Gertis Rapport

Die Berichterstattung über die erste österreichische Frauenexpedition im Himalaya bestätigte einmal mehr, daß ein Eindringen von Frauen in diese Männerdomäne nicht gern gesehen wird.
Ferdl Frühstück

Gertrude Reinisch, die Expeditionsleiterin hat nun ein Buch über die international besetzte Expedition vorgelegt. Ein interessantes Opus, wird hier nicht in heldenhafter Manier über die "Abenteuer" am Berg berichtet. Sondern ein ganz umfassendes Bild des Expeditionsbergsteigens gezeichnet. Beginnend mit den "Mühen der Ebene" der langwierigen und nervtötenden Vorbereitung. Geld und Material auftreiben, Genehmigungen besorgen, Werbung für Sponsoren, für Berichterstattung sorgen, um nur einigen wenige dieser Unannehmlichkeiten im Vorfeld zu nennen. Und vor allem gegen einen Riesenwulst an Vorurteilen anrennen.

Hillary, der Erstbesteiger des Mont Everest, prägte den Ausspruch, daß das schlimmste was einer Alpinistischen Expedition passieren könne, eine Frau im Team sei.
Als die oberösterreichische Alpinistin Edith Bolda am 1. Mai dieses Jahres als erste Österreicherin am Gipfel eines Achttausenders (den 8012 Meter hohen Westgipfel des Shisha Pangmas) stand, schien bereits völlig klar, daß die Berichterstattung über diese internationale Frauenexpedition nicht anders aussehen würde, als der englische Bergsteiger dies vorgeprägt hatte. Noch dazu, wo Frauen nicht nur an einer Expedition teilgenommen, sondern diese gleich selber organisiert hatten. "Ein hilfloses zerstrittenes Häuflein unter der Fuchtel einer an antiquiertem Stil scheiternden Führerin, unfähig, sich selbst inhumaner Anordnungen zu erwehren" so beschrieben die "Salzburger Nachrichten" die Alpinistinnen. Die Teilnehmerinnen der Wanda-Rutkiewicz-Gedächnisexpedition unter der Leiterin der Wienerin Gertrude Reinisch hatten nicht nur während der Expedition mit diesen Vorurteilen zu kämpfen, sondern auch schon in der Vorbereitung und erst recht in der medialen Berichterstattung danach.

