Walter Wippersberg
Stellen Sie sich vor, sie gehen zu MacDonald's und bestellen dort Tournedos
à l'arlésienne oder Flugentenbrust auf Fenchelgratin. Oder
auch nur ein Gulasch oder ein Wienerschnitzel. Was wird passieren? Nicht
viel, Sie werden einfach, was sie möchten, nicht bekommen. Denn bei
MacDonald's gibt's eine kleine Auswahl von standardisierten Fast-food-Produkten,
sonst nix.
So ähnlich kann es Ihnen bald ergehen, wenn Sie eine Buchhandlung
besuchen. Sie werden dort unter einer mehr oder weniger großen Zahl
leichtverkäuflicher Bücher wählen können. Wenn Sie
aber was anderes haben wollen, wird man Sie an eine Spezialbuchhandlung
verweisen. Davon wird's dann aber nicht mehr viele geben.
Uns droht eine MacDonaldisierung des Buchhandels.
Der Buchhandel unterscheidet sich durch den sogenannten festen Ladenpreis
von praktisch allen anderen Sparten des Handels. Ob Sie ein bestimmtes
Buch in Sankt Achatz am Sessellift oder am Graben in Wien kaufen, Sie bezahlen
für ein bestimmtes Buch immer den gleichen Preis.
Klingt irgendwie wettbewerbsfeindlich, nicht wahr? Wieso sollen tüchtige
Buchhändler ihre Ware nicht auch billiger anbieten dürfen? Konkurrenz
belebt das Geschäft! Freie Bahn den Tüchtigen!
Zu den Tüchtigen gehören die Manager der Libro-Kette.
Die wollen Bücher billiger verkaufen dürfen, also bemühen
sie sich in Brüssel bei der EU-Wettbewerbskommission um eine Aufhebung
des fixen Ladenpreises für Bücher.
Libro wird in diesem Zusammenhang oft fälschlich als Buchhandelskette
bezeichnet, tatsächlich aber macht Libro das Geschäft mit Schreibwaren,
Videokassetten, CDs u.ä., Bücher erreichen nicht einmal dreißig
Prozent des Libro-Umsatzes. Aber es stimmt schon, man kann bei Libro auch
Bücher kaufen. Manche Bücher. Nicht alle.
Angeblich sind (ich glaub's nicht recht) in Libro-Filialen bis zu 2500
Buchtitel erhältlich. Klingt viel, ist es aber nicht (selbst wenn
die Zahl stimmen sollte), denn eine Wiener Innenstadtbuchhandlung führt
wenigstens zehnmal so viel.
Libro verkauft Bücher, die sich gut verkaufen, und verkauft viel von
wenigen Titeln, also könnte man diese wenigen Titel auch billiger
verkaufen. Mit dem Versprechen, hier die Bestseller preiswerter erstehen
zu können als anderswo, könnte man die Kunden in den Laden locken,
und die guten Leutchen nehmen dann auch noch ein paar Videokassetten oder
sonstwas mit.
Durchaus ehrenwerte kaufmännische Überlegungen, oder?
Und was soll dabei schon passieren? Dann kauft man bei Libro oder
irgendeiner anderen Kette eben die Bestseller und beim Fachbuchhandel die
ausgefalleneren Titel.
Es mag schnurzegal sein, ob man seine Unterhosen mit Persil oder Omo wäscht, aber es ist nicht egal, ob man Konsalik oder z.B. Bohumil Hrabal liest. |
Eben das wird nicht funktionieren.
Ein Buchhändler, der seiner Kundschaft ein wirklich breites Angebot
machen will, muß all diese Bücher, die er in die Regale stellt,
sofort bezahlen. Wenn dann ein halbes Jahr oder noch mehr Zeit vergeht,
bis er sie verkauft, dann ist das kein großes Geschäft für
ihn. Und wenn er für einen Kunden ein Buch bestellt, das er nicht
lagernd hat, dann fressen Bestell- und Lieferkosten die (bei Büchern
sehr geringe) Handelsspanne auf, und der Verkauf dieses Buches ist überhaupt
kein Geschäft.
Die Buchhändler können sich - heute noch - das alles leisten,
weil es erfreulicherweise Bücher gibt, die sich in großen Stückzahlen
und sozusagen von selber verkaufen: Die Bestseller, die Unterhaltungsromane,
die populären Sachbücher, die Koch- und Gartenbücher, der
ganze esoterische Schmarrn. Diese Bücher bringen das Geld, sie finanzieren
das große Lager, sie machen es möglich, daß auch spezielle
Kundenwünsche erfüllt werden.
Eben diese Bücher aber - und nur sie! - verkauft auch Libro.
Und ist der Ladenpreis erst einmal aufgehoben, wird man diese Titel nur
mehr in den Kettenläden kaufen, weil sie dort eben billiger sind.
Das bedeutet den Tod des Buchhandels, wie wir ihn kennen. Besondere Kundenwünsche
zu erfüllen, wird sich eine durchschnittliche Buchhandlung nicht mehr
leisten können, auch gut ausgebildetes Personal wird nicht mehr zu
finanzieren sein.
Wir werden die literarischen MacDonald's-Filialen haben und einige ganz
wenige Spezialbuchhandlungen. Was man dort bekommt, wird freilich viel
teurer sein als heute. (Aber war's nicht immer schon etwas teurer, einen
besonderen Geschmack zu haben?)
