Tina 303
THE GENDER DIVISION
OF WELFARE
Am Beispiel der ökonomischen
(Un-)Sicherheit von älteren Frauen

Endlich, der neue Sozialbericht ist fertiggestellt. Wieder einmal läßt sich schwarz auf weiß nachlesen, was alle Interessierten ohnehin schon wissen: Ältere Frauen sind durch das österreichische Pensionssystem entweder überhaupt nicht oder sehr schlecht abgesichert. Das österreichische Pensionssystem, so wird deutlich, ist - individuell betrachtet - an einer typisch "männlichen" Erwerbsbiographie orientiert.
Die Einbindung in das System der sozialen Sicherheit ist eben am Leitbild eines männlichen Lohnarbeiters in seiner Funktion als Familienernährer orientiert. Unser Sozialstaat ist nicht nach universalistischen Kriterien, sondern nach dem Versicherungsprinzip aufgebaut, was für Frauen - so kann daraus gefolgert werden - zu einer strukturellen sozialpolitischen Benachteiligung führt. In der englischsprachigen Literatur hat sich dafür der Begriff des "gender division of welfare" durchgesetzt. Trotz vieler - nicht nur legistischer - Veränderungen in den letzten Jahrzehnten bestehen weiterhin auffallend große geschlechtsspezifische Unterschiede in der ökonomischen Sicherheit sowie größere Armutsrisiken für Frauen. Daß frauenspezifische Armutsrisiken mit der nahezu ausschließlich von Frauen übernommenen Verantwortung für Kinder und Familie zusammenhängen, läßt sich an vielen individuellen Beispielen nachzeichnen. Nachfolgend werden zur Illustration der ökonomischen Unsicherheit von älteren Frauen zwei Bereiche sozialer Sicherheit dargelegt: Sozialhilfe und Pensionsversicherung.
Erstens: Sozialhilfe
Analysen zur geschlechtsspezifischen Struktur der Sozialhilfe zeigen, daß sich trotz umfangreicher gesellschafts- und sozialpolitischer Maßnahmen für Frauen in den letzten 20 Jahren keine gravierenden Veränderungen bemerkbar machen: 1992 betrug österreichweit das Verhältnis Sozialhilfebezieherinnen zu Sozialhilfebeziehern 60 zu 40. Der Vergleich mit 1984 zeigt, daß die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Laufe der 80er Jahre nicht weniger, sondern im Gegenteil, sogar größer geworden sind. In Oberösterreich beispielsweise sind mittlerweile bereits zwei Drittel aller SozialhilfeempfängerInnen weiblich. Frauen stellen weiters in allen Altersgruppen - soweit aus bundesdeutschen und kommunalen österreichischen Untersuchungen bekannt - den überwiegenden Anteil der BezieherInnen. Das Risiko für Frauen, sozialhilfeabhängig zu werden, ist aber ab dem Erreichen des Pensionsalter mehr als doppelt so hoch ist als jenes der Männer! Bei einer für die Stadt Linz durchgeführten Längsschnittanalyse von Sozialhilfebedürftigkeit hat sich zudem gezeigt, daß Frauen wesentlich länger auf den Bezug der Sozialhilfe angewiesen sind: Drei Viertel aller Langzeitbezieher sind weiblich! Die Gruppe der LangzeitbezieherInnen setzt sich wiederum überwiegend aus von Armut betroffenen älteren Frauen zusammen. Als Unterstützungsgründe werden vielfach mangelnder Unterhalt oder Arbeitsunfähigkeit ohne Pensionsanspruch angeführt.
Das höhere Sozialhilferisiko von Frauen geht zugleich mit einer Benachteiligung von Frauen im Sozialhilferecht und in der Verwaltungspraxis einher. Die Erwerbszentriertheit sozialer Sicherung ist auch im zweiten sozialen Netz festgelegt, wobei die Ungleichbehandlung Frauen doppelt trifft: Erstens führen die geringeren Erwerbschancen und niedrigeren Erwerbseinkommen von Frauen zur Fortschreibung von geschlechtsspezifischen Einkommensunterschieden. Zweitens werden angesichts der "Kinderlosigkeit der Väter in der Sozialhilfe" die materiellen Versorgungsaufgaben der Frauen für ihre Kinder ungenügend berücksichtigt. Als weiteres frauenspezifisches Problem wirkt sich die von Gesetzes wegen festgelegte Gleichstellung der Lebensgemeinschaft mit der Ehe aus, die u.a. für die Berechnung von Leistungen wesentlich ist. Die Praxis der Sozialhilfe ist im Sinne der Sparsamkeit der Verwaltung an der Aufrechterhaltung der Geschlechtsrollenstereotypen interessiert: Da Männer als Versorger von Frauen wahrgenommen werden, wird bei alleinstehenden Frauen zum Teil amtswegig, zum Teil aufgrund von Anzeigen sehr genau hinsichtlich möglicher Lebensgefährten der unterstützten Frauen ermittelt. Dies führt mitunter nicht nur zur Kontrolle der betrofffenen Frau, sondern auch zur Vorladung des vermeintlichen Lebensgefährten. Da diesbezügliche Kontrollen und Recherchen, soweit aus den Akten bekannt, ausschließlich Frauen betreffen, kann davon ausgegangen werden, daß die Gleichstellung der Leistungsbemessung bei Vorliegen einer Lebensgemeinschaft primär zu Lasten von Frauen geht.
