Johann Most

subco dub revolution

1846 in Augsburg in polizeiwidriger Weise, nämlich unehelich, geboren. Ein paar Jahre später wird er in eine Buchbinderlehre gesteckt, und begibt sich danach als freier Wandergeselle auf eine Reise, die ihn durch ganz Mitteleuropa führt. Er läßt sich im Jahre 1867 in der Schweizer Jura als Etuimacher nieder. Hier stößt er das erste Mal auf eine Arbeiterbewegung, die ihm allerdings ziemlich deutschtümelnd erscheint und den romantischen Vorstellungen von Schultze-Delitzsch anhängt - für Most reine Quatschologie. Im Nachbarstädtchen La Chaux de Fonds lernt er aber bald Mitglieder der "Internationalen Arbeiter Assoziation" kennen, aus deren Reihen später die "Anarchistische Jura-Förderation" entstehen sollte. Hier weht ein anderer Wind, und die Agitation jener Gruppe bringt den jungen Most, wie er meint, zur Selbsterkenntnis. Von nun an fühlt er sich als Sozialist.

Als Most aus der Firma fliegt, geht er nach Wien, und durchlebt einen munteren Wechsel von Reden, Demonstration, Haft, Artikel schreiben und Polemisieren. Für ihn steht nun außer Zweifel, daß die soziale Revolution das Ziel ist, und daß diese Aufgabe den vollen Einsatz verlangt. Bald ist er der populärste Redner in der Wiener Arbeiterschaft, lehnt es jedoch immer wieder ab, Parteibeamter zu werden oder in irgendein Komitee einzutreten. Der Staat wird bald auf ihn aufmerksam - und steckt ihn in immer öfter ins Gefängnis. Dort hat der Jungsozi die "Gelegenheit", sein Wissen zu vertiefen: er studiert die sozialistischen Klassiker und übt seine Stimme.
Am 13. Dezember 1869 organisiert die Wiener Arbeiterschaft eine großartige Demonstration zur Eröffnung des österr. Reichsrates, der eine Petition mit sozialen Forderungen übergeben wird. Über 50.000 Menschen sind auf der Straße. Die Volksvertretung tagt lieber anderswo. Most gehört zu den Organisatoren und ist außerdem einer der schärfsten Kritiker der Parlamentiererei. So wird er im März 1870 zusammen mit 4 anderen Genossen unter der Anklage des Hochverrats zu 5 Jahren schweren Kerker verurteilt. Natürlich hatte es keinerlei Beweise für einen tatsächlichen Umsturzplan gegeben, dazu wäre die Wiener Parteileitung der Sozialdemokraten wohl auch nicht willens und in der Lage gewesen.

Aufgrund einer Amnestie kommt er 1 Jahr später frei. Er wird von tausenden Menschen empfangen. Auch Most jubelt innerlich:"Ich wurde auf den Schultern getragen, und konnte mich so augenblicklich davon überzeugen, daß die stattgehabten Verfolgungen herrliche Früchte gezeitigt hatten; ein wahres Meer von Köpfen wogte vor meinen Blicken. Es waren lauter Rebellen, die sich da eingefunden hatten."
Die Wiener Genossen schicken ihren Johann gleich wieder auf Agitationstour, dieser wird aber prompt aus Österreich gewiesen, weil er auf solche Weise der Amnestie schweren Undank gezollt hatte.

