen wurde schon für den Balkan übernommen und vom Chef des Generalstabes, Franz Halder, um zwei maßgebliche Punkte erweitert: neben "Emigranten, Saboteuren, Terroristen" sollten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes auch "Kommunisten und Juden" sicherstellen. Die ersten Schritte zur Judenverfolgung wurden sofort eingeleitet: sowohl Wehrmachtsstellen als auch deutsche Polizeiorgane ergriffen dabei die Initiative.
Pancevo. Noch vor Kapitulation der jugoslawischen Armee wurden zwei SS-Männer erschossen. Als Sühnemaßnahme folgte die Ermordung von Zivilisten, die von Wehrmachtsangehörigen wahllos zusammengetrieben wurden. Das Exekutionskommando "Großdeutschland" führte die Hinrichtungen durch.
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 12. Juni 1941 erfolgte die Verhaftung führender kommunistischer Funktionäre und Spanienkämpfer. Zugleich mußte die jüdische Gemeinde täglich 40 Männer bereitstellen, die bei etwaigen Anschlägen auf Besatzungseinrichtungen als Geiseln erschossen wurden.
Beginn des Widerstandskampfes. Weil es der Wehrmacht nicht gelang, den von Kommunisten getragenen Widerstand erfolgreich zu bekämpfen, wurden zur Sühne angebliche Kommunisten und Juden erschossen oder öffentlich erhängt.
Der bevollmächtigte kommandierende General in Serbien, Franz Böhme, ließ von Anfang an nie Zweifel daran, daß er in Serbien Strafaktionen plante, die nicht nur gegen die Partisanen, sondern gegen die gesamte Zivilbevölkerung gerichtet sein sollten: "Eure Aufgabe ist in einem Landstreifen durchzuführen, in dem 1914 Ströme deutschen Blutes durch die Hinterlist der Serben, Männer und Frauen, geflossen sind. Ihr seid die Rächer dieser Toten, es muß ein abschreckendes Beispiel für ganz Serbien geschaffen werden, das die gesamte Bevölkerung aufs schrecklichste treffen muß."
4. Oktober 1941: Bei einem Feuergefecht mit Partisanen waren 21 Wehrmachtssoldaten gefallen, zur Sühne wurden 2.100 Häftlinge aus den KZ's Sabac und Belgrad, vorwiegend Juden und Kommunisten, erschossen. Allgemeingültige Vergeltungsrate: 1:100 für einen toten, 1:50 für einen verwundeten deutschen Soldaten.
"Kommunisten, als solche verdächtige Einwohner, sämtliche Juden, eine bestimmte Anzahl nationaler und demokratisch gesinnter Einwohner sind als Geiseln festzunehmen. Diesen Geiseln und der Bevölkerung ist zu eröffnen, daß bei Angriffen auf deutsche Soldaten oder auf Volksdeutsche die Geiseln erschossen werden" (Befehl Böhmes).
Kragujevac: Auf Befehl des .......... wurden von den Wehrmachtssoldaten Männer und Jugendliche aus Wohnungen und Werkstätten gezerrt oder auf der Straße verhaftet, selbst ganze Schulklassen wurden mit ihren Lehrern aus den Schulen geholt und in eine Kaserne gesperrt. Als die beteiligten Wehrmachtseinheiten am Abend des 20.10. die benötigte Zahl an Opfern beisammen hatten .......... (Vergeltungsmaßnahme für den Angriff von Partisanen und Cetniks auf Kraljevo).
Zwischen Oktober und Dezember 1941 waren Massenerschießungen für die Wehrmacht zur gängigen Praxis geworden. Damit die Bürokratie der Massenmorde nicht in Stocken geriet, wurden Formblätter für Kriegserschießungen eingeführt, in die maschinschriftlich nur mehr "das Datum, der zu sühnende Vorfall, die Zahl der zu Exekutierenden und die Exekutionseinheit" eingesetzt werden mußten.
Die Bevölkerungsgruppe der Zigeuner wurde ebenso systematisch verfolgt wie die der Juden, Ausrottung, Auslöschung, Vernichtung war das Ziel. Zigeuner sind Kriminelle, oder waren sie es?
Als General Böhme im Dezember 1941 nach knapp drei Monaten aus Serbien abberufen wurde, waren sämtliche erwachsene männliche Juden und Zigeuner ums Leben gebracht worden, standen 160 Toten und 278 Verwundeten der eigenen Truppen zwischen 20.000 und 30.000 erschossene Zivilisten gegenüber.
Die etwa 6000 jüdischen Frauen und Kinder wurden von Polizei und Sicherheitsdienst noch im Dezember 1941 in das KZ Sajmiste-Semlin bei Belgrad deportiert und dort im Frühjahr 1942 in einem aus Berlin überstellten "Spezialwagen" vergast.
Am Krieg in Serbien waren überdurchschnittlich viele "ostmärkische" Wehrmachtsangehörige, sowohl in den Mannschaften als auch in den Offiziersgruppen, beteiligt (Verhältnis 1:1). Darüber hinaus leisteten mit der Wehrmacht verbündete kroatische Militäreinheiten gebietsweise ganze Arbeit.
Nachbemerkung: Ich hätte zumindest noch zwei Tage gebraucht, um sämtliche Bereiche der Ausstellung detailliert zu erfassen. Daher habe ich mich (ohne Wertung) auf die Ereignisse in Serbien konzentriert.
1: Die Ausstellung ist noch bis 20.12.95 auf dem Gelände der Uni Innsbruck zu sehen, für `96 sind Klagenfurt und Linz im Gespräch. Buchhinweis: Hannes Heer und Klaus Naumann (Hrsg.) Vernichtungskrieg. Verbrecher der Wehrmacht `41 bis `44. Hamburg `95.