Zweitens: Pensionssystem
Auch im Pensionssystem zeigt sich, daß die Vielfalt weiblicher Lebensverläufe, die - durch die Zuständigkeit für Mann, Kind(er) und Familie bedingt - sich mehrheitlich nicht an einer männlichen Normal(erwerbs-)biographie anlehnen, de facto nicht berücksichtigt wird. Anders lassen sich die eklatanten Unterschiede der Zahlungen aus der Pensionsversicherung nicht erklären. Sie sind an Erwerbseinkommen und Versicherungsdauer gebunden. Früher erwerbstätige Frauen erreichen bei weitem nicht die Höhe der Pensionszahlungen von Männern. Einer durchschnittlichen Alterspension für Männer von öS 13.900,- im Jahre 1995 stehen lediglich öS 7.900 für Frauen gegenüber. In manchen Pensionsversicherungen liegen die Differenzen noch wesentlich höher. Drückt man dieses Verhältnis Männerpensionen zu Frauenpensionen prozentuell aus, so zeigt sich, daß Frauenpensionen einem etwa 50- bis 60%igen Anteil der Männerpensionen entsprechen. Der Vergleich mit den Daten von 1990 bestätigt, daß es diesbezüglich in den letzten Jahren keine Verbesserung gegeben hat: Pensionierten Frauen steht im Vergleich zu Männerpensionen prozentuell betrachtet sogar weniger Geld zur Verfügung als noch 1990.
Angesichts dieser Tatsache verwundert es kaum, daß viele Frauen auf den Bezug der Ausgleichszulage zur Existenzsicherung angewiesen sind: 1995 waren 72% aller AusgleichsbezieherInnen Frauen. Da eine "echte Mindestpension" nicht vorgesehen ist, wird mit dem Instrument der Ausgleichszulage eine vom Haushaltseinkommen abhängige Mindestversorgung in Form der Ausgleichszulage gewährt. Der Richtsatz für Ausgleichszulagen betrug 1995 für Alleinlebende öS 7.700,-, für Ehepaare im gemeinsamen Haushalt öS 11.000,-.
Ein Argument, das bei Diskussionen über die Pensionshöhe von Frauen immer wieder hervorgebracht wird, ist jenes, daß Frauen doch "mehrere Pensionen" erhalten. Dazu sei angemerkt, daß sogar dann, wenn Frauen zu ihrer Eigenpension eine weitere Pension (z.B. Witwenpension) beziehen, die Gesamtleistung im Durchschnitt ebenfalls niedriger ist als die einfache Männerpension.
Frauen - so der simple Schluß - sind im österreichischen Sozialsystem ökonomisch benachteiligt. Das primär an Erwerbsarbeit zentrierte soziale Sicherungssystem ist kaum am weiblichen Lebenszusammenhang, der von Phasen der Berufstätigkeit sowie Phasen der Familientätigkeiten geprägt ist, orientiert. Der sekundäre Zugang zum System der sozialen Sicherheit wird durch den abgeleiteten Status der Ehepartnerin ermöglicht.
Beide Zugangsmöglichkeiten reichen offensichtlich für eine adäquate materielle Versorgung von älteren Frauen nicht aus. Bemerkt wird dies von den betroffenen Frauen oft erst, wenn aufgrund des Alters, freiwillig oder unfreiwillig, keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen werden kann oder wenn die Partnerschaftsform "Ehe", die im Sozialstaat Österreich als Versorgungsinstanz eingebunden ist, scheitert. Daß damit beispielsweise im Normalfall die Pensionsansprüche der für die Familie tätigen Frauen verloren gehen, wird vielen Betroffenen erst dann bewußt, wenn sie den Weg zum Sozialamt antreten müssen.
Sollte man(n) Frauenanliegen ernst nehmen, so ist es in den nächsten Jahren unumgänglich, neue Wege einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen zu finden.


April 97
wir lesen hören schauen linz