Briefverkehr

Rudi Habringer, Oktober 95

Dr. Hannes Etzlstorfer
Schönbrunnerstr. 169/15
A-1120 Wien

sg. Herrn
Rudolf Habringer
Überlendenstr. 27
A-4110 Walding
Wien, den 26. März 1995

Sehr geehrter Herr Habringer!

Das Land Oberösterreich widmet im nächsten Jahr seine Landesausstellung im Stift Mondsee und im Stift St. Florian den Künstlern dieses Landes. Die OÖ Landesausstellung 1996 steht unter dem gemeinsamen Titel "Vom Ruf zum Nachruf": Während in St. Florian anhand des "Musikanten Gottes" Anton Bruckner der wechselvolle Werdegang einer einzelnen historischen Künstlerpersönlichkeit kritisch ins Auge gefaßt wird, beschäftigt sich der von mir konzeptiv verantwortete Teil in Mondsee grundsätzlich mit "Künstlerschicksalen von gestern und heute". der Bogen spannt sich von der schwierigen Selbst- und Talentfindung des Künstlers, der Rolle der Kunstschulen und des Kunstmarktes, der Politisierung bis hin zu der unterschiedlich ausgeprägten Privatheit - aufgezeigt an Beispielen zahlreicher österreichischer Künstler der jüngeren Vergangenheit wie auch der Gegenwart.

Die Landeskulturpreisträger Oberösterreichs bitte ich in diesem Zusammenhang um einen Beitrag: Wir planen eine umfangreiche Künstlerbefragung mit folgenden Schwerpunkten: Wie bewerten Sie Ihr Künstlersein in Österreich, was behindert Sie, was gibt Ihnen dazu Mut, was wünschen Sie sich von Ihren Zeitgenossen? Da es in der Ausstellung einen Abschnitt zum Thema Künstlerdenkmal gibt, erlaube ich mir zudem die Frage, wie Sie etwa "Ihr" Denkmal gestalten würden, welche Inschrift es beinhalten sollte. Schreiben Sie mir eine Stellungnahme zu einer dieser Fragen und ich werde mich sofort bemühen, diese gemeinsam mit den Grafikern an der entsprechenden Stelle in der Ausstellung unterzubringen. Sie können der Aussage auch dadurch Ausdruck verleihen, indem Sie dem Schreiben ein für Ihre Persönlichkeit oder Ihre künstlerische Arbeit signifikantes Symbol oder Utensil (wie autographierte Notenblätter, Bleistifte, alten Pinsel oder Paletten, Fotos, Einladungskarten, Plakate - bis hin zu Haarlocke) beifügen. Diese solcherart gesammelten "Künstlerdevotionalien" werden mit Aussagen und "Künstlerreliquien" bereits historischer Künstlerpersönlichkeiten in Gegenüberstellung gebracht.

Aus organisatorischen Gründen (Katalog-Vorbereitung) würde ich Ihren werten Beitrag allerdings schon bis spätestens 15. Mai dieses Jahres benötigen (bitte an obige Postadresse). Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn Sie so unser Projekt unterstützen könnten.

Mit den besten Wünschen
für Ihre weitere künstlerische Arbeit


Rudolf Habringer
Überlendnerstraße 27
4111 Walding
Tel. 07234/4197
Walding, 12. 5. 95

Sehr geehrter Herr Dr. Etzlstorfer!

Betrifft: Ihre Anfrage vom 26. 3. bezüglich eines Beitrages zur Landesausstellung 1996:

