JAVIER
MARIAS
Mein Herz so weiß
(Corazón tan blanco)
Barcelona/1992, Klett Cotta-Verlag
Bewertung: *****
Javier Marias, 1951 in Madrid geboren, gilt als einer der interessantesten
Schriftsteller des heutigen Spanien. Er wurde mehrfach mit literarischen
Preisen geehrt, zuletzt mit dem Premio de la Critica für diesen Roman
und dem Rómulo-Gallego-Preis, der bedeutendsten Literaturauszeichnung
der spanischsprachigen Welt. Sein umfangreiches Werk ist in acht Sprachen
übersetzt.
SCHULD OHNE SÜHNE
Der paradoxe Magnetismus von Mann zu Frau. Kaum dreht er sich um...
Der spektakuläre Auftakt im Bad - Teresa, jung und frisch verheiratet
mit Ranz schießt sich in die blasse Brust. Vierzig Jahre später
schwebt das Ereignis nach wie vor bedrückend über der Familie.
Juan, Ranz´ Sohn aus zweiter Ehe spürt dem Geheimnis des Suizids
nach, bis er zuletzt die beinharte Wahrheit serviert bekommt.
Juan spürt schon auf seiner Hochzeitsreise ein Unbehagen bei der Vorstellung
des auf ewig geteilten Kopfkissens. Während seine Frischvermählte
mit Fieber das Hotelbett hütet, beobachtet er vom Fenster aus eine
erboste Frau, die schließlich im Nebenzimmer ihren Geliebten trifft.
Juan lauscht dem Gespräch, das über die kranke Frau des Mannes
Aufschluß gibt und dessen Wunsch nach ihrem Tod. Juan reist zurück
in seinen Heimatort, trifft dort auf seinen Vater Ranz und eine geheimnisvolle
Aussage. Demnach hätte sein Vater dreimal verheiratet sein müssen.
Juan weiß jedoch nur von seiner Mutter und deren Schwester Teresa,
die sich das Leben genommen hatte. In Juan stauen sich Fragen auf, die
er jedoch nicht zu stellen wagt. Er reist beruflich nach New York und lebt
dort eine Zeit lang bei seiner alten Freundin Berta. Berta trifft per Inserat
Männer und stößt auf einen geheimnisvollen Unbekannten.
Juan hält ihn für den Geliebten, den er durch die Hotelzimmerwand
belauscht hat. Zurück in Spanien erfährt Juan von Ranz den erschreckenden
Grund des geheimnisumwobenen Selbstmordes.
Wie ein Gordischer Knoten verwirren sich die Ereignisse und mit einem Hieb
fällt er zuletzt auseinander. Marias läßt die Männer
kompromißlos lieben - kompromißlos, aber unbeständig.
Sie spielen mit dem Leben und gehen bis zum Äußersten, um in
den Besitz einer Frau zu gelangen. Und dieses Verlangen macht auch vor
Juan nicht halt, obwohl er sich dessen gar nicht bewußt ist. Allein
das Wissen befleckt schon seine Hände: "My hands are of your
colour; but I shame to wear a heart so white." Shakespeare
Sprachlich führt Marias zum orgiastischen Höhenflug, der allerdings
Konzentration fordert (Sätze bis zu einer dreiviertel Seite lang!).
Mein Herz so weiß ist erschreckend - erschreckend realistisch.
Astrid Bartsch