Theatertrash und junge Stücke

Von P.R. (oder soll das Public Relations heißen? Anm. d. Setzers) , März 95

Clockwork Orange, Photo: Herzenberger

Österreichische Zeitgenossen spielten seit jeher einer der Hauptrolle auf dem Spielplan des Theater Phönix.

Werner Schwab, der wortgewaltige Umrührer in der Theaterszene, zählt allerdings nicht mehr zu den Zeitgenossen. Fünfunddreißigjährig hat es ihn Neujahr 94 mit mehr als vier Promille dahingerafft, just als er am Höhepunkt seiner Theaterkarriere stand. Werner Schwab war auch nie so ein ganz typischer Theaterdichter. Er kam von der Bildnerischen Seite, hatte es künstlerisch auch viel mehr mit genrefremden Leuten und Projekten zu tun. Er war liiert mit den Konzeptkünstlern von NSK (Neue Slovenische Kunst, die Gruppe "Laibach" entstammt diesen Zusammenhängen), und den Leuten von den Einstürzenden Neubauten. Zahlreiche gemeinsame Projekte realisierte er gemeinsam mit FM Einheit oder Blixa Bargeld. Im Theater Phönix realisierte Schwab selber sein Stück "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos".

Daß Schwab keine theatralische Modeerscheinung gewesen ist, beweist sich nun, nach seinem viel zu frühen Tod. Zahlreiche Stücke aus dem dramatischen Nachlaß von Werner Schwab stehen auf den Spielplänen nicht nur deutschsprachiger Theater. Schwab am Theater Phönix soll auch kein Strohfeuer gewesen sein. Sein Stück "Die Präsidentinnen" steht nun im Frühjahr (ab 27. April) auf dem Phönx-Spielplan.

Eins der besten Stücke Schwabs, weil er das Personal, das da in einer mit Kitsch vollgerammten Substandardbehausung dahinwerkt und -redet bestens kennt: Engste verwandtschaftliche Verhältnisse verbindet die Präsidentinnen mit dem in Linz schon bekannten "Volksvernichtungs-Menschenmaterial": Da ist Erna, eine Mindestpensionistin, die ihren Hausstand gerade um einen gebrauchten Farbfernseher und eine gefundene Pelzhaube bereichert hat, und damit der Genuß auch in ihre Wohnung gefunden hat. Da ist die Grete, eine grellgeschminkte, dicke Person mit hoher Turmfrisur und billigem Schmuck behängt, aber trotzdem ihr Teil zu tragen hat. Und das ist noch die Mariedl, die ärmlichste von allen, deren Aufgabe es ist die Klos anderer Leute von Verstopfungen zu befreien "Ich habe keine Angst vor den unteren Wörtern und auch nicht vor einem echten Stuhl. (…) weich ist es und warm, wenn es frisch ist." So beschissen, wie Mariedl das meint, und auch auf den ersten Blick aussieht, ist das Leben der drei Präsidentinnen nun auch wieder nicht. Denn vermittels ihrer kräftigen Sprache und ihrer noch saftigeren Phantasie kommen sie in Welten, die fürbaß erstaunen… Trash-Literatur vom feinsten.

Viel zu tun wird es auch für die Porno Humers und andere moralinsaure Stinkmorchel im Frühjahr geben. Das Rote-Grütze-Stück "Was heißt hier Liebe" ist ab 7. April zu sehen. "Schluß, Schluß, Schluß mit dieser Schweinerei hier. Jetzt reicht es mit aber. Sowas nennt sich Jugendtheater. Ein Sexualzirkus ist das hier. Hier sind doch verschiedene Leute unter 16 Jahre. Das bedeutet Aufmunterung Minderjähriger zum Geschlechtsverkehr. Das gehört verboten!", so ähnlich waren die Reaktionen vieler Leute und Institutionen als das Stück "Was heißt hier Liebe?" vom Theater Rote Grütze 1976 erstmals aufgeführt wurde. 1992 wurde das Stück neu bearbeitet, vor allem das Thema Aids wurde ins Stück eingearbeitet.

Warum diese Empörung möchte man fragen? Was soll denn dran sein, wenn die Dinge bezüglich jugendlicher Sexualität beim Namen genannt werden? Wenn offen darüber geredet wird, was Sache ist im jugendlichen Liebesleben, wenn man sich kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um die Erfahrungen mit dem eigenen und um den Körper der Freundin, des Freundes geht. Warum die Skandalgeschrei, wenn Selbstbefriedigung nicht als perverser Auswuchs sondern als wichtiger Bestandteil des Sexuallebens gesehen wird, wenn von Verhütung die Rede ist, nicht nur die Verhütung ungewollter Schwangerschaften sondern auch Verhütung von Aids. Diese Antwort sind sie schuldig geblieben. "Was heißt hier Liebe", ein fetziges Stück für Leute ab 14, thematisiert genau diese Fragen. Antworten muß jeder für sich finden. Klar ist nur die eine Botschaft: Erlaubt ist alles was Lust bereitet, Spaß macht und keinem andern weh tut. Es geht einfach um ein selbstbestimmtes Leben, das nicht durch die Zwänge irgendwelcher Neurotiker versaut werden soll.