Er reist nun zum zweiten Mal kreuz und quer durch das deutsche Reich. Diesmal hält er jedoch in jeder größeren Stadt vor begeisterten Massen Reden. Dafür erhält er beinahe überall Redeverbot. Most schreibt für zahlreiche Arbeiterzeitungen, deren Auflagen unter seinen Fittichen enorm steigen, wird meist gleich als Chefredakteur gehandelt, muß sich aber wegen seiner radikalen Kritik an des Kaisers Reich, den Regierungsapparat seiner Parlamentierer einschließlich deren der sozialdemokratischen Parteileitung ständiger Verfolgung aussetzen. Letzterer wirft er vor, daß sie in zunehmenden Maße abwiegelte und die sozialistische Revolution auf den Sanktnimmerleinstag verschiebe. Er kann wie kaum ein anderer reden und schreiben. In den Zwangspausen seiner Freiheitsentzüge entstehen dann auch seine wesentlichen Schriften.
Es darf also nicht verwundern, das Most 1871 zum Reichstagsabgeordneten gewählt wird. Mit 25 Jahren ist er einer der jüngsten Parlamentarier und gleichzeitig einer der merkwürdigsten: denn obwohl er vom Reichskasperle-Theater nicht das Mindeste hält, obwohl er aus seinem Antiparlamentarismus keinen Hehl macht und keinen Zweifel daran läßt, daß die Befreiung der Menschheit nur in der sozialen Revolution liegen kann, wird er dreimal wieder gewählt und zwar mit einem derart hohen Stimmenanteil, daß er zu den erfolgreichsten Sozialdemokraten überhaupt gezählt werden muß.

Im Reichstag tritt er eher als Clown auf und nutzt das Parlament - sehr zum Leidwesen der ernsthafteren Sozialdemokraten - als Plattform für seine ätzende Kritik und seine entlarvenden Späße. Hauptamtlich jedoch ist er Redakteur der "Berliner Freien Presse".
Am 21. Oktober 1878 erläßt Bismarck das "Sozialistengesetz". Dadurch wird die gesamte Sozialdemokratie illegal. Johann Most wird der Boden zu heiß; er geht nach London. Hier gründet er mit anderen Genossen eine Zeitung - die "Freiheit", die zu den klassischen Zeitungen des Anarchismus gezählt werden kann und 31 Jahre lang erscheinen wird, 26 Jahre unter der Leitung Mosts. Die "Freiheit" ist zunächst ein "Sozialdemokratisches Organ", aber von typisch Mostscher Prägung: deftig in der Sprache, radikal in Gedanken, präzise in Kritik und revolutionär in ihren Zielen. Bei der Parteileitung, die als Antwort in Zürich den "Sozialdemokrat" herausgibt, wird das Blatt nicht gern gesehen. Doch die geschmuggelte "Freiheit" wird zum Renner, immer mehr Ortsgruppen abonnieren um. Der "SD" wird zum Organ des Parteivorstandes, der auf Reformen setzt und Disziplin predigt, um Bismarck nicht zu sehr zu verärgern, und vor allem den Parteiapparat über den Ausnahmezustand zu retten.
Mosts Aufenthalt in London bleibt jedoch, wie gewohnt, vorübergehend. Er kann sein Maul wieder einmal nicht halten und bejubelt am 19. März 1881 das geglückte Attentat auf den Zaren von Rußland mit einem Leitartikel in der "Freiheit", den er "Endlich!" betitelt. Das bringt ihm 16 Monate Zwangsarbeit ein.
1883 schifft er sich nach New York ein. Die "Freiheit" erscheint nun in den USA und wird nach wie vor ins deutsche Reich geschmuggelt, doch durch die riesige Entfernung ist das Blatt nicht mehr "konkurrenzfähig". In einem schmutzigen Kleinkrieg gewinnt die gemäßigte Parteiführung Deutschlands wieder die Oberhand über die Basis.

In der Antwort auf die Frage, wo der radikale Flügel geblieben ist, liegt die Eleganz, mit der die Parteiführung dieses Problem gelöst hat: Der Staat hat die Drecksarbeit gemacht, und die Partei hat sich nicht gewehrt, wenn die radikalen Genossen ausgeliefert geworden sind. Es ist in beider Sinne gewesen. Als der Spuk vorüber gewesen ist, hat es eine SP gegeben, mit der zu leben war, und die SP hat eine Basis gehabt, mit der sie Staat machen konnte.
1890 fällt das "Sozialistengesetz", und die Partei darf sich wieder wählen lassen. Froh darüber, daß sie sich durch diese Roßkur die lästigen Radikalen vom Hals geschaffen haben. Der Weg zu jener Sozialdemokratie, wie sie Löschnak, Androsch, Kreisky, Vranitzky, präsentieren, ist nun frei, auch wenn es zum Teil noch heftige Auseinandersetzungen zwischen der Parteileitung und der "Opposition" gibt. Eine der sozusagen Mostschen Nachwehen ist, daß tausende Sozis, die sogenannte "Bewegung der Jungen", die SP verlassen und in der einen oder anderen Form ihrer radikaleren Ansicht Ausdruck verleihen.