Das herrschende Bild von Frauen im Alpinismus ist ein recht antiquiertes. Frauen werden auf Touren oder Expeditionen höchstens von Männern mitgenommen, sie erfüllen höchstens ihre Funktion als Seilzweite. Neu sind diese Ansichten zum Frauenalpinismus keineswegs. Der österreichische Alpinist, Erstbesteiger zahlreicher Kletterrouten in den Alpen, Paul Preuss, zählte zu jenen Bergsteigern, die ob seiner alpinistischen Ideen und Positionen, aber auch klettertechnisch seinen Zeitgenossen weit voraus waren. Nicht so beim Thema Frauenalpinismus: "Nun geht es an das Klettern selbst, und schwerer als für das Verhalten der Damen vor der Tour lassen sich dafür allgemeine Sätze aufstellen. Eine gewisse körperliche Geschicklichkeit kann man dem weiblichen Geschlecht nicht absprechen. Sie machen ihre Sache gewöhnlich schlecht, aber fast immer graziös. (...) Zur völligen Beherrschung des Terrains wird ihnen die selige Ruhe und die Überlegung stets abgehen. Ihrer impulsiven Natur nach klettern sie fast ohne zu schauen, vollkommen ohne zu denken, ,sie klettern nicht, sondern ,es klettert in ihnen`, und wenn ,es` nicht mehr weitergeht, dann wird eben einfach gefragt." Und weiter: "Sie sind hilflos im Fels, darum werden sie folgsam, bemühen sich wirklich zu tun, was man ihnen sagt, weshalb Damen oft bessere Tourenbegleiter sind als Herren. Eine ganz fabelhafte Ungeschicklichkeit zeigen sie dafür in der Behandlung des Seils. Kaum eine unter Hundert kann einen Seilknoten machen und wenn man ihn ihnen auch so und so oft gezeigt hat, jedesmal fällt er wieder wie ein Mascherl aus." Was Paul Preuss 1912 in der deutschen Alpenvereinszeitung publiziert hatte findet sich in dieser oder jener Form bis heute nicht nur in alpinen Zeitungen. Alpinistische Spitzenleistungen von Frauen wurden damals wie heute tunlichst verschwiegen oder heruntergetan, wie beispielsweise die Erstbegehungen Frau von Kasnapows oder Paula Wiesingers in den Dolomiten, genau zu dieser Zeit als Preuss seine Anmerkungen zum Frauenalpinismus schrieb.
In der Disziplin des Sportkletterns war die Gleichberechtigung der Frauen nie ein Thema. "Im Gebirge löst eine Frauenseilschaft immer noch Erstaunen aus" meint die Teilnehmerin der Shisha Pangma Frauenexpedition, Babsy Hinterstoisser. Die Idee, diese Expedition zum Gedenken an die Extrem-Alpinistin Wanda Ruthkiewicz durchzuführen, entstand eben aufgrund des immer noch vorherrschenden Bildes des Frauenbergsteigens. "Frauenexpeditionen sind etwas Besonderes" sagte sie, "denn immer noch müssen Vorurteile in diesem Bereich ausgeräumt werden. Gipfelambitionen von Frauen nimmt man nicht ernst." meinte die polnische Bergsteigerin, die sich zum Ziel gesetzt hatte, als erste Frau alle 14 Achttausender zu besteigen. Acht waren ihr bereits gelungen als sie 1992 am 8586 Meter hohen Kangchenzönga verunglückte. Wanda Rutkiewicz brach in eine absolut männliche Domäne ein: 1950 wurde der erste Achttausender Gipfel bestiegen, die Annapurna I, alle weiteren Achttausender in den nächsten 14 Jahren - von Männern. Der einzige Versuch eines Frauenteams in diesem Zeitraum war die internationale Frauenexpedition zum Cho Oyu unter der Leitung von Claude Kogan. Kogan und zwei weitere Alpinistinnen kamen dabei ums Leben. Erst 1974 hatte eine japanische Frauenexpedition Erfolg. Drei Bergsteigerinnen erreichten den Gipfel des 8153 Meter hohen Manaslu.
Schon vor der Abreise hatte die Frauenexpedition mit zahlreichen Problemen und Seitenhieben zu kämpfen. So motzten einige Zeitungen über die Zusammensetzung der Expedition (eine Teilnehmerin wurde ausgeladen, weil sie laut Psychloginnenurteil wegen maßloser Selbstüberschätzung und totalem Ego-Trip nicht geeignet wäre, mitzufahren). Dazu Leiterin Gertrude Reinisch: "Die Frauenexpedition in dieser Form war ein totales Experiment. Wir wollten wissen, ob Frauen in diesen Extremsituationen die gesunde Selbsteinschätzung bewahren. Zwar sicherlich mit großer Risikofreude. Aber nicht mit einer die ins Unermeßlich geht, denn das wichtigste war uns, daß alle wieder gesund nach Hause kommen. An diesem heroischem Heldentum, das solchen Unternehmungen meist anhaftet waren wir in keiner Weise interessiert."
Es ging natürlich um den Beweis, daß Frauen Expeditionen durchführen können. "In der Öffentlichkeit herrscht doch immer das Bild vor, ,wenn Frauen was gemeinsam unternehmen, dann wird das sowieso nicht, weil sie ja gar nicht fortkommen`" sagt Gertrude Reinisch.

Die Schwierigkeiten der Frauenexpedition rissen dann auch vor Ort nicht ab. Der Begleitoffizier der von der chinesischen Regierung beigestellt wurde (Begleitoffiziere sind bei allen Himalaya- und Karakorum-Unternehmungen obligatorisch), verweigerte dem Team beispielsweise, das Basislager näher an den Berg zu verlegen. Auf die Frage, wo denn andere Expeditionen das Basislager hätten, meinte er, richtige Bergsteiger dürften höher hinaufgehen, aber Frauen...

