Aus dem falschen Grund nicht gelacht


1905, kurz nach dem Gründungsparteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR), der bekanntermaßen zwecks Irreführung der Polizei zuerst in Brüssel dann in Getreidesilos in London stattfand, schrieb Wladimir Iljitsch Lenin sein berühmtes Buch "Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück". Dieser Titel hat ebendiesen Parteitag und die darauf erfolgte Spaltung der SDAPR zum Thema, es liefert eine genaue Analyse der Vorgänge um die Spaltung der eben erst gegründeten Partei in Bolschewiki (Mehrheitisten) und Menschewiki (Minderheitler).
Ein Schritt vorwärts, ein oder zwei Schritte zurück, aber vielleicht auch ein, zwei Schritte daneben ist die Gründung einer ganz jungen "Revolutionären Massenbewegung" nämlich der "Anti-Fun-Faction" durch die beiden Antispaßisten Fritz Ostermayer und Thomas Edlinger. Die Gründungsdokumente dieser Fraktion der Ernsthaftigkeit und des Kampfes gegen den allgegenwärtigen Spaßterror liegt nun in Buchform (Lehrbuch des Anti-Spaßismus ­p; 7. Schulstufe) in der Reihe Sumpfbücher der agilen Edition Selene vor.
Ein Unterfangen von großer Wichtigkeit und Bedeutsamkeit, daher gewiß längst überfällig. Denn die Feindbilder sind klar: Funny van Dannen, Fun Factory, wie sie alle heißen. Daß dieses Opus allerdings mit nur halber Freude rezipiert werden kann, liegt daran, daß viele dieser Dokumente in mittelschülerhafter Gaudihaftigkeit daherkommen und Humorkritik zur Karikatur ihrer selbst verkommt.

Andererseits kann man ­p; daher auch die einleitende Erinnerung an die Gründung der SDAPR ­p; durchaus Tendenzen einer beginnenden Spaltung der Antispaßistischen Fraktion in diesem Bändchen ablesen. Denn nebst der unsäglichen postpubertären Beiträge der unfreiwillig spaßigen Spaßkritik finden sich einige wirklich brauchbare Texte der Humor- und Gesellschaftskritik. Es sei hier auf eine Redeübung von Fritz Ostermayer ("Dilettantismus vs Spaßismus") verwiesen, in der er anhand einiger Beispiele skizzierte, wie Dilettantismus und Spaßkultur sich für kurze Zeit zu einem dissidenten und subversiven Mix, durchaus im hegelschen Widerspruchssinne verbanden. Ostermayer beschrieb auch die gegenläufige Entwicklung, wie Spaßindustrie - und Konzerne Dilettantismus und Spaßkultur bald wieder fest im Griff hatten, weil beide Zusammenhänge es verabsäumten permanent ihren Platz im Koordinatensystem der kulturellen Zusammenhänge zu wechseln.
Außerdem sei auf den Aufsatz des Journalisten Oliver Machart zum Thema studentisches Bewußtsein und Massenbohemisierung verwiesen, der, unter anderen Kriterien studentischen Bewußtseins, Ironie & Zynismus ideologiekritisch hinterfragt, eine Auseinandersetzung, die zu führen der hiesigen Kulturszene wärmstens ans Herz gelegt sei. Ironie, resp. reflektierte Ironie (Selbstironie) sei nicht bloß Ideologiekritik im Stadium der Erschlaffung, sondern sie ist selbst Ideologie. Mehr noch sei Zynismus ideologischer als klassisches an etwas glauben, "denn der Zyniker macht mit, nicht weil er an etwas glaubt, sondern obwohl er nicht daran glaubt: Sie wissen es, aber sie tun es."


Insgesamt ist zu diesem Werklein anzumerken, daß der AFF ebenfalls ein Erfolg wie der SDAPR zu wünschen ist, die ja bereits 1903 die Weltrevolution proklamiert hatte, die sie dann ja auch durchführte (Tristan Tzara). Die AFF möge sich aber bequemen, an bereits entwickelten Traditionen der Humorkritik, wie sie beispielsweise von Eckehardt Henscheid und Robert Gernhardt seit Jahren unter dem kollektiven Pseudonym Hans Menz betrieben wird. Die AFF möge sich in dem Buch Robert Gernhardts "Was gibt es da zu lachen?" klugmachen. In drei großen Blöcken wird da der Kritik der Komiker, der Kritik der Kritiker, schließlich in der Komik unermüdlich der Frage nachgegangen, ob was warum komisch sei. Das Buch gipfelt in einem großen Essay mit dem Titel "Versuch einer Annäherung an eine Feldtheorie der Komik", in dessen Vorwort Gernhardt formuliert, was den Wiener Antispaßisten ins Stammbuch geschrieben sei: "Nichts ist trister als jene Gemeinplätze über das Komische, die sich den Anschein hemdsärmeliger Unangepaßtheit geben" () "Da sind mir schon die Verächter des Komischen und der Komik schon lieber. So wie der Asket, welcher eifernd zur Abtötung der Begierde aufruft, weit mehr von ihr weiß und ihr weit angemesseneren Respekt bezeugt als der Briefkastenonkel, welcher kriselnden Paarenden kalkulierten Seitensprung und die dosierte Perversion empfiehlt, so läßt der Eifer, den mancher Ernstmacher wider das Komische wendet" das ganze Unterfangen zu einem Akte der Hochkomik werden. Möchte man anfügen.
Der Kampf gegen den kabarettistischen Spaßterror, der ja mit Komik absolut nichts zu tun hat, möge von den Antispaßisten mit aller Vehemenz weiter geführt werden. Wenn aber mit gymnasiastenhaftem Bierernst schlechte-Laune-Proklamationen abgesondert werden, so erfährt das für ein bestimmtes Klientel vielleicht eine Komik, über die diese vielleicht sogar lachen können. Ich habe nicht gelacht, aber aus einem für die Autoren falschen Grund.
ferdl frühstück


Juni 97

wir lesen hören schauen linz