Wir werden - nun also auch hier! - Verhältnisse wie in den USA haben,
wo es keinen festen Ladenpreis für Bücher gibt - und nicht wenige
Städte mit mehr als hunderttausend Einwohnern, in denen man keine
einzige Buchhandlung findet.
Diese Entwicklung, die uns droht, wird nicht ohne Auswirkung auf das Büchermachen
bleiben. Die kleinen Verlage, die keine libro-gerechten Titel produzieren,
werden eingehen. Junge Autoren oder solche, die (aus welchen Gründen
auch immer) keinen "Marktwert" haben, werden's noch schwerer
haben, ihre Werke zu veröffentlichen.
Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, weiß, daß es so
kommen wird.
Daß Libro das will, ist einzusehen. Geschäft ist Geschäft.
Wettbewerb ist im kapitalistischen Sinne immer auch Verdrängungswettbewerb.
Der kulturelle Schaden, der entsteht, kann den Libro-Managern wurscht sein,
weil in der Kultur - anders etwa als beim Umweltschutz - das Verursacherprinzip
nicht gilt. Muß halt der Staat schauen, daß der Schaden begrenzt
bleibt. Muß halt der Staat, der so vieles subventioniert, in Hinkunft
auch die ordentlichen Buchhandlungen subventionieren.
Daß Libro sich um eine Aufhebung des festen Ladenpreises für
Bücher bemüht, das, wie gesagt, verstehe ich noch. Nun macht
sich aber auch die österreichische Arbeiterkammer dafür stark!
Und die Chancen für Libro sind in Brüssel gewaltig gestiegen,
seit sich auch eine staatliche Institution für ihre Anliegen eiinsetzt.
Was hat freilich, fragt man sich, die AK damit überhaupt zu tun? Sie
tut, was sie verhängnisvollerweise tut, unter dem Etikett "Konsumentenschutz".
In diesem Bereich ist die AK ja immer wieder segensreich tätig geworden.
Sie prüft, ob im Waschmittelpackel auch wirklich soviel drin ist,
wie draufsteht. Und unlängst erst haben AK-Bedienstete viele Bauern
als Schurken entlarvt, die auf Bauernmärkten Eier aus Legebatterien
als Eier von glücklichen Freilandhühnern verscherbelt haben.
Das ist der AK hoch anzurechnen.
Nun hat sich die AK dem Buchhandel zugewandt und wird auch hier den Konsumenten
schützen. Wovor? Na, vor überhöhten Buchpreisen natürlich!
Freilich kann man - vielleicht sagt das einmal jemand den Arbeiterkämmerern
- Bücher heute schon sehr billig kaufen. Bei jenen Titeln, die die
Verkaufserwartung der Verleger nicht ganz erfüllt haben, wird der
feste Ladenpreis oft schon nach einem halben Jahr aufgehoben, diese Bücher
werden, wie das unschön heißt, "verramscht" und landen
im sogenannten "Modernen Antiquariat", wo sie dann weit unter
dem urprünglichen Ladenpreis verkauft werden. (Übrigens macht
auch Libro einen erheblichen Teil seines Buchumsatzes mit dem "Modernen
Antiquariat".) Und erfolgreiche Titel erscheinen außer als teure
Hardcover-Ausgaben auch als billigere Taschenbuch-Ausgaben. Daß also
- Arbeiterkämmerer, merket auf! - Erfolgreiches nach kurzer Zeit auch
in einer billigeren Ausgabe zu haben ist, das u.a. unterscheidet das Büchergeschäft
von anderen Branchen.
Überhaupt sind Bücher keine Waren wie andere auch. Das
müßte denen von der AK
einmal einer sagen. Es mag schnurzegal sein, ob man seine Unterhosen
mit Persil oder Omo wäscht, aber es ist nicht egal, ob man Konsalik
oder z.B. Bohumil Hrabal liest. Konsumentenschützer arbeiten mit Preis-/Leistungsvergleichen.
Wie, bitte, soll das gehen bei Büchern? Vielleicht nach der Rechnung,
wieviel Seiten man bei welchen Verlagen für hundert Schilling bekommt?
Danach wäre dann ein Buch, bei dem man für 100 öS stolze
127 Seiten kriegt, "empfehlenswert", im Vergleich zu einem "weniger
empfehlenswerten" Buch, wo man für 100 öS nur 94 Seiten
kriegt.
Daß das barbarischer Unfug ist, scheinen die Herren von der AK nicht
zu wissen. Und - bitteschön - woher sollten sie es auch wissen? Ich
glaube nicht, daß die verantwortlichen Funktionäre leidenschaftliche
Leser sind. Also muß man sie aufklären!
Ich vermute, die Herrschaften handeln ohne bösen Willen. Sie kennen
sich in diesem Bereich nur nicht aus. Sie wissen einfach nicht, was sie
tun und was sie anrichten. Also: Sagt als Buch"konsumenten" den
Herren von der AK, daß Ihr in diesem Bereich von ihnen nicht geschützt
zu werden wünscht. Vielleicht ist dann dieser Amoklauf gegen die Buchkultur
noch zu stoppen.
Abdruck aus der Zeitschrift "99", die Zeitschrift des
NeuenForumsLiteratur, mit freundlicher Genehmigung des Autors.
c/o Goldgrubweg 12, A-4460 Losenstein