Auch nicht mehr zu den Zeitgenossen zählt leider Anthony Burgess der Autor "Clockwork Orange". Es ist 1993 verstorben. Sein Stück "Clockwork Orange", dieser düstere Vision einer urbanen Zukunft lebt. Mehr als man sich manchmal wünschen würde. "Clockwork Orange" Harald Gebhartl hat das Stück in einer großartigen Inszenierung auf die Bühne gestellt. Mit einem Sound von Peter Androsch und Wolfgang "Fadi" Dorninger. Ab 6. Juni wieder im Theater Phönix zu sehen. Alex, die Hauptfigur dieses Stücks, ist Anführer einer Bande, die vor keiner Gewalttat zurückschreckt. Raub, Vergewaltigung, ja sogar Totschlag stehen auf ihrem Sündenregister. Eine Bande, die heute keineswegs mehr eine künstlerische Vision ist, sondern schon tagtägliche Realität - auch in Linz. Alex wird von der Polizei bei einem Überfall auf eine alte Dame verhaftet und landet im Gefängnis.

Dort wird er als erste Versuchsperson mit der "Ludovico-Methode behandelt, die ihn in eine willenlose Menschen-Maschine verwandelt, der speiübel wird, wenn Gewalt im Spiel ist. Als Alex als "geheilt" entlassen wird, schlägt das Pendel der Gewalt in die andere Richtung aus. Alex' Opfer rächen sich mit aller Vehemenz und Brutalität an ihm. Die Gewaltspirale dreht sich weiter - unaufhörlich. Ein Stück, in dem der Haupttäter zum Opfer wird, die Opfer zu Tätern. Die übergeordnete Instanz, der Staat, übernimmt die Moderation dieses Reigens.

Werner Friedl in "Lucky Strike", Photo: Merzeder

Derzeit auf dem Phönix Spielplan Harald Gebhartls "Lucky Strike". Lucky Strike ist die Geschichte einer Beziehung von Eizelle und Spermium an, bis zum Exodus - das ist eine Möglichkeit, dieses Stück zu sehen. Es ist "wie ein Roadmovie quer durch die verwüsteten Herzen eines Österreichischen HollywoodTraumpaares hindurch", schreibt Harald Gebhartl im Unteruntertitel seines Theatertextes. In der Tat - "Lucky Strike" ist ein Stück voll Rasanz und Speed, voll atemberaubender szenischer Dynamik. Das Personal, der "angejahrte Humphrey Moser, der dem legendären Filmhelden Humphrey Bogart nicht unähnlich sieht, aber möglicherweise lieber Hans Albers wäre" und "Lauren Moser, eine grellgeschminkte Frauenruine, die wie Marlene Dietrich aussieht" treffen einander in der "verluderten Hochzeitssuite des ehemals luxuriösen Hotels "Sacher Preparadise`" um im hohen Alter ihre Beziehung neu aufzufrischen.

"Ausgerechnet wenn die ganze Welt auseinanderfliegt müssen wir ein Kind kriegen wollen." lamentiert Herr Moser, während Frau Moser schimpft, daß sich Humphrey Mosers "vertragsverbrecherischer Schwanz" nicht mehr aufrichtet.

Das Dilemma ist vorgezeichnet:Es kommt nicht zum alles entscheidenden Akt, im Gegenteil, das Spiel um Schein und Sein endet letal. Eine groteske Komödie zwischen hinfälliger Infantilität und allwassergewaschener Altersbösartigkeit. Eine skurrile Traum-Schau zwischen Wahnsinn und aberwitziger Wirklichkeit, zwischen Hirngeburten und wirklichen Todesfällen.

Die "PEEPshow 2 - Die Rache der gebrochenen Herzen" ist die Fortsetzung der Peep-Show-Idee mit noch wahnsinnigeren, verrückteren Mittel, Szenen und Texten. Liebe - Drama - Wahnsinn könnte man den Reigen um die Attraktion der Geschlechter beschreiben. 15 Szenen stehen zur Auswahl, das Publikum gestaltet sich den Abend zwischen Shakespeare und Kislinger selber. Und wenn jemand meint, das ganze sei Schmutz, so sollte ihm klar sein, daß der Schmutz erst in den Köpfen des Publikums entsteht.


NIGHTLINE PeepShow 2 - Die Rache der gebrochenen Herzen
Premiere: 9. Februar 1994
Regie & Idee: Harald Gebhartl; Raum: Georg Lindorfer; Video: Gottfried Gusenbauer; Kostüme: Renate Schuler, Natascha Wöss; Mit Susanne Lietzow, Andreas Puehringer, Günther Wagner.

LUCKY STRIKE
Eine BeziehungsKriegsRevue von Harald Gebhartl.
Regie: Georg Schmiedleitner; Bühnenbild: Peter Stangl;Kostüme: Ute Berger; Mit Werner Friedl, Renate Köhn, Maria Schwarz, Andre Settembrini, Thomas Bernhart.

Was heißt hier Liebe?
von Rote Grütze
Premiere: 7. April 1995
Regie: Caspar von Erffa; Ausstattung: Georg Lindorfer; Musik: Marc Voijca Mit Helmut Fröhlich, Steffen Höld, Christian Lemperle, Alenka Maly, Maria Schwarz

Die Präsidentinnen
von Werner Schwab
Premiere: 27. April 1995
Regie: Georg Schmiedleitner; Bühnenbild: Georg Lindorfer; Mit Ingrid Höller, Renate Köhn, Susanne Lietzow

Clockwork Orange
von Anthony Burgess
Wiederaufnahme: 6. Juni 1995
Regie Harald Gebhartl, Bühnenbild: Dodó Deér, Kostüme: Renate Schuler; Musik: Peter Androsch, Wolfgang "Fadi" Dorninger Mit: Steffen Höld, Thomas Pohl, Christian Lemperle, Renate Köhn, Ingrid Höller, Helmut Fröhlich, Andre Settembrini und Roland Keil