Flexibilisierung - ja aber...
Betrachtungen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit
Seit Monaten
liefert die Presse Horrorzahlen über das Steigen der Arbeitslosigkeit.
Die Bestürzung darüber ist zuwenig. Die Politik hat sich zu fragen,
ob diese Entwicklung gewollt ist - die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre
läßt so etwas jedenfalls vermuten. Will man jedoch diese Entwicklung
nicht, müssen Strukturen zur Gegensteuerung (neu) geschaffen werden.
Die Instrumente dazu haben wir (noch) in der Hand.
Die Regierungspolitik geht jedenfalls in die falsche Richtung. Was wir brauchen,
ist eine neue Solidarität. Das Überleben der Stärksten kann
nicht zum Leitprinzip für unsere Gesellschaft werden.
Es kann einfach nicht mehr hingenommen werden, daß "Wohlstand"
heißt, daß einige immer reicher werden, während immer mehr
Menschen in die Armut abgedrängt werden. Es darf keine Entwicklung
geben, in der die einen 60-70 Stunden in der Woche arbeiten und die anderen
zu Almosenempfängern werden. Wir wissen jetzt endlich auch aus Erfahrung,
daß die Koppelung von Staatsabbau und Liberalisierung des Marktes
zu dieser Entwicklung führt, daß bei steigendem Bruttoinlandsprodukt
die Arbeitslosigkeit steigt, die Löhne stagnieren oder sogar sinken
und immer mehr Arbeit ungetan bleibt. Haus- und Betreuungsarbeit, Soziales
und Naturpflege werden immer mehr in den privaten Bereich abgedrängt
und gehen dort vor allem auf Kosten der Frauen. Auf diese Entwicklung wurde
in den letzten Jahren auch bewußt hingearbeitet - nicht zuletzt auch
durch den EU-Beitritt. Das nunmehrige Gejammere der Regierung über
Arbeitslosen-Horror-Zahlen ist deshalb schwer zu verstehen.
Die jüngsten Einigungen der Sozialpartner betreffend die Flexibilisierung
und Verlängerung der Arbeitszeit, sowie der neueste Vorstoß zur
Abschaffung der Sonntagsruhe, sind nichts anderes als ein scheibchenweiser
Abbau des Sozialstaates, die Kapitulation von Sozialdemokratie und Gewerkschaft
gegenüber einer außer Rand und Band geratenen Wirtschaftslobby.
Die erzielten Regelungen haben keinerlei arbeitsmarktpolitische Effekte.
Der einzige Effekt, der abzusehen ist, ist der Lohnverzicht der ArbeitnehmerInnen
durch den Überstunden-Entfall zugunsten einer weiteren Produktivitätssteigerung
und Gewinnmaximierung der Unternehmen.
Zum Beispiel Ladenschlußzeiten:
Verschiedene Gutachten aus Österreich und Deutschland (IMU-Institut),
sowie Erfahrungen aus Schweden kommen zu einmütigen Ergebnissen über
die Auswirkungen einer Liberalisierung der Ladenschlußzeiten:
- Umsatzerhöhung von maximal 1-2 % (geht spätestens nach 3 Jahren
wieder zurück)
- Umsatzverlagerungen in die Abendstunden
- Umsatzverlagerungen von Kultur, Unterhaltung und Gastronomie zum Einzelhandel
aufgrund der sinkenden Kaufkraft
- Verlagerung der Umsätze innerhalb des Handels von personalintensiven
Klein- und Mittelbetrieben zu den personalarmen Großmärkten in
Stadtrandlage; d.h. daß auch ein Lehrstellenrückgang zu erwarten
ist, da die Klein- und Mittelbetriebe die Träger der Ausbildung sind.
- Umsatzeinbußen für Fachgeschäfte bis zu 10 % - Betriebsschließungen
(BRD-Studie)
- Anstieg der Teilzeitstellen (in Schweden: 12,1 %)
- Abbau der Vollzeitstellen (Schweden: 4,7 %)
- Besetzung der in den Abendstunden zusätzlich geschaffenen Arbeitsplätze
großteils durch Teilzeitkräfte und geringfügig Beschäftigte
- in kleineren Betrieben gehen durch Umsatzrückgänge Vollzeitstellen
verloren
- die angebotenen Teilzeitstellen können von Frauen mit Kindern, also
von denen, die Teilzeitarbeit benötigen würden, nicht eingenommen
werden.
- Ausschluß der Handelsangestellten von sozialen Kontakten durch Arbeit
am Abend und an Wochenenden
- lt. AK-Studie bekommen durch die Deregulierung 23 % der Beschäftigten
Probleme mit der Kinderversorgung
Verschlechterung der Nahversorgung durch Schließung kleinerer Betriebe
- Erhöhung des Individualverkehrs zu den Großmärkten am
Stadtrand
Jüngste Meldungen in der Oberösterreichischen Presse bestätigen
diese Analyse: mangels erhoffter Umsatzsteigerungen kehrt der Linzer Handel
wieder schrittweise zu den alten Ladenschlußzeiten zurück!
Wir müssen zum Primat der Politik zurückkehren!
Wir haben lange genug zugesehen; überlassen wir nicht länger
die Politik den Profitinteressen einer immer mächtiger werdenden Wirtschaftslobby!