Most ist also keinesfalls eine Ausnahme in der Sozialdemokratischen Bewegung, und doch setzt sich der gemäßigte Teil durch. Was später allgemein gültiger Inhalt der Partei wird, ist am Anfang nur die Illusion von wenigen, nämlich man könne den Sozialismus erreichen, indem man in den Parlamenten die Mehrheit und von der Obrigkeit hierzu die Erlaubnis erhalte. Und diese wenigen in der Partei sind Professoren, Funktionäre, Parteitheoretiker. Gutsituierte Leute, die in der Partei bestens versorgt sind und die vor allem die Kontrolle über Meinung und Zukunft der Partei in der Hand halten. In diesem Sumpf ging die Chance verloren, die Arbeiter weg vom Parlamentarismus dahin zu bringen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen.
Die Partei kann auf den reformistischen, parlamentarischen Kurs eingeschworen werden, und die SP ist reif, den Kapitalismus zu verwalten, statt ihn zu überwinden.
Es ist vielleicht schon aufgefallen: hier laufen einem bei Schritt und Tritt die Parallen zu den Grünen über den Weg. Auch sie sind eine "breite Bewegung" gewesen, deren Prinzipien auf Basisdemokratie, Selbstverwaltung, Dezentralismus und Autonomie aufgebaut waren - also durchaus libertären Tugenden. Davon ist, seit diese Bewegung zur Partei geworden ist, nicht mehr viel übrig geblieben, und der Prozeß der Verstaatlichung bei den Grünen scheint beinahe schon abgeschlossen. Das Prinzip der Basisdemokratie ist schon lange zum absterbenden Ritual des Rotationsprinzips im Parlament verkümmert, an das sich mittlerweile auch niemand mehr halten will. Aus der radikalen Kritik am System ist die lauwarme Opposition als Fraktion oder gar als Koalitionspartner geworden. Der Blick ist auf das "politisch Machbare"gewandert, womöglich sogar aus der Sicht grüner Minister und Staatssekretäre.

Geradezu wie die Sozialdemokraten Dinge tun, die die traditionell-konservativen Rechtsparteien ebenso gut hätten tun können, so machen heute Grüne eine Politik, wie sie auch Sozis machen würden. Und das, obwohl sie eigentlich schon längst hätten lernen müssen, daß man nicht zum Spaß ins Parlament gehen kann. Es ist erst wenige Jahre her, daß sich die Grünen als parlamentarischer Arm der Ökobewegung konstituiert haben. Heute führt dieser Arm ein mehr oder weniger munteres Eigenleben. Parlamentsarbeit hat eben ihre eigene Dynamik, und die verändert Menschen. Macht schmeckt nach mehr...
Ebenso klar, wie es für die sozialistische Bewegung anfänglich war, daß die Schrecken des Kapitalismus nur durch seine Abschaffung zu überwinden seien, ist es auch für die grüne Bewegung keine Frage gewesen, daß man die drohenden ökologischen Katastrophen nur durch radikale Veränderung abwenden könne. In beiden Fällen ist die systemüberwindende Kraft in dem Augenblick schrittweise zu einer systemerhaltenden Kosmetik geworden, als aus der Bewegung eine Partei geworden ist, die sich wählen läßt, die auf Reformen setzt und sich zu arrangieren trachtet.

Doch zurück zu Most. Nun also dank der Amis zum John gewachsen, überschlagen sich nun auch in Amerika die Ereignisse. Die "Freiheit" wird das Sprachrohr des kämpferischen Teils der Sozialdemokraten, die von jeher nicht allzu viel von Parlamentarismus und Reformismus gehalten haben. Most wird aber durch allerlei Machenschaften der Parteiführung in die Enge getrieben.
In dieser Enge sind eben die Anarchisten gestanden, und die haben ihn mit offenen Armen aufgenommen.

