WILLIAM
KOTZWINKLE
Ein Bär will nach oben
(The bear went over the mountain)
USA/1996, Eichborn-Verlag
Bewertung: ****
William Kotzwinkle hat Klassiker wie Fan Man und E.T. verfaßt. Er
lebt mit seiner Frau zurückgezogen auf einer Insel vor der Küste
von Maine.
EINE HAARIGE ANGELEGENHEIT
Ein Bär tanzt sich auf dem Medien-Rummel ganz nach oben.
Zunächst ist Bär noch ein Bär, der sich durch den Wald trollt.
Und Arthur Bramhall ist ein unbedeutender Literaturprofessor, der sein
Herzblut in einen Roman schwitzt. Einen Roman, den der Bär zunächst
für Termitennahrung hält. Nach kurzem Anlesen - er ist von Menschen
aufgezogen worden - findet er ihn doch faszinierend, schnappt die Aktentasche
mit dem Manuskript und macht sich auf den Weg in die Stadt. Während
Bramhall in seiner Seelenpein badet, zwängt sich der Bär in einen
geklauten Anzug und präsentiert sich einem Verlagsagenten als Hal
Jam (so wie die überalles geliebte Marmelade). Der Roman wird eine
Sensation und der grobschlachtige Naturbursche als neuer Hemingway gefeiert.
Seine abartigen Verhaltensweisen - sich vor Wonne auf dem Boden wälzen,
über die Schnauze schlabbern - werden zum PR-Gag. Langsam aber sicher
gewöhnt sich Hal Jam an das Luxusleben, das Honig und Kuchen im Überfluß
bietet. Nach einiger Überwindung findet er auch Gefallen an den unbehaarten
Menschenweibchen. Der bestohlene Schriftsteller Bramhall mutiert währendessen
zum bärigen Eremiten - die Körperbehaarung sprießt, er
entwickelt eine Vorliebe für behaarte Damenbeine und er zieht sich
zurück in eine Höhle, um seinen Winterschlaf zu halten. Die Kontur
Mensch-Tier verschwimmt.
Hal Jam wird gepusht, was das Zeug hält. Er ist eine Erscheinung und
begehrtes Objekt der Begierde, und das obwohl er sich in diesem Jahr schon
zweimal gepaart hat - einmal mehr, als gewöhnlich. Doch dann erwacht
Bramhall aus seinem Schlaf und entdeckt in einer Zeitung seinen Roman als
Spitzenreiter der Bestsellerliste. Sein Sprachvermögen hat sich zwar
schon erheblich zurückgebildet, trotzdem macht er sich auf in die
Stadt, um sich seine Rechte an dem Buch zu erkämpfen. Für wen
entscheidet sich wohl das Gericht, für den charismatischen Hal Jam,
der auf jede Frage eine vielschichtige Antwort weiß ("Zuwenig
Käseflips!") und noch dazu einen Lord-Titel erworben hat, oder
den heruntergekommenen Bramhall?
Skurril und ironisch beschreibt Kotzwinkle die Machenschaften im Verlagsleben.
Er muß zuvor eingehend damit konfrontiert worden sein. Möglicherweise
haben ihn auch seine Erfahrungen auf die einsame Insel getrieben.
Vorteile und Nachteile des zivilisierten, bzw. natürlichen Lebens
halten sich in der Waage. Und doch prangert Kotzwinkle die Blindheit und
Blasiertheit des Erfolgsmenschen an. Besonders die krampfhafte Interpretationssucht
der Geistesakrobaten, aber auch der Möchtegerns, hält Kotzwinkle
durch den ganzen Roman hindurch auf der Schaufel. "Sie haben wahrhaftig
gelebt", sagte sie. "In einer Höhle." "Sie meinen
Plato? Das Höhlengleichnis?" "Gemütliche Höhle.
Träume." "Ja, ja", nickte Alice begeistert. "Wir
geben uns mit dem Traum in der Höhle zufrieden, statt unser echtes,
wahres Selbst zu suchen. Wer von uns lebt schon sein Ideal aus?"
Astrid Bartsch