Nur ein knappes Viertel der Bevölkerung befürworte den "Anschluß", warnte die Gestapo, Widerstand von Nazigegnern sei nicht auszuschließen.
33k. You are free now!!. Cartoon: Stevie Gasser
28k KZ Mauthausen nach der Befreiung, Foto vermutlich vom 7.Mai 1945 . Foto: Nationalmuseum Washington
22k Kontrolle am Brückenkopf: Juli 1945. Foto: Stadtarchiv Linz
28k Nix g'wußt: Fotoausstellung vom KZ Mauthausen an der Linzer Landstraße. Foto: Nationalmuseum Washington D.C.
8k ....heimliche Liebe zum Barock....GI's in St. Florian. Foto: Nationalmuseum Washington.D.C.
Zwar kamen fünfundzwanzig deutsche Soldaten bei Verkehrsunfällen ums Leben, auch blieb ein Großteil der motorisierten Truppen sechzig Kilometer vor Wien aus Mangel an Treibstoff liegen;
Der "Blumenkrieg" war gewonnen, die "Ostmark" erobert.
"Austria will sooner or later go Nazi", hatte ein englischer Diplomat bereits im Sommer 1934 nach London gekabelt.
Am 13. März 1938 beschloß der österreichische Ministerrat das Verfassungsgesetz über die Vereinigung mit dem Deutschen Reich. Das Protokoll endet mit den Worten:
"Die Mitglieder der Bundesregierung erheben sich zur Feier der Stunde von den Sitzen und leisten den deutschen Gruß."
Zur gleichen Zeit wurden ungefähr 100.000 politische Gefangene gemacht. Die jüdische Bevölkerung - annähernd 200.000 Menschen - wurde vertrieben oder in Vernichtungslager deportiert. Ein Drittel der österreichischen Juden und die Hälfte der Roma und Sinti sind ermordet worden.
1,2 Millionen Österreicher wurden zur Wehrmacht eingezogen. 240 von ihnen erreichten den Generalsrang.
Der Anteil von Österreichern im Sicherheitsdienst war überproportional hoch.
Der Krieg hinterließ
247.000 tote oder vermißte
österreichische Soldaten,
Zehntausende tote Zivilisten,
100.000 Invaliden,
500.000 Kriegsgefangene und
einen Schwerindustriekomplex
der rasch verstaatlicht wurde, um den Zugriff der Sowjetunion auf das ehemalige deutsche Eigentum zu vereiteln.
Die Betriebe wurden von den schätzungsweise 200.000 Gefangenen der ostmärkischen Konzentrationslager - allein das KZ Mauthausen unterhielt 49 Nebenlager - errichtet.
Die Zweite Republik hat ihre ökonomischen
Ursprünge also im KZ-Wirtschaftskonzern,
ihre Säulen sind Sklavenarbeit und Mord.
Erlebten die einen das Ende der NS-Herrschaft als die ersehnte Befreiung, war es für die Parteigenossen die Stunde Null, die große Niederlage, der Zusammenbruch. Für die Mehrheit der Österreicher war das Kriegsende der "Umbruch". Den Alliierten gegenüber verfolgte man die Taktik des Hofrates Pechacek aus dem Kabarett "Wiener Werkel":
"Nur net nervös sein.
Mir wern's schon demoralisieren."
In der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April heißt es:
"Angesichts der Tatsache, daß die Reichsregierung Adolf Hitlers kraft der Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instandgesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat ..."
Wer "macht- und willenlos" einen Großteil der KZ-Mörder stellt, wer einen Eroberungskrieg nur deswegen ablehnt, weil er "aussichtslos" ist, wer niemals die "Bekriegung von Völkern gewollt", wer also nichts Böses "gutzuheißen instand gesetzt war", der ist nicht nur ein bedauernswertes Opfer der Sprache, sondern auch der Geschichte, mit einem Wort ein wahrer Österreicher.
Die Vorsitzenden der konservativen, der sozialistischen und der kommunistischen Partei unterzeichneten die Erklärung, stellten sich also in den Dienst des wahren Österreichers. Und der katholische Publizist Friedrich Heer verkündete dessen Mission:
"Aufgabe jedes wahren Österreichers war es nun, sich zu gürten zur Wanderschaft und Tag und Nacht mit brennender Fackel durch die Welt zu laufen, um das neue Europa zu suchen, den Ruf unter die Völker werfend: das alte Europa ist tot - auf, schafft das neue."
Das alte Reich ist tot - schaffen wir das neue, das Beinhaus.
Österreich, das sich mit Aplomb in die Staatenwelt zurückgemeldet hatte, durchforstete seine Geschichte nach Spuren des wahren Österreichers. Das konservative Lager pries die josephinische Aufklärung, denn deren Spuren waren schon zwei Jahre nach Josephs Tod getilgt. Man beschwor das Biedermeier und die Alpen, das förderte den Fremdenverkehr und die Weinwirtschaft. Nicht die Denkmäler, sondern die Idee des Denkmalschutzes wurde zur Apotheose erhoben.
Treppenlifte für Behinderte wurden unter die Moderne eingereiht, und die war verpönt, denn sie produzierte keine Staatsdenkmäler des wahren Österreichers.
Die Linke pries die josephinische Aufklärung, denn sie war, anders als die französische und englische, ohne Literatur ausgekommen. Und sie beschwor den Österreichmythos, denn er stieß "in der Welt draußen" auf amüsiertes Kopfnicken. Die Pflege des Kulturerbes äußerte sich bei der Linken in verbissener Kunstfeindlichkeit -
bis tief in die Zweite Republik war im kommunalen Wohnungsbau die Errichtung von "jüdischen Flachdächern" verpönt, und ehemalige Nazi-Dichter wurden mit Staatspreisen bedacht.
