SIND SIE SCHON
(INFORMATION-) HIGH ?

von Gerald Harringer /DIE FABRIKANTEN
InternetFoto:Danielczyk

Wer im Moment keine Mailbox-Adresse auf seiner Visitenkarte aufweisen kann, läuft Gefahr, im gesellschaftlichen Spiel um Bewunderung und Reputation an Ansehen massiv einzubüßen.

Wer demnächst keinen Zugang zu e-mail (electronic mail) für sich oder seine Gruppe, Institution, Verein, Firma etc. organisieren kann, wird sich bald im kulturellen Off wiederfinden. Wer noch immer nicht weiß was Internet ist und was das ganze Gerede um den Datenhighway soll, wird sich früher oder später von der globalen Dorfgemeinde ausgegrenzt vorkommen.

1995 ist (in Österreich) das Jahr des Internet. Alle reden über etwas, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Ja, Freunde, das Internet gibt es nicht! Alles Illusion, virtuelle Realität. Worüber wir reden können, sind Computer, Telefonleitungen, elektronische Postkästen, elektronische Bretter (boards) und an die 40 Millionen Adressaten und Sender. Internet selbst ist lediglich das unsichtbare Netz (der Filz), das alle Accounts (Benutzeradressen) dieses elektronischen Kleinanzeigenblatts zusammenhält.

Die Technologie - Computer als Medium zur Telekommunikation - existiert schon seit mehr als zwanzig Jahren und selbst in Linz gibt es einen Mann der ersten Stunde. Bruno Buchberger vom RISC-Linz (Research Institute for Symbolic Coputation) kommuniziert schon seit fast 2 Jahrzehnten per Modem mit seinen Freunden und Partnern auf der ganzen Welt. Heute könnte er sich seine Arbeit ohne Computerkommunikation nicht mehr vorstellen.

Neu ist die Technologie wahrlich nicht, was sich aber tatsächlich in letzter Zeit geändert hat, ist der rasante Zuwachs der Benutzer- (User-) gemeinde. Damit wächst auch immer stärker die Vorstellung bei den einzelnen Usern, nun tatsächlich im Global Village zu leben und McLuhans Vision ist auf einmal angewandte Wirklichkeit geworden. Der revolutionäre Charakter dieser Technologie liegt allein darin daß die Welt zu einem virtuellen Dorf schrumpft, wo Menschen unterschiedlichster Nationalitäten, Kulturen, Religionen, unabhängig von geographischen Distanzen und Standorten zusammenkommen und als Nachbarn, quasi hinter einer elektronischen Gartenhecke (dem Bildschirm) miteinander kommunizieren können. Nationalität, Hautfarbe, physisches Erscheinungsbild, Geschlecht verlieren an Bedeutung, jene Schranken, die bis dato Grundlage für Rassismus, Agression und Feindschaft waren, scheinen überwunden zu sein.

Leider gilt das nur für jene, die im warmen Zimmerchen vor dem Bildschirm eines vernetzten Computers sitzen und diesen auch bedienen können. Die Welt wird also wieder eingeteilt, in "Information - High" und "Information - Low" Kategorien und die 3.Welt ist auch hier der letzteren zuzuteilen.

Bei unserem Telekommunikationsprojekt "IRONET" (Herbst/Winter 1994) setzten wir uns das Ziel, verschiedenste Netzwerke wie APC und Internet dazu zu benutzen, um einen Dialog zwischen Menschen aus ehemaligen Ostländern und Österreich zu initiieren. Gerade in ärmeren Ländern bietet ja die Kommunikation über Computer und Modem die Gelegenheit, bei minimalen Telefonkosten (meistens Ortsgespräch bis zum nächsten "Server") mit Menschen auf der ganzen Welt binnen weniger Minuten Kontakt aufzunehmen. Tatsächlich erreichten uns nach einem Aufruf in verschiedenen Boards und Newsgroups über 20 Reaktionen, unter anderem aus Tschechien, Slovakei, Ungarn, England, Finnland, Deutschland, aber auch USA, Australien und Neuseeland.