Abgesehen davon, daß ich gar kein Landeskulturpreisträger bin, sondern nur die Talentförderungsprämie erhielt, damit möglicherweise gar nicht im Status der Würde und des Ansehens stehe, Ihrem Ansinnen zu entsprechen, fiel mir bei der Lektüre Ihres Briefes folgendes auf und ein:
Anscheinend interessiert an den lebenden Künstlern vor allem, ob und in welcher Weise sie sich Sorge um ihren Nachruhm machen.
Sie haben da bei mir voll ins Schwarze getroffen. Ich bin halt ein Dichter, wie er im Buche steht. Ich schreibe ausschließlich nachts, rauche wie ein Schlot, trinke Unmengen schwarzen Kaffees, neige dem Alkohol zu und liege bis gegen vierzehn Uhr im Bett. Meine Biographie ist glücklicherweise psychologisch ergiebig. Mein Vater war ein prügelnder Staplerfahrer, meine Mutter verdient bis zum heutigen Tag als Putzfrau bei der Donau-Versicherung ihr kärgliches Brot. In meiner Verwandtschaft war und ist der Inzest gang und gäbe. aus diesem bewegten sozialen Umfeld beziehe ich meine literarischen Ideen, der Rest der Inspirationen fällt mir von oben zu oder ereignet sich während schwerer Rauschfälle. Finanzielle Probleme habe ich keine, solch profanen Dinge interessieren mich überhaupt nicht.
Manche meinen ja, ich lebe bereits völlig entmaterialisiert und in geistig höheren Sphären, eine Gruppe von Literaturanhängern aus der Nähe von Andorf im Innviertel sammelt angeblich seit einiger Zeit Unterschriften zum Behufe eines Seligsprechungsprozesses meiner Person, weil ich nachweislich seit mehreren Jahren keine festen Speisen mehr zu mir genommen und seit vier Jahren auf einen regelmäßigen Stuhlgang überhaupt verzichtet habe. Wunderberichte während der Lektüre meiner Bücher und bei meinen Lesungen werden eifrig zusammengetragen, um dann an den Vatikan oder an andere Literaturpäpste weitergeleitet zu werden. In den nächsten Jahren ist der Ankauf eines alten Bauerngehöfts im hinteren Steyrtal oder im oberen Mühlviertel zu erwarten, was einen völligen Rückzug meiner Person, damit eine Beschleunigung meiner ganzkörperlichen Entrückung zur Folge haben wird.
Das Hauptaugenmerk meiner literarischen Kopfbeschäftigung liegt aber schon heute bei der Ausarbeitung meines eigenen Künstlerdenkmals, das ich einmal neben der Toreinfahrt meines Bauerngehöfts angebracht sehen will.
Über den Inhalt der Inschrift bin ich vorläufig zu folgender Überlegung gelangt:

ER WAR EIN DICHTER
JETZT IST ER HIN
DIE TOTEN DICHTER SIND DIE GUTEN DICHTER

Ihrer Bitte nach einem signifikanten Symbol oder Utensil aus dem Umfeld meiner künstlerischen Arbeit will ich gern entsprechen: Ich mache Ihnen und damit dem Land Oberösterreich hiermit das Original eines von mir begonnenen, nicht aber zum Abschluß gebrachten Kreuzworträtsels der Kronen Zeitung (Ausgabe Oberösterreich, Seite 20) vom 7. 5. 1995 zur Schenkung. Über dieses Originalfragment dürfen berechtigte interpretatorische Fragen angestellt werden:
- War der Dichter intellektuell nicht fähig (der Fehler in Zeile 11, "anbringn" könnte darauf hinweisen) oder nicht willens, das Rätsel vollständig zu lösen?
- Wurde der dichter bei der Lösung des Rätsels vielleicht durch eine künstlerische Inspiration aus seiner Tätigkeit gerissen, etwa um den groben Handlungsverlauf eines neuen Romans zu skizzieren? - Was will uns der Dichter damit sagen, daß er das Rätsel in einer Boulevardzeitung löst, nicht aber etwa die Logelei in der ZEIT oder den Denksport in der Neuen Zürcher Zeitung?
- Könnte eine graphologische Untersuchung Aufschluß geben über die psychische Verfassung des Dichters beim Ausfüllen des Rätsels, etwa starke Gehetztheit, Unrast, oder einen schweren Rausch?
- Welche Botschaft verbirgt sich dahinter, daß der Dichter das Rätsel nicht von der obersten Zeile her zu lösen versuchte?
- Verbirgt sich hinter der Tatsache, daß eine gewisse Rechtslastigkeit vorliegt, was die ausgefüllten Felder betrifft, ein indirekter Hinweis auf die politische Einstellung des Autors, oder deutet die eher unruhige und unregelmäßige Anordnung der Buchstaben auf eine versteckte Mitteilung über sein künstlerisch-ästhetisches Programm?
- Ist dieses unvollständige Rätsel ein experimentell einmaliger Wurf oder steht es in einem größeren Werkzusammenhang? Gibt es bisher noch nicht erfasste Fragmente ähnlicher Art, könnte mittels Texten ähnlicher Form Rückschlüsse auf einen unterschwelligen Subtext gezogen werden?
- Was bedeutet der handschriftliche Vermerk am unteren Ende der Seite?

Mit der Hoffnung, Ihnen damit für die Ausstellung gedient zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen