OH, DU LIEBER AUGUSTIN ...

All die Unannehmlichkeiten, die uns Gott mit seinen Strafen beschert.

Astrid Bartsch

Die Schöpfung ist wider aller Behauptungen doch vollkommen, denn: der verwundbarste Punkt steckt ganz bewußt in unserer nackten Existenz- sozusagen als vorausgeplante Schwachstelle. Er ist der Knopf, der unsere Maßlosigkeit und Arroganz dimmt. Kein Verlust wird deshalb so schmerzhaft empfunden wie der des eigenen Körpers beziehungsweise Lebens. Manipulationsversuche an diesem Faktum sind bis jetzt immer fehlgeschlagen. Sogar der ruhmreiche Nibelungenheld Sigfried hat nicht überlebt.
Gottes Strafen sind beinahe so artenreich wie die Schöpfung der Insekten: er hat den Menschen mit dem Verstümmelungswahn eines Folterknechten ausgestattet, Naturkatastrophen schickt er unerwartet, dafür persönlich; und für die Verbreitung von Seuchen sendet er unglückverheißende Vorboten. Diese Krankheiten, die sich wie der neueste Klatsch unter der Bevölkerung verbreiten, verursachen nicht nur körperliche, sondern auch schmerzvolle seelische Qualen. Die wohl älteste und schreckenerregendste bakterielle Infektion hat auf fast jedem (zumindest österreichischen) Hauptplatz ein geschwollenes, säulenartiges Erinnerungsstück hinterlassen.

Der schwarze Tod` hat vor niemandem haltgemacht. So ist er auch in Camus > Die Pest< gekrochen und hat dort gar wildest gewütet.
Einem Gefängnis gleich, abgeschottet wie eine Festung, entwickelt sich die nordafrikanische Stadt Oran zur Quarantäne. Leidtragend und kämpferisch treten die Hauptprotagonisten auf der Stelle. Der Arzt und Erzähler Bernard Rieux schlägt sich durch einen Dschungel des Todes. Doch je mehr sich die Seuche in der Stadt ausdehnt, umso enger zieht sich der Würgegriff der Außenwelt zusammen. Menschen, die nur zu Besuch waren, versuchen vergeblich zu fliehen, Menschen, die ausgesperrt sind, können nicht zurück in ihre Heimat, zurück zu ihren Geliebten. Ein Vakuum der Trennung entsteht. Doch nach Monaten der Isolation beginnt ein Gedankenprozeß die Menschen zusammenzuschweißen, sie in ihrer gemeinsamen Not zu bestärken. Schließlich verebbt die Seuche, doch wird sie in Zimmern, Kellern, den Koffern, Taschentüchern und Bündeln alter Papiere eingenistet abwarten, bis sie eines Tages wieder die Ratten aus den Löchern schickt.

Camus läßt beklemmend, als wäre die eigene Haut die Stadtmauer um Oran, im Inneren das gebeutelte Volk kämpfen. Die Beschreibung abstoßend aufgeplatzter Beulen schmerzt wie die Vorstellung der Isolation von der Außenwelt. Beinahe träge wird der Leseprozeß, wenn die Akteure sich der Gewohnheit beziehungsweise Gleichgültigkeit hingeben.
Wer denkt, die Pest heute nicht mehr fürchten zu müssen, kennt nicht ihr vielfältiges Gesicht. Egal wie eine pestilenzartige Krankheit heißt oder sich äußert, der Umgang mit ihr und ihren Opfern verhält sich immer gleich. Man beobachte nur seine Mitmenschen, wie sie sich der Krankheit AIDS gegenüber zieren. Sie ist weder so leicht übertragbar, noch so schnell todbringend wie die Pest und doch werden diese Menschen absentiert. Man begehrt, sie in ein Ghetto zu verbannen, ihre Würde zu brechen, ihnen die gesellschaftliche Freiheit zu nehmen.

Da dürfte Gott doch ein Schnitzer passiert sein.

Albert Camus `Die Pest', Karl Rauch Verlag 1958