In Chicago und New York sind es vor allem deutsche Anarchisten, die die Arbeiterbewegung führen und für den 8-Stunden Tag kämpfen.
In Chicago kommt es am 1. Mai 1886 auf einer Massenversammlung zu einem Blutbad, als die Polizei das Feuer auf die Demonstranten eröffnet. Daraufhin werden die führenden Anarchisten in einem himmelschreienden Prozeß der "geistigen Urheberschaft" für schuldig befunden. 5 werden zum Tode verurteilt. Auch Most wollen sie in diesem Zusammenhang ans Leder rücken, aber zu seinem "Glück" sitzt er wieder einmal im Gefängnis.
Most wird nun das, was er gefühlsmäßig schon immer war - ein Anarchist. Auch die Zeitung führt ab sofort den Untertitel: "Internationales Organ der Anarchisten deutscher Sprache"!
Daß diese "Titeländerung" so lange auf sich warten hat lassen, liegt weniger daran, daß die Arbeiter sie abgelehnt hätten, als vielmehr daran, daß die Idee des Anarchismus in der Arbeiterbewegung nicht zur Debatte stand. Die wenigen, kaum organisierten Anarchos im Mitteleuropa jener Jahre träumten hauptsächlich vom Tyrannenmord. Die Bewegung ist nicht nur schwach, sondern überwiegend zu unreif, um diesem enormen Potential von durch und durch libertären Arbeitern eine Einheit zu geben. Most ist in den langen Jahren , die er braucht um sich zum überzeugten Anarchisten zu entwickeln, mit abnehmender Tendenz selber noch in der Illusion gefangen, innerhalb der SP jemals zu sozialen Umwälzung zu kommen.
Doch je mehr er sich der anarchistischen Bewegung nähert, desto weniger wird sein Einfluß auf die Arbeiterbewegung. Es hat eine zu lange Zeit des politischen Vakuums gegeben - zwischen dem Niedergang des radikalen Flügels der Sozialdemokratie und der Erkenntnis der Anarchisten, daß man mit Attentaten die Welt nicht verändern kann, und sich statt dessen auf die Arbeiterbewegung zurückbesinnen sollte. Als vor dem ersten Weltkrieg der Anarchosyndikalismus für die Anarchisten weltweit ein Thema wird, ist Most schon ein alter Mann, und das, was 1918 aus der Opposition der "Jungen" von 1890 übriggeblieben ist, langt gerade noch für eine Mitgift zur Gründung der FAUD (Anarchosyndikalistische Gewerkschaft).

Most hat selber mit deftigen Worten das Dynamit gepriesen; seine Bombenbastel-Broschüre "Revolutionäre Kriegswissenschaft" ist ein Bestseller in mehreren Hinsichten geworden, ebenso wie die religionsvernichtende Polemik "Die Gottespest". Doch in seinen praktischen Schritten ist er Realist geblieben. Er konnte völlig aus dem Häuschen geraten, als die russischen Anarchisten den Zaren getötet haben, aber ebenso heftig das Attentat verurteilen, das der amerik. Anarchist Berkman gegen den Industriellen Frick verübt hat, der auf streikende Arbeiter hatte schießen lassen. Er hat zwischen Gewalttaten unterschieden, die ein verhaßtes System zu Fall bringen können und induviduellen Kraftakten, die rein zur eigenen Befriedigung dienen. Er hat für diesen Realismus seinen Preis gezahlt, denn viele Anarchisten haben ihm schlicht Feigheit vorgeworfen. Als er das Berkman-Attentat in der Freiheit einen Streich "Unbesonnener" genannt hatte, hat ihn die Anarchistin Emma Goldman vor versammelter Zuhörerschaft ausgepeitscht.
Er starb 1906.

Bücher:
- Ein Sozialist in Deutschland
- Memoiren
- Marxereien, Eseleien und der sanfte Heinrich

Mit Auszügen aus Horst Stowassers "Leben ohne Chef und Staat", Karin Kramer Verlag.