WILDER
ALS EIN TIER
Edward Bunker, der Mr. Blue im Quentin Tarantino Film Reservoir
Dogs, von James Ellroy mit Superlativen bedachter Schriftsteller, arbeitete
anhand dreier Romane seinen eigene, kriminelle
Karriere auf. Sie sollten zumindest zwei davon lesen. Dann hat die
Verwunderung über den Gesichtsausdruck des abgebildeten Herren nämlich
ein Ende.
Einstweilen erläutert Ihnen Andreas Kump Falten, Furchen und Glatze.
Es gibt
zwei Bücher, die mir die Denk- und Handlungsweisen von Kriminellen
näherbrachten. Die Einsamkeit des Langstreckenläufers von Alan
Sillitoe und Edward Bunker's Wilder als ein Tier. Aber während sich
die moralisierende Erzählung Sillitoe's letztendlich in Wider-borstigkeit
und Credo englischen Kleinganoventums verbeißt, eröffnen sich
bei Bunker andere Dimensionen. Wilder als ein Tier, 1973 unter dem Originaltitel
No Beast So Fierce erschienen, beschreibt den zum Scheitern verurteilten
Resozialisierungsprozeß Maxwell Dembos, der sich nach achtjähriger
Haftstrafe sofort wieder in den ewigen Mühlen von Milieu und Pariatum
(Vorstrafen!) befindet. Anders als Colin Smith, der Langstreckenläufer
Sillitoes, unternimmt Dembo keinen Versuch, die Gesellschaft mit seinen
Werten zu konfrontieren. Aber Dembos Disziplin ist auch nicht der Langstreckenlauf,
sondern das Überleben in Los Angeles, dort, wo die Welt als ihr westliches
Ende firmiert. Dabei gehorcht er völlig und einzig den Gesetzen seiner
Pariawelt, eingetrichtert ab dem ersten Tag seiner Ausbildung (Pflegeheim,
Besserungsanstalt, Jugendgefängnis usw.) zum Berufskriminellen.
Maxwell Dembo offenbart einen Lebensabschnitt Edward Bunker's. Dieses Los
teilt er mit Ronald Decker, Earl Copen oder Alex Hamilton, den Hauptprotagonisten
in Ort der Verdammnis (The Animal Factory) und Little Boy Blue (bislang
noch unübersetzt), weiteren Romanen Bunker's. Denn die Biographie
des Autors verläuft deckungsgleich mit dem Schicksal seiner Helden.
Geboren und aufgewachsen ausgerechnet in Hollywood, durchlebt der heute
Sechzigjährige die typischen Stationen in der Abwärtsbewegung
auf einer schiefen, gesellschaftlichen Ebene. Der Vater ein kleiner Bühnenarbeiter
aber großer Alkoholiker, die Mutter Tänzerin. Nach der Scheidung
der Eltern, Bunker war gerade mal vier, folgten Pflegeheime, Militärschulen,
und die Besserungsanstalt Whittier. Exakt die Schauplätze von Little
Boy Blue. In Little Boy Blue kollidiert der elfjährige Alex Hamilton
auf fatale Weise, dafür aber ununterbrochen mit der Autorität.
Als Lehrmeister fungieren dabei meist ältere Mithäftlinge und
überforderte Pädagogen, Heimleiter und Aufseher. Aktion und Reaktion
geben einander die Hand. Ein sich immer schneller drehender Teufelskreis
reißt den Jungen mit. Diese scheinbare Unabwendbarkeit lähmt
Bunker's dritten Roman etwas. Würde nicht Bunker's persönliches
Schicksal für einen Bezug zum Innenleben solcher Anstalten bürgen,
könnte die Konzentrierung gesellschaftlicher Widrigkeiten, in der
von Bunker festgehaltenen Form, als Sarkasmus und Ironie durchgehen. Eine
Rückblende auf das wirkliche Leben des Autors bringt einen aber schnell
wieder von dieser Sichtweise ab.
Mit
fünfzehn, nachdem der jugendliche Delinquent im Jugendgefängnis
eine Wache mit einem Messer attackiert, wechselt er erstmalig ins Los Angeles
County Jail. Zwei Jahre und ein paar Delikte später landet Bunker
in San Quentin. Auf einer geschenkten Reiseschreibmaschine beginnt er sich
mit der Welt auseinanderzusetzen. Parallel dazu liest er bis zu fünf
Bücher die Woche. Um das Manuskript von Wilder als ein Tier Verlagen
anbieten zu können, benötigt er Portogeld, das er über zahlreiche
Blutspenden erwirbt. Eine weitere Zeit in Freiheit endet mit einem gescheiterten
Banküberfall. In der Untersuchungshaft unternimmt Edward Bunker einen
Selbstmordversuch. Er überlebt. Wenig später, während er
immer noch auf den Prozeß wartet, wird sein Manuskript von einem
Verlag angenommen. Als Wilder als ein Tier erscheint, sitzt der angehende
Erfolgsautor bereits wieder im Hochsicherheitsgefängnis von Marion/Illinois.
In Marion schreibt er, mittlerweile zur Gefängnislegende und zum umjubelten
Autor avanciert, seinen zweiten Roman - Ort der Verdammnis. Er spielt in
San Quentin, dem von Johnny Cash auf seiner Live In San Quentin-Platte
in unglaublicher Manier besungenen Zuchthaus. Darin schlittert der junge
Drogenhändler Ronald Decker wegen eines relativ harmlosen Delikts
unvorbereitet in die gewalttätige Umgebung San Quentins. Fortan muß
er sich mit homosexuellen Attacken und rassistisch motivierten Gangs auseinandersetzen.
Decker schließt Freundschaft mit Earl Copen, einem langjährigen,
abgebrühten Häftling, der unter Mitsträflingen und Aufsichtspersonal
Status genießt. Diese Freundschaft bewahrt Decker vor Übergriffen,
die immer vertrauter werdende Umgebung verändert außerdem seine
Einstellung zu Gewalt und Gesetz. Gegen Ende des Romans schließt
Deckers leidenschaftlicher Einwand bei einer Anhörung vor Gericht
das mögliche Verständnis des Richters bereits aus. "Als
Sie mich ins Gefängnis schickten, hatte ich davor Angst. Aber ich
erwartete nicht, daß mich das Gefängnis ändert........nicht
zum Guten, nicht zum Schlechten. Aber nach einem Jahr dort habe ich mich
verändert, und zwar zum Schlechten...........an den Standards der
Gesellschaft gemessen. Der Versuch, aus jemanden ein anständiges menschliches
Wesen zu machen, indem man ihn ins Gefängnis schickt, ist wie, aus
jemanden einen Moslem machen zu wollen, indem man ihn in ein Trappistenkloster
steckt." Seit 1975 genießt Edward Bunker Ruhm und Freiheit.
Er lebt seither in Los Angeles. Wilder als ein Tier wurde 1978 mit Dustin
Hoffman verfilmt. Eine Besprechung seines Romans Dog Eat Dog, der vor wenigen
Monaten neu in Amerika erschien, wird in einer der nächsten Ausgaben
nachgeholt.