Troubles gab es auch ständig mit dem italienischen Kamerateam, das vom ORF mitgeschickt worden war. Der Leiter des Kamerateams, das den Auftrag vom ORF hatte, die erste Österreicherin auf einem Achttausender zu filmen, ließ sich sogar zur Bemerkung hinreißen, seinen Assistenten am Gipfel als Frau zu verkleiden, weil die Teilnehmerinnen den Gipfel ohnehin nicht schaffen würden. "Das Kamerateam stieg immer dann auf, wenn wir Frauen Ruhetage einlegten. Einmal ließ er einige Frauen im Hochlager I mit Steigeisen im Kreis gehen, bei total schlechter Sicht. Die selben Aufnahmen hätte er auch an Hochplateau der Rax drehen können", berichtet Gertrude Reinisch von der Arbeit des Kamerateams. Meist wurde nur im Basislager gedreht. Entsprechend sah auch der Bericht über die Expedition aus.
Vor allem über Auseinandersetzungen im Expeditionsteam wurde dann in der Sendung Land der Berge berichtet, beispielsweise über die Absetzung der stellvertretenden Leiterin Edith Bolda. Reinisch dazu: "Es ist klar, daß in einer Gruppe die neun Wochen unter derart extremen Bedingungen lebt, nicht dauernd die totale Harmonie herrschen kann, trotzdem hat es in jeder Situation eine hundertprozentige Unterstützung der anderen und Arbeitsaufteilung gegeben. Außerdem kann es in einer solchen Gruppe nicht ausschließlich dicke Freundinnen geben. Wichtig erschien mir, daß Auseinandersetzungen stets sachlich ausgetragen wurden." Auch die Ablöse ihrer Stellvertreterin Edith Bolda hatten in erster Linie bergsteigerische Gründe: "Natürlich hat es unterschiedliche Auffassungen über die Funktionen gegeben. Aber der wesentliche Grund war der, daß Edith als Spitzenalpinistin unter wenigen wirkliche Gipfelchancen hatte. Sie sollte sich mehr auf den Berg konzentrieren können." Was sie auch tat, und als einzige Österreicherin den Westgipfel des Shisha Pangma erreichte. Außerdem als weitere Expeditionsteilnehmerinnen die tibetischen Bergsteigerinnen Gui Sang, Laji und Pubu Dschoga, sowie die polnische Alpinistin Ewa Pankiewicz.

Einig sind sich die Frauen der Expedition darin, daß ein großartiges Experiment gelungen ist. Fünf von vierzehn Teilnehmerinnen erreichten den Gipfel, Frauen der unterschiedlichsten Generationen und Kulturen aus den verschiedensten Berufen realisierten ein gemeinsames Projekt. "Daß gerade ich als einzige Österreicherin den Gipfel erreichte, hat für mich persönlich keine Bedeutung", sagt Edith Bolda, "Eine Expedition bedeutet Teamwork, da kommt man alleine nirgends hin. Ich war halt gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Bei besserem Wetter wären wahrscheinlich die meisten Frauen der Expedition hinaufgekommen."

Sicherlich ein Höhepunkt des (nicht nur österreichischen) Frauenalpinismus. Die Berichterstattung in den Medien knüpft an eine andere Tradition an: In Davos wurde im Mittelalter ein Mädchen am Scheiterhaufen verbrannt, weil es das Tinzenhorm bestiegen hatte.
Die Journalistin Bärbel Gläser schrieb in einer Glosse zu dieser Art von Berichterstattung: "Zu breiten Raum nahm diese Art von ,Dokumentationsmaterial` im Beitrag ein. Kleine Bosheit des ORF den Frauen gegenüber? Oder leider letztlich eine Bestätigung für jene, die meinen, daß Frauengruppen - nicht nur am Berg - eher Schönwetter-Seilschaften sind?"
Weil Frauenexpedition, zerissen sich die Medien genüßlich das Maul über Streitereien und Auseinandersetzungen. Der Erfolg der Expedition blieb unterbeleuchtet.

Gertrude Reinischs Buch beleuchtet alles in einem unsensationellen Licht ohne Übertreibungen, ohne emotionale Höhenflüge und heldenhaften Habitus. Ein Rapport, gewürzt mit Zitaten aus den Expeditionstagebüchern der Kolleginnen und mit tollen Bildern vom Himalaya. Dieses Buch hebt sich wirklich angenehm von vielen übertreiberischen alpinistischen Münchhausengeschichten ab.
Wanda Rutkiewicz, die erfolgreiche polnische Expeditionsbergsteigerin, in deren Gedenken die Österreichische Expedition durchgeführt wurde, in ihrem letzten Interview: "Auf jeden Fall fuhr ich damals mit der Überzeugung, daß dies das letzte Mal sei. Die Expedition selbst dauert nur zwei Monate, die Schwierigkeiten davor und nachher sind unproportional groß. Es zeichnete sich bereits ab, wer Berichte und Abrechnungen vorzulegen habe und die daraus resultierende Verantwortung übernehmen werde..."
"Hätte ich dieses Interview doch schon früher gelesen..." so Gerti Reinisch in ihrem Buch lakonisch.

Der Großteil der Frauen der Shisha Pangma Expedition bereiten sich bereits auf eine weitere Himalaya-Bergfahrt vor. Die Erstbesteigung des fast-Siebentausenders im Gebiet Rupshu im Indischen Teil des Himalaya. Der Bazillus sitzt also schon.

Gertrude Reinisch: 1. Österreichisch Frauenexpedition "Shisha Pangma", Schroll Verlag Wien München `95.