Aus diesen KonferenzteilnehmerInnen entwickelte sich nach einigen Wochen ein harter Kern von 10 Personen, die wir dann - als Abschluß des Projektes - zu einem Symposium nach Plasy (einem leerstehenden Kloster, nahe Pilsen in Tschechien) eingeladen haben. Dem virtuellen Treffen folgte also ein reales, dem cyber-talk folgte der visual clash.

IRONET hatte 1993 einen Vorläufer, das interdisziplinäre "Unternehmen Eisendorf" im leerstehenden Dorf Pohori na Sumave an der österreichisch-tschechischen Grenze. Auch bei diesem Projekt ging es uns letztlich um den Prozeß, das "Echtzeit-Erlebnis", um die Interaktion zwischen Menschen und einem besonderen Ort.

Das Fazit von IRONET ist demgemäß auch: Die Kommunikation mit Menschen im physischen Raum ist durch nichts zu ersetzen. Computernetzwerke sind geeignete Medien zum Informationsaustausch, wirkliche Kommunikation (im Sinne von lat. communicare "etwas gemeinsam machen, gemeinsam beraten, einander mitteilen") aber, entsteht nur durch die reale (körperliche) Präsenz von Menschen, durch Körperlichkeit in jeder Hinsicht. Körperlichkeit hat außerdem eine völlig andere Zeitqualität als die (zumindest derzeitige beschränkte, körper-distanzierende) Telekommunikation.

Eines unserer wesentlichsten Ergebnisse und Erfahrungen ist, daß sich über Computernetzwerke Menschen aus verschiedenen Ländern kennengelernt haben, die sich sonst wahrscheinlich nie treffen würden.

Nach dem persönlichen (real-life) Kontakt in dieser riesigen, verlassenen Klosteranlage Plasy bestehen seither enge Kontakte via Internet.

So sind wir und unser Mitinitiator Gerhard Fröhlich (Kulturinstitut Uni Linz) u.a. im Dialog mit Jarmila Pankova (Uni Prag, Computerforschungszentrum), Heath Bunting (Cybercafe; London) und Erszebet Kapovi (Institut für Futurologie, Budapest).

Bei unserem nächsten Projekt "Net Travel Portraits" wollen wir demonstrieren, daß der Mensch im Kommunikationszeitalter noch nicht von der Bildfläche verschwunden ist, sich noch nicht vor dem Monitor sitzend aufgelöst hat. "Net Travel Portraits" zieht einen Querschnitt durch eine Gruppe von weltweiten Internet-BenutzerInnen und portraitiert typische Net-Traveller in ihrem jeweiligen Umfeld.

Unser aller Aufmerksamkeit muß sich in Zukunft wieder auf den Menschen richten, sonst mutieren wir wirklich (analog zum Zahnrad in der Maschine) bald zu Bio-Chips, die man nach Bedarf an die Zentralrechner andockt (Stichwort "Teleworking im Telecenter", siehe Falter Nr. 5/95), wo alles rundherum nur soweit infrastrukturell konzipiert und ausgestattet ist, soweit es eben für ein klagloses Funktionieren der Computer - Mensch - Einheit notwendig ist.

Da mir diese ganze Internet - Euphorie wie gesagt etwas zu viel ist, zum Schluß auch noch ein Baudrillard - Zitat:

"Der Virtuelle Mensch, reglos vor seinem Computer, macht Liebe via Bildschirm und seine Kurse per Fernstudium. Er wird zum motorisch und zweifellos auch geistig Behinderten. Das ist der Preis, den er zahlen muß, um opertional zu werden."
(J.P. Baudrillard)

Und wer uns trotzdem per e-mail einen netten Brief schicken will:
DIE FABRIKANTEN @ demut.comlink.apc.org
oder