Was wir brauchen, ist eine Politik, die dieser Entwicklung mehr als Lohnverzicht,
Sparen und Deregulierung des bestehenden Arbeits-und Sozialrechtes entgegenzusetzen
hat. Es muß ein Recht für alle geben, ihre Lebensbedürfnisse
über Erwerbsarbeit zu decken. Was wir brauchen, ist eine Neuverteilung
von Arbeit, Möglichkeiten zum zeitweiligen gesicherten Ausstieg aus
der Erwerbsarbeit, eine Flexibilisierung der Arbeit nach den Bedürfnissen
der Menschen sowie eine ausreichende soziale Grundsicherung für alle.
Wir brauchen auch eine Umverteilung von Einkommen.
In Österreich leben je nach Definition zwischen 770.000 und
1,5 Millionen Menschen an der Armutsgrenze, mehr als 300.000 sind arbeitslos.
Die Hälfte der Arbeitslosen hat ein Einkommen von weniger als S 7.000,--.
Demgegenüber haben laut jüngster Arbeiterkammerstudie die Privatvermögen
1996 in Österreich einen Wert von rund 6000 Milliarden Schilling erreicht,
wovon das oberste Zehntel der Bevölkerung rund die Hälfte besitzt,
das unterste Zehntel nur 2,4 %. Diese Vermögen sind in Österreich
- einmalig unter den Industriestaaten - praktisch nicht erfaßt. Die
Vermögenssteuer wurde gestrichen, die Erbschaftssteuer spielt keine
Rolle. Der Anteil der Vermögensbesteuerung am gesamten Steueraufkommen
liegt in den USA bei 11,3 % (1993), in der Schweiz bei 7,4 % (1994) und
in Österreich nur bei 1,6 % (1994). Dafür sind bei uns die Arbeitseinkommen
relativ hoch besteuert. Dieses System ist nicht nur ungerecht, es wird auch
durch den Kaufkraftverlust immer größerer Bevölkerungsteile
mittelfristig zu einer Schrumpfung der Wirtschaft führen.
Nicht die Einschränkung, sondern eine Ausweitung der Budgets ist
die Antwort!
Arbeitsplatzförderung macht nur dann Sinn, wenn es wirklich gelingt,
die Zahl der regulären - d.h. der sozial abgesicherten - Arbeitsplätze
zu steigern. Gelingt dies nicht, werden die "geförderten"
Arbeitsplätze die nicht geförderten verdrängen, werden weiterhin
reguläre durch prekäre Arbeitsverhältnisse ersetzt. Eine
solche Umschichtung findet nicht nur regional, sondern auch durch die EU-Strukturförderungsprogramme
europaweit statt, löst aber das Problem nicht.
Zu fordern ist:
- Vor Inkrafttreten der Währungsunion muß eine europaweite
Sozial- und Beschäftigungsunion geschaffen werden, um die soziale Konvergenz
abzusichern.
- Besteuerung aller Devisentransaktionen, um die Kapitalmobilität einzuschränken
- Arbeitszeitverkürzung schrittweise in Richtung 30 Stunden und 6-Tage-Woche
mit vollem Lohnausgleich. Daneben sollen auch andere Formen der Arbeitszeitgestaltung
forciert werden: Sabbaticals, Bildungsurlaub, Teilzeitarbeit bzw. Möglichkeiten
der Karenzierung für Männer und Frauen mit Betreuungspflichten,
verbunden mit einem gesicherten Wiedereinstieg in den Vollerwerb nach der
Betreuungszeit, etc.
- Arbeitsrechtliche Gleichstellung von Teilzeit- und Vollzeitarbeitsplätzen,
sowie geringfügiger Beschäftigung
- Ausweitung der staatlichen Budgets zur Schaffung von Arbeitsplätzen
in den Bereichen der sozialen und ökologischen Infrastruktur und Dienstleistungen
(Öffentlicher Verkehr, Alternativenergien, Bildung, Kinderbetreuung,
Altenpflege, Kultur, Gesundheit, sozialer Wohnbau etc.)
- Anhebung der Mindestlöhne auf S 15.000,-- brutto; gleichzeitig existenzsichernde
Sockelbeträge bei Arbeitslosigkeit, Karenz, Ausbildung, Pension, Krankheit
etc.
- Keine weitere Privatisierung gesellschaftlicher Schlüsselbereiche:
Banken und Versicherungen, Energie, Telekommunikation, Nachrichten, Verkehr,
Bildung
- Steuerliche Entlastung geringer Arbeitseinkommen
- Öko-soziale Steuerreform: Versteuerung von Energieverbrauch und stärkere
Besteuerung von Vermögen.
Für europäische Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte
Arbeitsverhältnisse und Ausgrenzung!
Aus Frankreich kommt eine Initiative, den Kampf gegen die Erwerbslosigkeit
auf eine europäische Ebene zu heben. Anläßlich des EU-Regierungsgipfels
im Juni 1997 sollen in ganz Europa Protestmärsche stattfinden. Auch
in Österreich hat sich eine überparteiliche InitiatorInnen-Gruppe
"Kampf gegen Erwerbslosigkeit, Sozialabbau und Ausgrenzung" gebildet.
Geplant ist eine breite Aktionseinheit mit ÖGB, AK, Caritas, Arbeitslosenintitiativen
etc. Wir werden alle verfügbaren Kräfte brauchen!
Info: Heinz Zauner, Plattform der OÖ Sozialprojekte,Tel. u.
Fax 0732/667594
Doris Eisenriegler
ist Sozialsprecherin der Grünen OÖ und Landtagskandidatin