HILLINGERS EU-TAGEBUCH APRIL '97

März
Kommt er oder kommt er nicht, der Frühling, der Komet und der EURO? Sicher alle Jahre wieder kommt der internationale Frauentag. Der 8. März ist ein warmer, strahlender Frühlingstag. Leider wird er in Linz nicht mehr auf der Straße gefeiert. Im Designcenter gibts wieder die Messe Frau 97 mit Frisurentips, Goldhauben, Frauen in Bundesheerkluft und Aichinger im Herrgottswinkel. In der Stadtwerkstatt steigt das Fest der autonomen Frauen. Auch die EU spuckt aus gegebenem Anlaß statistisches Material aus: Nicht einmal jede zweite Frau in der EU hat einen Job. Nur 45 Prozent aller Frauen sind im EU - Durchschnitt erwerbstätig. Innerhalb der EU gibt es allerdings große Unterschiede. Je nördlicher das Land, desto seltener bleiben die Frauen daheim. Österreich ist kein nordisches Land. Die Regierung hält sich an den Frauen schadlos, um die Maastrichtkriterien zu erfüllen: Sparpaket I + II haben die Abschaffung der Geburtenbeihilfe, die Verkürzung der Karenzzeit, die Reduzierung der Kindergartenmilliarde und Verschlechterungen bei den Pensionen gebracht. Die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten sollen die Frauen zu billigen Arbeitskräften verkommen lassen. In der Linzer "City" sind die meisten Geschäfte unter der Woche zu ihren alten Öffnungszeiten zurückgekehrt, bis auf ein paar Ausnehmen. Dort stehen sich einsame VerkäuferInnen die Füße in den Bauch. Seit heuer dürfen Frauen endlich auch in der Nacht arbeiten müssen. Ach, EU - Tagebuch, ich will nicht immer recht haben. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich dir anvertraut, daß nach dem Samstag auch der arbeitsfreie Sonntag fallen wird und schon sind wir mitten in der Diskussion.

Sicher ist auch noch nicht, ob wir im Oktober tatsächlich ins Schengenland eingelassen werden. Die Bayern sagen, unsere Grenzen sind zu undicht. Dabei gehen unsere Grenzwachbeamten hochmodern mit CO2 - Geräten auf Menschenjagd und sind sehr erfolgreich dabei. Insgesamt 2074 Menschen haben die Tüchtigen heuer schon aufgegriffen, das sind um 100 Prozent mehr als im Vorjahr. Der März ist ein Kurdenmonat. In Suben aber heißt es für sie Endstation. Zur selben Zeit wundert man sich in Wien, warum das Hotel Sacher gar so von finsteren Burschen und Spezialpolizisten umstellt ist. Der Oberbefehlshaber der türkischen Armee ist zu Besuch in Österreich. Mit Verteidigungsminister Fasslabend inspiziert er die Ostgrenze im Burgenland. Derweil wundert sich ein Zollwachter über die aufgespürten Kurden: Die waren ja gar nicht arm, sondern haben daheim zum Teil gutgehende Geschäfte aufgegeben, um über Österreich nach Deutschland zu kommen. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß es Kurden in der Türkei gar nicht geben darf, sondern nur "Bergtürken" und die türkische Armee einen erbitterten Krieg gegen dieses Volk führt.

Es gibt einen neuen Innenminister, der heißt Schlögl und der hat ein neues "Integrationspaket" präsentiert. "Integration" will meinen "Ausländer raus". Wer ein Jahr gearbeitet hat und dann mehr als 4 Monate arbeitslos ist, fliegt. Der EU - Gerichtshof für Menschenrechte hat vor rund einem halben Jahr der Regierung untersagt, Gastarbeiter noch länger abzuzocken. Bisher hatten sie nach mindestens 5 Jahren Arbeit Anspruch auf nur 1 Jahr Notstandshilfe - bei vollen Sozialversicherungsabgaben, versteht sich. Jetzt haben sie den selben Anspruch wie Inländer, aber - und dazu sind ja Integrationspakete da - erst nach 8 Jahren ununterbrochener Berufstätigkeit.

Was mit Unterstützung des Verzetnitsch - ÖGB leider nicht kommen wird, sind Protestkundgebungen, wie sie in Frankreich und Deutschland stattfinden. In Frankreich demonstrieren belgische und französische ArbeiterInnen gemeinsam gegen die Schließung des Montagewerkes in Vilvoorde. In Deutschland kommen die Kohlekumpel nach Bonn, worauf sich Kohl gleich bedroht und erpreßt fühlt.

Apropos Recht haben: Johannes Voggenhuber, im Auftrag der Grün - Wähler in Brüssel und Vertreter der Auffassung, die EU wäre reformierbar, hat eine Erkenntnis: Die EU wird an der Öffentlichkeit vorbei reformiert, indem geheime Papiere der Ratspräsidentschaft nicht veröffentlicht werden. In diesen Papieren geht es um den weiteren Ausbau von Mehrheitsentscheidungen und um die Entstehung eines "Kerneuropa" unter der Vorherrschaft von Frankreich und Deutschland.

Damit nicht alles so trist ist: Eine feministische Frauenuniversität soll gegründet werden. Wann und wohin sie kommt, ist noch ungeklärt, aber sie kommt.


April 97
wir lesen hören schauen linz