Österreich als Hitlers erstes Opfer: Diese historische Figur beruft sich auf die Moskauer Deklaration der Allierten Außenminister des Jahres 1943. Verdrängt wurde jedoch der folgende Passus:
"Österreich wird aber auch daran erinnert, daß es für die Teilnahme am Kriege ... eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und daß, anläßlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird."
Die Zweite Republik kannte keine Sieger, sie kannte nur Opfer:
die katholischen Legitimisten, weil Otto Habsburg die Einreise nach Österreich verwehrt blieb; die Sozialisten, weil der Traum vom Anschluß an Deutschland in weite Ferne gerückt war; und die betrogenen Glücksritter von der NSDAP, weil sie ihre Beute nicht länger genießen konnten.
Ernst Fischers und Louise Eislers Briefroman über Prinz Eugen, Eva Priesters Geschichte Österreichs und Albert Fuchs' Geistige Strömungen in Österreich beschworen den Österreichmythos, der ohne das Opfertheorem aber nicht zu haben ist, was zur Folge hatte, daß diejenigen, die besonders unter den Nazis gelitten hatten, die Augen vor dem österreichischen Anteil an der NS-Herrschaft niederschlugen.
Die Kommunisten fühlten sich aber auch als Opfer der sowjetischen Befreier, die ein naheliegendes Ziel verfolgten: den Transfer der Maschinenstraßen in die zerstörte Sowjetunion.
Stalin mag sich häufig geirrt haben; daß er einen österreichischen Sozialismus errichten wollte, kann man ihm aber nicht vorwerfen.
Dieser wahre Österreicher, der für den Fortbestand der Monarchie eingetreten war und den Einmarsch der Deutschen bejubelt hatte, diente sich den Sowjets als Bundeskanzler an, und Stalin ging auf das Angebot ein.
"Daß die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört, ist unfraglich und bedarf keiner Betonung", schrieb Renner an Stalin, und der nahm Renner beim gelogenen Wort. Endlich spielte Österreich eine nützliche Rolle: als sowjetisches Faustpfand im Kalten Krieg.
Das Opfertheorem und der Österreichmythos sind auch in der Kabale um Alfred Hrdlicka präsent. Broders Forderung, dessen "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus" müsse geschleift werden, zeugt davon, daß es noch Anwärter auf das wahre Österreichertum gibt.
Weil man die wirklichen Nazis ungeschoren ließ, erfindet man einen "linken Nazi", der dafür büßen soll. Natürlich ist Hrdlicka kein Nazi, er ist auch kein Antisemit, er ist ein barocker Künstler, und im Barock ist Theatralik von Inszenierung, Ornament von Funktion nicht zu unterscheiden.
Auf dem "Stein der Republik", dem Schlußstein des Mahnmals, prangt ein Auszug aus der verlorenen Unabhängigkeitserklärung des Jahres 1945.
Der Text ist aber nicht als ein ironischer Kommentar, sondern als pathetisches Dokument gestaltet. Insofern lügt auch das Mahnmal, und die Exaltation, mit der es von jenen Linken, die sich jetzt von Hrdlicka lossagen, verteidigt worden ist, zeugt nur von der inneren Übereinstimmung mit den konservativen Denkmalgegnern, wahre Österreicher die einen wie die anderen.
Simon Wiesenthals Plan, das Mahnmal zum fünfzigsten Jahrestag der Befreiung mit einem Stein zu ergänzen, der die Namen aller 65.459 ermordeten Juden enthalten soll, ist ein Versuch, den Opfermythos, der vom Mahnmal transportiert wird, zu korrigieren, doch der Versuch scheitert daran, daß die Namen der ermordeten Juden nicht bekannt sind.
"50 Jahre nach der Befreiung wissen wir, an welchen Krankheiten die österreichischen Kriegsgefangenen gestorben sind, aber weder wissen wir die Namen der ermordeten Juden, noch wissen wir, wie hoch das den Juden geraubte Vermögen ist",
Zuerst wurde ihm beschieden, es gebe keine Aufzeichnungen dieser Art. Der Historiker fand aber heraus, daß die Faszikel in der Abteilung für Naturkatastrophen gelagert werden.
Der Leiter dieser Abteilung erklärte dem Forscher, im Frühjahr würden Hochwasserschäden auftreten, im Sommer verzeichne man Dürreperioden und Hagelschläge, im Herbst sei man wieder mit Hochwasserschäden konfrontiert, und im Winter arbeite man den Überhang an Akten ab. Wie solle man da Zeit finden, sich mit den Arisierungsakten zu beschäftigen. Bei Hochwasser müssen die Juden eben warten.
Im Frühjahr 94 beschied Vizekanzler und Wissenschaftsminister Busek einen Filmemacher, der um Förderung für einen Dokumentarfilm über den Todesmarsch ungarischer Juden (1944/45) nachgesucht hatte, daß
"in Wirtshäusern Arbeiten dieser Art keine wie immer geartete Akzeptanz finden", die Verbrechen seien "in der Bewußtseinslage der Bevölkerung" ähnlich entlegen wie die Schlacht bei Königgrätz 1866.
"Ich sehe die Rolle des Wissenschaftsministeriums nicht in der Notwendigkeit der Pflege von `Schrebergärten` (aus einem Brief an Walter Manoschek vom 25.3.1994).
So hartnäckig der Opfermythos in Österreich auch beschworen wird, international ist er längst durchschaut. Kurz vor Weihnachten wurde die Unesco-Liste des "Welterbes" auf 440 Stätten ergänzt. In der Liste finden sich jetzt auch die Klöster an den Hängen des Popocatepetl und der Potala-Palast in Lhasa. Österreich ist in der Liste weiterhin nicht vertreten.