so schaut`s aus

Ich bin ein guter Untertan

Andi Wahl, September 95
Da auch ich mit den Jahren in diese komme, ist es wohl an der höchsten Zeit, einige kleine Lebensbeichten abzulegen. Daß ich gerade jetzt damit beginne, hat auch damit zu tun, daß ich befürchte, zwangsgeoutet zu werden, da dies anscheinend immer mehr in Mode kommt. Und bevor ein wildgewordener Bischof, oder gar die österreichische Bischofskonferenz bei Pressekonferenzen meine kleine Heimlichkeiten öffentlich zur Disposition stellt, packe ich lieber gleich selbst aus:

Als erstes muß ich gestehen, daß ich ein seltsames Verhältnis zur staatlichen Ordnung habe - ich liebe sie.
Ich entrichte beispielsweise mit beinahe inbrünstiger Leidenschaft die Linzer Parkgebühren. Wenn ich mein Auto auf den bewachten Parkplatz (ich liebe auch bewachte Parkplätze) in der Dametzstraße abstelle, kann mich keine Macht der Welt zurückhalten, den Parkplatzwächter zu suchen, um meinen Obolus zu entrichten. Wenn ich es nicht schaffe, rechtzeitig auf den Parkplatz zurückzukehren, und der Parkwächter seinen Dienst beendet hat, weiß ich nie, was ich machen soll. Geschlagene zwei Stunden habe ich letztens den Parkplatz benutzt, ohne die vorgeschriebene Parkgebühr entrichten zu können. Den ganzen Abend war ich noch nicht fähig, mich über irgend etwas zu freuen, denn tief in mir nagte der Selbstvorwurf, nicht korrekt gehandelt zu haben.

Ich tröstete mich dann mit dem Wissen, daß die Linzer Parkgebührenordnung eine konzeptlose Einzelaktion ist, dem überhandnehmenden Individualverkehr einige Beschränkungen aufzuerlegen. Auch damit, daß es mir nur schwer möglich ist, mit dem Zug nach Linz zu fahren. Denn erstens bräuchte ich für eine Strecke von etwa 30 km etwa zwei Stunden, und zweitens fährt der letzte Zug bereits um 19 Uhr heimwärts. Auch immer wenn es mir vergönnt ist, die Parkgebühr ordnungsgemäß zu entrichten, stelle ich mir vor, in einem Land zu leben, in dem sich die Entscheidungsträger ehrlich bemühen, gerechte und der Komplexität der Probleme gerecht werdende Lösungen zu erarbeiten. Ich weiß, es ist ein Trugbild, das ich mir selber vorgaukle, aber in diesem kurzen Moment, in dem es mir gelingt, diese Illusion aufrecht zu erhalten, bin ich so etwas wie zufrieden, ja beinahe glücklich. Auch würde ich für mein Leben gerne eine Einkommenssteuererklärung ausfüllen, damit die netten Menschen vom Finanzamt meine Steuerschuld - die ich natürlich umgehend begleichen würde - ausrechnen können. Aber leider habe ich zu geringe Nebeneinkünfte, als daß ich auch nur in die Nähe einer Steuerschuld geraten könnte.
Trotzdem habe ich für alle Fälle bereits die erforderlichen Formulare zuhause, und immer wenn ich irgendwo einen Tausender verdiene, für ein Referat oder sonst was, rufe ich gleich die netten Menschen vom Finanzamt an, um zu fragen ob es nicht irgendeine Möglichkeit gäbe, diesen Tausender zu versteuern. Aber die sehen leider auch keine, und meinen immer nur, ich solle mir Zigaretten oder Benzin dafür kaufen, da diese beiden Dinge mit hohen Steuern belastet sind. Das ist natürlich auch eine Möglichkeit, aber richtig zufrieden macht mich das auch nicht.

Ach, wie gerne würde ich Einkommenssteuer bezahlen, dann hätte ich wieder dieses schöne Gefühl, ein tüchtiger und ordentlicher Staatsbürger zu sein. Aber immer, wenn ich so dasitze und vor mich hinsinniere, fällt mir wieder ein, was der Staat mit den Steuern, die ich ohnehin schon bezahle, so treibt. Militärparaden werden abgehalten, das "Freiheitliche Bildungswerk" mit einem Herrn Mölzer an der Spitze wird subventioniert, Staudämme in die Gegend gesetzt und noch mehr Güterwege asphaltiert. Und wenn mir dann das wieder einfällt, dann schäme ich mich dafür, diesem Staat überhaupt Geld zu überlassen, das er zu wahrscheinlich 80% für vollkommene Blödsinnigkeiten ausgibt.
Gerne würde ich auch FreundInnen aus anderen Ländern einladen, um ihnen "mein" Land zu zeigen. Ich würde sie mit dem Stadtbus zum ehemaligen Altersheim begleiten und ihnen erzählen, daß die Bewohner schon vor einiger Zeit die Selbstverwaltung ausgerufen haben. Das vergilbte Transparent über dem Eingang WER ZWEIMAL MIT DER/DEM SELBEN PENNT GEHÖRT SCHON ZUM ESTABLISHMENT, habe zwar für einige Diskussion gesorgt, letztendlich hatten die Alten aber die überzeugenderen Argumente, und als herauskam, daß unser letzter Gendarmeriebeamter das Transparent all die Jahre im Keller aufbewahrte, war das Eis selbst bei den etwas prüderen MitbürgerInnen gebrochen.
Als erstes würden meine FreundInnen schon bei der Grenze Unannehmlichkeiten erwarten, und zweitens würden wir so wunderbare Dinge wie ein selbstverwaltetes Altenhaus kaum finden.
Vielmehr müßte ich meine FreundInnen warnen vor der staatlich geschürten Ausländerfeindlichkeit und vor Exekutivbeamten, die zu Hauf eine rechts-populistische Personalvertretung wählen. Auch müßte ich von einem Land erzählen, das viele Opfer des NS-Regimes bis zur Gegenwart nicht als solche anerkennt 1), in dem aber NS-Kriegsverbrecher ihre Dienstzeit, z.B. als SS-Wächter in Vernichtungslagern, auf ihre Pension angerechnet bekamen. Und wenn meine FreundInnen trotz aller Fürchterlichkeiten doch länger als drei Monate bleiben wollten, muß ich ihnen zu allem Überfluß auch noch von den Österreichischen Asyl- und Fremdengesetzen erzählen, die einer Untersuchung des "Institut für höhere Studien" zu folge, zu den schlechtesten in Europa zählen.

Mit meiner Sehnsucht, ein bemühter, tüchtiger und anständiger Bürger zu sein, sehe ich mich leider einem Staat gegenüber, der in manchen Dingen so menschenverachtend ist, daß ich mich schon als kleiner Mittäter fühle, wenn ich die Getränke- und Tabaksteuer bezahle. Ja, selbst mein Auto traue ich mich angesichtes dieses Staatsapparates kaum noch gerade auf den Parkplatz zu stellen, immer fühle ich eine moralische Verpflichtung, wenigstens ein bisserl verkehrsbehindernd zu parken.
Auswandern hilft leider auch nichts, weil ich noch kein Land gefunden habe, in dem ich mich ruhigen Gewissens an alle Vorschriften halten könnte. So bleibt mir eben nur, mich dahin zu gfretten wie bisher: ein wenig meinem Hang, Vorschriften zu befolgen nachzugeben, und ein bisserl Gesetze zu brechen. Wen würde es wundern, wenn mich die Schizophrenie beim Krawadl erwischte.

1 Sinti, Roma, Schwule, Lesben, Opfer der NS-Erbgesundheitspolitik usw.